09.08.2016

DER GRÖSSTE IM HIMMELREICH; DER KLEINE BENJAMIN VON KAPHARNAUM

nach Maria Valtorta

Ich sehe Jesus auf einer Landstraße, von seinen Aposteln und Jüngern umgeben und gefolgt.

Der See von Galiläa ist nicht mehr weit entfernt und schimmert ruhig und blau in der schönen Frühlings- oder Herbstsonne. Es ist keine glühende Sonne wie im Sommer, doch vermute ich, dass es Frühjahr ist, denn die Natur ist sehr frisch und hat nicht die goldenen, matten Farben des Herbstes.

Es scheint, dass sich Jesus, da der Abend hereinbricht, in das gastliche Haus zurückziehen möchte und sich daher zur Ortschaft begibt, die schon in Sicht ist. Wie er es oft tut, geht Jesus einige Schritte voraus, zwei oder drei, nicht mehr, doch genug, um sich in Gedanken absondern zu können, des Schweigens bedürftig nach einem Tage der Verkündigung der Frohen Botschaft. Ganz in sich gekehrt wandert er dahin, in der rechten Hand einen grünen Zweig, den er wohl von einem Strauch abgerissen hat und mit dem er nun, in Gedanken versunken, die Gräser am Wegrand berührt.

Hinter ihm sprechen die Jünger lebhaft miteinander. Sie rufen sich die Ereignisse des Tages ins Gedächtnis und sind nicht sehr nachsichtig, wenn es darum geht, Fehler und Bosheiten anderer abzuwägen. Alle kritisieren mehr oder weniger, dass die Einnehmer der Tempelsteuer von Jesus den Tribut verlangt haben.

Petrus, immer noch erregt, bezeichnet dieses Vorgehen als Sakrileg, da der Messias nicht verpflichtet ist, Steuern zu zahlen. «Das würde bedeuten, von Gott zu verlangen, dass er an sich selbst bezahlt», sagt er. «Und das ist nicht gerecht. Wenn sie aber glauben, dass er nicht der Messias ist, so wird auch das zum Sakrileg!»

Jesus wendet sich einen Augenblick um und sagt: «Simon, Simon, viele werden an mir zweifeln, auch einige von denen, die meinen, einen sicheren und unerschütterlichen Glauben an mich zu haben. Richte nicht die Brüder, Simon! Richte immer zuerst dich selbst!»

Judas sagt mit einem ironischen Lächeln dem gedemütigten Petrus, der den Kopf gesenkt hat: «Das ist für dich. Weil du der älteste bist, willst du

immer den Gescheiten spielen. Es ist aber nicht gesagt, dass ein Verdienst immer im Verhältnis zum Alter steht. Unter uns sind einige, die dich in Bezug auf Wissen und gesellschaftliche Stellung übertreffen.»

Es beginnt nun eine Diskussion über die Verdienste. Die einen rühmen sich, unter den ersten Jüngern gewesen zu sein, die Jesus erwählt hat, andere glauben, dass er sie bevorzugt, weil sie auf eine einflußreiche Stellung verzichtet haben, um Jesus zu folgen; wieder ein anderer sagt, dass niemand solche Rechte habe wie er, da keiner einen so großen Schritt zur Bekehrung getan habe, indem er vom Zöllner zum Jünger wurde. Dieser Wortwechsel zieht sich in die Länge, und wenn ich nicht fürchten würde, die Apostel zu beleidigen, würde ich sagen, dass er in einen regelrechten Streit ausgeartet ist.

Jesus hält sich heraus. Es scheint, als ob er nicht einmal ihre Stimmen hören würde. Inzwischen sind sie bei den ersten Häusern des Ortes angelangt, den ich als Kapharnaum erkenne. Jesus geht weiter, und die anderen folgen ihm und diskutieren immer noch.

Ein Knabe von sieben oder acht Jahren hüpft hinter Jesus her und erreicht ihn, nachdem er die Gruppe der lautstarken Apostel überholt hat. Es ist ein schöner Knabe mit dunkelbraunem, gelocktem Haar, mit zwei schwarzen, klugen Äuglein im braunen Gesichtchen. Er ruft den Meister so vertraulich, als ob er ihn gut kennen würde, und fragt: «Jesus, darf ich bis zu deinem Hause mit dir kommen?»

