20.07.2016

DAS GLEICHNIS VOM SÄMANN

nach Maria Valtorta

Jesus zeigt mir den Lauf des Jordan oder vielmehr dessen Mündung in den See von Tiberias, wo die Stadt Bethsaida am rechten Flußufer liegt, und erklärt: «Jetzt liegt die Stadt nicht mehr am Seeufer, sondern eher landeinwärts. Das verwirrt die Wissenschaftler. Die Erklärung liegt in der schon zwanzig Jahrhunderte andauernden Versandung des Sees auf dieser Seite durch Erdablagerungen, Anschwemmungen und Erdrutsche von den Hügeln Bethsaidas. Früher lag die Stadt unmittelbar an der Mündung des Flusses in den See, und die Boote fuhren während der wasserreichen Jahreszeiten fast bis auf die Höhe von Chorazim hinauf. Die Flußufer dienten den Booten von Bethsaida an stürrnischen Tagen als Hafen und Zufluchtsort. Diese Erklärungen sind nicht für dich bestimmt, da dir wenig daran liegt, sondern für die Wissenschaftler, die alles in Zweifel ziehen. Fahre nun fort.»

Jesus und seine Apostel haben die kurze Strecke, die Kapharnaum von Bethsaida trennt, mit den Booten zurückgelegt und gehen in dieser Stadt an Land. Andere sind ihnen mit ihren Booten nachgefolgt, und viele steigen aus und schließen sich den Leuten von Bethsaida an, die gekommen sind, um den Meister zu begrüßen. Jesus begibt sich ins Haus des Petrus, wo... jetzt auch wieder seine Frau ist, die, wie ich annehme, die Einsamkeit den ständigen Klagen ihrer Mutter vorzieht.

Die Leute draußen rufen laut nach dem Meister, was Petrus nicht wenig ärgert. Er steigt auf die Tcrrasse und ermahnt alle Bewohner von Bethsaida und alle Fremden, sich anständig und respektvoll zu benehmen. Da nun sein Meister bei ihm zu Hause ist, möchte er ihn ein wenig in Frieden genießen, aber er findet nicht einmal Zeit, ihm von den vielen Dingen, die er seine Frau vorzusetzen geheißen hat, wenigstens etwas Honigwasser anzubieten.

Jesus betrachtet ihn lächelnd, schüttelt das Haupt und sagt: «Es scheint beinahe, als würden wir uns nie sehen und es wäre ein Zufall, dass wir einmal beisammen sind!»

«Aber es ist doch so! Wenn wir in der Welt umherziehen, sind wir dann allein? Nicht im Traum! Zwischen dir und mir liegt eine ganze Welt mit ihren Kranken, ihren Betrübten, Zuhörern, Neugierigen, Verleumdern, Feinden... aber du und ich, dass gibt es nie. Hier bist du bei mir, in meinem Hause, und das sollten sie verstehen!» Petrus ist wirklich erregt.

«Aber ich sehe keinen Unterschied, Simon. Meine Liebe ist dieselbe, mein Wort dasselbe, ob ich es dir persönlich oder ob ich es allen sage. Ist es nicht so?»

Petrus bekennt nun seine große Sorge: «Ich bin doch so ein Dummkopf und lasse mich leicht ablenken. Wenn du auf einem Platz, auf einem Berg, zu vielen Menschen sprichst – ich weiß nicht warum – dann verstehe ich alles, und doch erinnere ich mich nachher an nichts mehr. Ich sagte es auch meinen Gefährten und sie haben mir recht gegeben. Die anderen, ich will sagen, die Leute, die dich anhören, verstehen dich und erinnern sich an das, was du gesagt hast. Wie oft haben wir doch gehört, wie jemand erklärte: „Ich habe dies nicht mehr getan, weil du es gesagt hast“, oder „Ich bin gekommen, weil ich einmal von jemand einen Ausspruch von dir gehört habe, der mich betroffen gemacht hat.“ Bei uns hingegen... o ja! ... ist es wie ein Fluß, der immerfort fließt. Das Ufer vermag ihn nicht aufzuhalten und das Wasser entschwindet. gewiss, ununterbrochen fließt Neues nach in Fülle, doch es fließt weiter und entflieht. Mit Schrecken denke ich an jenen Augenblick, von dem du sagst, dass er kommt, wo du nicht mehr da sein wirst, wie das Wasser des Flusses... und ich... wo werde ich für den Dürstenden schöpfen können, wenn ich nicht einmal einen Tropfen von dem, was du uns gibst, bewahren kann?»

Auch die anderen stimmen Petrus bei und beklagen sich, dass sie sich nie an alles Gehörte erinnern können, wenn sie darauf zurückgreifen möchten, um die vielen Fragen der Leute zu beantworten.

Jesus lächelt und antwortet: «Das scheint mir aber nicht so. Die Leute sind sehr zufrieden, auch mit euch...»

«O ja, mit dem, was wir tun! Dir einen Weg bahnen mit unsern Ellbogen, Kranke tragen, Almosen sammeln und den Leuten antworten: „Ja, dass dort ist der Meister.“ Wahrlich, großartig!»

«Setze dich nicht zu sehr herab, Simon.»

«Ich setze mich nicht herab, ich kenne mich.»

«Die Selbsterkenntnis ist die schwierigste der Tugenden. Doch, ich will diese große Angst von dir nehmen. Wenn ihr von meinen Predigten nicht alles verstehen oder im Gedächtnis behalten könnt, dann fragt, ohne Furcht mir lästig zu fallen oder mich dadurch zu entmutigen. Es gibt immer Stunden, da wir unter uns sind. Dann öffnet mir euer Herz. Ich gebe vielen vieles, und was gäbe ich nicht euch, die ich euch liebe, wie Gott euch nicht mehr zu lieben vermöchte. Du hast von der Welle gesprochen, die fließt, ohne dass von ihr am Ufer etwas zurückbleibt. Der Tag wird kommen, da du erkennst, dass jede Welle einen Samen zurückgelassen hat, und dass aus jedem Samenkorn eine Pflanze geworden ist. Du wirst Blumen und Pflanzen für jeden einzelnen Fall zu deiner Verfügung haben, und du wirst dich über dich selbst wundern und fragen: „Was hat der Herr in mir nur bewirkt?“ Denn du wirst dann von der Knechtschaft der Sünde erlöst sein und deine jetzigen Tugenden werden zu erhabener Vollkommenheit gelangt sein.»

