10.07.2016

DAS GLEICHNIS VOM BARMHERZIGEN SAMARITER

nach Maria Valtorta

«Zahllos sind die Überraschungen des Herrn, denn unberechenbar sind die Reaktionen der Menschen. Ihr werdet sehen, dass Heiden zum ewigen Leben gelangen und Samariter den Himmel besitzen; und ihr werdet sehen, wie reine Israeliten und selbst einige meiner Nachfolger den Himmel und das ewige Leben verlieren.»

Jesus schweigt und wendet sich der Tempelmauer zu, als wolle er jede weitere Diskussion vermeiden. Aber ein Lehrer des Gesetzes, der sich unter dem Torbogen niedergesetzt hatte, um ernsthaft zuzuhören, steht auf, stellt sich vor Jesus hin und fragt: «Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen? Du hast anderen geantwortet, antworte auch mir!»

«Warum willst du mich versuchen? Warum willst du lügen? Hoffst du, dass ich etwas sage, was nicht mit dem Gesetz übereinstimmt, weil ich Gedanken anfüge, die es erklären und vervollkommnen? Was steht im Gesetz geschrieben? Antworte mir! Welches ist sein wichtigstes Gebot?»

«„Du sollst den Herrn deinen Gott lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele, mit allen deinen Kräften und deinem ganzen Gemüte! Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“»

«So ist es, du hast gut geantwortet. Tue das, und du wirst das ewige Leben erlangen.»

«Aber wer ist denn mein Nächster? Die Welt ist voll von guten und bösen Menschen, von Bekannten und Unbekannten, von Freunden und Feinden Israels. Wer ist also mein Nächster?»

«Ein Mann stieg durch die Schluchten der Gebirge von Jerusalern nach Jericho hinab. Er wurde von Räubern überfallen. Sie schlugen ihn grausam, beraubten ihn all seiner Habe, selbst seiner Gewänder, und ließen ihn mehr tot als lebendig am Rand der Straße liegen.

Kurz darauf kam ein Priester des Weges, der seinen Dienst im Tempel beendet hatte. Oh, er duftete noch nach den Räucherpfannen des Heiligtums! Auch seine Seele hätte nach übernatürlicher Güte und Liebe duften müssen, da er im Haus Gottes, sozusagen in Berührung mit dem Allerheiligsten, gewesen war. Der Priester aber hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Er schaute daher den Verletzten an, blieb aber nicht stehen, sondern ging eiligst weiter und überließ den Unglücklichen seinem Schicksal.

Dann zog ein Levit vorbei. Er, der im Tempel diente, sollte sich verunreinigen? Das kam nicht in Frage. Er raffte sein Gewand, damit es nicht vom Blut beschmutzt werde, warf einen flüchtigen Blick auf den, der jammernd in seinem Blut lag, und begab sich rasch nach Jerusalern zum Tempel.

Als dritter kam ein Samariter, der von Samaria zur Furt zog. Er sah das Blut, blieb stehen, entdeckte den Verletzten in der Dämmerung, stieg vom Esel, näherte sich ihm, labte ihn mit einem Schluck kräftigen Weines, zerriß seinen Mantel, um daraus Binden zu machen, und nachdem er die Wunden zuerst mit Essig gewaschen und dann mit Öl gesalbt hatte, verband er ihn liebevoll. Schließlich lud er den Verletzten auf seinen Esel und führte vorsichtig das Tier, wobei er gleichzeitig den Verletzten festhielt und ihn mit guten Worten tröstete, ohne auf die Mühe oder dessen jüdische Nationalität zu achten. In der Stadt angekommen, brachte er ihn in eine Herberge, wachte die ganze Nacht bei ihm, und am nächsten Morgen, als er sah, dass es ihm besser ging, vertraute er ihn dem Gastwirt an, zahlte im voraus und sagte: „Trage Sorge für ihn, als wäre ich es selbst. Bei meiner Rückkehr will ich dir erstatten, was du mehr ausgegeben hast, und zwar reichlich, wenn du ihn gut behandelst.“ Dann ging er fort.

Lehrer des Gesetzes, antworte mir: welcher von diesen dreien war dem, der von den Räubern überfallen worden war, der Nächste? Vielleicht der Priester? Vielleicht der Levit? Oder nicht vielmehr der Samariter, der nicht danach fragte, wer der Verletzte sei, warum er verletzt war und ob er gut daran tat, ihm Hilfe zu leisten, da er dadurch Geld und Zeit verlor und zudem Gefahr lief, als Schuldiger angeklagt zu werden?»

Der Gesetzeslehrer antwortet: «Letzterer war ihm der Nächste, da er Mitleid mit ihm hatte und ihm Barmherzigkeit widerfahren ließ.»

«Tue das gleiche und liebe den Nächsten und Gott im Nächsten, und du wirst das ewige Leben verdienen.»