28.02.2016

383. DER UNFRUCHTBARE FEIGENBAUM; AUF DEM WEG NACH SEFED

nach Maria Valtorta

Die Straße, die nach Sefed führt, verläßt die Ebene von Chorazim, um eine ziemlich bedeutende und dicht bewachsene Bergkette zu erklettern. Ein Wasserlauf durchquert diese Berge, sicher in Richtung des Sees von Tiberias.

Die Pilger warten an einer Brücke, bis die anderen, die zum Meronsee gesandt worden waren, sie erreichen. Sie lassen nicht lange auf sich warten. Zur abgemachten Stunde kommen sie eiligen Schrittes, gesellen sich voller Freude zum Meister und zu den Gefährten und berichten über den Verlauf der Reise. Sie erzählen von einigen Wundern, die abwechselnd von allen Aposteln gewirkt worden sind, wie sie erklären. Aber Judas von Kerioth verbessert: «Mit Ausnahme von mir, dem nichts gelungen ist», und seine Beschämung bei diesem Bekenntnis ist ihm peinlich.

«Wir haben dir schon gesagt, dass es so gewesen ist, weil wir einen großen Sünder vor uns hatten», entgegnet Jakobus des Zebedäus, und erklärt: «Weißt du, Meister, es handelt sich um Jakob, einen Schwerkranken, der dich nur anruft aus lauter Angst vor dem Tod und dem Gericht Gottes. Doch er ist jetzt geiziger denn je, da er nach dem Frost eine schreckliche Mißernte voraussieht. All sein Saatgut ist verloren und er kann kein anderes mehr säen, da er krank ist und seine Magd, die durch mühselige Arbeiten und Hunger erschöpft ist, die Felder nicht pflügen kann. Er spart sogar mit dem Mehl für das Brot, da er befürchtet, eines Tages nichts mehr zu essen zu haben. Wir haben vielleicht gesündigt, aber wir haben den ganzen Freitag bis zum letzten Tageslicht und nach dem Sonnenuntergang sogar im Schein von Fackeln und eines Holzstoßes gearbeitet und einen Großteil seiner Felder gepflügt. Philippus, Johannes und Andreas verstehen sich darauf, und ich auch. Wir haben geschuftet... Simon, Matthäus und Bartholomäus kamen hinter uns her und säuberten die Schollen vom aufgegangenen und kurz darauf abgestorbenem Getreide. Judas ist hingegangen, um in deinem Namen etwas Samen von Judas und Annas zu erbitten, und hat ihnen unseren Besuch für heute versprochen. Er hat sogar einen ausgezeichneten Samen erhalten. Also haben wir uns gesagt: „Morgen werden wir säen“ und deswegen sind wir etwas später gekommen, denn wir haben bei Sonnenuntergang damit begonnen. Der Ewige möge uns verzeihen, dass wir aus diesem Grund gesündigt haben. Judas blieb inzwischen am Bett Jakobs, um ihn zu bekehren. Er kann besser reden als wir, Bartholomäus und der Zelote behaupten dies wenigstens. Aber Jakob blieb allen Argumenten gegenüber taub. Er wollte die Heilung, weil ihm die Krankheit Kosten verursacht. Er beschimpfte auch die Magd und nannte sie eine Faulenzerin.

Um ihn zu beruhigen und angesichts seiner Worte: „Ich werde mich bekehren, wenn ich geheilt werde“, legte ihm Judas die Hände auf. Aber Jakob blieb krank wie zuvor. Judas teilte es uns ganz traurig mit. Bevor wir uns zur Ruhe begaben, versuchten wir es, doch auch wir erlangten kein Wunder. Judas besteht nun darauf, dass dies geschehen ist, weil er bei dir in Ungnade gefallen ist, seit er dir mißfallen hat, und ist sehr niedergeschlagen. Wir jedoch sind der Meinung, dass es so sein musste, weil wir einen verstockten Sünder vor uns hatten, der glaubte, alles erreichen zu können, was er wollte, indem er selbst Gott Grenzen setzte und ihm Befehle erteilte. Wer hat nun Recht?»

«Ihr sieben habt recht. Und Judas und Annas? Wie steht es um ihre Felder?»

«Auch ihre Felder haben ziemlich unter dem Frost gelitten. Aber sie hatten genügend Mittel, und alles ist schon wieder in Ordnung gebracht. Die beiden sind wirklich gut! Nimm, sie schicken dir diese Spende und diese Nahrungsmittel und hoffen, dich bald einmal wiederzusehen. Was uns betrübt, ist der Seelenzustand Jakobs. Ich hätte lieber seine Seele als seinen Leib geheilt....», sagt Andreas.

«Und an den anderen Orten?»

«Oh! auf dem Weg nach Debaret, in der Nähe des Dorfes, haben wir -es war Matthäus – einen Mann vom Fieber geheilt, der von einem Arzt herkam, der ihn aufgegeben hatte. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang sind wir bei ihm geblieben, und das Fieber ist nicht wiedergekommen. Zudem hat er uns versichert, dass er sich wohl und stark fühlt. Dann hat Andreas einen Bootsmann in Tiberias geheilt, der sich bei einem Sturz auf Deck eine Schulter gebrochen hatte. Er legte ihm die Hände auf, und die Schulter war geheilt. Stell dir den Mann vor! Er wollte uns umsonst nach Magdala, Kapharnaum und Bethsaida fahren, wo er geblieben ist, weil dort die Jünger Timoneus von Aera, Philippus von Arbela, Ermastheus und Markus des Josia sind. Letzterer ist einer von denen, die bei Gamala von der Besessenheit befreit worden sind. Auch Joseph, der Bootsverleiher, möchte ein Jünger werden...