«Du sagst es, Herr, und dein Wort gibt mir Ruhe.»

«Nun wollen wir zu all den Menschen gehen, die auf uns warten. Kommt! Der Friede sei mit dir, Frau. Ich werde heute abend dein Gast sein.»

Sie gehen hinaus und Jesus begibt sich zum See, um nicht von der Menge erdrückt zu werden. Petrus entfernt sich mit dem Boot einige Meter vom Ufer, so dass alle die Stimme Jesu hören können und dennoch ein gewisser Abstand zwischen ihm und den Zuhörern bleibt.

«Auf dem Wege von Kapharnaum nach hier habe ich mir überlegt, über welches Thema ich zu euch sprechen könnte. Die Begebenheiten von heute morgen haben es mich finden lassen...

Ihr habt gesehen, dass drei Männer zu mir gekommen sind. Der eine von sich aus, der andere, weil ich ihn dazu ermuntert habe, und der dritte aus plötzlicher Begeisterung. Ihr habt gesehen, dass ich nur zwei von ihnen erwählt habe. Warum? Habe ich vielleicht im Dritten einen Verräter gesehen? Nein, gewiss nicht, aber er war nicht vorbereitet. Dem Anschein nach war der Mann, der zum Begräbnis seines Vaters gehen wollte und nun hier an meiner Seite steht, noch weniger vorbereitet. Der Dritte aber war es am wenigsten. Dagegen war dieser hier, ohne es selbst zu wissen, so gut vorbereitet , dass er sogar ein heldenhaftes Opfer zu bringen vermochte. Der Heldenmut, Gott nachzufolgen, ist immer Beweis einer gründlichen seelischen Vorbereitung. Dies erklärt gewisse überraschende Vorfälle, die sich in meiner Umgebung ereignen. Jene, die am besten vorbereitet sind, Christus zu empfangen – welches auch ihr Stand oder ihre Bildung sein mag – kommen mit absoluter Bereitschaft und einem unerschütterlichen Glauben zu mir. Die weniger Vorbereiteten sehen in mir einen ungewöhnlichen Menschen, oder sie erforschen mich mit Argwohn und Neugierde, oder sie greifen mich sogar an und verleumden mich durch vielfältige Beschuldigungen. Die Verschiedenartigkeit ihres Handelns steht im Verhältnis zur mangelhaften Vorbereitung ihrer Seele.

Im auserwählten Volke müßte man überall Seelen finden, die bereit sind, den Messias aufzunehmen, in dessen Erwartung sich Patriarchen und Propheten in Sehnsucht verzehrt haben; den Messias, der endlich gekommen ist, und dessen Ankunft von allen prophetischen Zeichen eingeleitet und begleitet wurde; diesen Messias, dessen geistige Persönlichkeit sich immer deutlicher abzuzeichnen beginnt, durch alle sichtbaren Wunder am menschlichen Leib und an den Elementen und durch die unsichtbaren Wunder, die den Menschen zur Einsicht und Bekehrung bringen, und an den Heiden, die sich dem wahren Gott zuwenden. Es ist aber nicht so. Die Bereitschaft, dem Messias nachzufolgen, stößt gerade bei den Angehörigen dieses Volkes auf starke Hindernisse, und es schmerzt sagen zu müssen, dass sie umso größer sind, je höher ihre gesellschaftliche Stellung ist. Ich sage dies nicht, um euch zu verletzen, sondern um euch zum Gebet und zum Nachdenken anzuregen. Warum geschieht dies? Warum sind es die Heiden und Sünder, die viel eher auf meinem Weg vorwärtskommen? Warum nehmen sie an, was ich sage, und die anderen nicht? Weil die Kinder Israels wie Perlmuscheln verankert, ja verkrustet sind mit den Bänken, auf denen sie geboren wurden. Sie sind satt, übersatt von ihrer Weisheit und können der meinen keinen Platz schaffen, indem sie das Überflüssige wegwerfen, um das Notwendige aufzunehmen. Die anderen kennen diese Knechtschaft nicht. Es sind arme Heiden oder arme Sünder, die wie vom Anker gerissene Schiffe umhertreiben; es sind arme Menschen, die keine eigenen Schätze besitzen und die sich freudig trennen von der Bürde ihrer Irrtümer und Sünden, sobald es ihnen gelingt, die Frohe Botschaft zu begreifen. Sie spüren die Kraft dieses süßen Honigs, der so verschieden ist vom ekelhaften Gemisch ihrer Sünden.

Hört also zu, vielleicht werdet ihr dann besser verstehen, wie ein und dasselbe Werk verschiedene Früchte hervorbringen kann.

Ein Sämann ging aus, um zu säen. Er hatte viele Äcker von verschiedener Beschaffenheit. Einige hatte er vom Vater geerbt, auf denen infolge seiner Nachlässigkeit dorniges Gestrüpp zu wuchern begann. Andere hatte er selbst von einem gleichgültigen Bauern hinzugekauft und sie in demselben Zustand gelassen, in dem er sie vorgefunden hatte. Durch weitere Felder verliefen Wege, denn der Mann war sehr bequem und zog es vor, querfeldein zu gehen, anstatt lange Umwege von einem Ort zum anderen zu machen. Schließlich gab es noch die, die seinem Haus am nächsten lagen, und ihnen schenkte er seine ganze Aufmerksamkeit, um von seiner Wohnung aus einen angenehmen Ausblick zu haben. Da gab es kein Geröll, keine Dornenbüsche, kein Unkraut.

