27.03.2016

DER MORGEN DER AUFERSTEHUNG

nach Maria Valtorta

Die Frauen setzen ihre Arbeit mit den Ölen fort, die während der Nacht im kalten Hof zu einer festen Paste geworden sind.

Johannes und Petrus halten es für angebracht, den Abendmahlsaal aufzuräumen und das Geschirr abzuwaschen; doch dann lassen sie alles so stehen, als ob das Abendmahl soeben beendet worden wäre.

«Er hat es uns gesagt», sagt Johannes.

«Er hat auch gesagt: „Schlaft nicht!“ Er hat gesagt: „Sei nicht überheblich, Petrus. Weißt Du nicht, dass die Stunde der Prüfung anbricht?“ Und... und er hat gesagt: „Du wirst mich verleugnen...“» Petrus weint wieder und sagt von tiefem Schmerz erfüllt: «Und ich habe ihn verleugnet!»

«Genug, Petrus! Nun bist du wieder du. Höre auf, dich zu quälen!»

«Niemals, niemals. Selbst wenn ich so alt wie die ersten Patriarchen werden und siebenhundert oder neunhundert Jahre wie Adam und seine ersten Enkel leben würde, hätte diese Qual doch kein Ende.»

«Hoffst du nicht auf seine Barmherzigkeit?»

«Doch. Wenn ich nicht an sie glauben würde, wäre ich wie Iskariot: ein Verzweifelter. Aber auch wenn er mir vom Schoß des Vaters aus, zu dem er zurückgekehrt ist, verzeiht, ich selbst verzeihe mir nicht. Ich! Ich! Ich, der ich gesagt habe: „Ich kenne ihn nicht, weil es in jenem Augenblick gefährlich war, ihn zu kennen; weil ich mich schämte, sein Jünger zu sein; weil ich Angst vor der Marter hatte... Er ging in den Tod, und ich... war darauf bedacht, mein Leben zu retten. Und um es zu retten, habe ich mich von ihm abgewandt, wie eine sündige Frau sich der von ihr geborenen Leibesfrucht entledigt, da es gefährlich wäre, wenn ihr unwissender Mann sie bei seiner Rückkehr vorfände. Schlimmer als eine Ehebrecherin bin ich... schlimmer als...»

Angezogen von der lauten Stimme, kommt Maria Magdalena herein. «Schrei doch nicht so. Maria hört dich. Sie ist so erschöpft! Sie hat keine Kraft mehr, und alles tut ihr weh. Dein sinnloses Herumschreien erneuert nur die Qualen, die euer Benehmen ihr bereitet hat...»

«Siehst du? Siehst du, Johannes? Eine Frau kann mir Schweigen gebieten. Und sie hat recht, denn wir, die dem Herrn geweihten Männer, konnten nur lügen und davonlaufen. Die Frauen waren tapfer. Du, du bist wenig mehr als eine Frau, denn du bist so jung und rein, du hast den Mut gehabt zu bleiben. Und wir, die Starken, die Männer, wir sind geflohen.

Oh, wie muss mich die Welt verachten! Sage es mir, sage es mir nur, Frau. Du hast recht! Tritt mir mit deinem Fuß in den Mund, der gelogen hat. An der Sohle der Sandale klebt vielleicht noch etwas von seinem Blut. Und nur dieses mit dem Staub der Straße vermischte Blut kann dem Abtrünnigen etwas Vergebung, etwas Frieden schenken. Ich muss mich an die Verachtung der Welt gewöhnen. Was bin ich denn? So sagt mir doch, was bin ich?»

«Du bist nichts als großer Hochmut», antwortet Magdalena ruhig. «Schmerz? Das auch. Aber glaube mir, trotzdem sind von den zehn Teilen deines Schmerzes fünf – und ich will nicht sagen sechs, um dich nicht zu kränken – Selbstmitleid, weil man dich nun verachten könnte. Und gewiss werde ich dich verachten, wenn du wie ein dummes Weib immer weiterjammerst und klagst! Was geschehen ist, ist geschehen. Das wilde Geschrei macht es nicht wieder gut oder ungeschehen. Es zieht nur die Aufmerksamkeit auf sich und bettelt um ein Mitleid, dass du nicht verdienst. Sei ein Mann in deiner Reue. Schrei nicht, tu etwas. Ich... du weißt, wer ich war. Aber als ich verstanden hatte, dass ich ekelerregender als Erbrochenes war, habe ich mich nicht in Krämpfen gewunden. Ich habe gehandelt. Öffentlich. Ohne Nachsicht mit mir selbst und ohne um Nachsicht zu betteln. Die Welt verachtete mich? Sie hatte allen Grund dazu. Ich hatte es verdient. Die Welt sagte: „Eine neue Laune der Dirne“? Und sie nannte meine Hinwendung zu Jesus eine Gotteslästerung? Sie hatte recht. Mein früheres Benehmen war der Welt bekannt und rechtfertigte jeden derartigen Gedanken. Nun, und was dann? Die Welt musste sich überzeugen, dass Maria nicht mehr die Sünderin ist. Ich habe die Welt überzeugt durch Tatsachen. Mach du es ebenso und schweig!»

«Du bist aber streng, Maria», bemerkt Johannes.

«Mehr zu mir selbst als zu den anderen. Aber ich gebe zu, ich habe nicht die sanfte Hand der Mutter. Sie ist die Liebe. Ich... Oh, ich! Ich habe meine Sinne mit der Peitsche meines Willens bezwungen. Und ich werde es noch mehr tun. Glaubst du, ich hätte mir verziehen, dass ich die Unzucht gewesen bin? Nein! Aber ich sage es nur mir selbst. Immer werde ich es mir vorhalten. Ich werde mich verzehren und sterben mit diesem geheimen Schmerz, dass ich mich selbst weggeworfen habe, mit diesem untröstlichen Schmerz, dass ich mich entweiht habe und ihm nichts als ein zertretenes Herz geben konnte... du siehst... ich habe mehr als die anderen an den Salben gearbeitet... und mit mehr Mut als die anderen werde ich hingehen und ihn auswickeln... Oh, mein Gott! Wie wird er nun aussehen? (Maria Magdalena wird blaß bei dem Gedanken.) Und ich werde ihn erneut mit Salben bedecken und die anderen entfernen, die sich auf den zahllosen Wunden sicher schon zersetzt haben... Ich werde es tun, denn die anderen werden nicht dazu imstande sein und die Flügel hängen lassen... Aber es schmerzt mich, es mit diesen meinen Händen tun zu müssen, die so viele unzüchtige Liebkosungen verteilt haben, und mich seiner Heiligkeit mit diesem meinem befleckten Körper nähern zu müssen... Ich wollte... ich wollte, ich hätte die Hand der Jungfrau-Mutter für diese letzte Salbung ...»

Maria weint nun ganz leise, ohne Erregung. Wie anders ist sie doch als die theatralische Magdalena, die man uns immer beschreibt! Es ist dasselbe lautlose Weinen wie am Tag der Verzeihung im Haus des Pharisäers.

«Du sagst, daß... die Frauen Angst haben werden?» fragt Petrus.

«Nicht Angst... aber sie werden verstört sein beim Anblick seines gewiss schon verwesenden... aufgeblähten... schwarzen Leichnams. Und außerdem werden sie sich sicher vor den Wachen fürchten.»

«Willst du, dass ich mitkomme? Ich und Johannes?»

«O nein, auf keinen Fall. Wir Frauen werden alle zusammen gehen. Denn so wie wir alle dort oben bei ihm gewesen sind, ebenso ist es nur recht, dass wir alle an seinem Totenbett sind. Du und Johannes, ihr müßt hierbleiben. Sie darf nicht allein sein.»

«Kommt sie denn nicht mit?»

«Wir lassen sie nicht mitkommen.»

«Sie ist überzeugt, dass er aufersteht... und du?»

«Ich bin nach Maria die, die am meisten daran glaubt. Ich habe immer geglaubt, dass es so sein würde. Er hat es gesagt. Und er lügt nie... Er...! Oh, früher nannte ich ihn Jesus, Meister, Erlöser, Herr... Nun erscheint er mir so groß, dass ich nicht mehr fähig bin, dass ich es nicht mehr wage, ihm einen Namen zu geben. Was werde ich zu ihm sagen, wenn ich ihn sehe ...?»

«Glaubst du wirklich, dass er auferstehen wird?»

«Schon wieder einer! Wenn ich noch oft sagen muss, dass ich es glaube, und euch immer wieder sagen höre, dass ihr es nicht glaubt, werde ich am Ende selbst nicht mehr glauben. Ich habe geglaubt, und ich glaube. Ich habe geglaubt und habe schon lange sein Gewand vorbereitet. Und morgen, denn morgen ist der dritte Tag, werde ich es bringen.»

«Aber wenn du doch sagst, dass er schwarz, aufgebläht und häßlich sein wird?»

«Häßlich niemals. Die Sünde ist häßlich. Aber... nun ja. Er wird schwarz sein. Und? War Lazarus denn nicht schon verwest? Und er ist trotzdem auferstanden! Und sein Fleisch war erneuert. Aber wenn ich es doch sage...! Schweigt, ihr Ungläubigen! Auch mir sagt die menschliche Vernunft: „Er ist tot und wird nicht auferstehen.“ Doch mein Geist, sein Geist – denn ich habe von ihm einen neuen Geist erhalten – jubelt wie der Klang silberner Posaunen: „Er steht auf! Er steht auf! Er steht auf!“ Warum treibt ihr mich wie ein Schifflein gegen das Riff eurer Zweifel? Ich glaube! Ich glaube, mein Herr! Lazarus hat dem Meister mit zerrissenem Herzen gehorcht und ist in Bethanien geblieben. Ich, die ich weiß, wer Lazarus des Theophilus ist: ein Starker, kein ängstlicher Hase, kann sein Opfer ermessen, im Schatten geblieben und nicht beim Meister gewesen zu sein. Aber er hat gehorcht. Er war in diesem Gehorsam heldenhafter, als wenn er ihn mit der Waffe den Bewaffneten entrissen hätte. Ich habe geglaubt und glaube. Und hier stehe ich. In Erwartung wie sie. Doch laßt mich gehen. Der Tag bricht an. Sobald man genügend sieht, gehen wir zum Grab...»

Und Magdalena entfernt sich mit ihrem von Tränen brennenden, aber immer Mut ausstrahlenden Gesicht. Sie geht zu Maria hinein.

«Was war mit Petrus?»

«Eine Nervenkrise. Doch nun ist es vorbei.»

«Sei nicht hart, Maria. Er leidet.»

«Ich auch. Aber siehst du, ich habe nicht einmal eine Liebkosung von dir verlangt. Ihn hast du schon getröstet... und ich meine, dass du allein, meine Mutter, Trost nötig hättest. Meine Mutter, meine heilige, geliebte Mutter! Habe Mut... Morgen ist der dritte Tag. Wir werden uns hier einschließen, wir, seine beiden in ihn Verliebten. Du, die heilige Verliebte, ich, die arme Verliebte... Aber ich bin es, so gut ich es eben kann, mit meinem ganzen Sein... Und wir werden auf ihn warten... Sie, die nicht glauben, werden wir dort einschließen mit ihren Zweifeln. Und hier will ich viele, viele Rosen aufstellen... Heute lasse ich die Truhe bringen ... ... Jetzt gleich gehe ich in den Palast und gebe Levi den Auftrag. Fort mit allen diesen furchtbaren Dingen! Unser Auferstandener darf sie nicht sehen... Viele Rosen... Und du wirst ein neues Kleid anlegen... Er darf dich nicht so sehen. Ich werde dich kämmen und dein armes Antlitz, dass die Tränen entstellt haben, waschen. Ewiges Mädchen, ich werde deine Mutter sein... So werde ich endlich die Seligkeit verkosten, mütterliche Sorge zu tragen für ein Geschöpf, dass unschuldiger ist als ein neugeborenes Kind! Liebste!» Und in ihrem Gefühlsüberschwang zieht Magdalena das Haupt der sitzenden Maria an ihre Brust, küßt sie, liebkost sie, streicht ihr die in Unordnung geratenen weichen Locken ihres Haares hinter die Ohren und trocknet die erneut und immer, immer fließenden Tränen mit dem Linnen ihres Gewandes...

Nun kommen die Frauen herein mit Lampen, Krügen und weithalsigen Gefäßen. Maria des Alphäus trägt einen schweren Mörser.

«Wir können draußen nicht weitermachen. Es weht ein leichter Wind, der die Lampen auslöscht», erklärt sie.

Sie stellen sich auf einer Seite an einen langen, schmalen Tisch, legen dort ihre Sachen nieder und stellen den Balsam fertig, indem sie die schon dicke, duftende Salbe im Mörser mit einem weißen Pulver vermischen, von dem sie ab und zu eine Handvoll aus einem Säckchen nehmen. Sie mischen und arbeiten mit aller Kraft, füllen dann ein weithalsiges Gefäß und stellen es auf den Boden. Mit einem anderen Gefäß machen sie es ebenso. Düfte und Tränen tränken die Harze.

Maria Magdalena sagt: «Dies war nicht die Salbung, die ich hoffte, für dich vorbereiten zu dürfen.» Maria Magdalena, die Erfahrenste von allen, hat in der Tat immer die Zusammenstellung der Aromen angeordnet und überwacht, die so stark sind, dass sie die Tür und das Fenster zum Garten etwas öffnen müssen.

Alle weinen noch mehr nach dieser leisen Bemerkung Magdalenas.

Nun sind sie fertig. Alle Gefäße sind gefüllt.

Sie gehen mit den leeren Krügen, dem nun nutzlosen Mörser und vielen Lampen hinaus. Es bleiben nur zwei zuckende Lichter im Zimmer zurück, und auch sie scheinen zu schluchzen mit ihrem flackernden Schein...

Die Frauen kommen wieder herein und schließen das Fenster, denn der Morgen ist kühl. Sie legen die Mäntel an und nehmen große Taschen, in denen sie die Gefäße mit dem Balsam unterbringen.

Maria erhebt sich und sucht ihren Mantel. Doch alle umringen sie und wollen sie überzeugen, nicht mitzugehen.

«Du hältst dich kaum aufrecht, Maria. Seit zwei Tagen hast du nichts zu dir genommen, nur etwas Wasser.»

«Ja, Mutter. Wir werden es rasch und gut machen und bald zurück sein.»

«Hab keine Angst. Wir werden ihn wie einen König einbalsamieren. Du siehst, was für eine kostbare Salbe wir bereitet haben! Und so viel...!»

«Wir werden kein Glied und keine Wunde vergessen und alles richtig machen. Wir sind stark, und wir sind Mütter. Wir werden ihn wie ein Kind in die Wiege legen. Die anderen müssen dann nur noch das Grab verschließen.»

Aber Maria besteht darauf: «Es ist meine Pflicht», sagt sie. «Ich habe immer für ihn gesorgt. Nur in diesen drei Jahren, da er der Welt gehört hat, habe ich anderen die Sorge um ihn überlassen, wenn er fern von mir war. Nun, da die Welt ihn abgewiesen und verleugnet hat, gehört er wieder mir. Und ich bin wieder seine Magd.»

Petrus, der sich mit Johannes der Tür genähert hat, ohne dass die Frauen es bemerkt haben, flieht, als er diese Worte hört. Er flieht in einen verborgenen Winkel, um über seine Sünde zu weinen. Johannes bleibt an der Schwelle, sagt aber nichts. Auch er würde gerne mitgehen, doch er bringt das Opfer, bei der Mutter zu bleiben.

Magdalena führt Maria zu ihrem Sessel zurück. Sie kniet vor ihr nieder, umfängt Marias Knie, erhebt das schmerzerfüllte und liebevolle Gesicht zu ihr und verspricht: «Sein Geist weiß und sieht alles. Aber ich werde seinem Leib durch Küsse deine Liebe und deine Sehnsucht bezeigen. Ich weiß, was Liebe ist. Ich weiß, was für ein Stachel, was für ein Hunger das Lieben ist. Wie man danach verlangt, bei dem zu sein, der unsere Liebe ist. Sogar bei der schändlichen Liebe, die Gold zu sein scheint und Schmutz ist, ist es so. Wenn daher die Sünderin die heilige Liebe zur lebendigen Barmherzigkeit

kennt, die die Menschen nicht zu lieben verstanden haben, dann versteht sie noch besser, was deine Liebe ist, Mutter. Du weißt, dass ich zu lieben verstehe. Und du weißt, dass er an jenem Abend meiner wahren Geburt dort am Ufer unseres ruhigen Sees gesagt hat, dass Maria zu lieben versteht. Nun ist diese meine überschwengliche Liebe wie das Wasser eines überfließenden Beckens, wie ein über eine Mauer quellender blühender Rosenstrauch, wie Feuer, dass Nahrung gefunden hat und immer stärker und größer wird, ganz auf ihn gerichtet und findet in ihm, der Liebe, immer neue Kraft... Oh, dass die Macht meiner Liebe nicht fähig gewesen ist, ihn am Kreuz zu ersetzen...! Aber was ich für ihn nicht tun konnte – leiden, verbluten, an seiner Stelle sterben unter dem Spott der ganzen Welt, glücklich, glücklich, glücklich, für ihn zu leiden; und ich bin sicher, dass der Docht meines armen Lebens sich mehr in der triumphierenden Liebe als durch die schändliche Hinrichtung verzehrt hätte, und dass aus der Asche die neue, reine Blume des neuen, reinen Lebens, des jungfräulichen Lebens erstanden wäre, dass nichts kennt als Gott – all dies, was ich für ihn nicht tun konnte, dass kann ich immer noch für dich tun... Mutter, die ich aus ganzem Herzen liebe. Vertraue mir! Mir, die ich im Haus des Pharisäers Simon seine heiligen Füße so zart zu liebkosen wußte; ich werde nun mit meiner Seele, die sich immer mehr der Gnade öffnet, noch liebevoller seine heiligen Glieder liebkosen und seine Wunden pflegen, und mehr mit meiner Liebe als mit den Salben werde ich sie einbalsamieren, mit dem Balsam, der aus meinem Herzen, aus der Liebe und dem Schmerz kommt. Und der Tod wird diesem Fleisch, dass so viel Liebe geschenkt hat und so viel Liebe empfängt, nichts anhaben können. Der Tod wird fliehen, denn die Liebe ist stärker als der Tod. Unbesiegbar ist die Liebe. Und ich, Mutter, werde meinen König der Liebe mit deiner vollkommenen und meiner grenzenlosen Liebe einbalsamieren.»