«Weiß es deine Mutter?» fragt Jesus mit einem gutmütigen Lächeln.

«Ja, sie weiß es.»

«Wirklich?» Jesus schaut ihn immer noch lächelnd mit einem durchdringenden Blick an.

«Ja, Jesus, wirklich.»

«Dann komm.»

Das Kind macht einen Freudensprung und ergreift die linke Hand Jesu, der sie ihm gereicht hat. Mit welch liebevollem Vertrauen das Kind die kleine braune Hand in die lange Hand meines Jesus legt! Auch ich würde gerne dasselbe tun!

«Erzähle mir ein schönes Gleichnis, Jesus», sagt das Kind, indem es an der Seite des Meisters hüpft und ihn von unten bis oben mit seinem freudestrahlenden Gesichtlein mustert.

Auch Jesus betrachtet das Kind mit einem heiteren Lächeln, bei dem sich sein von dem rotblonden Bart umschatteter Mund leicht öffnet. Seine Augen, von der Farbe dunkler Saphire, lachen vor Freude, während er das Kind betrachtet.

«Was willst du mit dem Gleichnis anfangen? Es ist kein Spielzeug.»

«Es ist schöner als ein Spielzeug. Wenn ich schlafengehe, denke ich darüber nach, und dann träume ich davon, und am Morgen erinnere ich mich daran und sage es wieder auf, um gut zu sein. Es hilft mir, gut zu sein.»

«Und du erinnerst dich jeweils wirklich daran?»

«Ja, möchtest du, dass ich dir alle Gleichnisse aufsage, die du mir bisher erzählt hast?»

«Du bist tüchtig, Benjamin, tüchtiger als die Erwachsenen, die vergessen. Als Belohnung will ich dir ein Gleichnis erzählen.»

Das Kind hüpft jetzt nicht mehr. Es schreitet ernst und gesammelt wie ein Erwachsener einher, und es entgeht ihm kein Wort und kein Tonfall Jesu, den es aufmerksam beobachtet, ohne mehr darauf zu achten, wohin es seinen Fuß setzt.

«Einem sehr guten Hirten kam zur Kenntnis, dass an einem Orte dieser Welt sehr viele Schafe waren, die ihr schlechter Hirte verlassen hatte. Sie irrten auf unwegsamen Pfaden und schädlichen Weiden umher und liefen Gefahr, in immer tiefere und finsterere Schluchten zu geraten. Der gute Hirte begab sich zu jenem Ort, verkaufte alle seine Habe und erwarb die Schafe und deren Lämmlein.

Er wollte sie in sein Reich bringen, denn dieser Hirte war auch König, wie so viele in Israel Könige gewesen sind. In seinem Reich hätten diese Schafe und Lämmlein viele grüne Weiden, frisches und reines Wasser, sichere Wege und Hürden gefunden, in die kein Dieb und kein Wolf einbrechen konnte. Daher vereinigte der Hirte seine Schafe und Lämmer und sagte zu ihnen: „Ich bin gekommen, euch zu retten, um euch dorthin zu führen, wo ihr nicht mehr leiden und keine Nachstellungen und Schmerzen kennen werdet. Liebt mich und folgt mir, denn ich liebe euch so sehr, dass ich mich in jeder Weise aufgeopfert habe, um euch zu bekommen. Wenn ihr mich liebt, wird mir mein Opfer keine Last sein. Folgt mir und laßt uns gehen!“

Der Hirte voran, die Schafe hinter ihm her, machten sie sich auf den Weg zum Reich der Freude.

Jeden Augenblick wandte sich der Hirte um, um nachzusehen, ob sie ihm auch folgten, um die Müden anzuspornen und die Entmutigten zu bestärken, um den Kranken unter ihnen zu helfen und die Lämmlein zu streicheln. Wie sehr liebte er sie! Er gab ihnen sein Brot und sein Salz, kostete als erster das Wasser der Quellen und segnete es, um zu prüfen, ob es gesund sei und um es zu heiligen.

