17.08.2016

DAS GLEICHNIS VON DEN ARBEITERN IM WEINBERG

nach Maria Valtorta

Jesus ist an der Mauer auf eine Kiste gestiegen und deshalb für alle zu sehen. Sein liebevoller Gruß ist schon durch die Luft erschallt, gefolgt von den Worten: »Kinder des einen Schöpfers, hört!« Dann fährt er fort, umgeben vom aufmerksamen Schweigen der Leute.

»Die Zeit der Gnade für alle, nicht nur für Israel, sondern für die ganze Welt, ist gekommen. Ihr Juden, die ihr aus vielerlei Gründen hier seid, ihr Proselyten, Phönizier, Heiden, hört alle das Wort Gottes, versteht die Gerechtigkeit, erkennt die Liebe. Mit der Weisheit, der Gerechtigkeit und der Liebe habt ihr die Mittel, um zum Reiche Gottes zu gelangen; zu dem Reich, das nicht nur für die Kinder Israels, sondern für all jene bestimmt ist, die von jetzt an den wahren, einzigen Gott lieben und den Worten seines Wortes glauben werden.

Hört! Ich bin von sehr weit her gekommen, aber nicht mit der Absicht eines Unterdrückers oder der Gewalt eines Eroberers. Ich bin nur gekommen, um der Erlöser eurer Seelen zu sein. Herrschaft, Reichtümer und Ehrenstellen ziehen mich nicht an und bedeuten mir nichts. Ich schaue nicht einmal auf sie, oder vielmehr, ich betrachte sie voller Mitleid, da sie ebensoviele Ketten sind, welche eure Seele gefangen halten und sie daran hindern, zum Herrn, zum Ewigen, Einzigen, Allumfassenden, Heiligen und Gesegneten zu gelangen. Ich blicke auf sie und nähere mich ihnen als den größten Armseligkeiten. Ich versuche, sie zu befreien von ihrer betörenden, grausamen Anziehungskraft, damit sich die Menschenkinder ihrer in Gerechtigkeit und Heiligkeit bedienen und sie nicht als grausame Waffen benützen, die den Menschen verwunden und töten, und vor allem den Geist dessen, der sich ihrer nicht in heiliger Weise bedient.

Wahrlich, ich sage euch: es ist für mich leichter, einen entstellten Körper zu heilen als eine entstellte Seele; es ist für mich leichter, erloschenen Pupillen die Sehkraft und einem Sterbenden die Gesundheit wiederzugeben, als den Geist des Menschen zu erleuchten undkranke Seelen zu heilen. Warum das? Weil der Mensch sein wahresLebensziel aus dem Auge verloren hat und sich zu sehr um das Vergängliche kümmert. Der Mensch weiß nicht, oder erinnert sich nicht, oder wenn er sich noch daran erinnert, will er dem heiligen Gebot des Herrn, Gutes zu tun, nicht gehorchen – und dies gilt auch den Heiden, die mir zuhören – denn es gilt für Rom wie für Athen, für Gallien wie auch für Afrika, weil das Sittengesetz unter jedem Himmel, in jeder Religion und in jedem aufrechten Herzen besteht. Die Religionen, angefangen von jener Gottes bis zur individuellen Moral, sagen alle, dass der bessere Teil von euch überlebt und gemäß seinem Verhalten auf dieser Erde seinen Lohn im anderen Leben erhalten wird.

Demzufolge ist das Ziel des Menschen der Erwerb des Friedens

im anderen Leben, und nicht die Völlerei, die Habgier, die Herrschsucht und das Vergnügen, die nur kurze Zeit dauern und eine Ewigkeit lang mit sehr harten Strafen vergolten werden.

Entweder kennt der Mensch diese Wahrheit nicht, erinnert sich nicht daran oder will sich nicht daran erinnern. Wenn er sie nicht kennt, ist er weniger schuldig; wenn er sie vergißt, ist er schon schuldig, denn die Wahrheit muss wach erhalten bleiben, wie eine heilige Fackel, in Geist und Herz. Doch wenn er sich nicht daran erinnern will oder wenn er bei ihrem Aufflammen seine Augen schließt, um sie nicht zu sehen, weil er sie haßt, wie die Stimme eines schulmei-

sterlichen Redners: dann ist seine Schuld groß, sehr groß!