Maria küßt diese leidenschaftliche Frau, die endlich gefunden hat, was solcher Leidenschaft wert ist, und gibt ihren Bitten nach.

Die Frauen gehen hinaus mit einer Lampe. Im Zimmer bleibt nur noch eine. Als letzte geht Magdalena, nachdem sie der Mutter noch einen Kuß gegeben hat.

Im Haus wird es dunkel und still. Die Straße ist noch finster und menschenleer.

Johannes fragt: «Wollt ihr mich wirklich nicht mitnehmen?»

«Nein, du könntest hier nützlich sein. Leb wohl.»

Johannes geht zu Maria zurück. «Sie haben mich nicht gewollt ...» sagt er leise.

«Sei nicht gekränkt. Sie sind bei Jesus. Du bist bei mir. Johannes, beten wir ein wenig zusammen. Wo ist Petrus?»

«Ich weiß nicht. Irgendwo im Haus. Aber ich sehe ihn nicht. Und... Ich hätte ihn für stärker gehalten... Auch ich leide, doch er ...»

«Er hat zwei Schmerzen. Du nur einen. Komm! Wir wollen auch für ihn beten.»

Und Maria betet langsam das «Vaterunser». Dann liebkost sie Johannes: «Geh zu Petrus. Laß ihn nicht allein. Er war in diesen Stunden in einer so tiefen Finsternis, dass er nun nicht einmal das geringe Licht der Welt erträgt. Sei der Apostel deines verirrten Bruders. Beginne bei ihm mit der Verkündigung. Auf deinem Lebensweg, der sehr lang sein wird, wirst du immer seinesgleichen finden. Beginne deine Arbeit bei deinem Gefährten...»

«Aber was soll ich ihm sagen ...? Ich weiß nicht... alles bringt ihn zum Weinen.»

«Wiederhole ihm sein Gebot der Liebe. Sage ihm, daß, wer sich fürchtet, Gott noch nicht genügend kennt, denn Gott ist die Liebe. Und wenn er sagt: „Ich habe gesündigt“, dann antworte ihm, dass Gott die Sünder so sehr geliebt hat, dass er ihretwegen seinen eingeborenen Sohn gesandt hat. Sage ihm, dass man auf so viel Liebe mit Liebe antworten muss. Und die Liebe schenkt Vertrauen in den gütigsten Herrn. Dieses Vertrauen läßt uns sein Gericht nicht fürchten, denn durch das Vertrauen anerkennen wir die göttliche Weisheit und Güte und sagen: „Ich bin ein armes Geschöpf. Aber er weiß es. Und er gibt mir Christus als Unterpfand der Vergebung und als Stütze und Stab. Meine Armseligkeit wird besiegt durch meine Vereinigung mit Christus.“ Im Namen Jesu wird alles vergeben... Geh, Johannes. Sage ihm dies. Ich bleibe hier, mit meinem Jesus...» Und sie liebkost das Schweißtuch.

Johannes geht hinaus und schließt die Tür hinter sich.

Maria kniet nieder wie am Abend zuvor, von Angesicht zu Angesicht mit dem Schleier der Veronika. Sie betet und redet mit ihrem Sohn. Sie, die stark ist, um anderen Kraft zu vermitteln, beugt sich nun, da sie allein ist, unter ihrem schweren Kreuz. Doch von Zeit zu Zeit, wie eine Flamme, deren Docht sich wieder aufrichtet, erhebt sich ihre Seele in einer Hoffnung, die nicht sterben kann in ihr, die vielmehr stärker wird im Verlauf der Stunden. Und sie sagt auch dem Vater ihre Hoffnung und ihre Bitte.

DER OSTERMORGEN; KLAGE; GEBET MARIAS

Den ganzen Tag habe ich den gekreuzigten Jesus und Maria und Johannes unter dem Kreuz vor Augen.

Heute morgen, als ich die heilige Kommunion empfing, glaubte ich, vor einem lebenden Altar zu sein, denn sie waren da und schauten mich an mit ihren Blicken voll übernatürlicher Liebe. Eine so empfangene Kommunion ist unbeschreiblich.

Gegen Abend habe ich in mir diesen Satz gehört: «Dies war nicht die Salbung, die ich hoffte, für dich vorbereiten zu dürfen.» Es war eine Frauenstimme, eine volle, warme, leidenschaftliche Stimme. Nicht die sanfte, jugendliche, reine Stimme Marias, dieser jungfräuliche, helle Sopran.

Ich verstehe, dass es ein neues Wesen ist, dass spricht, aber ich kann ihm keinen Namen und kein Gesicht geben, solange ich nicht die Vision habe.

Ich sehe wieder den Raum in dem gastfreundlichen Haus, wo Maria weint. Sie ist noch dort, auf ihrem Stuhl, bedrückt, erschöpft und gezeichnet von den vielen Tränen.

Auch die Frauen sind da. Im Schein der Öllampen bereiten sie die Salben vor, nehmen sie aus verschiedenen Amphoren, mischen sie in einem Mörser und füllen sie dann in weithalsige Gefäße, in die man leicht hineinfassen und den Balsam herausholen kann.

Die Frauen arbeiten weinend, und Maria Magdalena, deren Gesicht von Tränen gezeichnet ist wie von einer Verbrennung, sagt diese Worte, die die anderen Frauen noch stärker weinen machen.

Dann, als sie mit den Vorbereitungen fertig sind, hüllen sie sich in ihre Schals oder Mäntel. Auch Maria steht auf. Doch die Frauen umringen sie und wollen sie überzeugen, nicht mitzugehen. Es wäre zu grausam, wenn sie den Sohn wiedersehen würde, der nun am dritten Tag nach seinem Tod und bei den vielen Quetschungen und Wunden gewiss schon ganz schwarz und verwest ist. Und außerdem hätte sie nicht die Kraft zu gehen. Sie hat ja nur geweint und gebetet; nie gegessen oder geschlafen. Sie soll beruhigt sein und ihnen vertrauen. Sie werden mit ihrer Liebe als Jüngerinnen auch die Mutter vertreten und dem heiligen Körper alle Sorge angedeihen lassen, die erforderlich ist für eine endgültige Beisetzung im Grab.

Maria gibt nach. Magdalena, die zu ihren Füßen kniet und dabei in ihrer üblichen Haltung auf den Fersen sitzt, umarmt ihre Knie und schaut mit dem von Tränen geröteten Antlitz zu ihr empor. Sie verspricht, dass sie Jesus von der ganzen Liebe seiner Mutter berichten wird, während sie ihn nochmals einbalsamiert. Sie wisse ja, was Lieben heißt. Sie habe die niedrige, sinnliche Liebe vertauscht mit der heiligen Liebe zur lebendigen Barmherzigkeit, die die Menschen getötet haben, und sie verstehe zu lieben. Jesus habe ihr gesagt – schon an dem Abend, der zum Morgen ihres neuen Lebens geworden ist – dass sie eine große Liebe hat. Die Mutter solle sich nur auf sie verlassen. Sie, die Erlöste, die damals schon die Füße so sanft liebkost habe, werde nun auch die Wunden liebkosen und sie mehr mit ihrer Liebe als mit der Salbe einbalsamieren, damit der Tod dieses Fleisch nicht verderben könne, dass soviel Liebe geschenkt hat und empfängt.

Die Stimme Magdalenas ist voller Leidenschaft. Sie läßt mich an eine in Samt gewickelte Orgel denken, so sehr gleicht sie dem Klang einer Orgel, den Wärme und Leidenschaftlichkeit etwas weicher machen. Sie verrät eine Seele, die in Liebe entbrannt ist. Die gebrannt hat, die brennen und lieben musste, und die nun, da Jesus sie erlöst hat, in Liebe zur göttlichen

Liebe entbrannt ist. Ich werde diese Frauenstimme, die ein Bekenntnis des Seelenlebens dieser Frau ist, nicht vergessen. Ich werde sie nie mehr vergessen.

Die Frauen gehen mit ihrer Lampe hinaus. Das Haus ist nun ganz dunkel, und auch der Weg ist dunkel. Kaum die ersten Anzeichen eines Morgengrauens dort im Osten. Das kalte, reine Licht eines Aprilmorgens. Der Weg ist still und verlassen. Die Frauen, alle in ihre Mäntel gehüllt, gehen schweigend zum Grab Jesu.

Ich gehe nicht mit ihnen. Ich kehre zu Maria zurück, Jesus schickt mich zu ihr zurück.

Nun, da sie allein ist, hat sie wieder zu beten begonnen. Sie kniet vor dem Schweißtuch der Veronika, dass von einem Regal herabhängt und von dem Leichentuch und den Nägeln gehalten wird. Sie betet und spricht mit ihrem Sohn. Es ist immer noch derselbe Kummer, zusammen mit einer Hoffnung, die sie angstvoll und unruhig sein läßt.

«Jesus, Jesus! Kommst du noch nicht zurück? Deine arme Mutter erträgt es nicht mehr länger, dich dort tot zu wissen. Du hast es gesagt, und niemand hat dich verstanden. Aber ich habe dich verstanden! „Reißt den Tempel Gottes nieder, und ich werde ihn in drei Tagen wieder aufrichten.“ Nun hat der dritte Tag begonnen. Oh, mein Jesus! Warte nicht, bis er vollendet ist, um zum Leben zurückzukehren, zu deiner Mama, die dich lebendig sehen muss, um nicht zu sterben bei der Erinnerung an deinen Tod, die dich schön, gesund, siegreich sehen muss, um nicht zu sterben bei der Erinnerung an den Zustand, in dem sie dich verlassen hat!

Oh Vater! Vater! Gib mir meinen Sohn zurück, damit ich ihn wieder als Mensch und nicht als Leichnam, als König und nicht als Verurteilten sehe. Danach, ich weiß es, wird er zu dir in den Himmel zurückkehren. Doch ich werde ihn heil gesehen haben nach so vielen Übeln, ich werde ihn stark gesehen haben nach so großer Schwäche, ich werde ihn siegreich gesehen haben nach so viel Kampf. Ich werde ihn als Gott gesehen haben nach so viel für die Menschheit erlittenem Menschsein. Und ich werde glücklich sein, auch wenn ich seine Nähe verliere. Ich werde ihn bei dir wissen, heiliger Vater. Ich werde ihn für immer frei von Schmerz wissen. Jetzt hingegen kann ich nicht, ich kann nicht vergessen, dass er in einem Grab liegt; dass er dort liegt, getötet von den vielen Schmerzen, die man ihm zugefügt hat; dass er, mein Sohn und Gott, dass Schicksal der Menschen im Dunkel eines Grabes erleidet, er, dein Lebendiger.

Vater, Vater, erhöre deine Dienerin. Um meines „Ja“ willen... Ich habe dich nie um etwas gebeten um meines Gehorsams willen. Dein Wille war mein Wille. Ich habe nichts verlangt für das Opfer meines Willens. Nun aber, nun, heiliger Vater, erhöre mich um des „Ja“ willen, dass ich dem von dir gesandten Engel geantwortet habe.

Er fühlt nun keinen Schmerz mehr, denn mit seinem drei Stunden währenden Todeskampf nach den Martern des Vormittages hat er alles vollbracht. Ich aber ringe seit drei Tagen mit dem Tod. Du siehst mein Herz und fühlst, wie es schlägt. Unser Jesus hat gesagt, dass kein Vogel eine Feder verliert, die du nicht siehst, und dass keine Blume auf dem Feld verwelkt, die du nicht in ihrem Todeskampf mit deiner Sonne und deinem Tau tröstest. Oh, Vater, ich sterbe an diesem Schmerz! Tue an mir wie an dem Sperling, dem du eine neue Feder schenkst, und wie an der Blume, die du erwärmst und tränkst in deiner Barmherzigkeit. Ich sterbe, der Schmerz bringt mich um. Ich habe kein Blut mehr in den Adern. Einst ist es ganz zu Milch geworden, um deinen und meinen Sohn zu nähren; nun ist es ganz zu Tränen geworden, da ich keinen Sohn mehr habe. Sie haben ihn mir getötet, getötet, Vater, und du weißt, auf welche Art und Weise!

Ich habe kein Blut mehr! Ich habe es zusammen mit ihm in der Nacht des Donnerstags und an dem verhängnisvollen Freitag vergossen. Ich friere wie eine Ausgeblutete. Ich habe keine Sonne mehr, denn er ist tot; er, meine heilige Sonne, meine gesegnete Sonne, die aus meinem Schoß zur Freude seiner Mutter und zum Heil der Welt geborene Sonne. Ich finde keine Erquickung mehr, denn ich habe ihn nicht mehr, die süßeste Quelle seiner Mutter, die sein Wort trank und an seiner Gegenwart ihren Durst stillte. Ich bin wie eine Blume im ausgetrockneten Sand. Ich sterbe, ich sterbe, heiliger Vater. Und ich fürchte mich nicht zu sterben, denn auch er ist tot. Aber was wird aus diesen Kleinen werden, aus dieser kleinen Herde meines Sohnes, die so schwach, so ängstlich, so wankelmütig ist, wenn niemand sie stützt? Ich bin nichts, Vater. Aber für die Wünsche meines Sohnes bin ich wie ein bewaffnetes Kriegsheer. Und ich verteidige, ich werde seine Lehre und sein Erbe verteidigen, wie eine Wölfin ihre Jungen verteidigt. Ich, dass Lamm, werde zur Wölfin werden, um zu verteidigen, was meines Sohnes und somit auch dein ist.

Du hast es gesehen, Vater. Vor einer Woche hat diese Stadt ihre Ölbäume ihrer Zweige beraubt, ihre Häuser geleert, ihre Gärten geplündert und sich heiser geschrien: „Hosanna dem Sohne Davids. Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn.“ Und während er über den Teppich der Zweige, der Gewänder, der Stoffe und der Blumen ritt, zeigten ihn die Bürger einander und sagten: „Es ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa. Er ist der König von Israel.“ Und als die Zweige noch nicht verwelkt und die Stimmen noch rauh waren von den vielen Hosannarufen, wandelten sich ihre Rufe in Beschuldigungen, Flüche und die Forderung nach seinem Tod; und die zu seinem Triumph gebrochenen Zweige wurden zu Ruten, die dein Lamm schlugen, dass sie zum Tod führten.

Wenn sie das alles getan haben, als er noch unter ihnen weilte, als er noch zu ihnen sprach und ihnen zulächelte, sie ansah mit seinen Augen, die das Herz weich werden und selbst die Steine erzittern ließen, als er ihnen noch Wohltaten erwies und sie belehrte, was werden sie erst tun, wenn er zu dir zurückgekehrt ist?

Du hast ja seine Jünger gesehen. Einer hat ihn verraten, die anderen sind geflohen. Es genügte, dass er geschlagen wurde, und sie flohen wie ängstliche Schafe und brachten es nicht fertig, bei seinem Sterben in seiner Nähe zu sein. Nur einer, der Jüngste, ist geblieben. Nun kommt der Älteste. Schon einmal hat er ihn verleugnet. Und wenn Jesus nicht mehr hier ist und ihn anblickt, wird er dann seinem Glauben treu bleiben?

Ich bin ein Nichts, doch ein klein wenig von meinem Sohn ist auch in mir, und meine Liebe übertrifft meine Fehlerhaftigkeit und tilgt sie. So bin ich von Nutzen für die Sache deines Sohnes, für seine Kirche, die nie Frieden finden wird und tiefe Wurzeln schlagen muss, um nicht von den Stürmen entwurzelt zu werden. Ich werde jene sein, die für sie sorgt. Wie eine aufmerksame Gärtnerin werde ich darüber wachen, dass sie an ihrem Morgen stark und gerade wächst. Danach werde ich gerne sterben. Aber ich kann nicht leben, wenn ich noch lange ohne Jesus sein muss.

Oh, Vater, der du den Sohn zum Wohl der Menschen verlassen, ihn aber dann getröstet hast – denn gewiss hast du ihn nach seinem Tod in deinen Schoß aufgenommen – überlasse mich nicht länger meiner Verlassenheit. Ich ertrage sie und opfere sie auf zum Wohl der Menschen. Aber tröste mich jetzt, Vater. Vater, Erbarmen! Erbarmen, mein Sohn! Erbarmen, göttlicher Geist! Erinnere dich deiner Jungfrau!»

Am Boden liegend, scheint Maria nun mehr durch ihre Haltung als mit ihrem Herzen zu beten. Sie ist wirklich ein armes, zu Boden geschmettertes Geschöpf. Sie gleicht der verdurstenden Blume, von der sie gesprochen hat. Und sie bemerkt nicht einmal die Erschütterung eines kurzen, aber heftigen Erdbebens, dass den Hauswirt und seine Frau aufschreien und aus dem Haus laufen läßt, während Petrus und Johannes sich totenbleich an die Schwelle des Zimmers schleppen. Als sie jedoch Maria so in ihr Gebet vertieft, so selbstvergessen, so fern von allem, was nicht Gott ist, sehen, ziehen sie sich zurück, schließen die Tür und kehren verängstigt in den Abendmahlsaal zurück.

DIE AUFERSTEHUNG

Im Garten herrscht tiefe Stille, und alles glänzt von Tau. Der saphirblaue Himmel darüber wird immer heller, und das sternenfunkelnde Schwarzblau, dass die ganze Nacht über der Erde gewacht hat, verliert sich. Das Morgengrauen schiebt die Dunkelheit vor sich her, von Osten nach Westen, wie die Wellen bei der Flut beständig steigen und den dunklen Strand bedecken, wie das blaue Wasser des Meeres das Schwarzgrau des feuchten Sandes und der Klippen überflutet.