Aber die Schafe – glaubst du es, Benjamin? – die Schafe wurden nach einiger Zeit müde. Zuerst eines, dann zwei, dann zehn, dann hundert. Sie blieben zurück, um Gras zu fressen und sich damit vollzustopfen, bis sie sich nicht mehr bewegen konnten. Dann legten sie sich müde und satt in den Staub und den Schlamm. Andere liefen am Rand der Abgründe dahin, obwohl der Hirte sie warnte: „Tut das nicht!“ Er stellte sich dorthin, wo die größte Gefahr war, um sie davon abzuhalten, aber sie stießen ihn mit ihrem Kopf an und versuchten mehrmals, ihn in den Abgrund zu stürzen. So endeten viele in den Schluchten und starben eines

elenden Todes. Andere stießen sich mit ihren Köpfen und Hörnern und töteten sich gegenseitig.

Nur ein Lämmlein trennte sich nie vom Hirten. Es lief, blökte und sagte mit seinem Blöken zum Hirten: „Ich liebe dich!“ Es folgte dem guten Hirten, und als sie an den Pforten seines Reiches ankamen, waren es nur noch zwei; der Hirte und das getreue Lämmlein. Da sagte der Hirte nicht: „Tritt ein“, sondern: „Komm“, und er nahm es auf seine Arme, drückte es an seine Brust und trug es hinein, indem er alle seine Untergebenen zusammenrief und zu ihnen sagte: „Seht, dieses liebt mich. Ich will, dass es in alle Ewigkeit bei mir sei, und ihr sollt es lieben, denn es ist der Liebling meines Herzens!“

Das Gleichnis ist zu Ende, Benjamin. Kannst du mir nun sagen, wer der gute Hirte ist?»

«Du bist es, Jesus.»

«Und das Lämmlein?»

«Das bin ich, Jesus.»

«Aber nun werde ich fortgehen, und du wirst mich vergessen.»

«Nein, Jesus. Ich werde dich nicht vergessen, denn ich liebe dich.»

«Deine Liebe wird aufhören, wenn du mich nicht mehr siehst ...»

«Ich werde in meinem Innern die Worte wiederholen, die du mir gesagt hast, und es wird so sein, als ob du selbst anwesend wärst. Auf diese Weise werde ich dich lieben und dir gehorchen. Sag mir, Jesus, wirst du dich an Benjamin erinnern?»

«Immer!»

«Wie wirst du es machen, dich zu erinnern?»

«Ich werde mir sagen, dass du mir versprochen hast, mich zu lieben und mir zu gehorchen, und so werde ich mich deiner erinnern.»

«Und wirst du mir dein Reich geben?»

«Wenn du gut bist, ja!»

«Ich werde gut sein.»

«Wie wirst du es machen? Das Leben ist lang.»

«Aber deine Worte sind so gut. Wenn ich sie mir vorsage und das tue, was sie mir zu tun gebieten, dann werde ich mich das ganze Leben lang gut bewahren. Ich werde es tun, weil ich dich liebe. Wenn man liebt, dann macht es keine Mühe, gut zu sein. Ich werde nicht müde, meiner Mutter zu gehorchen, denn ich liebe sie, und es wird mir keine Mühe machen, dir zu gehorchen, weil ich dich liebe.»

Jesus ist stehengeblieben und schaut das mehr von Liebe als von der Sonne entflammte Gesichtlein an. Die Freude Jesu ist so lebhaft, dass es scheint, eine andere Sonne entzünde sich in seiner Seele und strahle durch seine Augen. Er beugt sich nieder und küßt das Kind auf die Stirn.

Vor einem kleinen einfachen Hause, vor dem sich ein Brunnen befindet, ist er stehengeblieben. Jesus geht zu diesem Brunnen und setzt sich nieder, und dort finden ihn die Apostel, die noch immer ihre gegenseitigen Vorzüge abwägen.

