26.07.2016

DAS GLEICHNIS VOM GUTEN WEIZEN UND VOM UNKRAUT

nach Maria Valtorta

Ein klarer Morgen hüllt den See in Perlenglanz und die Hügel in einen leichten Dunst, einem Musselinschleier gleich, durch den Oliven- und Nußbäume, Häuser und Umrisse der Ortschaften am See verzaubert hindurchschimmern.

Die Boote gleiten ruhig und geräuschlos auf Kapharnaum zu. Doch an einer gewissen Stelle dreht Petrus das Steuer so brüsk um, dass das Boot sich seitlich neigt.

«Was machst du denn?» fragt Andreas.

«Dort kommt das Boot eines Uhus. Es verläßt gerade Kapharnaum. Ich habe gute Augen und seit gestern Abend auch noch eine Spürnase. Ich will nicht, dass sie uns sehen. Ich fahre zum Fluß zurück und dann werden wir zu Fuß weitergehen.»

Auch das andere Boot hat dasselbe Manöver gemacht, doch Jakobus, der das Steuer führt, fragt Petrus: «Warum tust du das?»

«Ich werde es dir nachher sagen. Folge mir.»

Jesus, der hinten im Heck sitzt, fährt auf, als er bemerkt, dass sie sich schon auf der Höhe des Jordan befinden und fragt: «Aber was machst du, Simon?»

«Wir steigen hier aus, Ein Schakal treibt sich hier herum. Wir können heute nicht nach Kapharnaum gehen. Ich werde mit Simon und Nathanael zuerst hingehen, um ein wenig herumzuhorchen. Drei würdige Personen gegen drei unwürdige Personen, wenn es nicht noch mehr Unwürdige sind.»

«Du darfst jetzt nicht überall Gefahr sehen. Ist das nicht das Boot Simons, des Pharisäers?»

«Genau das ist es.»

«Er war bei der Gefangennahme des Johannes nicht dabei.»

«Ich weiß nichts.»

«Er ist mir gegenüber immer ehrerbietig.»

«Ich weiß nichts.»

«Du läßt mich feig erscheinen.»

«Ich weiß nichts.»

Obgleich Jesus keine Lust zum Lachen hat, stimmt ihn doch die heilige Dickköpfigkeit des Petrus heiter. «Aber nach Kapharnaum müssen wir trotzdem gehen, wenn nicht heute, dann später...» sagt Jesus.

«Ich habe gesagt, dass ich vorausgehen will, um Ausschau zu halten... und wenn nötig, werde ich auch dies tun... Es wird ein harter Brocken zum Schlucken sein... aber ich werde es tun, aus Liebe zu dir... Ich werde zum Zenturio gehen und um Schutz bitten.»

«Aber nein, das ist nicht nötig!»

Das Boot landet am verlassenen Strand, der Bethsaida gegenüberliegt, und alle steigen aus.

«Kommt, ihr beiden. Komm auch du, Philippus. Ihr Jungen bleibt hier. Wir werden bald zurück sein.»

Der neue Jünger Elias bittet: «Komm in mein Haus, Meister. Ich wäre sehr glücklich, dich zu beherbergen.»

«Ich komme. Simon, du wirst mir später ins Haus des Elias nachfolgen. Leb wohl, Simon. Geh, sei gut, vorsichtig und barmherzig. Komm, damit ich dich küsse und segne.»

Petrus versichert nicht, dass er gut, geduldig und barmherzig sein werde. Er sagt nichts und tauscht mit dem Meister den Kuß aus. Auch der Zelote, Bartholomäus und Philippus geben ihren Abschiedskuß, und die beiden Gruppen trennen sich und schlagen entgegengesetzte Richtungen ein.

Sie betreten Chorazim, als es bereits Tag geworden ist. Jeder Halm glitzert von Tauperlen. Überall singen die Vöglein. Die reine, frische Luft hier duftet beinahe nach Milch, nach einer eher pflanzlichen als tierischen Milch. Der Duft des Korns, das schon Ähren bildet, und der Mandelbäumchen voller Früchte erfüllt die Luft... und erinnert mich an die frischen Morgenstunden in den fruchtbaren Feldern der Poebene.

Das Haus von Elias ist bald erreicht. Doch viele in Chorazim wissen schon, dass der Meister angekommen ist, und während Jesus eben die Schwelle betritt, eilt eine Mutter herbei und ruft: «Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit meinem Kind!» Sie hat ein etwa zehnjähriges Mädchen auf den Armen, das sehr mager und wachsbleich, ja fast gelblich aussieht.

«Was hat deine Tochter?»