Das eine oder andere Sternlein möchte noch nicht erlöschen und blinkt immer schwächer in dieser Woge aus grünlichweißem, grau überhauchtem, milchigem Morgenlicht, ähnlich der Farbe der schläfrigen Zweige der Ölbäume, die den nahen Hügel krönen. Doch dann versinken sie in dieser Welle, wie Land vom Wasser überflutet wird. Nun fehlt schon eines... und noch eines, und noch eines. Der Himmel verliert seine Sternenherden, und nur dort, im äußersten Westen, bleiben noch drei, dann zwei, dann einer in Betrachtung des täglich neuen Wunders eines Sonnenaufganges.

Und nun, da sich ein Rosastreifen auf der türkisfarbenen Seide des orientalischen Himmels zeigt, säuselt ein Windhauch über die Wipfel und Gräser und flüstert: «Erwacht. Der Tag ist auferstanden.» Aber er weckt nur die Wipfel und die Gräser, die unter den Diamanten des Taus schaudern und leise rauschen, begleitet von den Harfentönen fallender Tropfen.

Die Vöglein rühren sich noch nicht, weder in den dichten Zweigen der riesigen Zypresse, die wie ein Gebieter ihr Reich zu beherrschen scheint, noch in der dichten, verschlungenen Lorbeerhecke, die den Ostwind abhält.

Die gelangweilten, fröstelnden und verschlafenen Wachen stehen in den verschiedensten Haltungen vor dem Grab, dessen steinerne Tür an den Rändern mit einer dicken Schicht Kalk, ähnlich Strebepfeilern, verstärkt worden ist. Auf ihrem matten Weiß leuchten große Rosetten aus rotem Wachs und andere, die man direkt in den frischen Kalk gedrückt hat – die Siegel des Tempels.

Die Wachen müssen in der Nacht ein Feuerchen angezündet haben, denn am Boden liegen Asche und verkohlte Holzscheite, und sie müssen auch ein Spiel gemacht und gegessen haben, denn da und dort liegen Speisereste und kleine polierte Knochen, die man sicher zu irgendeinem Spiel benützt – wie unser Domino oder die Glaskugeln der Kinder -und mit denen sie auf einem einfachen, auf den Boden gezeichneten Brett gespielt haben. Irgendwann hatten sie genug, haben alles liegengelassen und sich eine mehr oder weniger bequeme Lage gesucht, um zu schlafen oder zu wachen.

Die Röte im Osten breitet sich immer mehr am heiteren Himmel aus, an dem aber noch kein Sonnenstrahl zu sehen ist. Da taucht plötzlich aus unbekannten Tiefen ein strahlender Meteor auf, ein Feuerball von unerträglicher Helligkeit mit einem funkelnden Schweif, der aber vielleicht nur die Erinnerung an seinen Glanz auf unserer Netzhaut ist. Er saust auf die Erde herab und strahlt ein so mächtiges, zauberhaftes und zugleich in seiner Schönheit beängstigendes Licht aus, dass das rosige Licht des Morgens in dieser weißen Glut verblaßt.

Die Wächter erheben erstaunt ihre Köpfe, auch weil die Helligkeit von einem mächtigen, harmonischen, feierlichen Klang begleitet wird, der die ganze Schöpfung erfüllt. Er kommt aus paradiesischen Tiefen und ist das Halleluja, dass Gloria der Engel, dass dem Geist Christi folgt, der in seinen verherrlichten Leib zurückkehrt.

Der Meteor prallt gegen den nutzlosen Verschluß des Grabes, bricht ihn auf, wirft ihn zu Boden und schleudert mit seinem Dröhnen auch die entsetzten Wächter, die man als Gefangenenwärter des Herrn des Weltalls aufgestellt hat, zu Boden. Und die Erde bebt bei seiner Rückkehr wie damals, als der Geist des Herrn sie verlassen hat. Er dringt in das dunkle Grab, dass ganz hell wird von seinem unbeschreiblichen Licht; und während das Licht in der reglosen Luft schwebt, senkt sich der Geist in den unbeweglichen Körper unter den Totenbinden.

All das geschieht nicht in einer Minute, sondern in Sekundenschnelle das Erscheinen, dass Herabsteigen, dass Eindringen und das Verschwinden des Lichtes Gottes...

Das «Ich will!» des göttlichen Geistes zu seinem erkalteten Fleisch erfolgt lautlos. Es wird von der Wesenheit zur unbeweglichen Materie gesprochen, aber das menschliche Ohr hört kein Wort.

Das Fleisch erhält den Befehl und gehorcht mit einem tiefen Atemzug...

Nichts anderes für einige Minuten.

Unter dem Schweißtuch und dem Leichentuch ersteht das glorreiche Fleisch in ewiger Schönheit, erwacht aus dem Todesschlaf, kehrt aus dem «Nichts» zurück, in dem es war, und lebt, nachdem es tot gewesen ist. gewiss erwacht das Herz, treibt mit seinem ersten Schlag das noch übrige, eisige Blut durch die Adern und erschafft in einem Augenblick das volle Maß in den leeren Blutgefäßen, der reglosen Lunge, dem verdunkelten Gehirn und läßt Wärme, Gesundheit, Kraft und Gedanken wiederkehren.

Wieder ein Augenblick, und dann eine plötzliche Bewegung unter dem schweren Leichentuch. Eine so plötzliche Bewegung, dass dem Auge keine Zeit bleibt, die verschiedenen Phasen zu verfolgen zwischen dem Moment, in dem er gewiss seine gekreuzten Hände bewegt, und dem Moment, in dem er dasteht – eindrucksvoll, strahlend in seinem Gewand aus unirdischem Gewebe, in übernatürlicher Schönheit und Majestät, mit einer Würde, die ihn verändert und erhöht, obwohl er doch er selbst bleibt.

Und nun betrachtet ihn das Auge voll Bewunderung-. Er ist so ganz anders als in der Erinnerung. Wieder schön, ohne Wunden und Blut, nur noch strahlend im Licht, dass in Strömen aus den fünf Wunden bricht und aus allen Poren seiner Haut dringt.

Als er den ersten Schritt tut – und bei dieser Bewegung umgeben ihn die aus Händen und Füßen dringenden Strahlen mit einer Aureole von Glanz: vom Haupt, dass gekrönt ist vom Glorienschein der unzähligen kleinen Wunden der Dornenkrone, die nun nicht mehr bluten, sondern leuchten, bis zum Saum seines Gewandes, als er die über der Brust gekreuzten Arme öffnet und damit die Stelle auf der Höhe des Herzens sichtbar wird, an der eine helle Sonne durch das Gewand strahlt – da ist er wirklich das verkörperte Licht. Nicht das arme Licht der Erde, nicht das arme Licht der Sterne, nicht das arme Licht der Sonne, sondern das Licht Gottes. Der ganze Glanz des Himmels, der sich in einem einzigen Wesen vereint und ihm sein unvorstellbares Blau als Pupillen, sein feuriges Gold als Haar, seine engelgleiche Weiße als Gewand und Hautfarbe verleiht. Und all das, was mit menschlichen Worten nicht zu beschreiben ist – die überwältigende Glut der Allerheiligsten Dreifaltigkeit, neben deren feuriger Gewalt jegliches Feuer des Paradieses verblaßt, die jegliches Feuer in sich aufnimmt und es in jedem Augenblick der ewigen Zeit neu hervorbringt; das Herz des Himmels, dass sein Blut anzieht und verströmt, die unzähligen Tropfen seines nicht körperlichen Blutes: die Seligen, die Engel, alles das, was das Paradies ist: die Liebe Gottes, die Liebe zu Gott, dass alles ist das Licht, dass den auferstandenen Christus bildet, dass Licht, dass er ist.

Als er sich dem Ausgang nähert, sehe ich außer seinem Glanz zwei wunderschöne strahlende Gestalten, die jedoch wie Sterne sind im Vergleich zur Sonne. Sie haben sich links und rechts der Graböffnung niedergeworfen, um ihren Gott anzubeten, der in seinen Glanz gehüllt und mit beseligendem Lächeln herauskommt, die Grabhöhle verläßt und seinen Fuß wieder auf die Erde setzt, die freudig erwacht und glänzt und gleißt in ihrem Tau, in den Farben der Gräser und der Rosensträucher, in den unzähligen Blüten der Apfelbäume, die sich durch ein Wunder unter dem ersten Kuß der Sonne öffnen, und in der ewigen Sonne, die unter ihnen dahinschreitet.

Die Wachen sind immer noch an ihren Plätzen, betäubt... Die verdorbenen Sinne des Menschen sehen Gott nicht, während die reinen Kräfte des Universums, die Blumen, die Kräuter und die Vöglein den Mächtigen, der vorübergeht im Glorienschein seines eigenen Lichtes und im Glanz des Sonnenlichtes, bewundern und verehren.

Sein Lächeln, sein Blick, der sich auf die Blüten und die Zweige richtet und sich zum heiteren Himmel erhebt, verschönt alles. Weicher und von seidigerem Rosa erscheinen die Millionen Blütenblätter, die gleich blühendem Schaum über dem Haupt des Siegers schweben, und lebhafter blitzen die Diamanten der Tautropfen. Und blauer leuchtet der Himmel, der seine glänzenden Augen widerspiegelt, und festlicher strahlt die Sonne und bemalt in ihrer Freude ein Wölkchen, dass daherschwebt im leichten Wind, der gekommen ist, um seinen König mit in den Gärten geraubten Düften zu küssen und mit seidenen Blütenblättern zu liebkosen.

Jesus hebt die Hand und segnet. Und während die Vöglein lauter singen und der Wind stärker duftet, entschwindet er meinen Blicken und läßt eine Freude in mir zurück, die auch die leiseste Erinnerung an Traurigkeit und Leiden und alle Sorgen um die Zukunft auslöscht...

JESUS ERSCHEINT DER MUTTER

Maria hat sich auf ihr Antlitz geworfen, ein armes, gebrochenes Geschöpf. Sie gleicht der verdursteten Blume, von der sie gesprochen hat.

Das geschlossene Fenster öffnet sich, die schweren Läden schlagen heftig gegen die Wand, und mit dem ersten Sonnenstrahl kommt Jesus herein.

Maria, die sich bei dem Geräusch aufrafft und den Kopf erhebt, um zu sehen, was für ein Wind die Fensterläden aufgerissen hat, erblickt ihren strahlenden Sohn: schön, unendlich viel schöner noch als vor seinem Leiden, lächelnd, lebendig, leuchtender als die Sonne, der in seinem weißen Gewand, dass gewebtem Licht gleicht, auf sie zukommt.

Sie richtet sich auf den Knien auf, kreuzt die Hände über der Brust und sagt mit einem Aufschluchzen, dass zugleich lacht und weint: «Mein Herr und mein Gott.» Und so bleibt sie, betrachtet ihn hingerissen und mit tränenüberströmtem Gesicht, dessen Ruhe und Frieden jedoch durch das Lächeln Jesu und die Ekstase wiedergekehrt sind.

Aber er will seine Mutter nicht wie eine Magd vor sich knien sehen. Er ruft sie und streckt ihr die Hände entgegen, aus deren Wunden Strahlen brechen, die das glorreiche Fleisch noch leuchtender machen: «Mama!»

Es ist nicht das traurige Wort der Gespräche und der Abschiede vor der Passion; es ist nicht die herzzerreißende Klage der Begegnung auf dem Kalvarienberg und des Todeskampfes; es ist ein festlicher Ausruf des Triumphs, der Freude, der Befreiung, der Liebe und der Dankbarkeit.

Jesus neigt sich über die Mutter, die nicht wagt, ihn zu berühren, legt seine Hände unter ihre Ellbogen, hilft ihr aufstehen, drückt sie an sein Herz und küßt sie.

Oh, nun begreift Maria, dass es keine Vision ist, sondern der wahrhaft auferstandene Sohn; dass es ihr Jesus ist, ihr Sohn, der sie immer noch als Sohn liebt. Und mit einem Freudenschrei wirft sie sich an seinen Hals, umarmt und küßt ihn und weint und lacht. Sie küßt seine Stirn, die nun nicht mehr verwundet ist, sein Haupt, dass nicht mehr ungekämmt und blutig ist, seine leuchtenden Augen, seine geheilten Wangen und seinen nicht mehr geschwollenen Mund. Dann ergreift sie seine Hände und küßt ihren Rücken und ihre Handflächen, die strahlenden Wunden, und gleich darauf beugt sie sich nieder zu seinen Füßen und schiebt das leuchtende Gewand zurück, um auch sie zu küssen. Schließlich steht sie wieder auf, sieht ihn an, hat nicht den Mut...

Doch er lächelt und versteht. Er öffnet das Gewand über der Brust ein wenig und sagt: «Und diese willst du nicht küssen, Mama? Diese, die dir so großen Schmerz bereitet hat und die zu küssen nur du allein würdig bist... Küsse mein Herz, Mama. Dein Kuß wird die letzte Erinnerung an alles, was Schmerz ist, verwischen und mir jene Freude schenken, die mir zu meiner Freude als Auferstandener noch fehlt.» Und er nimmt das Antlitz der Mutter in seine Hände und drückt ihre Lippen auf die Ränder der Seitenwunde, aus der Strahlen hellsten Lichtes dringen.

Das Antlitz Marias ist ganz eingetaucht in dieses Licht und von seinen Strahlen umflossen. Und sie küßt und küßt, während Jesus sie liebkost. Sie wird nicht müde zu küssen. Sie gleicht einer Verdurstenden, die den Mund an die Quelle gelegt hat und das Leben aus ihr trinkt, dass schon am Entfliehen war.

Nun spricht Jesus.

«Alles ist zu Ende, Mama. Nun brauchst du nicht mehr um deinen Sohn zu weinen. Die Prüfung ist bestanden. Die Erlösung ist vollbracht. Mutter, ich danke dir, dass du mich empfangen, aufgezogen und mir im Leben und im Sterben geholfen hast.

Ich habe deine Gebete gefühlt, die zu mir kamen. Sie waren meine Kraft im Schmerz, meine Begleiter auf den Wanderungen des irdischen Lebens und auf meiner Reise in das andere Leben. Sie haben mich am Kreuz und im Limbus erreicht. Sie waren der Weihrauch, der dem Pontifex auf seinem Weg voranschwebte, als er seine Diener rief, um sie in den unvergänglichen Tempel zu führen: in meinen Himmel. Sie haben mich ins Paradies begleitet, und gleich Engelsstimmen sind sie dem Zug der von ihrem Erlöser angeführten Erlösten vorangeeilt, damit die Engel bereit seien, den in sein Reich zurückkehrenden Sieger zu grüßen. Der Vater und der Heilige Geist haben sie gesehen und gelächelt wie über die schönste Blume und den süßesten Gesang des Paradieses. Die Patriarchen und die neuen Heiligen, die Neuen, die Ersten, die Bewohner meines Jerusalem haben sie gehört, und ich bringe dir ihren Dank, Mama, zusammen mit den Küssen der Verwandten und ihrem Segen und dem des Bräutigams deiner Seele, Joseph.

Der ganze Himmel singt dir, meine Mutter, heilige Mutter, sein Hosanna. Ein Hosanna, dass nie verstummt; das nicht lügt wie das erst vor wenigen Tagen mir gesungene.

Nun gehe ich in meinem menschlichen Kleid zum Vater. Das Paradies muss den Sieger in seinem Menschengewand sehen, in dem er die Sünde des Menschen besiegt hat. Doch dann werde ich wiederkommen. Ich muss jene im Glauben festigen, die noch nicht glauben und doch glauben müssen, damit sie andere zum Glauben führen können. Ich muss die Kleinmütigen stärken, die so viel Kraft brauchen werden, um der Welt zu widerstehen.

Dann werde ich zum Himmel auffahren. Aber ich werde dich nicht allein lassen. Mama, siehst du diesen Schleier? In meiner Ohnmacht hatte ich noch die Macht, ein Wunder für dich zu wirken, um dir diesen Trost zu schenken. Doch für dich wirke ich noch ein anderes Wunder. Du wirst mich im Sakrament besitzen, so wirklich wie damals, als du mich getragen hast. Du wirst nie allein sein. In diesen Tagen bist du es gewesen.

Aber zu der von mir gewirkten Erlösung war auch dein Schmerz notwendig. Vieles muss immerwährend der Erlösung hinzugefügt werden, denn es wird zu allen Zeiten viele neue Sünden geben. Ich werde alle meine Diener zu dieser Teilnahme am Erlösungswerk aufrufen. Du allein wirst mehr dazu beitragen als alle Heiligen zusammen. Daher war auch diese lange Verlassenheit notwendig. Nun nicht mehr.

Ich bin nicht mehr vom Vater getrennt. Du wirst nicht mehr vom Sohn getrennt sein. Und da du den Sohn hast, hast du auch unsere Dreifaltigkeit. Als lebendiger Himmel wirst du auf Erden die Dreifaltigkeit unter die Menschen bringen und die Kirche heiligen, du, die Königin des Priestertums und die Mutter der Christenheit. Dann werde ich kommen und dich holen. Nicht mehr ich werde in dir sein, sondern du in mir, in meinem Reich, um das Paradies noch zu verschönern.

Nun gehe ich, Mama. Ich gehe, um die andere Maria glücklich zu machen. Dann gehe ich zum Vater, und danach komme ich zu denen, die nicht glauben. Mama, deinen Kuß als Segen. Und meinen Frieden als Begleiter für dich. Leb wohl.»

Und Jesus verschwindet in der Sonne, die vom heiteren Morgenhimmel herabstrahlt.