Jesus schaut sie an und ruft sie zu sich. «Kommt hierher und hört euch die letzte Unterweisung des Tages an, ihr, die ihr euch brüstet mit der Zurschaustellung eurer Verdienste und meint, euch dadurch einen besonderen Platz zu erwerben. Seht ihr dieses Kind? Es ist in der Wahrheit schon weiter voran als ihr. Seine Unschuld gibt ihm den Schlüssel, um die Tore meines Reiches zu öffnen. In seiner kindlichen Einfalt hat es verstanden, dass in der Liebe die Kraft liegt, mit der man groß wird, und in dem aus Liebe geübten Gehorsam die Kraft, mit der man in mein Reich gelangt. Seid einfältig, demütig und liebt mit einer Liebe, die nicht nur mir gilt, sondern auch eurem Nächsten, indem ihr allen meinen Worten gehorcht, auch diesen, wenn ihr dorthin gelangen wollt, wohin diese Unschuldigen gelangen werden. Lernt von den Kindern. Der Vater enthüllt ihnen die Wahrheit, wie er sie selbst den Weisen nicht enthüllt.»

Jesus spricht und hält dabei Benjamin, die Hände auf seinen Schultern aufrecht gegen seine Knie. Jetzt ist das Antlitz Jesu voll Majestät, nicht zürnend, jedoch ernst. Es ist wirklich das Antlitz eines Meisters. Der letzte Sonnenstrahl bildet einen Strahlenkranz um sein blondes Haupt.

Die Vision entschwindet und läßt mich voller Glückseligkeit in meinen Schmerzen zurück.

Also: Die Jünger haben natürlich nicht in das Haus hineingehen können, wegen ihrer großen Anzahl und aus Ehrfurcht. Sie tun es nie, wenn sie nicht alle zusammen eingeladen oder vom Meister dazu aufgefordert werden. Ich bemerke stets eine große Ehrfurcht, eine große Zurückhaltung, trotz der Liebenswürdigkeit des Meisters und der schon lange währenden Vertrautheit. Auch Isaak, der sich den ersten Jünger nennen könnte, nimmt sich nie die Freiheit, zu Jesus zu gehen, ohne dass ein Lächeln, wenigstens ein Lächeln des Meisters, ihn in seine Nähe rufen würde.

Ein wenig verschieden, nicht wahr, von der raschen, fast scherzhaften Art, in der viele das Übernatürliche behandeln... Das ist meine Meinung, und ich halte es für richtig, sie zu sagen, denn ich kann es nicht ertragen, dass die Menschen Dinge, die über ihnen stehen, nicht einmal so behandeln, wie sie ihresgleichen behandeln, nur weil sie in der gesellschaftlichen Rangstufe ein wenig höher stehen als sie... Aber fahren wir fort...

Die Jünger haben sich also am Seeufer verstreut, um Fische, Brot und was sonst noch nötig ist für das Abendessen zu kaufen. Auch Jakobus des Zebedäus kommt zurück und ruft den Meister, der sich auf die Terrasse gesetzt hat und mit Johannes zu seinen Füßen in ein sanftes, ruhiges Gespräch vertieft ist... Jesus steht auf und beugt sich über die Brüstung.

Jakobus sagt: «So viele Fische, Meister! Mein Vater sagt, dass du mit deinem Kommen die Netze gesegnet hast. Schau, dass ist für uns», und er zeigt einen Korb voll Fische, die wie Silber glänzen.

«Gott möge ihm Gnade schenken für seine Hochherzigkeit. Bereitet das Mahl, denn danach werden wir mit den Jüngern zum Ufer gehen.»

Sie folgen seiner Anweisung. Der See ist schwarz in der Nacht, in Erwartung des Mondes, der spät aufgeht. Mehr als man den See sehen kann, hört man ihn zwischen den Steinen des Kiesgrundes murmeln und plätschern. Nur die außergewöhnlich hellen Sterne des Orients spiegeln sich im stillen Wasser. Apostel und Jünger nehmen im Kreise um eine umgestürzte Barke, auf die Jesus sich gesetzt hat, Platz. Die kleinen Laternen der Boote, die man mitten in den Kreis gebracht hat, beleuchten kaum die allernächsten Gesichter. Das Antlitz Jesu wird durch eine Laterne, die man zu seinen Füßen hingestellt hat, von unten her beleuchtet, und daher können ihn alle gut sehen, während er mit diesem oder jenem spricht.