«Sumpffieber. Sie hat es sich auf den Weiden längs des Jordan geholt. Wir sind die Hirten eines Reichen. Ihr Vater hat mich zu dem kranken Kind gerufen und ist nun in die Berge zurückgekehrt. Du weißt ja, dass man mit dieser Krankheit nicht in größere Höhen gehen darf. Wie kann ich aber hier bleiben? Mein Herr hat es mir bis jetzt erlaubt, doch ich arbeite mit der Schafwolle und überwache das Werfen der Jungen. Die Zeit der Arbeit für uns Hirten bricht bald an, und wir werden entlassen oder voneinander getrennt sein, wenn ich hier bleibe. Wenn ich aber auf den Hermon gehe, weiß ich, dass mein Kind sterben wird.»

«Glaubst du, dass ich helfen kann?»

«Ich habe mit Daniel, dem Hirten des Elisäus, gesprochen. Er hat mir gesagt: „Unser Gottessohn heilt jedes Übel. Geh zum Messias.“ Von jenseits des Meronsees bin ich mit dem Mädchen auf den Armen gekommen und habe dich gesucht. Ich wäre auch noch weiter gegangen, bis ich dich gefunden hätte...»

«Du brauchst jetzt nur zu deinem Haus und zur frohen Arbeit zurückzukehren. Deine Tochter ist geheilt, weil es mein Wille ist. Geh im Frieden 1»

Die Frau betrachtet die Tochter und betrachtet Jesus. Vielleicht hofft sie, dass Mädchen sofort wieder wohlgenährt und rosig zu sehen. Das Kind öffnet die müden Augen weit, die zuvor geschlossen waren, blickt Jesus an und lächelt.

«Fürchte dich nicht, Frau. Ich täusche dich nicht. Das Fieber ist für immer verschwunden. Von Tag zu Tag wird das Mädchen mehr aufblühen. Laß es nur gehen. Es wird nicht mehr taumeln und keine Müdigkeit mehr verspüren.»

Die Mutter stellt das Mädchen auf den Boden. Es bleibt aufrecht stehen und lächelt immer freudiger. Endlich jubelt es mit seiner silbernen Stimme: «Preise den Herrn, Mutter. Ich bin wirklich geheilt, ich fühle es», und wirft sich mit der Natürlichkeit eines Hirtenmädchens an den Hals Jesu und küßt ihn. Die Mutter, ihrem Alter entsprechend, zurückhaltender, fällt vor Jesus nieder, küßt sein Gewand und preist den Herrn.

«Geht nun! Erinnert euch stets der empfangenen Wohltat Gottes und seid gute Menschen. Der Friede sei mit euch!»

Im zum Haus des Elias gehörigen Gärtchen haben sich inzwischen Leute versammelt und verlangen nach dem Wort des Meisters. Obgleich Jesus keine große Lust hat, da er wegen der Gefangennahme des Täufers und der Art, wie sie erfolgte, betrübt ist, gibt er dem allgemeinen Bitten nach und beginnt im Schatten der Bäume zu sprechen.

«Ich möchte zu euch in dieser schönen Zeit, da das Getreide beginnt, Ähren anzusetzen, in einem Gleichnis hierüber sprechen. Hört.

Das Himmelreich gleicht einem Manne, der guten Samen auf seinen Acker säte. Doch während der Mann und seine Knechte schliefen, kam sein Feind, streute Unkrautsamen in die Furchen und ging davon. Niemand wurde dessen am Anfang gewahr. Es kam der Winter mit seinem Regen und seinem Reif, dann folgte das Ende des Tebet, und das Korn begann zu sprießen. Das erste zarte Grün der jungen Triebe zeigte sich, und in ihrer unschuldigen Kindheit erschienen sie alle gleich. Es kam der Schebat und dann der Adar, die Pflanzen entwickelten sich und das Korn bildete Ähren. Jetzt sah man, dass das Grün nicht nur Getreide war, sondern dass es auch Unkraut darunter gab, das als dünne, zähe Ackerwinde an den Halmen emporrankte.