DIE FROMMEN FRAUEN AM GRAB

Die Frauen gehen inzwischen, nachdem sie das Haus verlassen haben, an den Mauern entlang, Schatten im Schatten. Einige Zeit schweigen sie, hüllen sich ganz in ihre Mäntel und fürchten sich vor so viel Stille und Einsamkeit. Doch nachdem sie in Anbetracht der absoluten Ruhe in der Stadt sicherer geworden sind, gehen sie in einer Gruppe und wagen, miteinander zu sprechen.

«Sind die Tore wohl schon offen?» fragt Susanna.

«Gewiß. Schau, dort kommt der erste Gärtner mit seinem Gemüse. Er ist auf dem Weg zum Markt», antwortet Salome.

«Werden sie nichts sagen?» fragt wiederum Susanna.

«Wer?» will Maria Magdalena wissen.

«Die Soldaten am Gerichtstor. Dort kommen nur wenige herein, und noch weniger gehen hinaus... Wir werden Verdacht erregen...»

«Ja und? Sie werden uns anschauen. Sie werden fünf Frauen sehen auf dem Weg in die Felder. Wir könnten auch Leute sein, die nach dem Passahfest wieder in ihre Dörfer zurückkehren.»

«Aber... um nicht die Aufmerksamkeit irgendeines Übelgesinnten zu erregen, wäre es vielleicht besser, zu einem anderen Tor hinauszugehen und dann an der Mauer entlang zurückzukommen ...“

«Wir würden den Weg verlängern.»

«Aber wir würden uns auch sicherer fühlen. Gehen wir durch das Wassertor...»

«Oh, Salome, an deiner Stelle würde ich das Osttor nehmen! So könntest du noch länger laufen. Wir müssen uns beeilen und rasch nach Hause zurückkehren.» Es ist die resolute Magdalena, die das sagt.

«Also dann ein anderes Tor, nur nicht das Gerichtstor. Sei so gut...»betteln alle.

«Nun gut. Da ihr es so wollt, gehen wir bei Johanna vorbei. Sie hat darum gebeten, dass wir sie benachrichtigen. Hätten wir den direkten Weg genommen, wären wir ohne sie ausgekommen. Aber da ihr einen längeren Weg machen wollt, gehen wir bei ihr vorbei ...»

«O ja! Auch wegen der dort aufgestellten Wachen... Sie ist bekannt und gefürchtet...»

«Ich würde vorschlagen, auch bei Joseph von Arimathäa vorbeizuschauen. Er ist der Besitzer des Ortes.»

«Aber ja! Wir können einen Umzug veranstalten, um nicht aufzufallen! Oh, was für eine ängstliche Schwester habe ich doch! Weißt du, was wir machen, Martha? Ich gehe voraus und sehe mich um. Ihr kommt dann mit Johanna nach. Ich werde mich mitten auf die Straße stellen, wenn Gefahr besteht. Dann seht ihr mich, und wir gehen zurück. Aber was die Wachen betrifft, habe ich vorgesorgt, und mit dem hier (sie zeigt eine volle Geldbörse) werden sie uns alles erlauben.»

«Wir werden es auch Johanna sagen. Du hast recht.»

«Dann geht, damit ich gehen kann.»

«Du gehst allein, Maria? Ich komme mit dir», sagt Martha, die Angst um ihre Schwester hat.

«Nein, du gehst mit Maria des Alphäus zu Johanna. Salome und Susanna sollen am Tor außerhalb der Mauer auf euch warten. Dann nehmt ihr alle zusammen die Hauptstraße. Lebt wohl.»

Und Maria Magdalena unterbindet jede weitere mögliche Bemerkung, indem sie sich rasch mit ihrer Tasche voller Salben und dem Geld im Gewand entfernt.

Sie eilt, fliegt auf der Straße dahin, die nun in der ersten Morgenröte etwas freundlicher wird. Sie geht durch das Gerichtstor, um schneller da zu sein. Niemand hält sie auf...

Die anderen sehen ihr nach, drehen dann der Straßenkreuzung, an der sie gestanden sind, den Rücken und nehmen eine enge, dunkle Gasse, die in der Nähe des Xystos in eine breite, offene Straße mit schönen Häusern mündet. Dort teilen sie sich noch einmal: Salome und Susanna gehen auf der Straße weiter, während Martha und Maria des Alphäus an das eisenbeschlagene Tor klopfen und sich an dem Fensterchen zeigen, dass der Türhüter öffnet.

Sie treten ein und begeben sich zu Johanna, die schon aufgestanden und ganz in dunkles Violett gekleidet ist, dass sie noch blasser macht. Auch sie ist dabei, zusammen mit der Amme und einer Dienerin Salben zu bereiten.

«Ihr seid gekommen? Gott möge es euch vergelten. Aber wenn ihr nicht gekommen wäret, wäre ich allein gegangen... Um Trost zu finden... Denn vieles hat sich verändert nach diesen schrecklichen Tagen. Und um mich nicht so einsam zu fühlen, muss ich zu dem Stein gehen, daran klopfen und sagen: „Meister, ich bin die arme Johanna... Laß nicht auch du mich allein...“» Johanna weint leise, aber sehr verzweifelt, und Esther, die Amme, macht hinter dem Rücken der Herrin unverständliche Zeichen, während sie ihr den Mantel umlegt.

«Ich gehe, Esther.»

«Gott möge dich trösten!»

Sie verlassen den Palast, um die Gefährtinnen einzuholen. In diesem Augenblick erfolgt das kurze, heftige Erdbeben, dass die Einwohner von Jerusalem erneut in Panik versetzt. Die Erinnerung an die Ereignisse des Freitags ist noch frisch.

Die drei Frauen kehren überstürzt zurück und warten in der großen Vorhalle zwischen den schreienden und Gott anrufenden Dienerinnen und Dienern angstvoll auf neue Erdstöße...

... Magdalena hingegen ist gerade am Anfang des Weges, der zum Garten des Joseph von Arimathäa führt, als sie das mächtige und zugleich harmonische Dröhnen dieses himmlischen Zeichens überrascht. Im schwach rosafarbenen Licht des Morgengrauens, dass sich über den Himmel ausbreitet, an dem im Westen noch ein hartnäckiger Stern widersteht, und der bisher grünlichen Luft einen goldenen Schimmer verleiht, erscheint ein herrliches großes Licht, ein Feuerball, und saust im Zickzack durch die ruhige Luft auf die Erde hernieder.

Maria Magdalena wird von ihm fast gestreift und zu Boden geworfen.

Sie bleibt einen Augenblick zusammengekauert liegen und flüstert: «Mein Herr!» Dann richtet sie sich wie ein Blumenstengel nach einem Windstoß wieder auf und läuft noch schneller, um den Garten zu erreichen. Sie geht rasch hinein und eilt wie ein verfolgter, sein Nest suchender Vogel dem Felsengrab zu. Aber so schnell sie auch läuft, sie kann nicht dort sein, als der himmlische Meteor mit seiner Kraft und seinem Feuer die zur Sicherung des schweren Steins angebrachten Kalksiegel zerstört, und auch nicht, als mit einem letzten Donner die steinerne Tür fällt und diese Erschütterung noch zu dem Erdbeben hinzukommt, das, obgleich kurz, doch so heftig ist, dass die Wachen wie tot zu Boden stürzen.

Als Maria ankommt, sieht sie diese nutzlosen Kerkermeister des Siegers wie gemähte Halme am Boden liegen. Maria Magdalena bringt das Erdbeben nicht mit der Auferstehung in Zusammenhang. Als sie diese Szene sieht, hält sie sie vielmehr für eine Strafe Gottes für die Schänder des Grabes Jesu, fällt auf die Knie und klagt: «O weh, sie haben ihn gestohlen!»

Sie ist ganz verzweifelt und weint wie ein Kind, dass in der gewissheit gekommen ist, den gesuchten Vater anzutreffen, und statt dessen die Wohnung leer vorfindet. Dann steht sie auf und läuft fort, um Petrus und Johannes aufzusuchen. Und da sie nur daran denkt, diese beiden zu benachrichtigen, vergißt sie, den Freundinnen entgegenzugehen und auf dem Weg auf sie zu warten. Flink wie eine Gazelle eilt sie auf demselben Weg zurück, durch das Gerichtstor und die nun etwas belebteren Straßen, stürzt auf das Tor des gastlichen Hauses zu und rüttelt und klopft heftig daran.

Die Hausherrin öffnet. «Wo sind Johannes und Petrus?» fragt Maria Magdalena atemlos.

«Dort», und die Frau zeigt auf den Abendmahlsaal.

Maria Magdalena geht hinein, und kaum ist sie drinnen und steht vor den beiden Überraschten, sagt sie mit aus Mitleid mit der Mutter leiser Stimme, die aber mehr Kummer ausdrückt, als wenn sie schreien würde: «Sie haben den Herrn aus dem Grab geholt! Wer weiß, wo sie ihn hingelegt haben!» Und zum ersten Mal bebt und wankt sie, und um nicht zu fallen, hält sie sich, wo sie gerade kann.

«Wie?! Was sagst du da?» fragen die beiden.

Und sie berichtet betrübt: «Ich war vorausgegangen, um die Wachen zu bestechen... damit sie uns hineinlassen. Sie liegen da wie tot... Das Grab ist offen, der Stein am Boden... Wer? Wer kann es gewesen sein? Oh, kommt! Beeilt euch...»

Petrus und Johannes machen sich sofort auf den Weg. Maria geht ihnen einige Schritte nach. Dann kehrt sie um, packt die Hausherrin, schüttelt sie heftig in ihrer vorsorgenden Liebe und zischt ihr ins Gesicht: «Hüte dich, jemanden zu ihr hineinzulassen! (Sie deutet auf das Zimmer Marias.) Vergiß nicht, dass ich deine Herrin bin. Gehorche und schweige.»

Dann läßt sie die erstaunte Frau stehen und holt die Apostel ein, die mit großen Schritten zum Grab eilen...

... Susanna und Salome, die sich indessen von den Gefährtinnen getrennt und die Mauer erreicht haben, werden dort von dem Erdbeben überrascht. Erschreckt flüchten sie unter einen Baum und bleiben stehen im Widerstreit der Wünsche, zum Grab zu gehen oder zu Johanna zu laufen. Schließlich siegt die Liebe über die Angst, und sie gehen zum Grab.

Immer noch bestürzt betreten sie den Garten und sehen die reglosen Wächter... sehen ein großes Licht aus dem offenen Grab dringen. Und ihr Staunen wächst und wird schließlich vollkommen, als sie sich an den Händen fassen, um einander Mut zu machen, an die Schwelle des Grabes treten und im Dunkel der Höhle eine leuchtende, wunderschöne, sanft lächelnde Gestalt sehen, die sie von ihrem Platz aus grüßt. Sie lehnt rechts am Stein der Einbalsamierung, dessen Grau sich vor so viel leuchtendem Glanz in Nichts auflöst.

Stumm vor Staunen fallen sie auf die Knie.

Doch der Engel sagt sanft: «Fürchtet euch nicht vor mir. Ich bin der Engel des göttlichen Schmerzes. Ich bin gekommen, um mich über dessen Ende zu freuen. Der Schmerz Christi ist nicht mehr, noch seine Erniedrigung im Tod. Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, den ihr sucht, ist auferstanden. Er ist nicht mehr hier. Leer ist der Ort, an dem er begraben wurde. Jubelt mit mir. Geht und sagt Petrus und den Jüngern, dass er auferstanden ist und euch nach Galiläa vorausgeht. Dort werdet ihr ihn noch eine kleine Weile sehen, wie er es vorhergesagt hat.»

Die Frauen werfen sich auf ihr Angesicht, und als sie es wieder erheben, fliehen sie, als würden sie von einer Strafe verfolgt. Sie sind zu Tode erschrocken und flüstern: «Nun werden wir sterben! Wir haben den Engel des Herrn gesehen.»

Erst auf dem freien Feld beruhigen sie sich etwas und beraten sich. Was tun? Wenn sie erzählen, was sie gesehen haben, wird man ihnen nicht glauben. Wenn sie die anderen auffordern, selbst hinzugehen, können sie von den Juden beschuldigt werden, die Wächter getötet zu haben ... Nein, sie dürfen nichts sagen, weder den Freunden noch den Feinden ...

Verängstigt und schweigend kehren sie auf einem anderen Weg zum Haus zurück. Sie gehen hinein und flüchten in den Abendmahlsaal, wollen nicht einmal Maria sehen... Und dort fragen sie sich plötzlich, ob das, was sie gesehen haben, nicht eine Täuschung des Teufels gewesen ist. Demütig wie sie sind, halten sie es nicht für möglich, dass ihnen gewährt wurde, den Boten Gottes zu sehen. Es war Satan, der ihnen Angst einjagen wollte, um sie von dort fernzuhalten.

Sie weinen und beten wie zwei von einem Alptraum verängstigte Kinder.

... Die dritte Gruppe, bestehend aus Johanna, Maria des Alphäus und Martha, entschließt sich, da nichts weiter geschieht, dorthin zu gehen, wo gewiss die Gefährtinnen auf sie warten. Sie begeben sich auf die Straße, wo nun erschrockene Leute über das Erdbeben sprechen, es in Zusammenhang mit den Ereignissen des Freitags bringen und auch Dinge sehen, die gar nicht sind.

«Besser, wenn alle verängstigt sind. Vielleicht sind es auch die Wachen und machen keine Schwierigkeiten», sagt Maria des Alphäus.

Sie eilen zur Stadtmauer. Doch während sie auf dem Weg dorthin sind, haben Petrus und Johannes, gefolgt von Maria Magdalena, bereits den Garten erreicht.

Johannes, der schneller ist, kommt als erster am Grab an. Die Wachen sind nicht mehr da. Auch der Engel ist nicht mehr da. Johannes kniet furchtsam und schmerzerfüllt am offenen Eingang nieder, um zu beten und aus den Dingen, die er sieht, zu schließen, was vorgefallen ist. Aber er sieht nichts als die Binden, die in einem Häufchen auf dem Leichentuch am Boden liegen.

«Er ist wirklich nicht da, Simon! Maria hat es richtig gesehen. Komm, geh hinein und schau.»

Petrus, der vom Laufen ganz außer Atem ist, geht in das Grab hinein. Unterwegs hat er noch gesagt: «Ich werde es nicht wagen, mich diesem Ort zu nähern.» Jetzt aber will er nur eines, herausfinden, wo der Meister sein kann. Er ruft ihn sogar, als ob er sich in irgendeinem dunklen Winkel versteckt haben könnte.

Zu dieser Morgenstunde ist es noch sehr dunkel in der Tiefe des Grabes, in das nur Licht durch die kleine Türöffnung fällt, die nun Johannes und Magdalena ausfüllen ... Und Petrus sieht nur wenig und muss sich mit den Händen vorantasten ... Er berührt zitternd den Einbalsamierungstisch und fühlt, dass er leer ist...

«Er ist nicht da, Johannes! Er ist nicht da...! Oh, komm auch du! Ich habe so viel geweint, dass ich in diesem schwachen Licht fast nichts sehe.»

Johannes steht auf und geht hinein. Während er es tut, hat Petrus das in einer Ecke liegende, schön gefaltete Schweißtuch entdeckt. Darin befindet sich das sorgsam aufgerollte Grabtuch.

«Sie haben ihn wirklich weggebracht. Die Wächter hat man nicht unseretwegen aufgestellt, sondern um dies zu tun... Und wir haben es zugelassen. Wir haben es ermöglicht, da wir fortgegangen sind...»

«Oh, wo haben sie ihn wohl hingebracht?»

«Petrus! Petrus, dass ... ist das Ende!»

Die beiden Jünger gehen ganz vernichtet hinaus.

«Gehen wir, Frau. Du wirst es der Mutter berichten...»

«Ich gehe nicht von hier fort. Ich bleibe hier... Irgend jemand wird kommen... Oh, ich gehe nicht fort... Hier ist immer noch etwas von ihm. Die Mutter hatte recht... die Luft einatmen zu können, wo er gewesen ist, dass ist der einzige Trost, der uns bleibt.»

«Der einzige Trost... Nun siehst also auch du ein, dass es töricht war, zu hoffen ...» sagt Petrus.

Maria erwidert nichts darauf. Sie wirft sich zu Boden, gerade am Eingang, und weint, während die anderen langsam fortgehen.

Dann hebt sie das Haupt und schaut hinein, und mit tränenerfüllten Augen sieht sie zwei Engel, die am Kopfende und am Fußende des Einbalsamierungstisches sitzen. Die arme Maria ist so verwirrt in ihrem heftigen Kampf zwischen der Hoffnung, die stirbt, und dem Glauben, der nicht sterben will, dass sie sie nur verstört ansieht und sich nicht einmal wundert. Die Starke, die allem wie eine Heldin getrotzt hat, kann nur noch weinen.

«Warum weinst du, Frau?» fragt einer der beiden strahlenden Jünglinge; denn sie sehen aus wie wunderschöne Halbwüchsige.

«Weil sie meinen Herrn weggenommen haben und ich nicht weiß, wohin sie ihn gelegt haben.»

Maria hat keine Angst, mit ihnen zu reden. Sie fragt auch nicht: «Wer seid ihr?» Nichts. Nichts verwundert sie mehr. Alles, worüber sich ein Mensch wundern könnte, hat sie längst erlebt. Sie ist jetzt nur noch ein gebrochenes Geschöpf, dass kraftlos und rückhaltslos weint.

Der Engel sieht seinen Gefährten an und lächelt. Auch dieser lächelt. In einem Aufleuchten himmlischer Freude schauen beide in den blühenden Garten hinaus, in dem sich die abertausend Blüten der dichten Apfelbäume unter den ersten Strahlen der Sonne geöffnet haben.

Maria wendet sich um, um zu sehen, was die beiden betrachten. Und sie erblickt einen wunderschönen Mann, und es ist mir unbegreiflich, dass sie ihn nicht sofort erkennt. Einen Mann, der sie mitleidig anschaut und fragt: «Frau, warum weinst du? Wen suchst du?»