Anfänglich ist es eine schlichte, familiäre Unterhaltung, doch dann nimmt sie den Ton einer Unterweisung an. Ja, Jesus sagt ausdrücklich: «Kommt und hört! Bald werden wir uns trennen, und ich möchte euch noch belehren, um euch besser heranzubilden.

Heute habe ich euch disputieren gehört, und nicht immer mit liebevoller Nachsicht. Den Älteren von euch habe ich bereits eine Unterweisung gegeben, aber ich möchte sie allen zuteil werden lassen, und es wird den Älteren nicht schaden, wenn sie sie nocheinmal mitanhören. Jetzt ist der kleine Benjamin nicht vor meinen Knien, er schläft in seinem Bett und träumt seine unschuldigen Träume. Doch vielleicht ist seine reine Seele trotzdem in unserer Mitte. Stellt euch einfach vor, dass er oder irgendein anderes Kind hier ist, als Beispiel für euch. Alle habt ihr in euren Herzen eine fixe Idee, eine Neugierde, eine Gefahr: Ihr möchtet die Ersten im Himmelreich sein, und wollt wissen, wer der Erste im Himmelreich sein wird, und endlich die Gefahr: ihr hegt den noch menschlichen Wunsch, einmal die Antwort von wohlwollenden Kameraden oder vom Meister, vor allem vom Meister, weil er die Wahrheit und die Zukunft kennt, zu hören: „Du bist der Erste im Himmelreich.“

Ist es vielleicht nicht so? Die Frage schwebt auf euren Lippen und lebt im Grunde eures Herzens. Der Meister beschäftigt sich mit dieser eurer Neugierde zu eurem Wohl, auch wenn er es ablehnt, menschlicher Neugierde nachzugeben. Euer Meister ist kein Marktschreier, den man für zwei Münzen im Marktlärm befragen kann. Er ist auch kein Wahrsager, der für Geld die Zukunft prophezeit, um die beschränkten Gehirne der Menschen zu befriedigen, die die Zukunft wissen möchten, um sich dann danach richten zu können. Der Mensch kann sich nicht danach richten. Gott regelt alles, wenn der Mensch sich ihm anvertraut. Es nützt auch nichts, zu wissen oder zu glauben, dass man die Zukunft kennt, wenn man nicht die Möglichkeit hat, die vorhergesagte Zukunft zu verhindern. Es gibt nur ein Mittel: das Gebet zum Vater und Herrn, damit das vertrauensvolle Gebet eine Strafe in Segen wandelt. Aber wer zu den Menschen seine Zuflucht nimmt, um als Mensch und mit menschlichen Mitteln die Zukunft zu regeln, der ist nicht imstand zu beten, oder nur sehr schlecht.

Da diese eure Neugierde Anlaß zu einer guten Belehrung sein kann, antworte ich darauf, ich, der ich neugierige und ehrfurchtslose Fragen verabscheue. Ihr fragt euch: „Wer von uns wird der Größte im Himmelreich sein?“

Ich schalte die Einschränkung „von uns“ aus, erweitere die Grenzen auf die gegenwärtige und die zukünftige Welt und antworte: Der Größte im Himmelreich ist der Geringste unter den Menschen, dass heißt, der, welcher von den Menschen als der Geringste angesehen wird. Der Einfache, der Demütige, der Vertrauensvolle, der Unwissende. Das Kind, oder wer kindlich zu sein weiß. Weder Wissenschaft, noch Macht, noch Reichtum oder Geschäftigkeit, selbst wenn sie gut wären, sind es, die euch zu den „Größten“ im seligen Reiche machen, sondern kindliche Liebenswürdigkeit, Demut, Einfalt und kindliches Vertrauen.