Da gingen die Knechte zu ihrem Herrn und sagten zu ihm: „Herr, was hast du für Samen gesät? War es kein ausgesuchter Same, frei von anderen Samen, die nicht Korn sind?“

„Natürlich war er es. Ich habe nur Körner der gleichen Art genommen und hätte es sehen müssen, wenn andere Samenkörner darunter gewesen wären.“

„Woher kommt dann das viele Unkraut?“

Der Herr dachte darüber nach und sagte dann: „Irgendeiner meiner Feinde hat das getan, um mir Schaden zuzufügen.“

Die Knechte fragten hierauf: „Sollen wir in die Äcker gehen und das Getreide sorgsam vom Unkraut befreien und es ausreißen? Befiehl, und wir werden es tun.“

Doch der Herr antwortete: „Nein. Ihr könntet dabei auch den Weizen ausreißen, und auf jeden Fall würden die noch zarten Pflanzen beschädigt. Laßt beides zusammen bis zur Ernte heranwachsen. Dann werde ich zu meinen Schnittern sagen: 'Mäht alles zusammen nieder. Bevor ihr aber Garben bindet, sondert die Spreu vom Weizen und macht daraus Bündel und legt sie beiseite, denn inzwischen sind die Ackerwinden vertrocknet, die dichtgewachsenen Ähren aber erstarkt. Verbrennt alsdann das Unkraut, es wird dem Boden als Dünger dienen. Den Weizen aber bringt in meine Scheune. Köstliche Brote sollen daraus gebacken werden, und dies zur Schmach des Feindes, den Gott für seinen Neid verwerfen wird.“

Nun überlegt, wie oft und in wie vielfältiger Weise der böse Feind in eure Seelen sät, und ihr werdet die Notwendigkeit verstehen, mit Geduld und Ausdauer zu wachen, damit so wenig Unkraut wie möglich unter das erlesene Korn gelangt. Das Los des Unkrautes ist es, verbrannt zu werden. Wollt ihr einmal ins ewige Feuer stürzen, oder Bewohner des

Himmelreiches werden? Ihr sagt, dass ihr Bewohner des Himmelreiches sein wollt. So wißt es zu werden. Der gute Gott gibt euch das Wort. Der Feind achtet darauf, dass es Schaden schafft; denn Weizenmehl, vermischt mit dem Mehl aus Unkraut, ergibt bitteres Brot und schadet dem Magen. Seid also eifrig bemüht, mit eurem guten Willen das Unkraut auszusondern und auszumerzen, auf dass ihr nicht Gottes unwürdig werdet.

Geht, Brüder. Der Friede sei mit euch!»

Die Leute zerstreuen sich allmählich. Im Garten bleiben nur die acht Apostel, ferner Elias, dessen Bruder und die Mutter und der alte Isaak, der sich in der Seele freut.

«Kommt her und hört zu. Ich will euch den vollständigen Sinn des Gleichnisses erklären, das noch zwei weitere Aspekte aufweist außer dem, den ich den Leuten erklärt habe.

Allgemein hat das Gleichnis folgende Anwendung: Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reiches Gottes, die von Gott in die Welt gesät werden und darauf warten, ihre Bestimmung zu erreichen, vom Schnitter gemäht und in die Scheunen des Herrn der Welt gebracht zu werden. Das Unkraut sind die Kinder des Bösen, die ihrerseits im Acker Gottes ausgestreut werden, um dem Herrn Leid zuzufügen und seinen Ähren zu schaden. Der Feind Gottes hat sie in besonderer Absicht gesät: denn er läßt den Menschen so tief sinken, dass er dem Teufel ähnlich wird; und diese Saat soll nun alle verderben, die er selbst nicht versklaven kann. Die Erntezeit, in der die Ähren zu Garben gebunden und in die Speicher gebracht werden, bedeutet das Ende der Welt, die Schnitter aber sind die Engel. Ihnen ist befohlen, das Getreide zu sammeln und das Unkraut vom Weizen zu trennen; und wie das Unkraut im Gleichnis verbrannt wird, werden die Verfluchten beim Letzten Gericht in das ewige Feuer geworfen.

Der Menschensohn wird seine Diener aussenden und alle aus seinem Reiche vertreiben lassen, die Anstoß erregen und zum Bösen verleiten. Denn dann wird das Reich im Himmel und auf Erden sein, und unter den Bewohnern des Reiches auf der Erde wird es viele Kinder des Feindes geben. Diese werden, wie es schon die Propheten vorausgesagt haben, das Ärgernis und die Greuel in jedem irdischen Lebensbereich auf die Spitze treiben und die Kinder des Geistes grausam bedrängen. Vom Reiche Gottes, dem Himmel, sind die Übeltäter schon ausgeschlossen, denn nichts Verderbtes kann in den Himmel eingehen. Zu jener Zeit werden die Engel Gottes mit ihren Sicheln die Schar der letzten Ernte mähen, den Weizen von der Spreu sondern und diese in den Feuerofen werfen, wo Heulen und Zähneknirschen sein wird. Die Gerechten hingegen, den auserwählten Weizen, werden sie in das Ewige Jerusalem führen, wo sie wie Sonnen im Reiche meines und eures Vaters erstrahlen werden.