Es ist wahr, es ist ein Jesus, der seinen Glanz ein wenig verhüllt hat aus Mitleid mit dem Geschöpf, dass zu viele Aufregungen ausgelaugt haben und das an einer so plötzlichen Freude sterben könnte. Aber ich frage mich trotzdem, wie es möglich ist, dass sie ihn nicht erkennt.

Maria sagt schluchzend: «Sie haben mir den Herrn Jesus weggenommen. Ich bin gekommen, um ihn in Erwartung seiner Auferstehung einzubalsamieren... Ich habe meinen ganzen Mut, meine Hoffnung und meinen Glauben um diese meine Liebe gesammelt und aufrechterhalten... und nun finde ich ihn nicht mehr... Vielmehr habe ich mit meiner Liebe die Hoffnung, den Glauben und den Mut umgeben und vor den Menschen verteidigt... Aber alles war vergebens! Die Menschen haben meine Liebe geraubt, und damit haben sie mir alles genommen... O mein Herr, wenn du ihn fortgebracht hast, dann sage mir, wohin du ihn gelegt hast. Und ich werde ihn holen... Ich werde es niemandem sagen... Es soll ein Geheimnis zwischen dir und mir sein. Sieh, ich bin die Tochter des Theophilus, die Schwester des Lazarus, aber ich knie vor dir und flehe dich an wie eine Sklavin. Willst du, dass ich dir den Leichnam abkaufe? Ich werde es tun. Wieviel verlangst du? Ich bin reich. Ich kann dir sein Gewicht in Gold und Edelsteinen aufwiegen. Aber gib ihn mir zurück. Ich werde dich nicht verraten. Willst du mich schlagen? Tu es. Bis aufs Blut, wenn du willst. Wenn du einen Haß gegen ihn hegst, dann rechne mit mir ab. Aber gib ihn mir zurück. Oh, laß mich nicht in diesem Elend versinken, mein Herr! Erbarmen mit einer armen Frau...! Für mich willst du es nicht tun? Dann für seine Mutter! Sage mir, sage mir, wo mein Herr Jesus ist. Ich bin stark. Ich werde ihn in meine Arme nehmen und ihn wie ein Kind in Sicherheit bringen. Herr... Herr... Du siehst... Seit drei Tagen verfolgt uns der Zorn Gottes für alles, was dem Sohn Gottes angetan wurde... Laß dem Verbrechen nicht auch noch die Schändung folgen...»

«Maria!» Jesus leuchtet auf bei diesem Ruf. Er enthüllt sich nun in seinem triumphierenden Glanz.

«Rabbuni!» Der Schrei Maria Magdalenas ist wahrlich der «große Schrei», der den Zyklus des Todes beschließt. Beim ersten umschlang die Finsternis des Hasses das Opfer mit Todesbanden, beim zweiten vermehrt das Licht der Liebe seinen Glanz.

Und Maria steht auf bei diesem Schrei, der den Garten erfüllt, eilt zu Füßen Jesu und will sie küssen.

Jesus hält sie zurück, indem er mit den Fingerspitzen kaum ihre Stirn berührt: «Rühre mich nicht an. Ich bin noch nicht in diesem Gewand zum Vater aufgefahren. Geh zu meinen Brüdern und Freunden und sage ihnen, dass ich zu meinem und eurem Vater, zu meinem und eurem Gott auffahre. Dann werde ich zu ihnen kommen.» Und Jesus verschwindet in einem unerträglichen Licht.

Maria küßt den Boden, auf dem er gestanden ist, und eilt zum Haus. Wie der Blitz ist sie drinnen, denn das Tor ist einen Spalt geöffnet, um den Hausherrn hinauszulassen, der zum Brunnen geht. Sie öffnet die Tür des Zimmers Marias und wirft sich an ihr Herz mit dem Ausruf: «Er ist auferstanden! Er ist auferstanden!» Dann weint sie selig.

Und während Petrus und Johannes herbeieilen und die erschreckte Salome und Susanna aus dem Abendmahlsaal kommen und ihrer Erzählung lauschen, treten auch Maria des Alphäus, Martha und Johanna ein und berichten atemlos, dass sie ebenfalls «dort gewesen sind und zwei Engel gesehen haben, die sich als der Schutzengel des Gottmenschen und der Engel seines Schmerzes zu erkennen gegeben und sie beauftragt haben, den Jüngern zu sagen, dass er auferstanden ist».

Und da Petrus den Kopf schüttelt, fahren sie fort: «Ja, sie haben gesagt: „Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat, als er noch in Galiläa war. Erinnert ihr euch nicht? Er sagte damals: 'Der Menschensohn muss den Händen der Sünder überliefert und gekreuzigt werden. Aber am dritten Tage wird er auferstehen.' „»

Petrus schüttelt den Kopf und sagt: «Zu viele Dinge haben sich in diesen Tagen ereignet. Ihr seid dadurch verwirrt.»

Magdalena hebt den Kopf von der Brust Marias und sagt: «Ich habe ihn gesehen! Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat mir gesagt, dass er zum Vater auffährt und dann wiederkommt. Wie schön er war!» Und sie weint, wie sie noch nie geweint hat, nun, da sie sich nicht mehr quälen und gegen die von allen Seiten bedrängenden Zweifel ankämpfen muss.

Doch Petrus und selbst Johannes zweifeln immer noch. Sie schauen einander an, und ihre Augen sagen: «Einbildung von Frauen.“

Auch Susanna und Salome wagen nun zu sprechen. Aber die unvermeidlichen Unterschiede in den Einzelheiten, die Wächter, die einmal wie tot und dann gar nicht mehr da waren; die Engel, von denen einmal einer, dann wieder zwei da waren und die sich den Aposteln nicht gezeigt haben; die beiden Versionen, dass Jesus hierher kommen oder den Seinen nach Galiläa vorausgehen würde; all das bewirkt, dass die Zweifel und sogar die Überzeugung der Apostel nur noch größer werden.

Maria, die heilige Mutter, schweigt und stützt Magdalena... Ich verstehe das Geheimnis dieses mütterlichen Schweigens nicht.

Maria des Alphäus sagt zu Salome: «Kehren wir zwei dorthin zurück. Wir wollen sehen, ob wir alle betrunken sind...» und sie eilen hinaus.

Die anderen bleiben, von den beiden Aposteln leise belächelt, bei Maria, die in Gedanken versunken schweigt, was jeder auf seine Art deutet; keiner begreift, dass es eine Ekstase ist.

Die beiden betagten Frauen kommen zurück «Es ist wahr! Es ist wahr! Wir haben ihn gesehen. Er hat beim Garten des Barnabas zu uns gesagt: „Der Friede sei mit euch. Fürchtet euch nicht. Geht und sagt meinen Brüdern, dass ich auferstanden bin und dass sie in einigen Tagen nach Galiläa gehen sollen. Dort werden wir noch eine Weile beisammen sein.“ So hat er gesagt. Maria hat recht. Wir müssen es denen in Bethanien, Joseph, Nikodemus, den vertrauenswürdigsten Jüngern und den Hirten sagen. Gehen wir, tun wir etwas, tun wir etwas... Oh, er ist auferstanden...!» Alle weinen beseligt.

«Ihr seid von Sinnen, Frauen. Der Schmerz hat euren Verstand verwirrt. Das Licht schien euch ein Engel, der Wind eine Stimme, die Sonne Christus. Ich mache euch keinen Vorwurf. Ich verstehe euch. Aber ich kann nur glauben, was ich gesehen habe: das offene, leere Grab und die mit dem verschwundenen Leichnam geflohenen Wachen.»

«Aber wenn doch die Wächter selbst sagen, dass er auferstanden ist! Wenn doch die Stadt in Aufruhr ist und die Obersten der Priester zornentbrannt sind, weil die Wachen entsetzt geflohen sind und geredet haben! Nun wollen sie, dass sie etwas anderes sagen, und zahlen sie dafür. Aber die Nachricht hat sich schon verbreitet. Und wenn die Juden auch nicht an die Auferstehung glauben, nicht glauben wollen, so glauben doch viele andere daran ...»

«Hm, die Frauen...!» Petrus zuckt die Achseln und will gehen.

Da erhebt die Mutter ihr verklärtes Antlitz und sagt den kurzen Satz: «Er ist wirklich auferstanden. Ich habe ihn in meinen Armen gehalten und seine Wunden geküßt.» Magdalena, die noch immer an ihrem Herzen liegt, weint in ihrer übergroßen Freude wie eine Weide unter einem Wolkenbruch und küßt ihr blondes Haar. Dann neigt sich Maria über den Kopf dieser leidenschaftlichen Frau und sagt: «Ja, die Freude ist mächtiger als der Schmerz. Aber diese Freude ist nur ein Sandkorn im Vergleich zum Ozean der ewigen Freude. Selig bist du, weil du mehr auf den Geist als auf deinen Verstand gehört hast.»

Petrus wagt nun nicht mehr, zu widersprechen... und in einer Anwandlung des alten Petrus, die nun wieder zum Vorschein kommt, sagt er, ja schreit er, als ob die Verspätung nicht auf ihn, sondern auf die anderen zurückzuführen wäre: «Ja, aber wenn es so ist, dann müssen wir es die anderen wissen lassen! Die, die auf den Feldern verstreut sind... Wir müssen sie suchen... etwas tun... Auf, rührt euch! Wenn er wirklich kommen sollte... dass er uns wenigstens vorfindet», und er bemerkt nicht, dass er mit diesen Worten bekennt, dass er immer noch nicht völlig an die Auferstehung glaubt.

ZUM VORIGEN KAPITEL

Jesus sagt:

«Die inbrünstigen Gebete Marias haben meine Auferstehung um einige Zeit vorverlegt.

Ich hatte gesagt: „Der Menschensohn wird getötet werden, aber am dritten Tage wird er auferstehen.“ Ich starb am Freitag nachmittag um drei Uhr. Ob ihr nun die Tage oder die Stunden zählt, ich hätte nicht am Morgen des Sonntags auferstehen dürfen. Es waren nur achtunddreißig Stunden anstatt zweiundsiebzig, die mein Leib ohne Leben blieb; und wenn man die Tage zählt, hätte ich wenigstens bis zum Abend des dritten Tages warten müssen, um sagen zu können, dass ich drei Tage im Grab gelegen war.

Aber Maria hat das Wunder beschleunigt. So wie sie durch ihr Gebet den Himmel einige Jahre vor der vorherbestimmten Zeit geöffnet hat, um der Welt das Heil zu schenken, so hat sie nun erreicht, dass ihrem gebrochenen Herzen einige Stunden früher Trost geschenkt wurde.

Und ich bin im ersten Morgengrauen des dritten Tages wie eine fallende Sonne herabgestiegen, und mein Glanz hat die angesichts der Macht eines Gottes so nutzlosen Siegel der Menschen in Staub verwandelt. Meine Kraft war der Hebel, der den vergeblich bewachten Stein umstürzte. Mein Erscheinen habe ich in den Blitz gehüllt, der die dreimal nutzlosen Wachen niederstreckte, die man aufgestellt hatte, um einen Toten zu bewachen, der das Leben war, dass keine menschliche Macht daran hindern konnte, Leben zu sein.

Mein Geist, weit stärker als euer elektrischer Strom, ist wie ein Schwert aus göttlichem Feuer in die kalte Hülle meines Leichnams eingedrungen und hat sie erwärmt, und der Geist Gottes hat dem neuen Adam das Leben eingehaucht und zu sich selbst gesagt: „Lebe. Ich will es.

Sollte ich – der ich die Toten erweckt hatte, als ich nur der Menschensohn war, dass Opfer, dass dazu bestimmt war, die Sünden der Welt auf sich zu nehmen – mich nicht selbst erwecken können, nun, da ich war der Sohn Gottes, der Erste und der Letzte, der ewig Lebende, der in seinen Händen die Schlüssel des Lebens und des Todes hat? Und mein Leichnam fühlte das Leben wiederkehren.

Sieh: Wie ein Mensch, der nach einer großen Mühsal schläft und dann erwacht, atme ich tief ein. Die Augen öffne ich noch nicht. Das Blut beginnt langsam in den Adern zu zirkulieren und gibt dem Verstand die Gedanken wieder. Aber ich komme von so weit her! Schau: Wie bei einem Verwundeten, den eine wunderbare Macht heilt, kehrt das Blut in die leeren Adern zurück, füllt das Herz und erwärmt die Glieder. Die Verletzungen schließen sich, die Striemen und die Wunden verschwinden, und die Kraft kehrt zurück. Und ich hatte so viele Wunden! Sieh, die Kraft wirkt. Ich werde geheilt. Ich werde auferweckt. Ich kehre ins Leben zurück. Ich war tot, nun lebe ich! Ich stehe auf!

Ich streife die Grablinnen ab und die Hülle der Salben. Ich brauche sie nicht, um als ewige Schönheit, als ewige Unversehrtheit zu erscheinen. Ich kleide mich in Gewänder, die nicht von dieser Erde sind, sondern die der gewebt hat, der mir Vater ist und der die Seide der jungfräulichen Lilien webt. Ich bin von Glanz umkleidet. Ich schmücke mich mit meinen Wunden, aus denen kein Blut mehr dringt, die vielmehr Licht ausstrahlen. Dieses Licht, dass die Freude meiner Mutter und der Seligen und der Schrecken, der unerträgliche Anblick der Verfluchten und der Dämonen auf der Welt und am Jüngsten Tag sein wird.

Der Engel meines Lebens als Mensch und der Engel meines Schmerzes werfen sich vor mir nieder und beten meine Herrlichkeit an. Meine beiden Engel sind da. Der eine, um sich am Anblick seines Schützlings zu beseligen, der nun nicht mehr seiner Verteidigung bedarf. Der andere, der meine Tränen gesehen hat, um nun mein Lächeln zu sehen, der meinen Kampf gesehen hat, um meinen Sieg zu sehen, der meinen Schmerz gesehen hat, um meine Freude zu sehen.

Und ich gehe hinaus in den Garten voller Blütenknospen und Tau. Die Apfelbäume öffnen ihre Blüten, um einen blühenden Baldachin über das Haupt des Königs zu spannen. Die Gräser bilden einen Teppich von Edelsteinen und Blüten für meine Füße, die wieder auf der nun erlösten Erde wandeln, nachdem sie über sie erhöht wurden, um sie zu erlösen. Und es grüßen mich die ersten Strahlen der Sonne, der sanfte Aprilwind, dass leichte vorüberziehende Wölkchen, rosig wie eine Kinderwange, und die Vöglein in den Zweigen. Ich bin ihr Gott. Sie beten mich an.

Ich gehe vorüber an den betäubten Wachen, die ein Symbol sind für die von Todsünden befleckten Seelen, die den Vorübergang Gottes nicht bemerken.

Es ist Ostern, Maria! Dies ist wahrhaft der „Vorübergang des Engels Gottes“. Sein Übergang vom Tod zum Leben. Sein Vorübergang, der jenen das Leben schenkt, die an seinen Namen glauben. Es ist Ostern! Es ist der Friede, der vorübergeht in der Welt. Der Friede, der nicht mehr durch seine Menschheit beschränkt, sondern frei und vollkommen in seiner wiedererlangten göttlichen Wirkkraft ist.

Und ich gehe zur Mutter. Es ist nur recht und billig, dass ich zu ihr gehe. Es war gerecht für meine Engel. Wieviel mehr für sie, die nicht nur meine Hüterin und mein Trost war, sondern mir auch das Leben geschenkt hat. Bevor ich zum Vater zurückkehre in meinem Gewand als verherrlichter Mensch, gehe ich zur Mutter. Ich gehe im Glanz meines paradiesischen Kleides und meiner lebendigen Edelsteine. Sie darf mich berühren, sie darf mich küssen, denn sie ist die Reine, die Schöne, die Geliebte, die Gesegnete, die Heilige Gottes.

Der neue Adam geht zur neuen Eva. Das Böse ist durch die Frau in die Welt gekommen, und von der Frau wurde es besiegt. Die Leibesfrucht der Frau hat die Menschen befreit vom vergifteten Auswurf Luzifers. Nun können sie, wenn sie nur wollen, gerettet werden. Die durch die Todeswunde so geschwächte Frau hat gerettet.

Und nach der Reinen, die es durch ihre Heiligkeit und Mutterschaft verdient hat, dass der Sohn Gottes zu ihr geht, zeige ich mich der erlösten Frau, der Ahnherrin, der Vertreterin aller weiblichen Geschöpfe, für die ich gekommen bin, um sie vom Stachel der Lüste zu befreien. Damit sie alle auffordere, mir zu nahen, um geheilt zu werden; an mich zu glauben, an meine Barmherzigkeit zu glauben, die versteht und verzeiht; mein mit den fünf Wunden geschmücktes Fleisch zu betrachten, um Satan, der in ihrem Fleisch wühlt, zu besiegen.

Ich lasse mich von ihr nicht berühren. Sie ist nicht die Reine, die den Sohn, der zum Vater zurückkehrt, berühren kann, ohne ihn zu verunreinigen. Sie muss durch Buße noch vieles reinwaschen. Aber ihre Liebe verdient diese Belohnung. Sie hat es verstanden, aus eigenem Willen aus dem Grab ihres Lasters herauszusteigen, Satan zu vernichten, der sie in seinen Krallen hatte, der Welt aus Liebe zu ihrem Erlöser zu trotzen. Sie hat es verstanden, sich aller Dinge zu entäußern, die nicht Liebe waren, und nichts als Liebe zu sein, die sich für ihren Gott verzehrt.

Und Gott ruft sie: „Maria.“ Höre ihre Antwort: „Rabbuni!“ Ihr ganzes Herz ist in diesem Ausruf. Ihr, die es verdient hat, gebe ich den Auftrag, die Verkünderin der Auferstehung zu sein. Und noch einmal wird sie ein wenig verspottet, als ob sie von Sinnen wäre. Doch das Urteil der Menschen kümmert sie nicht, die Maria von Magdala, die Maria von Jesus. Sie hat mich auferstanden gesehen, und dies ist für sie eine Freude, die jedes andere Gefühl verdrängt.