Beachtet, wie mich die Kinder lieben, und ahmt sie nach. Beachtet, wie sie an mich glauben, wie sie sich dessen erinnern, was ich sage, wie sie tun, was ich lehre, wie sie nicht eifersüchtig werden auf mich und ihre Kameraden, und ahmt sie nach. Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr eure Denkart, eure Handlungsweise und eure Art zu lieben nicht ändert und nicht wie die Kinder werdet, dann werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen. Sie wissen das Wesentliche meiner Lehre, wie auch ihr, aber mit welch einem Unterschied, wenn es darum geht, das, was ich lehre, in die Tat umzusetzen! Ihr sagt nach jeder guten Tat, die ihr vollbracht habt: „Ich habe das getan.“ Das Kind sagt zu mir: „Jesus, ich habe mich heute deiner erinnert und dir gehorcht, ich habe geliebt, ich habe einen Streit vermieden... und ich bin zufrieden, denn du, dessen bin ich gewiss, weißt es, wenn ich gut bin, und bist dann glücklich.“ Beobachtet auch die Kinder, wenn sie Fehler begehen. Mit welcher Demut bekennen sie: „Heute bin ich böse gewesen. Es schmerzt mich, dir Leid zugefügt zu haben.“ Sie suchen nicht nach Entschuldigungen, denn sie wissen, dass ich alles weiß. Sie glauben! Es schmerzt sie, dass ich darunter leide.

Oh, ihr meinem Herzen so lieben Kinder, in denen kein Hochmut, keine Doppelzüngigkeit und keine Gier ist! Ich sage zu euch: Werdet wie die Kinder, wenn ihr in mein Reich eingehen wollt. Liebt die Kinder, als engelgleiche Vorbilder, die ihr ja haben könnt, denn wie Engel solltet ihr sein. Zu eurer Entschuldigung könntet ihr sagen: „Wir können die Engel nicht sehen“, doch Gott gibt euch die Kinder als Beispiel, und diese habt ihr unter euch, und wenn ihr ein materiell oder moralisch verlassenes Kind seht, dass zugrunde gehen könnte, dann nehmt es in meinem Namen auf, denn sie sind Gottes Vielgeliebte. Wer immer ein Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf, denn ich bin in der Seele des Kindes, die unschuldig ist. Wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat, den Allerhöchsten, den Herrn.

Hütet euch, bei einem dieser Kinder, dessen Auge Gott sieht, Anstoß zu erregen. Bei niemandem soll man Anstoß erregen. Aber wehe, dreimal wehe dem, der den unschuldigen Glanz der Kinder verletzt. Laßt sie Engel bleiben, solange ihr könnt! Zu abstoßend sind Welt und Fleisch für die Seele, die aus den Himmeln kommt, und ein Kind ist durch seine Unschuld noch ganz Seele. Habt Achtung vor der Seele des Kindes und vor seinem Körper, wie ihr Achtung habt vor dem heiligen Ort. Heilig ist das Kind auch, weil es Gott in sich hat. In jedem Körper ist der Tempel des Geistes. Aber der Tempel des Kindes ist der heiligste und tiefste, er ist jenseits des doppelten Vorhangs. Bewegt nicht einmal den Vorhang der heiligen Unkenntnis der Begehrlichkeit mit dem Wind eurer Leidenschaften. Ich wollte, dass in jeder Familie, in jeder Menschengruppe ein Kind wäre, dass den Leidenschaften der Menschen als Zügel diente.

Das Kind heiligt, es gibt Erquickung und Frische, allein schon durch die Strahlen seiner Augen ohne Bosheit. Aber wehe jenen, die dem Kinde durch ihr skandalöses Benehmen die Heiligkeit rauben! Wehe jenen, die durch ihre Worte und ihren Spott das Vertrauen der Kinder in mich beeinträchtigen! Es wäre besser für sie, wenn ihnen ein Mühlstein an den Hals gehängt und sie ins Meer versenkt würden, damit sie mit ihrer Unreinheit ertrinken. Wehe der Welt wegen der Ärgernisse, die sie den Unschuldigen gibt! Denn, wenn es auch unvermeidlich ist, dass Ärgernisse vorkommen, wehe jedoch dem Menschen, der sie bewusst hervorruft.