Der Mann nahm also seinen Sack mit Körnern des besten Getreides und begann mit der Aussaat. Der Same fiel auf das weiche, gepflügte, gesäuberte, gedüngte Erdreich der Felder bei seinem Hause. Er fiel auf die von Wegen und Weglein durchzogenen Felder, die diese Äcker nicht nur zerstückelten, sondern zusätzlich für Schmutz und trockenen Staub sorgten. Andere Saat fiel auf die Felder, auf denen wegen der Nachlässigkeit des Besitzers das dornige Gestrüpp wucherte. Der Pflug hatte es wohl untergepflügt und es schien, dass nichts mehr davon übriggeblieben war; doch in Wirklichkeit hätte nur die radikale Ausrottung durch Feuer ein neues Treiben der Wurzeln verhindern können. Der Same, den er zum Schluß ausstreute, fiel auf die zuletzt erworbenen Felder, die er in ihrem ursprünglichen Zustand gelassen hatte. Er hatte das Erdreich nicht bis in die Tiefe aufgelockert. Er hatte auch nicht die Steine unter der Erde entfernt, die den Boden hart machten und die jedes Wurzelfassen der zarten Pflänzchen verhinderten. Nachdem er allen Samen ausgesät hatte, ging er nach Hause und sagte: „Wohlan, nun brauche ich nur die Zeit der Ernte abzuwarten.“ Er freute sich, denn im Laufe der Monate sah er die Saat nahe bei seinem Hause dicht hervorsprießen und wachsen. „Oh, welch ein weicher Teppich!... und dann eine Woge von Ähren... wie ein Meer! Das Getreide wurde gelb: welch eine Freude erwartete ihn, Ähre um Ähre zu dreschen und dabei der Sonne ein Loblied zu singen. Der Mann sagte: „So wie diese Felder werden alle anderen sein! Halten wir Sicheln und Scheunen bereit. Wieviel Brot! Wieviel Gold!“ Und er war glückselig.

Er mähte das Korn der nächstgelegenen Felder und ging dann zu den vom Vater ererbten, die er hatte verwildern lassen. Dort blieb er wie erstarrt stehen. Halm um Halm war gewachsen, denn das Erdreich war gut und fruchtbar und vom Vater immer bearbeitet worden. Doch gerade diese Fruchtbarkeit war auch den Dornensträucher zugutegekommen, die wohl umgegraben, aber nicht völlig ausgemerzt waren. So hatten sie von neuem Wurzeln getrieben und nur wenige Ähren vermochten das Dickicht der Sträucher zu durchdringen, während alle anderen erstickten und zugrunde gingen.

Der Mann sagte: „Hier habe ich nachlässig gehandelt. Doch in den übrigen Äckern gibt es keine Dornensträucher, und dort wird es besser sein.“ Er ging zu den zuletzt erworbenen. Sein Erstaunen wandelte sich in Schrecken. Dünn und ausgetrocknet lagen die Halme wie Heu am Boden. Stroh! „Aber warum, warum?“ jammerte der Mann. „Hier sind doch keine Dornensträucher! Der Same war derselbe! Er ist aufgegangen, man sieht es an den zahlreichen und gut entwickelten Halmen. Warum ist nun alles zugrunde gegangen, ohne Ähren anzusetzen?“ In seinem Kummer begann er die Erde aufzugraben, um nach Maulwurfsnestern oder anderen Schädlingen zu suchen. Es gab jedoch weder Ungeziefer noch Nagetiere, hingegen Steine, so viele Steine! Nichts als Steine! Der Boden bestand buchstäblich aus Steinen und das spärliche Erdreich darüber täuschte. Oh, hätte er doch die Erde rechtzeitig gründlich gepflügt. Oh, hätte er doch tief in die Erde gegraben, bevor er die Felder übernommen und sie als gute Äcker gekauft hatte. Aber nachdem er den Fehler begangen und die Felder gekauft hatte, ohne zuvor ihre Güte zu prüfen, hätte er sie dann doch wenigstens mit seiner Hände Arbeit fruchtbar gemacht! Jetzt war es zu spät, und das Jammern nützte nichts.

Entmutigt erhob sich der Mann und ging zu den aus Bequemlichkeit von vielen Wegen durchzogenen Feldern. Dort angelangt zerriß er sich vor Gram die Kleider. Hier gab es nichts, gar nichts... Die dunkle Ackererde war mit einer dünnen Schicht weißen Staubes bedeckt... Der Mann sank zu Boden und stöhnte: „Aber hier, warum? Hier gibt es weder Dornensträucher noch Steine, denn es sind ja unsere Felder. Seit Jahrzehnten sind sie in unserem Besitz: von den Ahnen gingen sie auf den Vater über und schließlich auf mich, und wir haben sie fruchtbar gemacht. gewiss habe ich Wege anlegen lassen, dem Land Ackerboden weggenommen, aber das konnte es doch nicht so unfruchtbar werden lassen...“ Er weinte immer noch, als die Antwort auf seinen Kummer von einem dichten Schwarm Vögel kam, die von den Fußwegen gierig über die Äcker herfielen und von diesen auf die Fußwege zurückkehrten, um Samenkörner und Samenkörner und immer wieder Samenkörner zu suchen. Das Feld mit seinem ganzen Netz von Sträßchen und Wegen, auf deren Ränder auch Samenkörner gefallen waren, hatte viele Vögel angelockt, und nachdem sie die Körner auf den Wegen aufgepickt hatten, flogen sie zum Acker und fraßen alles bis zum letzten Körnchen.

So hatte das Saatgut, dass für alle Felder gleich war, hier hundertfachen, dort sechzigfachen, da dreißigfachen und auf dem letzten Feld gar keinen Ertrag gebracht. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Der Same ist das Wort, und es ist für alle das gleiche. Der Ort, auf den der Same fällt, ist euer Herz. Ein jeder begreife und lasse es in sich Früchte tragen! Der Friede sei mit euch!»

Dann wendet Jesus sich an Petrus und sagt: «Fahre flußaufwärts soweit du kannst, und lege auf der anderen Seite an.»

Während die beiden Boote nach kurzer Fahrt auf dem Fluß am Ufer anlegen, setzt sich Jesus nieder und fragt den neuen Jünger: «Wer ist jetzt bei dir noch zu Hause?»