Siehst du, wie ich auch solche liebe, die in Schuld lebten, sich aber von ihrer Schuld befreien wollten? Nicht Johannes habe ich miczuerst gezeigt, sondern Magdalena. Johannes hatte schon durch mich den Rang des Sohnes erhalten. Er konnte ihn einnehmen, denn er war rein und konnte nicht nur geistig Sohn sein, sondern er konnte auch der Reinen Gottes alles geben und von ihr alles empfangen im Zusammenhang mit den Bedürfnissen und der Fürsorge für den Leib.

Magdalena, die zur Gnade Wiedererstandene, hat die erste Vision der auferstandenen Gnade.

Wenn ihr mich liebt und um meinetwillen alles besiegt, nehme ich euer Haupt und euer krankes Herz in meine durchbohrten Hände und hauche euch meine Macht ins Antlitz. Und ich errette euch, ich errette euch, ihr Kinder, die ich liebe. Ihr werdet wieder schön, gesund, frei und glücklich. Ihr werdet wieder die von Gott geliebten Kinder. Ich lasse euch meine Güte zu den armen Menschen bringen, damit ihr Zeugnis ablegt von ihr und die Menschen von ihr und von mir überzeugt.

Habt Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen in mich. Liebt und fürchtet euch nicht. Seid euch des Herzens eures Gottes gewiss angesichts alles dessen, was ich gelitten habe, um euch zu retten.

Und du, kleiner Johannes, lächle nun, nachdem du geweint hast. Dein Jesus leidet nicht mehr. Es gibt kein Blut und keine Wunden mehr, sondern Licht, Licht, Licht, und Freude und Herrlichkeit. Mein Licht und meine Freude seien in dir, bis die Stunde des Himmels kommt.»

Wie Sie verstehen werden, hat Jesus mich, während er mir die Erklärung zur Vision der Begegnung mit der Mutter nach der Auferstehung gab, gleichzeitig seine Auferstehung aus dem Grab und die Begegnung mit Magdalena schauen lassen. Ich bin ganz selig. Eingetaucht in das Licht des auferstandenen Christus, dass freudvolle, friedvolle Licht!

Ich könnte Ihnen das Heft geben, denn nach menschlichem Ermessen ist «alles vollbracht». Doch der Meister sagt mir, dass noch etwas hinzuzufügen ist. Und ich warte.

Etwas später sage ich zu Jesus: «Welche Freude, Herr, dich nicht mehr so leiden und die Mutter lächeln zu sehen.»

Und er: «Aber gib dich nicht dieser Wonne hin. Nicht dieses Brot sollst du essen, sondern jenes der Leiden deines Gottes und der Tränen Marias. Ich musste diese Vision vorwegnehmen, um das versprochene Geschenk zu machen. Doch es ist die Zeit der Schmerzen, und du musst den Schmerz betrachten. Pater M. hat gewünscht, all dies zu Ostern zu erhalten. Aber ich will, dass es die Vorbereitung auf Ostern für ihn und für viele sei. Sage ihm daher, dass er, wenn ich dieses mein Geschenk mit dem letzten Punkt vervollständigt habe, sofort alles andere, womit er beschäftigt ist, beiseite legen und sich diesem hier widmen soll; damit es rechtzeitig verteilt wird. So will ich es.»

Ich gehorche ihm und beschreibe die Vision der Auferstehung. Menschlich gesehen hätte ich es vorgezogen, mir diese Mühe zu ersparen, zumal Jesus schon davon gesprochen hatte. Doch der Gehorsam ist eine Tugend, und so gehorche ich ohne Widerrede.

Nun, es schien mir, vom Willen Gottes in den kühlen Garten geführt worden zu sein, in dem das Grab sich befindet; sein schwerer Stein war ummauert und auf dem Kalk waren die Siegel angebracht, große, in den Putz gedrückte Rosetten, die nicht entfernt werden konnten, ohne Spuren zu hinterlassen. Davor waren die schlaftrunkenen Tempelwachen, teils sitzend und teils stehend und an den Grabfelsen gelehnt.

Der Himmel beginnt sich gerade etwas aufzuhellen, so dass man in dem grünlichen unbestimmten Licht, dass im frischen Morgenlüftchen zu erschauern scheint, schon etwas erkennen kann. Alles ist still. Die Vöglein sind noch nicht erwacht.

Vom Himmel, an dem noch vereinzelte Sternlein stehen und der blauer Seide gleicht, heller im Osten, dunkler im Westen, kommt etwas wie eine feurige Rakete oder ein Blitz, der in einer lichtsprühenden Kugel endet. Er saust mit außerordentlicher Geschwindigkeit herab, schießt durch den stillen Raum und die Atmosphäre.

Der strahlende Meteor erzeugt bei seinem Fall das Dröhnen eines Erdbebens; aber es ist kein unharmonischer Klang und ähnlich dem, den die größten Pfeifen einer Riesenorgel unter dem Gewölbe einer Kathedrale bei einem festlichen Gloria hervorbringen. Er ist machtvoll, harmonisch und erfüllt die Morgenluft.

Die Wachen springen erschrocken auf und blicken um sich. Doch der leuchtende Blitz ist schon über ihnen und schlägt in den schweren Stein, dessen Verschluß man mit Strebepfeilern aus Kalk gesichert hat. Er gibt nach, als wäre er ein zerbrechlicher Schutz aus Seidenpapier und stürzt krachend und mit einer erdbebenähnlichen Erschütterung um, die die Wachen vornüber oder rücklings zu Boden schleudert, wo sie wie ohnmächtig liegenbleiben. Betäubt. Sie kommen nicht wieder zu sich. Sie liegen da wie ein Haufen Marionetten, deren Schnüre man abgeschnitten hat. Sie sind lächerlich.

Der Feuerstrahl ist viel schneller herabgekommen, als ich es beschreiben kann, denn von seinem Erscheinen am Himmel bis zu seiner Ankunft am Grab sind nicht Minuten, sondern Bruchteile von Minuten vergangen, ein Augenblick. Er dringt in das Dunkel des Grabes und erhellt es mit einem zauberhaften Licht, dass die Felswände, die Decke und den Boden mit allen erdenklichen Edelsteinen zu schmücken scheint. Und während der Schein, dass Wesen dieses Lichtes, gleichsam in der Luft hängenbleibt, dringt das Licht selbst in den unter den Grabtüchern liegenden Leichnam ein.

Die reglose Form atmet tief ein. Ich sehe die Tücher über der Brust sich heben und wieder senken. Ein Augenblick Pause, dann erhebt sich Christus mit einer plötzlichen Bewegung. Er muss unter dem Linnen seine über dem Unterleib gekreuzten Hände voneinander lösen, die Arme ausbreiten, sich aufsetzen und dann auf die Füße stellen; denn das Schweißtuch, die sonstigen Tücher und das Leichentuch fallen ruckartig auseinander; erstere fallen zu Boden, dass Grabtuch verschiebt sich auf dem Einbalsamierungsstein und hängt von dort zur Hälfte wie eine schlaffe, tote Schale herab.

Jesus ist schon mit seinem herrlichen weißen Gewand bekleidet, ohne Blut und Wunden, dass göttliche Haupt strahlend und schön, ohne andere Zeichen seiner schrecklichen Passion als die Strahlen, die aus den Wunden kommen und wie fünf Feuer ihren Schein über die göttliche Person werfen und sie mit einem Kranz sich überkreuzender Strahlen umgeben. Sie dringen aus Händen und Füßen und kreisförmig aus der Mitte der Brust.

Die Seitenwunde sieht man nicht. Sie ist vorn Gewand bedeckt. Aber ein Leuchten, dass heller ist als bei allen anderen Wunden, geht von der Brust aus und gleicht einer hinter Seide verborgenen Sonne...

Weniger strahlend, doch sehr schön sind die beiden Engelwesen, die gewiss mit dem Licht in das Grab gelangt sind und die ich, da ganz in die Betrachtung Jesu versenkt, vorher nicht gesehen habe. Sie knien zu beiden Seiten der Öffnung und beten an. Es sind körperlose Wesen, von menschlichem Aussehen, aber ganz aus Licht; aus dem seligen «Licht», dass ich bei der Betrachtung des Paradieses als Eigenschaft seiner geistigen Bewohner gesehen habe.

Jesus verläßt das Grab nach der Anbetung durch die Engel, geht an den betäubten Wachen vorbei und in den Garten hinein. Bei seinem Erscheinen wird alles von seinem göttlichen Glanz erfüllt. Die taubedeckten Gräser erstrahlen unter einer Sonne, die schöner ist als die nun am Himmel erschienene Sonne, und verneigen sich sanft unter dem Kuß eines lauen, duftenden Lüftchens, wie um den Erlöser zu verehren, der lächelnd und segnend vorübergeht. Die Apfelbäume, die zuvor wenige weiße Blüten hatten, öffnen nun ihre Myriaden von Knospen, und über dem Haupt Jesu bildet sich ein zarter, duftender Wolkenschaum aus tausend und abertausend gerade aufgesprungenen weißen, rosa überhauchten Blüten, zu dem ein kleines Wölkchen am azurblauen Himmel, dass einem Schleier gleicht, dass Gegenstück bildet. Die von so viel Licht aufgeweckten Vöglein singen ihre Triller in dem blühenden Garten.

Jesus bleibt, um mit mir zu sprechen, unter einem Apfelbaum stehen – ein ganzer Ball aus Blüten; und einige Blütenblätter, die verliebter als die anderen sind, fallen herab, um die Wangen ihres Herrn zu liebkosen und sich auf seinen Füßen niederzulassen, Blumen unter den Blumen auf dem Boden.

Ich sehe Maria Magdalena erst, als Jesus sie mir zeigt. Ich bin ganz in ihn versenkt und sehe nicht, was mit den Wachen geschieht, und werde auch nicht gewahr, wie sie sich davonschleichen. Nicht einmal die Engel sehe ich mehr, aber ich erkenne, dass sie im Grabgewölbe sind, da dessen Dunkel von ihrem Licht erhellt wird.

Magdalena weint untröstlich. Ich verstehe nicht, wie es möglich ist, dass sie Jesus nicht erkennt. Vielleicht verschleiert er ihren Blick, um sie als erste rufen zu können. Doch als er sie ruft, «sieht» sie ihn als den, der er ist: als Sieger, stößt ihren Schrei grenzenloser, anbetender Liebe aus, der den ganzen blühenden Garten erfüllt, und berührt mit der Stirn das laubbedeckte Gras zu Füßen Jesu.

Die Vision endet hier.

JESUS ERSCHEINT LAZARUS

Die Sonne eines heiteren Aprilmorgens übergießt die Rosen- und Jasminbüsche im Garten des Lazarus mit Glanz. Und die Buchsbaum- und Lorbeerhecken, die sich im leichten Wind wiegenden Wedel einer hohen Palme am Ende des Weges und der dichte Lorbeer am Fischteich scheinen von einer geheimnisvollen Hand gewaschen, so viel Tau ist über Nacht gefallen und läßt die Blätter nun sauber und wie mit neuem Email überzogen erscheinen, so glänzend und makellos sind sie. Das Haus aber schweigt wie ein Totenhaus. Die Fenster sind offen, doch kein Laut, kein Geräusch dringt aus den verdunkelten Zimmern, deren Vorhänge zugezogen sind.

Im Inneren, hinter der Vorhalle, die von vielen Zimmern mit weit offenstehenden Türen umgeben ist – und es ist sonderbar, diese gewöhnlich für eine mehr oder weniger große Anzahl von Gästen hergerichteten Räume nun leer und aufgeräumt zu sehen – befindet sich ein weiterer großer, gepflasterter und von einem Säulengang umgebener Hof, in dem da und dort Sitzgelegenheiten stehen. Auf diesen und sogar auf dem Boden, auf Matten oder auch auf dem nackten Marmor sitzen viele Jünger. Unter ihnen sehe ich die Apostel Matthäus, Andreas, Bartholomäus, die Brüder Jakobus und Judas des Alphäus, Jakobus des Zebedäus und die Hirtenjünger mit Manaen, sowie noch andere, die ich nicht kenne. Den Zeloten, Lazarus und Maximinus sehe ich nicht.

Schließlich kommt letzterer mit Dienern herein und verteilt an alle Brot und verschiedene andere Speisen, Oliven, Käse und Honig. Es gibt auch frische Milch für den, der will. Aber niemand hat Lust zu essen, so sehr Maximinus auch drängt. Die Niedergeschlagenheit ist groß. Die Gesichter sind in diesen wenigen Tagen eingefallen und fahl geworden, nur von Tränen gerötet. Besonders die Apostel und jene, die bereits in den ersten Stunden geflohen sind, wirken sehr verzagt, während die Hirten und Manaen nicht ganz so niedergeschlagen, so beschämt zu sein scheinen, und Maximinus seine Trauer männlich beherrscht.

Da erscheint der Zelote fast im Laufschritt und fragt: «Ist Lazarus hier?»

«Nein, er ist in seinem Zimmer. Was willst du?»

«Am Ende des Weges, am Sonnenbrunnen 1) ist Philippus. Er kommt aus der Ebene von Jericho und ist völlig erschöpft. Er will aber nicht näher herankommen... da er sich wie alle als ein Sünder fühlt. Doch Lazarus wird ihn überzeugen.»

Bartholomäus steht auf und sagt: «Ich komme mit...»

Sie gehen zu Lazarus, der, nachdem sie ihn gerufen haben, mit von Schmerz gezeichnetem Gesicht aus dem halbdunklen Zimmer kommt, in dem er zweifellos geweint und gebetet hat.

Sie gehen alle hinaus und durchqueren zuerst den Garten und dann die Ortschaft auf der Seite, die schon nahe den Abhängen des Ölberges liegt. Am Rand des Dorfes, auf der Seite, wo das Plateau endet, auf das es gebaut ist, beginnt ein Weg, der in natürlichen Stufen auf und ab führt über die Berge, die im Osten zur Ebene hin auslaufen und im Westen Jerusalem zu ansteigen.

Dort ist ein Brunnen mit einem großen Becken, an dem Menschen und Herden ihren Durst löschen. Zu dieser Stunde ist der Platz menschenleer und kühl, denn viele dichte Bäume spenden Schatten rings um die Zisterne voll klaren Wassers, dass sich, von einer Gebirgsquelle gespeist, ständig erneuert und dann überläuft und den Erdboden feucht hält.

Philippus sitzt auf dem Brunnenrand, wo er am höchsten ist, mit gesenktem Kopf, ungekämmt, staubig und mit zerschlissenen Sandalen, die an den zerkratzten Füßen hängen.

Lazarus ruft ihn mitleidig: «Philippus, komm zu mir! Lieben wir uns um seiner Liebe willen. Wir wollen in seinem Namen vereint bleiben. Denn das zu tun bedeutet auch, ihn zu lieben.»

«Oh, Lazarus! Lazarus! Ich bin geflohen... und gestern, bei Jericho, habe ich erfahren, dass er tot ist...! Ich... ich kann mir nicht verzeihen, dass ich geflohen bin ...»

«Alle sind wir geflohen. Nur Johannes ist ihm treu geblieben, und Simon, der uns auf seinen Befehl alle zusammengerufen hat, die wir feige geflohen waren. Und... von uns Aposteln ist keiner treu geblieben», sagt Bartholomäus.

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1) Sonnenbrunnen = Ensemes

«Und kannst du dir das verzeihen?»

«Nein. Doch ich will es, so gut ich kann, wiedergutmachen und nicht in fruchtlose Niedergeschlagenheit verfallen. Wir müssen uns zusammenschließen, uns um Johannes versammeln, um von seinen letzten Stunden zu erfahren. Johannes ist ihm immer gefolgt», antwortet der Gefährte Bartholomäus Philippus.

«Wir dürfen seine Lehre nicht sterben lassen, müssen sie der Welt verkünden. Wir müssen wenigstens sie am Leben erhalten, da wir zu schwerfällig und langsam waren, um ihn rechtzeitig vor seinen Feinden zu retten», sagt der Zelote.

«Ihr hättet ihn nicht retten können. Nichts konnte ihn retten. Er hat es mir gesagt. Und ich wiederhole es euch noch einmal», sagt Lazarus mit Nachdruck.

«Du wußtest es, Lazarus?» fragt Philippus.

«Ich wußte es. Meine Qual war es, seit dem Abend des Sabbats durch ihn selbst von seinem Tod und seinen Leiden zu wissen, und auch zu wissen, wie wir uns benehmen würden ...»

«Nein. Du nicht. Du hast nur gehorcht und gelitten. Wir haben uns feige benommen. Du und Simon, ihr habt das Opfer des Gehorsams gebracht», unterbricht ihn Bartholomäus.

«Ja, wir haben uns dem Gehorsam geopfert. Oh, wie schwer ist es doch, im Gehorsam gegen den Geliebten der Liebe zu widerstehen! Komm, Philippus! Fast alle Jünger sind in meinem Haus. Komm auch du.»

«Ich schäme mich, vor der Welt und den Gefährten zu erscheinen ...»

«Wir sind alle gleich!» seufzt Bartholomäus.

«Ja, aber ich habe ein Herz, dass sich nicht verzeiht.»

«Das ist Stolz, Philippus. Er hat am Abend des Sabbats zu mir gesagt: „Sie werden sich nicht verzeihen. Sage ihnen, dass ich ihnen verzeihe, denn ich weiß, dass sie nicht frei handeln. Es ist Satan, der sie vom rechten Weg abbringt.“ Komm!»

Philippus weint heftiger, doch er gibt nach. Er geht so gebeugt, als sei er in wenigen Tagen alt geworden, an der Seite des Lazarus bis in den Hof, in dem alle auf ihn warten. Der Blick, mit dem er die Gefährten ansieht, ist derselbe, mit dem auch die Gefährten ihn ansehen, und er ist das klarste Bekenntnis ihrer grenzenlosen Niedergeschlagenheit.

