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08.11.2013

Aus der Zeitschrift „Feuer und Licht“ Nr. 39

Bezüglich des Weiterlebens der menschlichen Seele…

nach dem Tod sind wir heute Zeugen eines erstaunlichen Phänomens: Die Techniken der Reanimation holen Menschen ins Leben zurück, die den klinischen Tod erfahren haben. In Zusammenhang mit schweren Krankheiten, tiefen Komas, schweren Unfällen sind sie in eine Art scheinbaren Tod eingetreten, wo sie eine absolut wunderbare Erfahrung des Friedens, des Lichtes und der Liebe gemacht haben und dies unabhängig von Alter, sozialem Milieu, religiösem Glauben.

Mauricette ist 40 Jahre alt, und ich kann ihr bestätigen, daß sie wirklich mit beiden Beinen auf dem Boden steht, daß sie sehr lebenslustig ist und daß es sehr angenehm ist, in ihrer Nähe zu sein.

Kannst Du uns erzählen, was du während Deiner sehr ernsten Krankheit erlebt hast?

Eines Morgens bin ich aufgewacht mit einem Schmerz im Unterleib, der sich wie ein  Fausthieb anfühlte... Einige Stunden später wurde ich in die Notaufnahme gebracht und in den OP gefahren. Ich hörte den Narkosearzt noch sagen. "Oh la la, sie entgleitet mir zwischen den Fingern!" Der Chirurg antwortete: "Ich kann nicht schneller ..."

Ein großes, strahlendes Licht, sehr liebevoll und zart, kam mir entgegen und umschloss mich. Ich begriff, daß ich in der Gegenwart Gottes war. Dieses stille Licht lud mich ein, mit ihm in Dialog zu treten, ohne dabei meine Freiheit einzuschränken. Die Liebe bot sich mir mit einer unglaublichen Anziehungskraft an, und sie erwartete eine Antwort. Ich fühlte mich mit  ewiger Liebe geliebt und kostete eine Lebensfülle,  die ich bisher nicht gekannt hatte. Ich verblieb eine Weile in diesem Gefühl intensiver Fülle, als ich einwilligte, mich aus freier Wahl auf diese Liebe einzulassen. In diesem Augenblick zog mich die Liebe in ein noch helleres, strahlenderes Licht. Eine Liebesgeschichte begann. Ich wurde von Güte angezogen, in ein Meer von Liebe geleitet. Dann lief vor meinen Augen der Film meines Lebens ab, und ich sah mich im Alter von vier Jahren ... Was herausstach, war das Positive und die Entscheidungen, die ich für Gott getroffen hatte. Eingetaucht in diese verwandelnde Liebe, wurde nur bewusst, daß ich in meinem Leben nicht genügend geliebt hatte. Ich sah das, was ich hatte tun können und nicht getan hatte. Ich stand der leuchtenden Helligkeit Gottes gegenüber, meine rechte Hand geöffnet und ein kleines Maß Liebe darin. Es war nicht viel! Ich fühlte mich aufgenommen und geliebt. Gott zeigte mir die Wahrheit über mein Wesen, indem er mir seinen Frieden in einer Liebesumarmung mitteilte. Ich begriff die ganze Feinheit und Zärtlichkeit seines Erbarmens, seine unaussprechliche Liebe. Dennoch sah ich die Notwendigkeit einer Läuterung in einer Mischung aus Schmerz und Freude.

War es in etwa das, was man das Fegefeuer nennt?

Vielleicht, ich würde von lebendigen Liebesflammen sprechen, die das Wesen durchdringen und reinigen, um es fähig zu machen, mit der Liebe zu verschmelzen. Die strahlende Herrlichkeit Gottes ließ in nur den Wunsch wachsen, mit dem gleichen Maß zu lieben, wie Gott liebt, und mein Leiden bestand darin festzustellen, daß ich aus eigener Kraft nicht, dazu fähig war. In diesem Schmelzofen der Liebe sah ich die strahlende Barmherzigkeit Gottes geoffenbart, seine Gnade, die alle meine Unterlassungen während dieser Zeit ersetzte. Ich fühlte in meinem Herzen eine Freude, die glühend wurde. Die Güte Gottes ließ nur das Herz aufgehen.

Hat diese Erfahrung unsere menschlichen Sinne und alles, was man vom irdischen Leben her kennt, überstiegen?

Ich wurde in die, strahlende Herrlichkeit Gottes hineingezogen bis zu dem Moment, wo ich die Nähe des göttlichen Antlitzes ahnen konnte. In dem intensiven Licht tauchte nun ein Nebel auf. Da habe Ich verstanden, daß ich das Antlitz des Lichtes wegen des Nebels nicht sehen würde. Ich habe geschrieen. "Ich möchte das Antlitz des Lichtes sehen!"... In diesem Moment bin ich auf dem Operationstisch aufgewacht. Die Operationslampe war mit ihrem blendenden Licht auf mich gerichtet. Eine schreckliche Verzweiflung hat mich ergriffen, denn ich musste von neuem mit den irdischen Realitäten leben. Dieser Unterschied zwischen den zwei Lichtern war unerträglich! Das andere Licht war erfüllt von Liebe, und hier sah ich mich mit einem aggressiven Licht konfrontiert.