Wenn jedoch die Seele ihr schlechtes Handeln verabscheut und sich vornimmt, für den Rest des Lebens das wahre Ziel des Menschen anzustreben, dass darin besteht, den ewigen Frieden im Reiche des wahren Gottes zu erlangen, dann verzeiht ihr Gott. Seid ihr bisher den falschen Weg gegangen? Seid ihr betrübt, weil ihr glaubt, es sei zu spät, den richtigen Weg einzuschlagen? Seid ihr untröstlich und sagt: „Ich habe nichts davon gewußt! Ich bin so unwissend und weiß nicht, was ich tun soll.“ Nein, denkt nicht, dass es sich wie bei materiellen Dingen verhält, dass es viel Zeit und Mühe kostet,das Vergangene wiedergutzumachen. Mit der Heiligkeit verhält es

sich anders. Die Güte des Ewigen, des wahren Herrn und Gottes ist so unendlich, dass er euch nicht den bereits zurückgelegten Weg zurückgehen läßt bis an den Scheideweg, an dem ihr den richtigen

Weg für den falschen verlassen habt. So groß ist seine Güte, dass er im Augenblick, da ihr sagt: „Ich will der Wahrheit angehören“, also Gott, denn Gott ist die Wahrheit, durch ein rein geistiges Wunder

die Weisheit in euch eingießt, wodurch ihr von Unwissenden zu Besitzern übernatürlicher Wissenschaft werdet, gleich denen, die sie schon seit Jahren besitzen.

Weisheit ist, nach Gott zu streben, Gott zu lieben, den Geist zu pflegen, das Reich Gottes anzustreben und alles abzuweisen, was Fleisch, Welt und Satan ist. Weisheit ist, dem Gesetz Gottes, welches das Gesetz der Liebe, des Gehorsams, der Enthaltsamkeit und der Rechtschaffenheit ist, zu gehorchen. Weisheit ist, Gott mit seinem ganzen Wesen und den Nächsten wie sich selbst zu lieben. Das sind die beiden unentbehrlichen Grundlagen, um weise gemäß der Weisheit Gottes zu sein. Unsere Nächsten sind nicht nur jene unseres Blutes, unserer Rasse und unserer Religion, sondern alle Menschen, Reiche und Arme, Gelehrte und Unwissende, Juden, Proselyten, Phönizier, Griechen, Römer . . . «

Jesus wird von dem drohenden Geschrei gewisser Hetzer unterbrochen. Er schaut sie an und sagt: »Ja, das ist Liebe, denn ich bin kein schmeichlerischer Lehrer und sage die Wahrheit; und so muss

ich handeln, um das in euch zu säen, was für das ewige Leben notwendig ist. Ob es euch gefällt oder nicht, ich muss es sagen, um meine Aufgabe als Erlöser zu erfüllen, und an euch ist es, eure Pflicht zu tun, da ihr der Erlösung bedürft. Also, den Nächsten lieben, und zwar mit einer alles umfangenden Liebe, einer heiligen Liebe, und nicht mit einer Liebe, die mit schmutzigen Interessen verbunden ist, so dass der Römer, der Phönizier oder der Proselyt zu verfluchen wäre, solange nicht die Sinne oder das Geld im Spiele sind, während im entgegengesetzten Falle jeder Fluch fällt . . . «

Erneut entsteht Unruhe in der Menge, während die Römer auf ihrem Platz in der Säulenhalle rufen: »Beim Jupiter! Der Mann spricht gut!«

Jesus wartet, bis sich die Unruhe gelegt hat, und fährt dann fort:

»Wir sollen den Nächsten lieben, wie auch wir geliebt werden wollen. Uns mißfällt es, mißhandelt, verachtet, beraubt, unterdrückt, verleumdet und beschimpft zu werden, und die gleiche nationale oder persönliche Empfindlichkeit, die wir haben, haben auch die anderen Menschen. Hüten wir uns also davor, uns gegenseitig etwas Böses anzutun, dass wir selbst nicht erleiden möchten.

Weisheit ist es, den Zehn Geboten Gottes zu gehorchen, die lauten:

„Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine fremden Götter neben mir haben. Du sollst keine Götzenbilder haben und ihnen keine Verehrung erweisen.