«Meine Mutter mit meinem älteren Bruder, der seit fünf Jahren verheiratet ist. Die Schwestern sind in der Umgebung verstreut. Mein Vater war ein herzensguter Mensch, und meine Mutter trauert und kann sich nicht trösten.» Der Jüngling wird plötzlich still, denn er fühlt aus seinem Herzen ein Schluchzen aufsteigen.

Jesus ergreift seine Hand und sagt: «Auch ich habe diesen Schmerz erfahren und meine Mutter weinen sehen müssen, daher verstehe ich dich.»

Das Knirschen des auf den Kies auffahrenden Bootes unterbricht das Gespräch, und man steigt an Land. Hier sind nicht mehr die sanften Hügel von Bethsaida, die beinahe im See untertauchen, sondern eine Ebene mit vielen Getreidefeldern dehnt sich von diesem, Bethsaida gegenüberliegenden Ufer nach Norden hin aus.

«Gehen wir nach Meron?» fragt Petrus

«Nein, wir gehen diesen Weg durch die Felder.»

Die schönen, wohlgepflegten Felder zeigen zarte, doch schon gebildete Ähren, die alle gleich hoch sind und im frischen Nordwind wogen. Sie bilden etwas wie einen weiteren kleinen See, und die hier und dort herausragenden Bäume, aus denen frohes Vogelgezwitscher ertönt, sind die Segelschiffe darauf.

«Diese Felder sind nicht wie die deines Gleichnisses», bemerkt Vetter Jakobus.

«Nein, wirklich nicht. Die Vögel haben sie nicht verwüstet und es gibt weder Dornengebüsch noch Steine. Ein schönes Getreide! In einem Monat wird es golden sein... und in zwei Monaten erntereif und bereit für die Scheune», sagt Judas Iskariot.

«Meister... ich erinnere dich an das, was du in meinem Hause gesagt hast. Du hast sehr gut gesprochen. Aber mein Kopf ist schon wieder durcheinander, fast wie die zerzausten Wolken dort oben...», sagt Petrus.

«Heute abend werde ich es dir erklären. Wir kommen nun nach Chorazim.» Jesus blickt den neuen Jünger fest an und sagt: «Wer gibt, dem wird gegeben, und dass ihm gegeben wird, schmälert den Wert seines Opfers nicht. Führe mich zu eurer Grabstätte und zum Hause deiner Mutter.»

Der Jüngling kniet nieder und ergreift unter Tränen Jesu Hand, um sie zu küssen.

«Erhebe dich, wir wollen gehen! Meine Seele hat deinen Schmerz gefühlt. Ich will dich mit meiner Liebe in deiner Heldenhaftigkeit stärken.»

«Isaak, der Erwachsene, hatte mir erzählt, wie gut du bist. Isaak, weißt du? Du hast seine Tochter geheilt. Er war mein Apostel. Doch ich sehe, dass deine Güte noch größer ist, als sie mir geschildert worden war.»

«So wollen wir auch Isaak besuchen und ihn begrüßen und ihm dafür danken, dass er mir einen Jünger geschenkt hat.»

Chorazim ist erreicht, und Isaaks Haus ist gleich das erste am Anfang des Dorfes. Der alte Mann, der eben nach Hause zurückkehrt, bleibt mit offenem Mund sprachlos stehen, als er Jesus mit den Seinen und unter ihnen den jungen Mann von Chorazim kommen sieht. Sein Stöckchen in der Hand, erhebt er grüßend seine Arme. Jesus lächelt ihm zu und dieses Lächeln gibt dem alten Mann schließlich die Sprache zurück. «Gott segne dich, Meister! Aber wie geschieht mir eine solche Ehre?»

«Um dir Dank zu sagen.»

«Aber wofür denn, mein Gott? An mir liegt es, dir Dank zu sagen. Komm herein, komm herein! Oh, wie schade, dass meine Tochter auswärts ist, um ihrer Schwiegermutter zu helfen. Weißt du, dass sie geheiratet hat? Nichts als Wohltaten, seitdem ich dir begegnet bin! Kaum war sie geheilt, kam ein reicher Verwandter von weit her zurück, als Witwer mit Kindern, die eine Mutter brauchten... Aber ich hatte dir doch dies alles schon erzählt. Mein Kopf ist alt, verzeih mir!»

«Dein Kopf ist weise und vergißt sogar, sich der Dinge zu rühmen, die er für seinen Meister tut. Die vollbrachten guten Taten vergessen, bedeutet Weisheit; es ist ein Beweis der Demut und des Vertrauens in Gott!»

«Oh, aber ich... wüßte nicht...»

«Habe ich diesen Jüngling nicht dir zu verdanken?»

«Oh! ... aber ich habe nichts dazu getan, weißt du? Ich habe nur die Wahrheit gesagt und freue mich, dass Elias bei dir ist.» Er wendet sich Elias zu und sagt: «Die Tränen deiner Mutter sind sofort versiegt, als sie erfuhr, dass du beim Meister bist. Dein Vater hatte eine würdige Bestattung. Er ist vor kurzem begraben worden.»

«Und mein Bruder?»

«Er schweigt... Weißt du, es ist hart für ihn gewesen, dass du nicht hier warst... Im Dorf spricht man darüber, und dein Bruder hat noch...»

Der Jüngling wendet sich an Jesus: «Du hast es gesagt. Aber ich möchte nicht, dass er dem Tod anheimfällt... Mache, dass er das Leben finde wie ich es gefunden habe, und rufe ihn in deinen Dienst.»

Die anderen verstehen nicht und blicken sich fragend an, doch Jesus antwortet: «Verzage nicht und bleibe standhaft.» Dann segnet er Isaak und geht, ungeachtet allen Drängens.

Zuerst verweilen sie bei dem verschlossenen Grab und beten. Dann gehen sie durch einen halbkahlen Weinberg zum Hause des Elias.