Das ist der allgemeine Sinn. Doch für euch hat dieses Gleichnis noch eine andere Bedeutung. Es ist eine Antwort auf oft gestellte Fragen, besonders auf die von gestern abend. Ihr fragt euch: „Kann es also in der Schar der Jünger Verräter geben?“ und euer Herz zittert in Angst und Schrecken darüber. Es kann Verräter geben, dessen bin ich sicher.

Der Sämann streut den guten Samen aus. In diesem Falle müßte man anstelle von „ausstreuen“ eher das Wort „erwählen“ gebrauchen, denn der Meister, sei es nun der Täufer oder ich selbst, hat seine Jünger erwählt. Wie kommt es also, dass sie auf Abwege geraten sind? Da ich die Jünger als „Same“ bezeichnet habe, könntet ihr dies falsch verstehen. Ich werde sie also „Äcker“ nennen. Jeder Jünger ist ein Acker, ein vom Meister auserwählter Bereich des Reiches Gottes, der Güte Gottes. Der Meister bestellt sie in mühevoller Arbeit, auf dass sie hundertfache Frucht bringen. Jegliche Pflege läßt er ihnen angedeihen: er wendet Geduld, Liebe, Weisheit, Mühe, Arbeit und Ausdauer an. Er sieht auch ihre schlechten Neigungen: ihre Teilnahmslosigkeit, ihre Habsucht. Er sieht ihre Starrköpfigkeit und ihre Schwächen. Aber er hofft, er hofft immer und bekräftigt seine Hoffnung mit Gebet und Buße, weil er sie zur Vollkommenheit führen will.

Doch die Äcker sind offen. Sie sind nicht ein von festen Mauern umgebener Garten, den nur sein einziger Herr, der Meister, betreten darf. Es sind offene Äcker inmitten der Welt, und alle können sich ihnen nähern und hineingehen. Alle und alles. Oh, nicht nur der schlechte Same des Unkrautes, Symbol der herben Leichtfertigkeit des Weltgeistes, kann hier keimen, sondern ebenso alle anderen Samen, die der Feind aussät: Brennesseln, Quecken, Hexenzwirn, Ackerwinde, Schierling und andere Giftpflanzen. Warum? Warum? Was sind sie?

Die Brennesseln: die verletzenden, unbezwingbaren Menschen, die in ihrem Übermaß an Bosheit den Mitmenschen das Leben erschweren. Die Quecken: die Schmarotzer, die den Meister entkräften und nichts können als kriechen, aussaugen, aus seiner Arbeit Profit schlagen und die Gutwilligen schädigen, deren Gewinn wahrhaft größer wäre, würde der Meister nicht gestört und abgelenkt durch die Mühen, die ihm diese Quecken verursachen. Die trägen Ackerwinden erheben sich von der Erde nur, um andere auszunützen. Der Hexenzwirn: eine Plage auf dem schon beschwerlichen Wege des Meisters und eine Plage für seine getreuen Jünger, die ihm nachfolgen. Er hakt sich überall fest, dringt überall ein, zerreißt, zerkratzt, erweckt Mißtrauen und fügt Leiden zu. Die Giftpflanzen sind die Verbrecher unter den Jüngern, jene, die sich nicht scheuen, Verrat zu üben und ein Leben auszulöschen, wie es der Schierling und andere Giftpflanzen tun. Habt ihr sie schon gesehen, wie schön sie mit ihren kleinen Blüten sind, die zu weißen, roten oder blauvioletten Beeren werden? Wer würde glauben, dass diese sternförmige, weiße oder blaßrosa Blumenkrone mit ihrem goldenen Herzchen als Mittelpunkt, dass diese buntfarbigen, korallenartigen Früchte, die anderen Beeren so ähnlich sehen und die Wonne der Vögel und Kinder sind, in reifem Zustand den Tod bringen können? Niemand! Und die Unschuldigen fallen ihnen zum Opfer. Sie glauben, dass alle so gut sind wie sie selbst... pflücken davon und sterben.

Sie glauben, alle wären so gut wie sie! Oh, welch erhabene Wahrheit, die den Meister preist und seinen Verräter verurteilt! Wie? Entwaffnet denn die Liebe nicht? Triumphiert sie nicht über ein bloßes Übelwollen? Nein! Liebe macht aus dem Bösen keinen Liebenden, da der dem Feind Gottes anheimgefallene Mensch allem Erhabenen gegenüber unempfindlich geworden ist, und alles Erhabene erscheint ihm nicht so. So wird die Liebe für ihn zur Schwäche, die zu schmähen erlaubt ist, ja, sie fördert noch sein Übelwollen, so wie Blutgeruch die Lust zu töten steigert. Auch der Meister ist immer vertrauensvoll... und verhindert daher nicht, dass sein Verräter seine Bosheit an ihm ausläßt; denn er kann nicht glauben, dass ein Mensch imstande ist, einen Unschuldigen zu morden.

