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17.07.2013

zu 1363

Zur Antwort auf Reginas Leserbrief von Herrn D. G. aus S.

Eigentlich wollte ich mich aus solchen Diskussionen raushalten, aber was Herr D. G. hier geschrieben hat zeigt wieder mal, wie — man verzeihe mir den Ausdruck, aber ich finde leider keinen passenderen — „dumm“ die Leute manchmal daherreden, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu geben, auch nur ein kleines bisschen nachzudenken, bevor sie sich zu Wort melden. Es ist ja auch viel bequemer, einfach das nachzuplappern, was in den Medien — leider genau so oft, ohne irgendwelches Hintergrundwissen einzuholen — verbreitet wird.

Darum habe ich mich doch zu einer Zuschrift entschlossen, hoffe jedoch, dadurch keine Lawine loszutreten. Aber wenn ich manche Sachen höre geht mir „einfach der Hut hoch“ und ich kann nicht immer dazu schweigen.

Eines vorweg: Die Sache mit den Missbrauchsfällen durch Priester (die Herr D. G. — auch wenn er es nicht direkt anspricht — wohl meint, wenn er Priester erwähnt, „für die es sich zu beten lohne“ und von „Denkanstoß in Sachen Zölibat“ spricht) ist ganz klar ein trauriges Kapitel in unserer Kirchengeschichte.

Als die Sache mit den Missbrauchsfällen in kirchlichen (nicht nur katholischen!) Einrichtungen die großen Wellen schlug, erschien im Magazin „PUR„ ein sehr guter Artikel, der eine Menge an Fakten und Zahlen aufwies. (Leider befindet sich das entsprechende Heft nicht mehr in meinem Besitz, ich kann also nicht mehr nachschlagen und nur noch das wiedergeben, was ich noch im Gedächtnis behalten habe. Vielleicht kann ein Mitleser hier weiterhelfen?)

Es gab damals ein Interview mit einem Juristen oder einem Angehörigen der Polizei in oberer Instanz (sorry, weiß es nicht mehr so genau). Und hier konnte man plötzlich Dinge nachlesen, die so in keiner Nachrichtensendung und in keiner Zeitung verbreitet wurden.

„Herr X“ (nennen wir ihn mal so) erklärte zunächst mal, dass von allen Missbrauchsfällen weltweit die Anzahl von Missbrauchsfällen in irgendeiner kirchlichen Einrichtung nicht mal 2 % ausmachen würden. (Keine Frage, auch wenn es nur 0,2 % gewesen wären, so wären auch diese noch zu viel, aber gehen wir weiter.) In diesen 2 % sind keineswegs nur katholische Einrichtungen zu sehen, sondern es umfasst alle Einrichtungen, die in irgend einer Weise von irgend einer christlichen Kirche oder Glaubensgruppe getragen oder mit ihr zu tun hat. Also bspw. auch evangelische, anglikanische und evangelikale Einrichtungen usw.

Der Anteil katholischer Einrichtungen beträgt demzufolge deutlich weniger als 1 % aller weltweiten Missbrauchsfälle an Kindern.

Von dem also verbleibenden „katholischen“ Rest (der selbstredend immer zu hoch sein wird, egal, wie gering der Prozentsatz auch ausfällt) entfällt ein wieder deutlich geringerer Prozentsatz auf geweihte Priester oder Ordenspersonen, die anderen Fälle betreffen freie Lehrer, Angestellte usw.

Des Weiteren ist zu beachten, dass man bei „Missbrauchsfällen“ meist sofort an Sexualdelikte denkt, die ja auch besonders verwerflich sind. Mitnichten handelt es sich jedoch bei derartigen Fällen nur um sexuelle Übergriffe, sondern es sind hier alle Missbrauchsfälle angesprochen, also bspw. auch körperliche Strafen wie Ohrfeigen, Prügel usw..

Es ist heute durchaus bekannt, dass lange Zeit Schulen, die kirchlich geleitet werden, meist etwas strenger (und dabei eben auch die Strafen meist härter) waren als das in anderen Schulen der Fall war. (Man hielt sich hier wohl länger als anderswo an den Bibelspruch „Wer sein Kind liebt, der züchtigt es“.)

Bitte nicht falsch verstehen: ich will keinesfalls solche körperlichen Strafen gutheißen oder verteidigen, ich will nur darauf hinweisen, dass körperliche Strafen wie Ohrfeigen oder so genannte „Tatzen“ auf die Hand (was heute alles unter „Missbrauchsfälle“ fällt) eben früher durchaus als „normal“ angesehen wurden. Wenn bspw. eines meiner Elternteile (heute beide weit über siebzig) früher aus der Schule (KEINE kirchliche Schule!) heimgekommen wären und erzählt hätten, dass sie in der Schule bestraft wurden, wäre niemand zur Direktion und hätte sich beschwert oder gar mit Anzeigen gedroht, sondern: meine Eltern wären von ihren Eltern zu Hause eher noch einmal bestraft worden gemäß der Überlegung: „Wenn du bestraft wurdest, hatte das bestimmt einen Grund, und genau dafür wirst du jetzt gleich nochmals bestraft“. (Über Sinn oder Unsinn solcher Vorgehensweise zu diskutieren mag an dieser Stelle unterbleiben, es geht ja eigentlich um was Anderes.)