Die Begegnung zwischen den Brüdern ist eher zurückhaltend. Der ältere fühlt sich beleidigt und will dies zu verstehen geben. Der jüngere fühlt sich, menschlich gesprochen, schuldig und schweigt. Doch die Ankunft der Mutter, die wortlos niederkniet und den Saum des Kleides Jesu küßt, bringt Frieden in die Atmosphäre und die Gemüter heitern sich auf. Man will dem Meister doch Ehre erweisen. Er nimmt jedoch nichts an, sondern sagt nur: «Seid gerecht in euren Herzen, einer dem anderen gegenüber, wie jener gerecht war, um den ihr trauert. Übermenschliches – d.h. die Berufung zu einer Mission – darf nicht auf eine Stufe mit dem Menschlichen gestellt, also dem Tod gleichgestellt werden. Die Seele des Gerechten war nicht erzürnt, als sie sah, dass der Sohn bei der Beisetzung seines Leichnams nicht zugegen war. Sie hat sich vielmehr beruhigt in der gewissheit über die Zukunft ihres Elias. Was die Welt denkt, soll für die Gnade der Erwählung kein Hindernis sein. Während die Welt sich gewundert hat, den Sohn nicht an der Bahre des Vaters zu sehen, haben die Engel gejubelt, ihn an der Seite des Messias zu erblicken. Seid gerecht. Dir, Mutter, möge dies zum Trost gereichen. In Weisheit hast du deinen Sohn erzogen, und nun ist der Ruf der Weisheit Gottes an ihn ergangen. Ich segne euch alle. Der Friede sei jetzt und allezeit mit euch!»

Sie gehen auf den Weg zurück zum Fluß und von dort fahren sie wieder nach Bethsaida. Elias hat nicht einen Augenblick auf der Schwelle des Vaterhauses gezögert. Nach dem Abschiedskuß der Mutter ist er mit dem Meister gegangen mit der Einfalt eines Kindes, dass seinem wahren Vater nachfolgt.

IN DER KÜCHE DES PETRUS; BELEHRUNG JESU

Man befindet sich wieder in der Küche des Petrus. Das Abendessen muss reichlich gewesen sein, denn die Platten mit Resten von Fleisch, Fisch, Käse, getrockneten oder zum mindesten trocken gewordenen Früchten und Honigkuchen häufen sich auf einer Art Anrichte, die mich ein wenig an unsere toskanischen Backtröge erinnert. Krüge und Becher stehen noch auf dem Tisch herum.

Die Frau des Petrus muss Wunder vollbracht haben, um ihren Mann zufriedenzustellen; sie hat gewiss den ganzen Tag gearbeitet. Nun steht sie müde, aber zufrieden in einem Winkel und hört den Gesprächen ihres Mannes und der anderen zu. Sie blickt ihren Simon an, der für sie ein großer Mann sein muss, obgleich er etwas anspruchsvoll ist. Wenn sie ihn, der früher nur von Booten, Netzen, Fischen und Geld redete, so sprechen hört, mit Worten, die aus diesem Mund neu und ungewohnt sind, dann blinzelt sie ein wenig mit den Augenlidern, als ob sie von einem hellen Licht geblendet würde. Petrus, ob aus Freude, Jesus an seinem Tische zu haben, oder aus Freude über die reichlich genossene Mahlzeit, ist diesen Abend in Hochstimmung und er zeigt sich als jener Petrus, der einmal dem Volk predigen wird.

Ich weiß nicht, welche Bemerkung eines Gefährten ihm die bildkräftige Antwort entlockt hat: «Es wird ihnen ergehen wie den Erbauern des Turmes von Babel. Ihr eigener Stolz wird schließlich zum Zusammenbruch ihrer Theorien führen, und damit zu ihrem Untergang.»

Andreas entgegnet seinem Bruder: «Aber Gott ist Barmherzigkeit. Er wird den Zusammenbruch verhindern, um ihnen Zeit zu lassen, in sich zu gehen.»

«Denke nicht so. Als Krönung ihres Stolzes werden Verleumdung und Verfolgung hinzukommen. Oh, ich ahne es schon. Verfolgen werden sie uns, um uns als verhaßte Zeugen auseinanderzutreiben. Da sie heimtückisch die Wahrheit angreifen werden, wird Gott Rache nehmen, und sie werden zugrunde gehen.»

«Werden wir die Kraft haben durchzuhalten?» fragt Thomas.

«Nun... was mich betrifft, ich hätte sie nicht. Aber ich vertraue auf ihn», und Petrus deutet auf den Meister, der schweigend zuhört und mit geneigtem Haupte neben ihnen steht, als wolle er sein ausdrucksvolles Gesicht verbergen.

«Ich denke nicht, dass Gott Prüfungen über uns kommen läßt, die unsere Kraft übersteigen», sagt Matthäus.

«Oder er wird unsere Kräfte im Verhältnis zu den Prüfungen vermehren», fügt Jakobus des Alphäus hinzu.

«Er tut es gewiss. Ich war reich und mächtig. Hätte Gott mein Leben nicht erhalten wollen, weil er bestimmte Absichten verfolgte, wäre ich an der Verzweiflung zugrunde gegangen, als ich verfolgt wurde und aussätzig war. Ich hätte selbst Hand an mich gelegt... Aber bei meinem vollständigen Zusammenbruch wurde mir ein neuer Reichtum geschenkt, den ich nie zuvor besessen hatte, nämlich die gewissheit: „Es gibt einen Gott.“ Vorher... Gott... Ja, ich war gläubig, ich war ein treuer Israelit, aber es war ein Glaube der sich auf Formalitäten beschränkt und mir schien, dass der Gewinn daraus immer geringer war, als der, der mir die Übung der Tugenden hätte erbringen können. Ich erlaubte mir, mit Gott zu hadern, weil ich mir damals noch etwas auf meine Person einbildete. Simon Petrus hat recht. Auch ich baute mir mit Eigenlob, Selbstbeweihräucherung und der Befriedigung meines Ichs einen Turm zu Babel. Als dann alles über mir zusammenbrach und ich wie ein Wurm unter der Last dieser nutzlosen Menschlichkeit erdrückt wurde, klagte ich nicht mehr Gott, sondern mich selbst, meine eigene Torheit an und begann, alles niederzureißen. Je mehr ich dies tat und auf dem Weg war zu dem, was ich unter dem uns Menschen dieser Erde innewohnenden Gott verstehe, um so mehr gewann ich eine neue Kraft und einen neuen Reichtum: die gewissheit, dass ich nicht allein war und dass Gott über dem von seiner menschlichen Natur und vom Bösen bezwungenen Menschen wacht.»'