Du sollst den Namen Gottes nicht vergeblich nennen. Es ist der Name deines Herrn und Gottes, und Gott wird den strafen, der ihn ohne Grund, bei einem Fluch oder zur Bestätigung einer Sünde, an-

ruft.

Gedenke, dass du die Feste heiligst. Der Sabbat ist dem Herrn heilig, denn an diesem Tag ruhte er nach der Schöpfung und hat ihn gesegnet und geheiligt.

Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange in Frieden auf Erden und ewig im Himmel lebest.

Du sollst nicht töten.

Du sollst nicht ehebrechen.

Du sollst nicht stehlen.

Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten.

Du sollst nicht verlangen nach Haus, Frau, Knecht, Magd, Ochs, Esel oder anderen Dingen, die deinem Nächsten gehören.“

Das ist die Weisheit, und wer sie befolgt, ist weise und erwirbt das ewige Leben und das ewige Reich. Nehmt euch vor, von nun an nach der Weisheit zu leben und sie den vergänglichen Dingen dieser Welt voranzustellen.

Was sagt ihr dazu? Sagt ihr, dass es zu spät ist? Nein! Hört euch

dieses Gleichnis an:

Ein Gutsbesitzer ging einst bei Tagesanbruch hinaus, um Arbeiter für seinen Weinberg zu dingen, und einigte sich mit ihnen auf einen Denar als Taglohn.

Um die dritte Stunde ging er wiederum hinaus, und da er glaubte, dass die eingestellten Arbeiter nicht ausreichen würden, und er auf dem Markt Untätige sah, die darauf warteten, gedungen zu werden, stellte er auch diese ein und sagte: „Geht auch ihr in meinen Weinberg; ich werde euch den Lohn geben, den ich auch den anderen versprochen habe“, und jene gingen.

Zur sechsten und zur neunten Stunde ging er wieder hinaus, sah noch andere Arbeitslose und sagte zu ihnen: „Wollt auch ihr bei mir arbeiten? Ich gebe meinen Arbeitern einen Denar als Taglohn.“ Sie

erklärten sich damit einverstanden und gingen.

Als er endlich zur elften Stunde hinausging, sah er wieder andere ohne Arbeit. „Was macht ihr hier? Schämt ihr euch nicht, den ganzen Tag untätig herumzusitzen?“ fragte er sie. „Niemand läßt uns auf Taglohn arbeiten. Wir hätten gerne gearbeitet, um uns den Unterhalt zu verdienen, doch keiner hat uns in seinen Weinberg gerufen.“ „So rufe ich euch in meinen Weinberg. Geht, ihr werdet den

gleichen Lohn erhalten wie die anderen.“ Dies sagte er, denn er war ein guter Herr und hatte Mitleid mit der Not seines Nächsten.

Als der Abend gekommen und die Arbeit beendet war, rief der Herr seinen Verwalter und sagte: „Rufe die Arbeiter und gib ihnen ihren Lohn, gemäß meiner Abmachung. Beginne bei den letzten, die

am bedürftigsten sind, da sie den ganzen Tag keine Nahrung zu sich genommen haben, während die anderen einmal oder mehrere Male gegessen haben, und die außerdem aus Dankbarkeit für mein Mitgefühl mehr als alle anderen gearbeitet haben. Ich habe sie beobachtet und entlasse sie, auf dass sie ihre verdiente Ruhe genießen und sich mit ihren Angehörigen des Lohnes ihrer Arbeit erfreuen mögen.“

Der Verwalter tat, wie der Herr ihm befohlen hatte, und gab jedem einen Denar.

Als die letzten an der Reihe waren, die von der ersten Stunde des Tages an gearbeitet hatten, waren sie erstaunt darüber, dass auch sie nur einen Denar erhielten, und beklagten sich untereinander und

beim Verwalter, der ihnen erwiderte: „Ich habe diese Anordnung erhalten. Geht und beklagt euch bei meinem Herrn und nicht bei mir.“

Diese gingen hin und sprachen: „Siehe, du bist nicht gerecht. Wir haben zwölf Stunden lang gearbeitet, erst in der Nässe des Taus, dann unter der stechenden Sonne und schließlich wieder in der Feuchtigkeit des Abends, und du hast uns denselben Lohn gegeben wie jenen Faulpelzen, die nur eine Stunde gearbeitet haben! . . . Warum das?“ Besonders einer unter ihnen erhob seine Stimme und behauptete, betrogen und in unwürdiger Weise ausgenützt worden zu sein.