Niemand hat das Recht, seinem Körper und seinem Leben Gewalt anzutun, denn Leben und Körper kommen von Gott, und er allein hat das Recht, Teile davon oder das Ganze zu nehmen. Aber ich sage euch, wenn euch eure Hand zum Ärgernis wird, ist es besser, dass ihr sie abhaut, und wenn euer Fuß euch dazu führt, Ärgernis zu erregen, dann ist es besser, dass ihr ihn abhaut. Denn es ist besser, verkrüppelt oder hinkend ins ewige Leben einzugehen, als mit zwei Händen und zwei Füßen ins ewige Feuer geworfen zu werden. Wenn es nicht genügt, eine Hand oder einen Fuß abzuhauen, dann laßt euch auch die andere Hand oder den anderen Fuß abhauen, damit ihr kein Ärgernis mehr erregen könnt und Zeit habt zu bereuen, bevor ihr dorthin geworfen werdet, wo das Feuer nicht erlischt und in Ewigkeit bohrt wie ein Wurm. Und wenn euer Auge Ursache eines Ärgernisses ist, dann reißt es euch aus. Es ist besser, mit einem Auge zu leben, als mit beiden Augen in der Hölle zu sein. Mit nur einem Auge oder mit gar keinem in den Himmel zu kommen, wird euch nicht daran hindern, dass Licht zu sehen, während ihr mit zwei sündhaften Augen in der Hölle Finsternis und Schrecken sehen werdet, und nichts anderes.

Erinnert euch immer an all das. Verachtet die Kleinen nicht, erregt bei ihnen kein Ärgernis und verlacht sie nicht. Sie sind besser als ihr, denn ihre Engel schauen immerfort Gott, der ihnen die Wahrheiten sagt, die sie den Kindern und jenen, die kindlichen Herzens sind, enthüllen sollen.

Liebt euch untereinander wie die Kinder, ohne Streit und ohne Hochmut! Seid friedsam mit euren Gefährten, und auch mit allen anderen, denn ihr seid Brüder im Namen des Herrn, und nicht Feinde, und es gibt keine und darf keine Feinde unter den Jüngern des Herrn geben. Der einzige Feind ist Satan, und seine erbitterten Feinde sollt ihr sein. Gegen ihn und gegen die Sünden, die Satan in die Herzen trägt, sollt ihr kämpfen. Seid unermüdlich im Kampf gegen das Böse, welche auch immer die Gestalt sei, die es annimmt.

Seid geduldig. Es gibt keine Beschränkung für die Tätigkeit des Apostels, denn das Wirken des Bösen kennt keine Grenzen. Der Dämon sagt nie: „Genug, nun bin ich müde und ruhe mich aus!“ Er ist unermüdlich. Viel behender als ein Gedanke eilt er von einem Menschen zum anderen und versucht und nimmt, verführt und quält und läßt keine Ruhe. Er greift mit Hinterlist an und schlägt nieder, wenn man nicht mehr wachsam ist. Manchmal erobert er eine Seele wegen der Schwachheit des Angegriffenen; andere Male erscheint er als Freund, da die Lebensweise des gesuchten Opfers schon so ist, dass sie einem Bündnis mit dem Feind gleichkommt. Es kann auch geschehen, dass er, von jemandem verjagt, umherschweift und sich auf den Besten stürzt, um sich für die ihm von Gott oder einem Diener Gottes zugefügte Niederlage zu rächen. Aber ihr müßt das gleiche sagen, was er sagt: „Ich ruhe nicht.“ Er ruht nicht, um die Hölle zu bevölkern. Ihr dürft nicht ruhen, um das Paradies zu bevölkern. Gewährt ihm keinen Unterschlupf. Ich mache euch darauf aufmerksam, dass er euch umso mehr quälen wird, je mehr ihr ihn bekämpft. Aber ihr dürft euch durch nichts abschrecken lassen. Er kann die Erde durcheilen, aber in den Himmel dringt er nicht ein. Daher wird er euch dort nicht mehr belästigen können, und alle jene, die ihn bekämpft haben, werden dort sein ...»