«Was ist deiner Meinung nach Gott, wenn du als Mensch dieser Erde von dem in uns „innewohnenden Gott“ sprichst? Was willst du damit sagen? Ich verstehe dich nicht, und dies kommt mir fast wie eine Gotteslästerung vor. Gott ist der, den wir durch das Gesetz und die Propheten kennen. Einen anderen gibt es nicht», sagt Judas Iskariot etwas streng.

«Wenn Johannes hier wäre, könnte er es dir besser erklären als ich. Aber ich sage es dir so, wie ich es weiß. Gott ist der, den wir durch das Gesetz und die Propheten kennen. Das ist wahr. Aber woran erkennen wir ihn und wie?

Judas des Alphäus ruft aus: «Wenig und schlecht! Die Propheten, die ihn uns beschrieben haben, kannten ihn noch. Wir hingegen haben eine verworrene Vorstellung von ihm, die durch den ganzen Berg von Hindernissen, die die Sekten angehäuft haben, noch schwach durchschimmert ...»

«Sekten? Aber wie redest du denn? Wir haben keine Sekten. Wir sind die Kinder des Gesetzes. Alle!» sagt Judas Iskariot entrüstet und aggressiv.

«Die Kinder der Gesetze, nicht des Gesetzes. Es besteht ein kleiner Unterschied zwischen Einzahl und Mehrzahl. Aber in Wirklichkeit stehen die Dinge so: wir sind Kinder dessen, was wir an Gesetzen geschaffen haben, und nicht mehr dessen, was Gott uns gegeben hat», entgegnet Judas Thaddäus.

«Die Gesetze sind aus dem Gesetz hervorgegangen», behauptet Judas Iskariot.

«Auch die Krankheiten werden in unserem Körper erzeugt, und du wirst mir doch nicht sagen wollen, dass sie etwas Gutes sind», entgegnet Judas Thaddäus.

«Doch laßt mich wissen, was der „innewohnende Gott“ ist, von dem Simon der Zelote spricht.» Judas Iskariot, der nichts gegen die Bemerkung von Judas des Alphäus einzuwenden weiß, versucht, die Frage zum Ausgangspunkt zurückzuführen.

Simon der Zelote sagt: «Unsere Sinne brauchen immer ein Bild, um eine Idee erfassen zu können. Jeder von uns, ich spreche von uns Gläubigen, glaubt aufgrund seiner religiösen Überzeugung an den Allmächtigen, den Herrn und Schöpfer, den ewigen Gott im Himmel. Aber jedes Wesen braucht auch mehr als diesen nackten Glauben in seiner Lauterkeit und Abstraktheit, der für die Engel taugt und ihnen angemessen ist, da sie Gott in geistiger Weise sehen und lieben, mit ihm die geistige Natur teilen und die Fähigkeit besitzen, Gott zu schauen. Wir müssen uns ein „Bild“ von Gott machen, und dieses besteht aus den wesentlichen Eigenschaften, die wir Gott zuschreiben, um seiner absoluten, unendlichen Vollkommenheit einen Namen zu geben. Je mehr sich die Seele in sich selbst zurückzieht, desto mehr gelingt es ihr, zu einer richtigen Erkenntnis Gottes zu gelangen. Das ist es, was ich den „innewohnenden Gott“ nenne. Ich bin kein Philosoph. Vielleicht habe ich das Wort nicht richtig angewendet. Aber für mich bedeutet der „innewohnende Gott“ einfach Gott, den unsere Seele fühlt und wahrnimmt, und ich verstehe dies nicht mehr als eine unwirkliche Idee, sondern als wirkliche Gegenwart Gottes, die eine neue Kraft und einen neuen Frieden vermittelt.»

«Gut, aber wie fühltest du ihn denn? Welcher Unterschied besteht zwischen dem Fühlen aufgrund des Glaubens und dem Fühlen aufgrund des „Innewohnens“ Gottes?» fragt Judas Iskariot etwas spöttisch.

«Gott gibt Sicherheit, Bursche. Wenn du ihn fühlst, so wie Simon es sagt mit einem Wort, dass ich nicht buchstäblich verstehe, dessen Sinn ich aber begreife – und glaube mir, unser Übel besteht darin, nur den Buchstaben zu verstehen, statt den Sinn des Wortes Gottes – dann bedeutet das, dass du fähig wirst, nicht nur den Begriff der schrecklichen Majestät

Gottes zu erfassen, sondern auch jenen der zärtlichsten Vaterschaft Gottes. Das heißt, daß, wenn alle Welt dich ungerecht verurteilen und verdammen würde, ein Einziger, Gott, der Ewige, der dir Vater ist, dich nicht verurteilt, sondern dich freispricht und tröstet. Das heißt, wenn die ganze Welt dich hassen würde, du über dir eine größere Liebe fühlst, als dir die ganze Welt zu geben vermöchte. Das heißt, dass du in der Abgeschiedenheit eines Kerkers oder einer Wüste stets den vernimmst, der zu dir spricht und sagt: „Sei heilig, um so zu sein wie dein Vater.“ Das heißt, dass man aus wahrer Liebe zu diesem Vatergott, als den man ihn schließlich erkennt, annimmt, was er uns schickt, ohne menschliche Überlegungen anzustellen; dass man wirkt, empfängt oder beläßt, und nur daran denkt, Liebe mit Liebe zu vergelten und Gott mit unseren eigenen Werken so weit als möglich nachzuahmen», sagt Petrus.

«Du bist überheblich! Gott nachahmen! Das ist dir nicht erlaubt», findet Iskariot.

«Das ist nicht Überheblichkeit. Die Liebe führt zum Gehorsam. Gott nachahmen scheint mir auch eine Art des Gehorsams zu sein, denn Gott selbst sagt, dass er uns nach seinem Bild und seiner Ähnlichkeit erschaffen hat», entgegnet Petrus.