Zu den Jüngern, den Äckern des Meisters, kommen die Feinde. Es sind ihrer viele. Der erste ist Satan, die anderen seine Diener: also die Menschen, die Leidenschaften, die Welt und das Fleisch. Somit ist der Jünger am meisten gefährdet, der nicht ganz auf der Seite des Meisters, sondern zwischen dem Meister und der Welt steht. Er kann und will sich nicht von all dem trennen, was Welt, Fleisch, Leidenschaften und Satan ist, um ganz dem anzugehören, der ihn zu Gott führt. So streuen die Welt, das Fleisch, die Leidenschaft und der Teufel ihre Samen auf einen solchen Jünger aus; es ist das Gold, die Macht, das Weib, der Stolz, die Angst vor einem abfälligen Urteil und das Nützlichkeitsdenken. „Die Großen sind die Stärkeren. Also werde ich ihnen dienen, damit sie meine Freunde seien.“ So wird man um elender Dinge willen zum Verbrecher und zum Verworfenen! ...

Warum aber entläßt der Meister, der die Unvollkommenheit des Jüngers sieht, auch wenn er nicht dem Gedanken nachgeben will: „Er wird mein Mörder sein“, ihn nicht sofort aus den Reihen der Seinen? So werdet ihr euch fragen. Weil es nichts nützen würde. Selbst wenn er es tun würde, könnte er nicht verhindern, ihn sich zum Feind zu machen, nur umso früher; und außerdem zum zweifachen Feind; dies aus Zorn oder Schmerz, erkannt und fortgejagt worden zu sein. Aus Schmerz, da der schlechte Jünger oft nicht einsieht, es zu sein; denn das Wirken des Teufels ist so subtil, dass der Mensch es nicht merkt. Satan ergreift von ihm zunehmend Besitz und der Mensch ahnt nichts von seinem Einfluß. Aus Zorn! Ja, aus Zorn darüber, dass er erkannt wurde als das, was er wirklich ist, wenn er um das Wirken Satans und seines Gefolges weiß; eines Gefolges aus den Menschen, die ihn, den Schwachen, in seinen Schwächen versuchen, um den Heiligen aus der Welt zu schaffen, dessen Güte sie kränkt, da sie im deutlichen Gegensatz zu ihrem eigenen Leben steht. Dann kann der Heilige nur noch beten und sich Gott übergeben. „Was du geschehen lassen willst, soll geschehen“, sagt er, und fügt einzig diesen Vorbehalt bei: „Vorausgesetzt, es dient deinem Ziel.“ Der Heilige weiß, dass die Stunde kommen wird, da aus seiner Ernte das Unkraut ausgeschieden wird. Von wem? Von Gott selbst, der nur noch zuläßt, was dem Triumph seines liebenden Wirkens dient.»

«Aber wenn du zugibst, dass es immer Satan und seine Anhänger sind... dann scheint mir, dass du der Verantwortung des Jüngers eine geringe Bedeutung zuschreibst», sagt Matthäus.

«Das darfst du nicht denken. Wie das Böse existiert, existiert auch das Gute, und ebenso besitzt der Mensch Unterscheidungsvermögen und die Freiheit.»

«Du sagst, dass Gott nur zuläßt, was dem Triumph seiner liebenden Absichten nützt. Also ist auch dieser Irrtum nützlich, wenn er ihn zuläßt, und er dient dem Triumph seines göttlichen Willens», sagt Iskariot.

«So urteilst du wie Matthäus, dass dies das Verbrechen des Jüngers rechtfertigt. Gott hatte den Löwen ohne Raubgier und die Schlange ohne Gift erschaffen. Nun ist der eine wild und die andere giftig. Gott aber hat sie deswegen vom Menschen abgesondert. Denk darüber nach und wende es an. Gehen wir ins Haus. Die Sonne brennt schon zu stark, wie vor dem Ausbruch eines Gewitters, und ihr seid müde nach der schlaflosen Nacht.»

«Das Haus hat ein geräumiges, kühles Obergemach. Dort könnt ihr euch ausruhen», sagt Elias.

Sie steigen die äußere Treppe hinauf. Aber nur die Apostel legen sich auf die Matten zur Ruhe. Jesus geht auf die von einer hohen Eiche beschattete Terrasse hinaus, setzt sich in einen Winkel und vertieft sich in seine Gedanken.