Der allergrößte Anteil der angesprochenen Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen (man kann sogar sagen: fast alle!) liegen dazu noch viele Jahre zurück, wenn ich mich recht erinnere sind fast immer mind. 40 Jahre seither vergangen. (Das nur, um darauf hinzuweisen, dass es „damals“ eben tatsächlich eine „andere Zeit“ war. Bitte bedenken: damit meine ich ausdrücklich nur die nicht sexuellen Missbrauchsfälle; für solche gilt natürlich keinerlei derartige Entschuldigung.)

Langer Rede kurzer Sinn und mit fast schon kindlich-naiver Logik bedeutet das:

Wenn von allen Missbrauchsfällen an Kindern etwa 1 % von zölibatär lebenden Personen verbrochen wurden, bleibt eigentlich nur der Rückschluss, dass somit 99 % aller Missbrauchsfälle an Kindern von NICHT zölibatär lebenden Personen durchgeführt wurden.

Wo — bitteschön — soll man da nun einen „Denkanstoß in Sache Zölibat“ sehen? (Das meinte doch wohl Herr G. G. aus S.)

In besagtem PUR-Artikel stand sogar, dass das Zölibatsversprechen keinesfalls ein Auslöser sondern eher noch eine zusätzliche Hemmschwelle wäre, was für mich eigentlich auch irgendwie verständlich klingt.

Ganz besonders wichtig ist mir aber noch die Aussage, dass schon damals in ALLEN betroffenen Einrichtungen besonders großer Wert gelegt wurde auf sorgsame und lückenlose Aufklärung, auch wenn das weitgehendst unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschah. (Auch dieses „geheime“ Vorgehen ist für mich gut zu erklären und nachvollziehbar; wer sich schämt, versucht eher „zu vertuschen“ als „lauthals zu verkünden“, was hier verbrochen wurde.)

Mir ist noch ein Satz in Erinnerung, der sinngemäß lautete: „Wenn man überall so streng und unermüdlich um Aufklärung der Vorfälle interessiert gewesen wäre wie gerade in den kirchlichen Einrichtungen, wäre die Gesamtzahl der weltweiten Fällen um ein Vielfaches geringer.“

Solches sollte man besagtem Herrn D. G. aus S. mal unter die Nase halten, aber es würde leider doch nichts nützen, denn: es würde ihn ganz einfach nicht interessieren bzw. er würde das alles anzweifeln. Immerhin passt das sicherlich nicht in seine eigene Denkweise und Weltanschauung, bei der der Glaube an Gott und die Kirche womöglich keinen allzu großen Stellenwert haben. Obwohl — ich darf — kann — und will ihm das eigentlich nicht unterstellen, es drängte sich eben nur der Verdacht auf, wenn ich seine Zeilen so lese.

Die katholische Kirche sagt (jedenfalls bisher) eben immer wieder viele Dinge, die unbequem sind, denn sie fordern von den Anhängern die Einhaltung gewisser Regeln, und diese Regeln passen den Meisten leider nicht mehr so richtig in ihre heutige Welt. Darum wird eben kräftig kritisiert und angeklagt.

Ich bin sicher, viele betäuben dadurch nur ihr eigenes (schlechtes?) Gewissen.

Unbequem war übrigens auch Jesus, als er damals die Wahrheit verkündete; so unbequem, dass man ihn unbedingt beseitigen musste!

Leider kann man das den Meisten nicht mehr vermitteln. Manche sind sogar fest überzeugt, dass sie im Recht wären, wenn sie von der Kirche Reformen fordern. Mir kommt da der Slogan in Erinnerung „Wir sind die Kirche!“ Ach, wie kann man diesen — eigentlich wahren — Satz doch missverstehen und — missbrauchen!

Man muss doch bedenken: Mag auch jeder Gesangverein, jeder Kleintierzüchterverin, jeder Stammtisch, jeder Kegelclub usw. seinen Mitgliedern und jede Partei ihren Wählern verpflichtet sein — Für die Kirche gilt das nicht. Ganz im Gegenteil.

Im Übertragenen Sinn müsste man sagen: Hier ist nicht „die Vorstandschaft den Mitgliedern“ sondern hier sind die „Mitglieder der Vorstandschaft“ verpflichtet, und diese „Vorstandschaft“ (man verzeihe mir diese saloppe Ausdrucksweise, die nur dem besseren Verständnis dienen soll) wiederum ist nicht den Mitgliedern sondern einzig und allein Gott verpflichtet.

Man kann sich unseren Herrgott nicht so hinbiegen, wie es einem in den Kram (und in die eigene Lebensweise) passt. Man kann noch so viele Reformen einfordern und auch durchführen — Gott braucht solche Veränderungen nicht. Die Wahrheit bleibt nämlich immer die gleiche, und was von Gott gestern als Sünde bezeichnet wurde, wird auch heute und in aller Zukunft Sünde bleiben.

Hoffen wir, dass eines Tages auch Herr D. G. aus S. und alle, die so denken, wie er es in seinen Zeilen zum Ausdruck bringt, zur Einsicht und zum wahren Glauben gelangen; zum Glauben und zur Demut, um die ich bspw. auch mich selbst immer wieder bemühe (und immer wieder feststellen muss, dass ich oft meilenweit davon entfernt bin).

Vielleicht hilft unser Gebet? Überflüssig — da muss ich Regina voll und Ganz Recht geben — ist es ganz sicher nie!

In der Hoffnung, dass es mir (rhetorisch leider völlig untalentiert) irgendwie gelungen ist, genau DAS rüber zu bringen, was ich meinte, und nicht von allzu vielen missverstanden wurde, bleibe ich im Gebet mit euch allen verbunden.

Bernhard