«Das hat er getan, doch wir dürfen nicht darüber hinausgehen.»

«Du bist zu bedauern, wenn du so denkst, mein lieber Bursche! Du vergißt, dass wir gefallen sind, und dass Gott uns wieder in unseren Anfangszustand zurückbringen will.»

Jesus ergreift das Wort: «Mehr noch, Petrus, Judas und ihr alle, noch weiter will er euch bringen. Die Vollkommenheit Adams konnte durch die Liebe noch gesteigert werden und durch sie wäre er, als Abbild Gottes, seinem Schöpfer noch ähnlicher geworden. Adam wäre ohne den Makel der Sünde ein klarer Spiegel Gottes gewesen und daher sage ich: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Wie der Vater, also wie Gott. Petrus hat es sehr gut gesagt und sehr gut auch Simon. Ich bitte euch, erinnert euch an ihre Worte und wendet sie für eure Seelen an.»

Die Frau des Petrus fällt vor lauter Freude, ihren Mann so gelobt zu sehen, beinahe in Ohnmacht. Sie weint unter ihrem Schleier, leise und glücklich. Petrus sieht aus als bekomme er einen Schlaganfall, so rot ist er geworden. Nach einem Augenblick des Schweigens sagt er: «Also, dann gib mir die Belohnung. Das Gleichnis von heute morgen...»

Auch die anderen schließen sich Petrus an und sagen: «Ja, du hast es uns versprochen. Die Gleichnisse helfen uns zu verstehen, doch wir sehen ein, dass sie einen höheren Sinn haben. Warum sprichst du zum Volk in Gleichnissen?»

«Weil es ihm nicht gegeben ist, mehr zu verstehen, als was ich erkläre. Euch aber ist viel mehr gegeben, weil ihr, als meine Apostel, dass Geheimnis kennen müßt; und darum ist es euch gegeben, die Geheimnisse des erstehen. Daher sage ich euch: „Fragt, wenn ihr den Sinn eines Gleichnisses nicht versteht.“ Ihr gebt alles, und alles wird euch gegeben, damit ihr eurerseits alles geben könnt. Ihr gebt Gott alles: Liebe, Zeit, Interesse, Freiheit und das Leben, und Gott gibt euch alles, um euch zu belohnen und euch zu befähigen, im Namen Gottes jenen alles zu geben, die nach euch kommen werden. So wird dem, der gegeben hat, gegeben werden, und dies in Fülle. Dem aber, der nur wenig oder nichts gegeben hat, wird auch noch genommen, was er hat.

Ich spreche in Gleichnissen zu ihnen, damit sie nur sehen, was ihr Wille, Gott anzuhangen, sie erkennen läßt; damit sie durch eben diese Bereitschaft ihres Willens aus meinen Worten zu hören und zu verstehen vermögen. Ihr seht: viele hören meine Worte, aber wenige wenden sich zu Gott. Ihrer Seele fehlt der gute Wille. An ihnen erfüllt sich die Prophezeiung des Isaias: „Mit den Ohren werdet ihr hören und doch nicht verstehen, mit den Augen werdet ihr schauen und doch nicht sehen.“ Denn dieses Volk hat ein verstocktes Herz, seine Ohren sind verhärtet und seine Augen geschlossen, um nicht zu hören und nichts zu sehen, um mit dem Herzen nicht zu verstehen und nicht umzukehren, damit ich sie heile. Doch selig seid ihr, die ihr durch den guten Willen mit euren Augen seht und mit euren Ohren hört. Wahrlich, ich sage euch, dass viele Propheten und viele Gerechte zu sehen wünschten, was ihr seht, und es nicht sahen, und zu hören, was ihr hört, und es nicht hörten. Sie verzehrten sich in Sehnsucht, dass Geheimnis der Worte zu verstehen, aber mit dem Erlöschen des Lichtes der Prophezeiung blieben die Worte auch für den Gerechten, der sie vernommen hatte, dunkel.

Gott allein enthüllt sich selbst. Wenn sein Licht entschwindet, nachdem es das Gleichnis beleuchtet hat, dann wickelt die Unfähigkeit des Geistes die königliche Wahrheit des empfangenen Wortes wie eine Mumie ein. Daher habe ich heute morgen zu dir gesagt: „Der Tag wird kommen, an dem du alles wiederfindest, was ich dir gegeben habe.“ Jetzt kannst du es nicht behalten. Dann aber wird das Licht über dich kommen, nicht nur für einen Augenblick, sondern in einer unzertrennlichen Vereinigung des Ewigen Geistes mit dem deinen. Darum wird deine Lehre unfehlbar sein in allem, was das Reich Gottes betrifft; und wie bei dir, wird es auch bei deinen Nachfolgern sein, wenn sie von Gott als ihrem einzigen Brot leben.

Jetzt hört den Sinn des Gleichnisses:

Wir haben vier verschiedene Arten von Äckern: die fruchtbaren, die dornigen, die steinigen und die von vielen Wegen durchzogenen. So haben wir auch vier Arten von Seelen.