Hast Du die Anwesenheit anderer Personen gespürt?

Ich habe gespürt, daß dieser Ort bewohnt ist, aber ich habe niemanden gesehen. Meinem Gefühl nach waren viele da.

Führst Du die Tatsache, daß Du das Antlitz Gottes nicht gesehen hast, darauf zurück, daß Du Dich dazu nicht würdig fühltest, oder war einfach der Moment dafür noch nicht da ?

Ich habe mich in keinem Moment unwürdig gefühlt, aber ich habe begriffen, daß der Herr mir mit diesem Licht eine Gnade zuteil werden ließ, die nicht für mich selbst bestimmt war, sondern für andere. Ich betrachte diese Rückkehr ins Leben als eine Zeit der Gnade, die der Herr nur gewährt, um intensiver zu leben. Jetzt weiß ich, was mich erwartet.

Wie sah der Film Deines Lebens aus, der sich vor Dir abgespielt hat?

Das gesamte Leben zog an mir vorbei: Im Alter von vier Jahren hat der Herr in einem Gebet zu mir gesprochen. Ich habe seinen Ruf im Innersten meines Herzens vernommen und habe zu ihm gesagt: "Ich gebe mich Dir hin." Dann habe ich den Tag meiner Erstkommunion gesehen, wo ich mich von neuem dem Herrn übergeben habe, und meine Jugendzeit, während der ich mit diesem Ruf gekämpft habe. Ich bin in eine Klosterschule gegangen und habe dort einige schmerzliche Erfahrungen gemacht. So habe ich gesagt. „Herr, ich gebe Dir mein Leben gerne, aber bitte nicht als Nonne!“  Mehrere Jahre war ich im Innersten nicht glücklich, weil ich dieser vollkommenen Liebe nicht entsprochen habe, die mich gerufen hat. Dann sah ich mich, wie ich das Versprechen als geweihter Laie abgelegt habe. Was hervorgehoben wurde, waren die Entscheidungen, die ich meinem Leben in bezug auf Gott getroffen hatte. Ich stand außerhalb der Zeit.

Konntest Du mit diesem Licht, das Du sahst, in Verbindung treten, fühlst Du Dich verstanden, erkannt?

In diesem Licht war alles durchsichtig, es bedurfte keiner Worte. Der Dialog fand im Herzen des Lichtes statt.

Das lässt mich an die kleine Hl. Theresia denken, die sagt: „Dann wird alles in einem Blick gesagt sein.“ Hier handelt es sich wirklich um eine Art von Kommunikation, die auf Erden nicht existiert, eine ganz besondere Erfahrung...

Mann steht vor dem Herrn mit seinem wahren Wesen, fühlt sich gekannt und geliebt, so wie man ist. Daher ist es unnötig, zu sprechen. Gott richtete mich nicht, ich richtete mich selbst im Hinblick auf diese unermessliche Liebe. Ich fühlte mich völlig ergriffen, überwältigt von dieser Liebe. Ich begriff, daß ich nicht genügend geliebt hatte.

Hattest Du das Gefühl, Deinen Körper zu verlassen?

Überhaupt nicht, ich hörte genau, was passierte, aber gleichzeitig machte ich eine außergewöhnliche Erfahrung; ich war zwischen Leben und Tod.

In welcher Hinsicht hat dieses Erlebnis in Deinem Leben Frucht getragen? Wo hast Du Dich verändert?

Diese Begegnung mit dem Herrn hat mich sehr arm zurückgelassen. Ich habe meine Armut Ihm gegenüber deutlich erfahren, was mich sehr demütig gemacht hat. Von da an habe ich mich auf das Wesentliche in meinem Leben konzentriert. Ich war nicht mehr die Gleiche, meine Brüder und Schwestern wiesen mich darauf hin. Der Herr hat ein Siegel auf mein Herz gelegt, ich bin auf unauslöschliche Weise gekennzeichnet.

Ein Theologe über das Fegefeuer

Francois Varillon:

Freude zu glauben,

Freude zu leben ...

Es hat nichts Erstaunliches an sich,  das Tradition dieses Brennen der Läuterung mit einem Feuer vergleicht. Fegefeuer bedeutet reinigendes Feuer. Im Grunde ist es dasselbe Feuer, das in der Hölle verdammt, im Fegefeuer reinigt und im Himmel glückselig macht. Gott ändert sich nicht, das Feuer der Liebe ist immer dasselbe.

Wir sind es, die in einer verschiedenen Beziehung stehen zu dieser unveränderlichen,  unendlichen Liebe. Wenn wir ganz der Liebe entgegengesetzt sind, quält uns das Feuer der Liebe. Wenn wir fähig sind zur Reinigung, reinigt uns dieses Feuer. Und wenn wir mit Gott vereinigt sind, macht dieses Feuer uns selig.

Aus: Francois Varillon, Joie de croire, joie de vivre (Freude zu glauben, Freude zu leben), Centurion 1981