Lazarus bemerkt es und sagt: «Noch ein Lamm aus der Herde Christi, dass in Angst vor dem Kommen der Wölfe und nach der Gefangennahme des Hirten geflohen ist, wurde von seinem Freund zurückgebracht. Diesem Verirrten, der die Bitterkeit erfahren hat, allein zu sein und ohne den Trost, in Gesellschaft seiner Brüder seinen Fehler beweinen zu können, wiederhole ich das Vermächtnis der Liebe unseres Herrn.

Er – ich schwöre das in Gegenwart der himmlischen Chöre – hat mir gesagt, zusammen mit anderen Dingen, die eure derzeitige menschliche Schwäche nicht ertragen kann, denn sie sind so traurig, dass sie mir seit zehn Tagen das Herz zerreißen – und wenn ich nicht wüßte, dass mein Leben dem Herrn dienen kann, so arm und fehlerhaft es auch sein mag, dann würde ich mich diesem Schmerz als Freund und Jünger, der mit ihm alles verloren hat, überlassen – er hat gesagt: „Die Dünste des verdorbenen Jerusalem werden auch meine Jünger verwirren. Sie werden fliehen und zu dir kommen.“ Und ihr seht, dass ihr alle gekommen seid. Alle, kann ich sagen, denn außer Simon Petrus und Iskariot seid ihr alle in mein Haus und zum Herzen eures Freundes gekommen. Er hat gesagt: „Du wirst sie sammeln. Du wirst meine verirrten Lämmer ermutigen. Du wirst ihnen sagen, dass ich ihnen verzeihe. Ich vertraue dir meine Vergebung für sie an. Sie werden keinen Frieden finden, weil sie geflohen sind. Sage ihnen, dass sie nicht in die noch größere Sünde fallen sollen, an meiner Verzeihung zu verzweifeln.“

So hat er gesagt. Und an seiner Statt habe ich euch Verzeihung erteilt. Und Schamröte färbt mein Gesicht, da ich euch in seinem Namen etwas so Heiliges gebe, etwas, dass ganz sein ist, die Verzeihung, also die vollkommene Liebe; denn wer dem Schuldigen verzeiht, liebt vollkommen. Diese Aufgabe hat mich in meinem schweren Gehorsam getröstet... Denn dort hätte ich sein wollen, wie Maria und Martha, meine guten Schwestern. Und wenn ihn die Menschen auf Golgotha gekreuzigt haben, so hat mich, ich schwöre es euch, der Gehorsam hier gekreuzigt; ein gar qualvolles Martyrium. Doch wenn es dazu dient, seiner Seele Trost zu schenken und ihm seine Jünger zu erhalten bis zu dem Zeitpunkt, da er sie versammeln wird, um sie im Glauben zu vervollkommnen, dann bin ich bereit, noch einmal meinen Wunsch zu opfern, wenigstens hinzugehen und den Leichnam zu verehren, bevor der dritte Tag sich seinem Ende zuneigt.

Ich weiß, dass ihr Zweifel habt. Das dürft ihr nicht. Ich kenne seine Worte beim Passahmahl nur, weil ihr sie mir berichtet habt. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer werden mir nach und nach diese Diamanten seiner Wahrheit, desto deutlicher fühle ich, dass sie einen sicheren Bezug zum nahen Morgen haben. Er könnte nicht gesagt haben: „Ich gehe zum Vater und komme dann wieder“, wenn er nicht wirklich zurückkommen würde. Er hätte nicht gesagt: „Wenn ihr mich wiederseht, werdet ihr von Freude erfüllt sein“, wenn er für immer verschwunden wäre. Er hat immer gesagt: „Ich werde auferstehen.“ Ihr habt mir berichtet, dass er gesagt hat: „Ein Tau wird auf die in euch gesäten Samen fallen und alle zum Keimen bringen; dann wird der Paraklet kommen, der sie zu mächtigen Bäumen macht.“ Hat er das nicht gesagt? Oh, sorgt dafür, dass dies nicht nur beim letzten seiner Jünger, beim armen Lazarus geschieht, der nur so selten mit ihm zusammen gewesen ist! Sorgt dafür, dass seine Saat unter dem Tau seines Blutes aufgegangen ist, wenn er zurückkehrt.

In mir wird alles Licht, und immer neue Kräfte erfüllen mich seit der schrecklichen Stunde, da er am Kreuz erhöht wurde. Alles wird hell, alles wächst und gedeiht. Es gibt kein Wort, dass nur seinen armen, menschlichen Sinn behalten hätte. Alles, was ich von ihm oder über ihn gehört habe, wird lebendig, und mein ödes Land verwandelt sich in einen blühenden Garten, wo jede Blume ihren Namen hat und alle Säfte aus seinem heiligen Herzen Leben erhalten.

Ich glaube, Christus! Und damit auch diese hier an dich glauben, an deine Verheißungen, an deine Vergebung und an all das, was du bist, biete ich dir mein Leben an. Nimm es, aber gib, dass deine Lehre nicht stirbt! Zerbrich den armen Lazarus, aber führe die zerstreuten Glieder des apostolischen Kerns wieder zusammen. Alles, was du willst, aber dafür gewähre, dass dein Wort lebendig und ewig sei und all jene jetzt und immerdar zu ihm kommen, die nur durch dich das ewige Leben erlangen können.»

Lazarus ist wirklich inspiriert. Die Liebe trägt ihn zu höchsten Höhen empor, und seine Begeisterung ist so groß, dass er auch die Gefährten mitreißt. Sie rufen ihn von allen Seiten, als ob er ein Beichtvater, ein Arzt, ein Vater wäre.

Ich weiß nicht warum, aber der Hof des reichen Lazarus läßt mich an die Häuser der christlichen Patrizier in den Zeiten der Verfolgung und der heroischen Glaubenstreue denken...

Er beugt sich gerade über Judas des Alphäus, dem es nicht gelingt, einen Trost zu finden für seinen Kummer, den Meister und Vetter verlassen zu haben, als etwas ihn veranlaßt, sich mit einem Ruck aufzurichten. Er dreht sich um und sagt klar und deutlich: «Herr, ich komme!» Sein übliches Wort des prompten Gehorsams. Und er eilt hinaus, als würde er jemandem folgen, der ihn gerufen hat und ihm vorausgeht.

Alle sehen sich erstaunt an und fragen einander.

«Was hat er denn gesehen?»

«Es ist doch nichts gewesen!»

«Hast du eine Stimme gehört?»

«Ich nicht.»

«Ich auch nicht.»

«Was dann? Ist Lazarus vielleicht wieder krank?»

«Vielleicht... Er hat mehr gelitten als wir und uns Feiglingen noch dazu so viel Kraft gegeben. Vielleicht fiebert er nun.»

«Tatsächlich ist sein Gesicht sehr eingefallen.»

«Und seine Augen haben geglüht beim Sprechen.»

«Es war wohl Jesus, der ihn in den Himmel gerufen hat.»

«Lazarus hat ihm ja soeben sein Leben angeboten... Und wie eine Blume hat er ihn sofort gepflückt... Oh, wir Elenden! Was tun wir jetzt?»

Die Bemerkungen sind unterschiedlich und bekümmert.

Lazarus läuft eiligst durch die Vorhalle und hinaus in den Garten, und dabei lächelt und flüstert er, und seine ganze Seele liegt in seiner Stimme: «Ich komme, Herr.» An der Stelle, wo dichter Buchs eine grüne Nische bildet, wir würden sagen, eine Art Pavillon, wirft er sich mit dem Antlitz zu Boden und ruft aus: «Oh, mein Herr!»

Denn neben dieser grünen Nische steht Jesus in der ganzen Schönheit des Auferstandenen, lächelt ihn an... und sagt: «Alles ist erfüllt, Lazarus. Ich bin gekommen, um dir zu danken, treuer Freund. Ich bin gekommen, damit du den Brüdern sagst, sie sollen sofort ins Haus des Abendmahls gehen. Du – noch ein Opfer, Freund, aus Liebe zu mir – bleibe vorläufig hier... Ich weiß, dass du deswegen leidest. Aber ich weiß auch, dass du großherzig bist. Maria, deine Schwester, ist schon getröstet, denn ich habe sie gesehen, und sie hat mich gesehen.»

«Du leidest nicht mehr, Herr. Dies entschädigt mich für jedes Opfer. Ich habe gelitten... da ich dich in Schmerzen wußte... und nicht bei dir sein konnte ...»

«Oh, du warst bei mir. Deine Seele war am Fuß meines Kreuzes und im Dunkel meines Grabes. Du hast mich wie die anderen, die mich vollkommen lieben, vorzeitig aus der Tiefe, in der ich mich befand, gerufen. Nun habe ich zu dir gesagt: „Komm, Lazarus“, wie am Tag deiner Auferstehung. Aber du sagst mir schon seit vielen Stunden: „Komm.“ Ich bin gekommen. Ich habe dich gerufen, um dich meinerseits aus der Tiefe deines Schmerzes herauszuholen. Geh! Ich gebe dir meinen Frieden und meinen Segen, Lazarus. Wachse in der Liebe zu mir. Ich werde wiederkommen.»

Lazarus liegt immer noch auf den Knien und wagt nicht, sich zu rühren. Die Majestät des Herrn, wenngleich von Liebe gemildert, ist derart, dass Lazarus sich nicht wie sonst benehmen kann.

Doch bevor Jesus verschwindet in einem Wirbel von Licht, in dem er sich auflöst, macht er einen Schritt auf den Getreuen zu und berührt mit der Hand seine Stirn.

Nun erst erwacht Lazarus aus seinem seligen Staunen. Er steht auf stürzt hinein zu den Freunden, mit freudestrahlenden Augen und einem Leuchten auf der von Christus berührten Stirn, und ruft: «Er ist auferstanden, Brüder! Er hat mich gerufen. Ich bin gegangen und habe ihn gesehen. Er hat zu mir gesprochen. Er hat mir gesagt, ich soll euch sofort in das Haus des Abendmahls schicken. Geht! Geht! Ich bleibe hier, denn er will es so. Aber meine Freude ist vollkommen...»

Und Lazarus weint vor Freude, während er die Apostel antreibt, sich als erste auf den Weg zu machen entsprechend seinem Befehl.

«Geht, geht! Er ruft euch! Er liebt euch! Fürchtet ihn nicht... Oh, er ist mehr denn je der Herr, die Güte, die Liebe...!»

Auch die Jünger stehen auf...

Bethanien leert sich. Nur Lazarus bleibt mit seinem großen, getrösteten Herzen...

JESUS ERSCHEINT JOHANNA

In einem vornehmen Raum, in den nur wenig Licht von außen dringt, sitzt Johanna ganz verlassen auf einem Stuhl neben dem von herrlichen Decken bedeckten, niedrigen Lager und weint. Sie hat die Stirn auf den Arm gelegt und den Arm auf den Rand des Bettes und wird so von Schluchzen geschüttelt, dass ihr fast die Brust zerspringen muss. Wenn sie einen Augenblick aufsieht, um Luft zu holen, erkennt man einen großen, feuchten Fleck auf der kostbaren Decke und erblickt ihr buchstäblich von Tränen überschwemmtes Gesicht. Dann legt sie den Kopf wieder auf den Arm, und man sieht wie zuvor nur den schlanken, weißen Hals, die Masse des dunklen Haares, die Schultern und den schmalen Oberkörper. Alles andere verschwindet im Halbdunkel, der dunkelviolett gekleidete Körper löst sich darin auf.

Ohne die Vorhänge zu bewegen oder die Tür zu öffnen, kommt Jesus herein und nähert sich ihr geräuschlos. Er streicht ihr sanft mit der Hand über das Haar und flüstert: «Warum weinst du, Johanna?»

Und Johanna, die wohl glauben muss, dass es ihr Engel ist, der sie fragt, und die nichts sieht, da sie den Kopf nicht vom Rand des Lagers erhebt, erzählt ihm ihren Kummer unter noch verzweifelteren Tränen: «Weil ich nicht einmal mehr das Grab des Herrn habe, um dort meine Tränen zu vergießen und nicht allein zu sein ...»

«Aber er ist auferstanden. Bist du nicht glücklich darüber?»

«O doch! Aber alle haben ihn gesehen außer mir und Martha. Und Martha wird ihn sicher in Bethanien sehen... denn es ist das Haus der Freunde. Meines... mein Haus ... ist kein Freundeshaus mehr. Mit seiner Passion habe ich alles verloren ... Meinen Herrn und die Liebe des Gatten... und auch seine Seele... denn er glaubt nicht... er glaubt nicht... und er verspottet mich... und verlangt von mir, dass ich nicht einmal das Andenken meines Erlösers ehre... um ihm nicht zu schaden... Für ihn sind die menschlichen Interessen wichtiger... Ich... ich... Ich weiß nicht, ob ich ihn weiterhin lieben soll, oder ob ich ihn verabscheuen soll. Ich weiß nicht, ob ich ihm als Gattin gehorchen soll oder ob ich ihm ungehorsam werden soll, wie es die Seele möchte, um der größeren, erhabeneren Vermählung des Geistes mit Christus willen, dem ich treu bleiben will... Ich... ich möchte wissen... Und wer kann mir den richtigen Rat geben, da er nicht mehr erreichbar ist für die arme Johanna 9 Oh... 1 Für meinen Herrn ist die Passion vorbei...! Aber für mich hat sie am Freitag begonnen und dauert an ... Oh! Ich bin so schwach und habe nicht die Kraft, dieses Kreuz zu tragen ...!»

«Aber wenn er dir helfen würde, würdest du es dann ihm zuliebe tragen?»

«O ja! Wenn er mir nur hilft...! Er weiß, was es heißt, dass Kreuz allein tragen zu müssen... Oh, Erbarmen mit meinem Elend...!»

«Ja, ich weiß, was es heißt, dass Kreuz allein tragen zu müssen. Deshalb bin ich gekommen und stehe dir zur Seite. Johanna, verstehst du nicht, wer zu dir spricht? Du sagst, dein Haus ist für Christus kein Freundeshaus mehr. Warum? Wenn auch er, der irdische Gatte, einem von einer Wolke menschlichen Gifthauchs verdunkelten Stern gleicht, so bist doch du immer noch Johanna von Jesus. Der Meister hat dich nicht verlassen. Jesus verläßt nie die ihm vermählten Seelen. Er ist immer der Meister, der Freund, der Bräutigam, auch jetzt, da er der Auferstandene ist. Erhebe dein Haupt, Johanna. Schau mich an. In dieser Stunde geheimer Unterweisung, die schöner ist, als wenn ich dir wie den anderen erschienen wäre, sage ich dir, wie du dich in Zukunft zu verhalten hast. So wie viele deiner Schwestern sich verhalten werden müssen. Liebe den verwirrten Gemahl mit Geduld und Unterwürfigkeit. Nimm zu an Sanftmut, je stärker die Bitterkeit der menschlichen Ängste in ihm gärt. Nimm zu an geistiger Leuchtkraft, je mehr er die Schatten irdischer Interessen um sich verbreitet. Sei treu für zwei. Sei stark in deinem geistigen Brautstand. Wie viele werden in Zukunft zwischen dem Willen Gottes und dem des Gatten zu wählen haben! Doch sie werden groß sein, wenn sie Gott folgen, mehr als der Liebe und der Mutterschaft. Ja, deine Passion beginnt. Aber du siehst, dass jede Passion mit einer Auferstehung endet...»

Johanna hat ganz, ganz langsam das Haupt erhoben. Ihr Schluchzen hat nachgelassen. Nun schaut sie und sieht, gleitet anbetend auf die Knie und flüstert: «Der Herr!»

«Ja, der Herr! Du siehst, bei niemandem bin ich so gewesen wie bei dir. Aber ich sehe die besonderen Notwendigkeiten und helfe den Seelen die von mir Hilfe erwarten, je nach der Notwendigkeit. Besteige als Gattin deinen Kalvarienberg mit Hilfe meiner Liebkosung und der deines unschuldigen Kindes. Es ist mit mir in den Himmel eingegangen und hat mir seine Liebkosung für dich mitgegeben. Ich segne dich, Johanna. Hab Vertrauen. Ich habe dich gerettet. Du wirst retten, wenn du Glauben hast.»

Johanna lächelt nun und wagt zu fragen: «Gehst du nicht zu den Kindern?»

«Ich habe sie schon bei Sonnenaufgang geküßt, als sie noch in ihren Bettchen schliefen, und sie haben mich für einen Engel des Herrn gehalten. Die Unschuldigen kann ich jederzeit küssen. Aber ich habe sie nicht aufgeweckt, um sie nicht zu sehr zu verwirren. Ihre Seelen bewahren das Andenken an meinen Kuß und werden es zu gegebener Zeit an den Verstand weitergeben. Nichts, was von mir kommt, geht verloren. Sei ihnen immer eine Mutter. Und sei immer die Tochter meiner Mutter. Trenne dich niemals gänzlich von ihr. Sie wird mit mütterlicher Güte fortsetzen, was unsere Freundschaft war. Bringe die Kinder zu ihr. Sie braucht Kinder, damit sie sich nicht zu sehr von ihrem Kind verlassen fühlt...»

«Chuza wird dagegen sein ...»

«Chuza wird dich gewähren lassen.»

«Wird er mich verstoßen, Herr?» Es ist ein neuerlicher Schrei der Verzweiflung.

«Er ist ein verdunkelter Stern. Bringe ihn wieder zum Leuchten durch deinen Heroismus als Gattin und Christin. Leb wohl. Erzähle niemandem außer meiner Mutter von diesem meinem Besuch. Auch die Offenbarungen dürfen nur denen mitgeteilt werden, für die sie bestimmt sind, und zur richtigen Zeit.»

Jesus lächelt ihr aufleuchtend zu und verschwindet in diesem Glanz.