Wir haben die ehrlichen Seelen, die Menschen guten Willens, die durch ihren guten Willen und das Wirken eines wahren Apostels vorbereitet sind; denn es gibt Apostel, die zwar den Namen, aber nicht den Geist eines Apostels besitzen. Dies wirkt sich auf die Bereitschaft des Willens der ihnen anvertrauten Seelen schädlich aus, noch schädlicher, als es die Vögel, die Dornensträucher und die Steine für die Getreidefelder sind. Mit ihrer Unnachgiebigkeit, ihrer Hast, ihren Vorwürfen, ihren Drohungen verwirren sie so sehr, dass sich die betroffenen Menschen für immer von Gott abwenden. Andere hingegen tun das Gegenteil mit ihrem ständigen wohlwollenden Begießen – einer Methode, die fehl am Platze ist -und bringen dadurch den Samen im weichen Erdreich zum Faulen. Sie schwächen mit ihrer Weichlichkeit die Seelen, um die sie sich bemühen. Doch bleiben wir bei den wahren Aposteln, bei den getreuen Abbildern Gottes. Sie sind väterlich, barmherzig, geduldig und zugleich stark wie der Herr. Nun, die durch sie und den eigenen guten Willen vorbereiteten Seelen sind mit den fruchtbaren Feldern zu vergleichen, frei von Steinen, Dornenbüschen, Unkraut und Ungeziefer, in denen das Wort Gottes gedeiht und jedes Wort zu einem Samen wird, der in der Ähre hundert-, sechzig- oder dreißigfach Frucht bringt. Sind solche Menschen unter denen, die mir nachfolgen? gewiss, und sie werden Heilige sein. Unter ihnen wird es Leute aus allen Ständen und allen Ländern geben, auch Heiden, die durch ihren eigenen guten Willen oder durch den guten Willen eines Apostels oder Jüngers, der sie vorbereitet hat, hundertfache Frucht bringen werden.

Die dornigen Felder sind jene, in denen die menschliche Nachlässigkeit ein ganzes Dickicht von persönlichen Interessen hat wuchern lassen, die den guten Samen ersticken. Man muss sich ständig selbst überwachen, immerfort, immer, immer! Nie darf man sagen: „Oh, nun bin ich geschult, der Samen hat bei mir Wurzeln geschlagen, und ich kann beruhigt sein, dass ich Samen des ewigen Lebens hervorbringen werde.“ Man muss sich beobachten: der Kampf zwischen Gut und Böse geht ununterbrochen weiter. Habt ihr jemals Ameisen betrachtet, die sich in einem Haus einnisten? Sie machen sich an den Herd. Die Hausfrau läßt daraufhin keine Lebensmittel mehr dort stehen, sondern stellt sie auf den Tisch. Doch die Ameisen wittern den Geruch und stürmen auf den Tisch. Die Frau stellt die Speisen in den Schrank, und die Ameisen schlüpfen durch das Schlüsselloch in den Schrank. Die Frau hängt ihre Vorräte an der Decke auf, und die Ameisen machen den langen Weg der Wand und dem Gebälk entlang und den Strick hinunter, um schließlich dort über sie herzufallen. Die Frau verbrüht und vergiftet sie. Dann ist sie beruhigt im Glauben, alle vernichtet zu haben. Doch welch eine Überraschung, wenn man nicht wachsam ist! Aus den Eiern sind wieder Ameisen ausgeschlüpft, und es fängt von vorne an. Solange man lebt, muss man sich selbst überwachen, um das Unkraut beim ersten Erscheinen auszujäten. Anderenfalls bildet sich ein Dickicht aus dornigem Gestrüpp, unter dem die Saat erstickt. Die weltlichen Sorgen, der trügerische Reichtum sind es, die dieses wirre Gestrüpp schaffen, die Pflanze des Samens Gottes ersticken und die Bildung von Ähren verhindern.

Nun die Äcker voller Steine! Wie viele solche Äcker gibt es in Israel! Es sind die der „Kinder des Gesetzes“, wie mein Vetter Judas sehr genau gesagt hat. In ihnen ist nicht der einzige Stein des Zeugnisses, der Stein des Gesetzes, sondern vielmehr ein Haufen erbärmlicher, kleiner Gesetze, die der Mensch ersonnen hat. Unzählige Gesetzchen, die mit ihrem Gewicht auch den Stein des Gesetzes zum Splittern gebracht haben. Ein Trümmerhaufen, der jedes Wurzelfassen des Samens verhindert. Der Wurzel fehlt die Nahrung. Sie hat keine Erde und keinen Saft mehr. Das Wasser, dass sich auf dem steinigen Grund ansammelt, läßt die Pflanzen verfaulen; und die Sonne macht die Steine glühend heiß und die Pflänzchen verbrennen. Es sind dies jene Menschen, die die einfache Lehre Gottes durch komplizierte menschliche Lehren ersetzen. Sie nehmen mein Wort zwar freudig auf, sind wohl auch zuerst beeindruckt und begeistert. Doch dann... wäre Heldentum nötig, um das Feld, nämlich Seele und Geist, von allen Steinhaufen der Phrasendrescherei zu säubern. Nur dann könnte der Same Wurzel fassen und sich zu einer kräftigen Pflanze entwickeln. So aber verkümmert sie! Es genügt die Angst vor menschlichen Vergeltungsmaßnahmen oder die Überlegung: „Ja, und dann? Was habe ich dann von den Mächtigen zu gewärtigen? Und der arme, nahrungslose Same kann nicht gedeihen. Es genügt, dass der ganze Steinhaufen mit dem eitlen Gedröhn der hundert und aberhundert Vorschriften, die das Gesetz ersetzt haben, in Bewegung gerät, und der Mensch geht mit dem Samen darin zugrunde... Israel ist voll von solchen Menschen. Dies erklärt, wie das Sich-Hinwenden zu Gott von der menschlichen Macht wegführt und in entgegengesetzten Richtungen verläuft.

Als letztes, die staubigen, kahlen Felder voller Wege: Es sind die der Lebemenschen, der Egoisten; ihre Bequemlichkeit ist ihnen Gesetz, dass Vergnügen ihr Lebensziel. Sich nicht anstrengen, schlummern, lachen, essen... Ihr König ist der Geist der Welt. Der Staub der großen Welt bedeckt das Erdreich, dass zum unfruchtbaren Acker wird. Die Vögel, d.h. der Mensch in seiner vielfältigen Gier nach Genuß, stürzt sich auf alle offenen Wege, um das Leben zu erleichtern. Der Weltgeist, d.h. der Böse, pickt alle Samen auf, die auf das der Fleischeslust und Leichtfertigkeit zugängliche Feld fallen, und vernichtet sie.

Habt ihr verstanden? Habt ihr noch andere Fragen? Nein? Dann können wir uns zur Ruhe begeben, um morgen nach Kapharnaum zu gehen. Ich muss noch einen Ort besuchen, bevor ich die österliche Reise nach Jerusalem antrete.»