„Freund, worin tue ich dir unrecht? Was habe ich in der Frühe mit dir vereinbart? Die Arbeit eines Tages, und als Lohn einen Denar, nicht wahr?“

„Ja, das ist wahr. Aber du hast jenen dasselbe gegeben, obwohl sie viel weniger gearbeitet haben . . . „

„Du warst doch mit diesem Lohn einverstanden und er schien dir gerecht zu sein?“

„Ja, ich war damit einverstanden, weil andere mir vielleicht weniger gegeben hätten.“

„Bist du bei mir überfordert worden?“

„Nein, gewiss nicht.“

„Ich habe dir während des Tages eine lange Ruhepause gewährt und dir auch Nahrung gegeben! Drei Mahlzeiten hast du erhalten, und Speisen und Ruhepause waren nicht vereinbart. Nicht wahr?“

„Nein, sie waren nicht vereinbart.“

„Warum hast du sie dann angenommen?“

„Aber . . . Du hast gesagt: ‚Es ist besser so, damit ihr nicht zu müde nach Hause kommt.‘ Wir glaubten, nicht recht zu hören . . . Deine Mahlzeiten waren gut, es war für uns eine Ersparnis, es war . . . „

„Es war eine Gnade, die ich euch umsonst gab und die niemand verlangen konnte. Nicht wahr!?“

„Das stimmt.“

„So bin ich also auch mit euch gut gewesen. Warum beklagt ihr euch dann? Ich müßte mich über euch beklagen, denn als ihr gesehen habt, dass ihr es mit einem guten Herrn zu tun habt, habt ihr

langsam gearbeitet. Jene hingegen, die nach euch gekommen sind, haben mit der Zugabe einer einzigen Mahlzeit, und die letzten ganz ohne Verpflegung, eifriger gearbeitet und in kürzerer Zeit das gleiche geleistet wie ihr in zwölf Stunden. Ich hätte euch betrogen, wenn ich euch nur den halben Lohn gegeben hätte, um mit der anderen Hälfte die übrigen Arbeiter zu bezahlen. Aber dies ist nicht der Fall.

Daher nimm das Deine und geh! Willst du mir in meinem Hause vorschreiben, was ich zu tun habe? Ich tue, was ich will und was gerecht ist. Sei nicht böse und verleite mich nicht zur Ungerechtigkeit.

Ich bin gut!“

Wahrlich, ich sage euch allen, die ihr mir zuhört, dass Gott, der Vater, mit allen Menschen dasselbe Bündnis schließt und den gleichen Lohn verspricht. Wer dem Herrn gewissenhaft dient, wird von

ihm mit Gerechtigkeit belohnt werden, selbst wenn er eines kurzen Lebens wegen nur noch wenig arbeiten kann. Wahrlich, ich sage euch, nicht immer werden die Ersten auch die Ersten im Himmel-

reich sein. Dort werden wir oft die Ersten als Letzte und die Letzten als Erste sehen. Dort werden wir heilige Menschen sehen, die nicht aus Israel stammen, jedoch heiliger als viele aus Israel sind. Ich bin gekommen, um alle im Namen Gottes zu berufen, doch viele sind berufen, wenige aber auserwählt, denn nur wenige sind es, die nach der Weisheit verlangen.

Nicht weise ist, wer für die Welt und das Fleisch lebt und nicht für Gott. Er ist weder für die Erde noch für den Himmel weise, denn auf Erden schafft er sich Feinde, Strafen und Gewissensbisse, und den Himmel verliert er doch für alle Ewigkeit.

Ich wiederhole: Seid gut zu eurem Nächsten, wer immer er auch sein mag. Seid gehorsam und überlaßt es Gott, den zu bestrafen, der nicht gerecht ist in seinen Befehlen. Seid enthaltsam und widersteht der Sinnlichkeit; seid redlich und widersteht der Habsucht. Verurteilt nur, wenn es gerechtfertigt ist, und nicht, wenn es euch nützlich erscheint. Fügt einem anderen nicht zu, was ihr selbst nicht wollt, das euch zugefügt werde . . . «