Johanna erhebt sich wie im Traum. Sie schwankt zwischen Freude und Schmerz, zwischen der Furcht, geträumt zu haben, und der gewissheit, gesehen zu haben. Sie geht zu den Kindern, die friedlich auf der oberen Terrasse spielen, und küßt sie.

«Weinst du nicht mehr, Mama?» fragt Maria schüchtern. Sie ist nicht mehr das armselige Kind, sondern ein hübsches und feines Mädchen, gut gekleidet und schön gekämmt. Matthias, dunkel und schlank, sagt mit männlichem Überschwang: «Sage mir, wer dich zum Weinen bringt, und ich werde ihn bestrafen!»

Johanna schließt beide in ihre Arme, drückt sie an ihr Herz und sagt über das kastanienbraune Köpfchen Marias und das dunkelbraune Haar des Matthias hinweg: «Ich weine nicht mehr. Jesus ist auferstanden, und er segnet uns.»

«Oh, dann blutet er nicht mehr? Dann tut ihm nichts mehr weh?» fragt Maria.

«Dummerchen! Du musst sagen: Dann ist er nicht mehr tot. Nun ist er also glücklich...! Denn tot zu sein, muss schrecklich sein ...» sagt Matthias.

«Dann brauchen wir also nicht mehr zu weinen, Mama?» will wiederum Maria wissen.

«Nein, ihr Unschuldigen. Nein. Ihr könnt jubeln mit den Engeln.»

«Die Engel... Heute nacht, ich weiß nicht, um welche Nachtwache, habe ich eine Liebkosung gefühlt. Ich bin erwacht und habe „Mama“ gesagt, aber ich habe nicht dich gerufen. Ich habe die tote Mama gerufen, denn diese Liebkosung war leichter und zarter als deine, und ich habe einen Augenblick die Augen geöffnet. Aber ich habe nur ein großes Licht gesehen und gesagt: „Mein Engel hat mich geküßt, um mich zu trösten in meinem großen Schmerz über den Tod des Herrn“», sagt Maria.

«Ich auch... Aber ich war sehr schläfrig und habe gesagt: „Bist du es?“ Ich dachte an meinen Schutzengel und wollte ihm sagen: „Geh und gib Jesus und Johanna einen Kuß, damit sie keine Angst mehr haben.“ Doch es wurde nichts daraus, denn ich bin wieder eingeschlafen und habe geträumt, mit dir und Maria im Himmel zu sein. Dann ist das Erdbeben gekommen, und ich bin erschrocken aufgewacht. Aber Esther hat mir gesagt: „Hab keine Angst. Es ist schon vorbei“, und ich habe weitergeschlafen.»

Johanna küßt die beiden Kinder noch einmal und läßt sie dann bei ihren friedlichen Spielen, während sie sich zum Haus des Abendmahls begibt. Sie fragt nach Maria, geht zu ihr hinein, schließt die Tür und sagt ihr großes Wort: «Ich habe ihn gesehen. Dir sage ich es. Ich bin getröstet und glücklich. Liebe mich, denn er hat gesagt, dass ich mit dir vereint bleiben soll.»

Die Mutter antwortet: «Ich habe dir schon am Sabbat gesagt, dass ich dich liebe. Gestern. Denn es war gestern... und doch scheint dieser Tag der Tränen und der Finsternis dem heutigen Tag des Lichtes und der Freude so ferne!»

«Ja... Du hattest mir schon gesagt, nun erinnere ich mich daran, was er mir jetzt wiederholt hat. Du hast gesagt: „Wir Frauen müssen handeln, denn wir sind geblieben, und die Männer sind geflohen... Die Frau ist immer die Gebärerin...“ Oh, Mutter, hilf mir, Chuza zu gebären! Er ist geflohen vor dem Glauben...» Johanna weint wieder.

Maria schließt sie in ihre Arme. «Stärker als der Glaube ist die Liebe. Sie ist die wirksamste Tugend. Durch sie wirst du Chuza eine neue Seele schaffen. Fürchte nicht. Ich werde dir helfen.»

JESUS ERSCHEINT JOSEPH, NIKODEMUS UND MANAEN

Manaen und die Hirten schreiten eilends über die Hänge, die Bethanien mit Jerusalem verbinden. Eine schöne Straße führt direkt zum Ölgarten, und Manaen biegt dort ab, nachdem er sich von den Hirten verabschiedet hat, die in kleinen Gruppen in die Stadt und zum Abendmahlsaal gehen wollen.

Wie ihren Reden zu entnehmen ist, müssen sie kurz zuvor Johannes begegnet sein, der nach Bethanien gehen wollte, um die Nachricht von der Auferstehung zu überbringen und die Anweisung, in einigen Tagen alle in Galiläa zu sein. Sie trennen sich, weil die Hirten Petrus persönlich wiederholen wollen, was sie schon Johannes berichtet haben, nämlich, dass der Herr dem Lazarus erschienen ist und allen befohlen hat, sich im Abendmahlsaal einzufinden.

Manaen geht auf einer Nebenstraße zu einem Haus inmitten eines Ölgartens. Ein schönes, von herrlichen Libanon-Zedern umgebenes Haus, deren Wipfel die zahlreichen und großen Ölbäume auf dem Berg hoch überragen. Er geht entschlossen hinein und sagt zu dem herbeieilenden Diener: «Wo ist dein Herr?»

«Dort drüben, mit Joseph. Er ist soeben angekommen.»

«Sage ihm, dass ich hier bin.»

Der Diener geht und kommt mit Joseph und Nikodemus zurück. Die drei Stimmen vereinigen sich in einem einzigen Ausruf: «Er ist auferstanden!»

Sie schauen einander an und sind überrascht, dass sie es alle wissen. Dann nimmt Nikodemus den Freund und zieht ihn in ein inneres Zimmer. Joseph folgt ihnen.

«Du hast es gewagt, wiederzukommen?»

«Ja. Er hat gesagt: „Im Abendmahlsaal.“ Und ich möchte ihn jetzt in seiner Glorie sehen, um den Schmerz zu vergessen, ihn gebunden und schmutzbedeckt wie einen von der Welt verachteten Übeltäter gesehen zu haben...»

«Oh, wir möchten ihn auch sehen... Auch um die furchtbare Erinnerung an seine Qualen, an seine zahllosen Wunden zu vergessen... Aber er hat sich nur den Frauen gezeigt», flüstert Joseph.

«Das ist nur gerecht. Sie sind ihm all die Jahre treu geblieben. Wir haben Angst gehabt. Die Mutter hat gesagt: „Eine arme Liebe ist die eure, wenn sie bis jetzt gewartet hat, um sich zu erkennen zu geben“», bemerkt Nikodemus.

«Doch um Israel entgegentreten zu können, dass ihm heute mehr denn je feindlich gesinnt ist, haben wir es sehr nötig, ihn zu sehen...! Wenn du wüßtest! Die Wachen haben geredet... Nun sind die Vorsteher des Synedriums und die trotz des gewaltigen himmlischen Zornes immer noch nicht überzeugten Pharisäer auf der Suche nach allen, die von der Auferstehung wissen, um sie einsperren zu lassen. Ich habe den kleinen Martial geschickt, damit er alle im Haus warnt – ein Kind fällt nicht so auf. Aus dem Tempelschatz haben sie heiliges Geld genommen, um die Wachen zu kaufen, damit sie erzählen, die Jünger hätten den Leichnam gestohlen und alles, was sie zuvor über die Auferstehung gesagt hätten, sei aus Furcht vor einer Bestrafung erlogen gewesen. In der Stadt brodelt es wie in einem Kessel. Und einige der Jünger verlassen sie bereits aus Angst... Ich meine die Jünger, die nicht in Bethanien waren...»

«Ja, wir werden seinen Segen brauchen, um Mut zu haben.»

«Lazarus ist er erschienen... Es war etwa um die dritte Stunde. Lazarus ist wie verklärt.»

«Oh, Lazarus hat es auch verdient! Wir...» sagt Joseph.

«Ja. Uns bedecken noch die Krusten des Zweifels und allzu menschlichen Denkens wie ein schlecht ausgeheilter Aussatz... Und nur er kann sagen: „Ich will, seid rein!“ Wird er nun, da er auferstanden ist, nicht mehr mit uns, den Unvollkommensten von allen, sprechen?» fragt Nikodemus.

«Und wird er keine Wunder mehr wirken zur Strafe für die Welt, jetzt, da er vom Tod und dem Elend des Fleisches auferstanden ist?» fragt wiederum Joseph.

Aber auf ihre Frage gibt es nur eine Antwort: die seine. Und seine Antwort kommt nicht. Die drei sind sehr niedergeschlagen.

Dann sagt Manaen: «Nun, ich gehe in den Abendmahlsaal. Wenn sie mich töten, wird er meine Seele lossprechen, und ich werde ihn im Himmel wiedersehen. Wenn nicht, dann werde ich ihn hier auf Erden sehen. Manaen ist so unnütz in seiner Schar, dass er die gleiche Lücke hinterlassen wird wie eine Blüte, die man auf einer Wiese voller Blumen pflückt. Man wird es nicht einmal bemerken...» und er erhebt sich, um zu gehen.

Doch als er sich der Tür zuwendet, erhellt sie sich im Licht des göttlichen Auferstandenen, der ihn mit wie zur Umarmung ausgebreiteten Armen aufhält und sagt: «Der Friede sei mit dir! Der Friede sei mit euch! Bleibt, wo ihr seid, du und Nikodemus. Joseph kann gehen, wenn er will. Aber hier bin ich und sage das gewünschte Wort: „Ich will, seid rein von allem, was noch unrein an eurem Glauben ist.“ Morgen werdet ihr hinunter in die Stadt und zu den Brüdern gehen. Heute abend muss ich zu den Aposteln allein sprechen. Lebt wohl. Gott sei allezeit mit euch. Danke, Manaen. Du hast mehr geglaubt als diese. Danke also auch deiner Seele. Euch danke ich für eure Barmherzigkeit. Sorgt durch ein Leben des unerschütterlichen Glaubens dafür, dass sie sich in Höheres wandle.»

Jesus verschwindet in einer blendenden Helle.

Die drei sind beseligt und verwirrt zugleich.

«Aber ist er es wirklich gewesen?» fragt Joseph.

«Hast du denn seine Stimme nicht gehört?» entgegnet Nikodemus.

«Die Stimme... auch ein Geist kann sie haben... Du, Manaen, du warst ganz in seiner Nähe, was meinst du?»

«Ein wahrer Körper. Wunderschön. Er hat geatmet. Ich habe den Atem gespürt. Er strahlte Wärme aus. Und dann... ich habe die Wunden gesehen. Sie schienen offen. Sie haben nicht geblutet, aber es war lebendiges Fleisch. Oh, zweifelt nun nicht mehr! Damit er euch nicht straft. Wir haben den Herrn gesehen. Ich will sagen, wir haben Jesus gesehen, der in Herrlichkeit zurückgekehrt ist, wie es seiner Natur entspricht. Und... er liebt uns immer noch... Wahrlich, wenn Herodes mir jetzt sein Reich anbieten würde, so wäre meine Antwort: „Staub und Unrat sind dein Thron und deine Krone. Was ich jetzt besitze, ist größer als alles. Ich kenne die Seligkeit, dass Antlitz Gottes geschaut zu haben.“»

JESUS ERSCHEINT DEN HIRTEN

Auch diese eilen unter den Ölbäumen dahin und sind von seiner Auferstehung so überzeugt, dass sie wie glückliche Kinder darüber reden. Sie begeben sich direkt zur Stadt.

«Wir werden Petrus sagen, dass er ihn gut ansehen und uns dann beschreiben soll, wie schön sein Antlitz ist», sagt Elias.

«Oh, so schön es auch sein mag, ich werde nie vergessen können, wie sehr sie ihn gequält haben», flüstert Isaak.

«Erinnerst du dich, wie er war, als sie das Kreuz aufgerichtet haben?»fragt Levi. «Und ihr?»

«Ich ganz genau. Es war noch hell genug. Danach habe ich mit meinen alten Augen nur noch wenig gesehen», sagt Daniel.

«Ich dagegen habe ihn gesehen, bis er tot schien. Ich wollte, ich wäre blind gewesen, um nichts zu sehen!» sagt Joseph.

«Oh! Nun ist er aber auferstanden. Das muss uns glücklich machen», tröstet Johannes.

«Und auch der Gedanke, dass wir ihn nur verlassen haben, um Liebe zu üben», fügt Jonathan hinzu.

«Aber unser Herz ist dort oben geblieben. Immer», flüstert Matthias.

«Ja, immer. Du, der du ihn auf dem Schweißtuch gesehen hast, sag, wie ist er? Gleicht er dem, den wir kennen?» fragt Benjamin.

«So, als ob er reden würde», antwortet Isaak.

«Ob wir den Schleier sehen dürfen?» fragen viele.

«Oh, die Mutter zeigt ihn allen. Ihr werdet ihn gewiss sehen. Aber es ist ein trauriger Anblick. Besser wäre es, ihn... Oh, Herr!»

«Getreue Diener. Hier bin ich. Geht. In einigen Tagen erwarte ich euch in Galiläa. Noch einmal möchte ich euch sagen, dass ich euch liebe. Jonas ist selig mit den anderen im Himmel.»

«Herr! Oh, Herr!»

«Der Friede sei mit euch, die ihr guten Willens seid.»

Der Auferstandene verschmilzt mit den Strahlen der hellen Mittagssonne. Als die Hirten aufschauen, ist er nicht mehr da. Aber es bleibt die große Freude, ihn gesehen zu haben, wie er jetzt ist: glorreich.

Sie stehen auf und sind vor Freude ganz verwandelt. In ihrer Demut erscheint es ihnen unmöglich, die Gnade, ihn zu sehen, verdient zu haben, und sie sagen: «Zu uns! Zu uns ist er gekommen! Wie gut ist doch unser Herr! Von der Geburt bis zu seinem Triumph ist er immer demütig gewesen und gut zu seinen armen Dienern.»

«Und wie schön er war!»

«Oh, so schön wie noch nie! Welche Majestät!»

«Er scheint noch größer und reifer an Jahren zu sein.»

«Ein wirklicher König!»

«Oh, sie nannten ihn den König des Friedens! Aber er ist auch der furchtbare König für jene, die sein Gericht fürchten müssen.»

«Hast du gesehen, welche Strahlen von seinem Antlitz ausgegangen sind?»

«Und welches Leuchten von seinen Augen!»

«Ich habe nicht gewagt, ihn richtig anzusehen. Und doch hätte ich es so gerne getan, denn ich denke, es wird mir vielleicht erst wieder im Himmel gewährt sein, ihn so zu sehen. Und ich möchte ihn kennen, damit ich dann nicht erzittere.»

«Oh, wir brauchen keine Angst zu haben, wenn wir bleiben, was wir sind: seine treuen Diener. Hast du gehört: „Noch einmal möchte ich euch sagen, dass ich euch liebe. Der Friede sei mit euch, die ihr guten Willens seid.“ Oh, nicht ein Wort zuviel. Aber diese wenigen enthalten sein ganzes Einverständnis mit dem, was wir bisher getan haben und das wunderbarste Versprechen für unser zukünftiges Leben. Laßt uns den Gesang der Freude, unserer Freude, anstimmen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind. Wahrlich, der Herr ist auferstanden, wie er durch den Mund der Propheten gesagt hat und durch sein unfehlbares Wort. Mit seinem vergossenen Blut ist von ihm gewichen alles Übel, dass ihn durch den Kuß eines Menschen berührt hat. Und da der Altar nun rein ist, hat sein Leib die unaussprechliche Schönheit Gottes angenommen. Bevor er zum Himmel auffährt, hat er sich seinen Knechten gezeigt. Halleluja! Laßt uns singen, halleluja! O ewige Jugend Gottes! Laßt uns den Menschen verkünden, dass er auferstanden ist, halleluja! Der Gerechte, der Heilige ist auferstanden, halleluja, halleluja! Aus dem Grabe ist er unsterblich erstanden. Und der gerechte Mensch ist mit ihm auferstanden. In Sünde, wie in einer Höhle, war das Herz des Menschen eingeschlossen. Er ist gestorben, um zu sagen: „Stehet auf!“ Und die Verstreuten sind aufgestanden, halleluja! Die Pforten des Himmels hat er geöffnet und zu den Auserwählten gesagt: „Kommt.“ Möge es durch das Blut des Heiligen auch uns gewährt sein, aufzuerstehen. Halleluja!“»

Matthias, der alte ehemalige Jünger Johannes des Täufers, geht singend voran, wie vielleicht einst David vor seinem Volk singend auf den Straßen von Judäa einherzog. Die anderen folgen ihm und stimmen bei jedem Halleluja mit heiligem Jubel ein.

Jonathan, der mit der Gruppe geht, sagt, als Jerusalem schon am Fuß des Hügels liegt, den sie mit eiligen Schritten hinabsteigen: «Durch seine Geburt habe ich Vaterland und Haus verloren, und durch seinen Tod habe ich das neue Haus verloren, in dem ich dreißig Jahre lang ehrbar gearbeitet habe. Doch selbst wenn ich seinetwegen das Leben verloren hätte, so wäre ich freudig gestorben, da ich das Leben seinetwegen verloren hätte. Ich hege keinen Haß gegen jene, die mich ungerecht behandeln. Mein Herr hat mich durch sein Sterben die vollkommene Sanftmut gelehrt. Und ich denke nicht an morgen. Meine Wohnstatt ist nicht hier, sondern im Himmel. Ich werde in der Armut leben, die ihm so teuer war, und werde ihm bis zu der Stunde dienen, da er mich ruft... Und... Ja, ich werde ihm auch den Verzicht... auf meine Herrin opfern... Dies ist der schmerzlichste Stachel... Doch nun, da ich den Schmerz des Christus und seine Herrlichkeit gesehen habe, darf ich nicht an die Größe meines Schmerzes denken, sondern nur auf die himmlische Herrlichkeit hoffen. Gehen wir und sagen wir den Aposteln, dass Jonathan der Diener der Diener Christi ist.»