Den Kindern geht es gut bei Johanna. Sie scheinen nicht mehr die gleichen zu sein. Sie waren im Garten und spielten mit Johanna und Chuza...»

«Ich habe sie gesehen. Auch ich bin dort vorbeigekommen. Erzählt weiter.»

«In Magdala war es Bartholomäus, der ein sittenloses Herz und einen sittenlosen Leib geheilt hat. Wie gut hat er gesprochen! Er hat erklärt, wie die Verwirrung des Geistes Unordnung im Körper hervorruft und jedes Nachgeben der Unehrbarkeit gegenüber zum Verlust der Ruhe, der Gesundheit und schließlich der Seele führt. Als er ihn reuevoll und überzeugt gesehen hat, hat er ihm die Hand aufgelegt, und der Mann ist geheilt worden. Sie wollten uns in Magdala zurückhalten, aber wir waren gehorsam und sind am nächsten Morgen nach Kapharnaum gefahren.

Dort trafen wir die fünf an, die dich um Gnade gebeten haben. Sie wollten den Ort eben enttäuscht verlassen, aber wir heilten sie und fuhren dann gleich nach Bethsaida, um den Fragen des Eli, des Urias und ihrer Begleiter auszuweichen. In Bethsaida! ... Aber erzähle du, Andreas, deinem Bruder ...» schließt Jakobus des Zebedäus, der bis jetzt immer gesprochen hat. «O Meister! O Simon! Wenn ihr Margziam sehen könntet! Er ist nicht mehr wiederzuerkennen!»

«O Schicksal! Er wird doch nicht etwa ein Mädchen geworden sein?» ruft Petrus fragend aus.

«Nein, im Gegenteil! Er ist ein schöner Jüngling, groß und schlank, weil er so schnell gewachsen ist... Wunderbar! Wir haben ihn kaum wiedererkannt. Er ist so groß wie deine Frau und wie ich...»

«Oh, gut! Weder ich, noch du, noch Porphyria sind Palmen! Man könnte uns eher mit Dornbüschen vergleichen ...» sagt Petrus, der sich freut, als er hört, dass sein Adoptivsohn sich so gut entwickelt hat.

«Ja, Bruder. Aber noch zur Zeit des Lichterfestes war er ein Knäblein, dass mir kaum bis an die Schultern reichte, und heute ist er wirklich ein junger Mann, in Gestalt, Stimme und Haltung. Ihm ist es ergangen wie den Bäumen, deren Wachstum jahrelang stockt und die dann plötzlich ein erstaunlich üppiges Aufblühen erleben. Deine Frau hat ordentlich zu tun gehabt mit dem Verlängern der alten Gewänder und der Anfertigung von neuen. Sie versieht sie mit breiten Säumen und Falten an den Hüften, denn sie sieht mit Recht voraus, dass Margziam weiterwachsen wird. Noch mehr wächst er in der Weisheit heran. Meister, die weise Bescheidenheit Nathanaels hat dir verschwiegen, dass Bartholomäus zwei Monate lang als Lehrer des jüngsten und heldenhaftesten Jüngers gewaltet hat, der sich schon vor dem Morgengrauen erhebt, um die Schafe zu weiden, Holz zu hacken, Wasser zu schöpfen, Feuer anzuzünden, sauberzumachen und Einkäufe für seine Pflegemutter zu erledigen; und am Nachmittag lernt und schreibt er jeweils bis zum späten Abend, wie ein kleiner Gelehrter. Stell dir vor, er hat alle Kinder von Bethsaida versammelt, und am Sabbat belehrt er sie über die Frohe Botschaft. So haben die Kinder, die, um Störungen zu vermeiden, von den Gottesdiensten in der Synagoge ausgeschlossen sind, ihren Tag des Gebetes wie die Erwachsenen. Die Mütter sagen mir, dass es schön ist, ihn sprechen zu hören, und dass die Kinder ihn gern haben, ihm ehrfurchtsvoll gehorchen und immer braver werden. Welch ein Jünger wird aus ihm noch werden!»

«Schau einer an! Ich... bin ganz gerührt... mein Margziam! Aber schon in Nazareth, nicht wahr? Welch ein Heroismus für... jenes Mädchen, Rachel, nicht wahr?» Petrus unterbricht sich gerade noch rechtzeitig und ist purpurrot geworden aus Furcht, zu viel gesagt zu haben.

Zum Glück kommt ihm Jesus zu Hilfe, und Judas ist in seine eigenen Gedanken vertieft und achtet nicht auf seine Worte, oder er tut jedenfalls so. Jesus sagt: «Ja, Rachel, du hast recht, sie ist geheilt, und die Felder werden viel Getreide geben. Jakobus und ich sind dort vorbeigekommen. So viel vermag das Opfer eines gerechten Kindes.»

«In Bethsaida war es Jakobus, der ein Wunder an einem armen Krüppel wirkte, und Matthäus heilte auf dem Weg zum Hause Jakobs einen Knaben. Gerade heute haben Philippus und Johannes auf dem Platze jenes Dorfes bei der Brücke einen Augenkranken und einen besessenen Knaben geheilt.»

«Ihr habt es alle gut gemacht. Sehr gut! Nun werden wir uns zu dem Dorf dort am Hang begeben, um in irgendeinem Haus übernachten.»

«Aber du, Meister, was hast du getan? Wie geht es Maria und der anderen Maria? fragt Johannes.

«Es geht ihnen gut, und sie lassen euch alle grüßen. Sie richten schon die Gewänder und alles, was für die Pilgerreise im Frühjahr erforderlich ist, her. Sie können die Stunde nicht erwarten, wieder mit uns zusammen zu sein.»

«Auch Susanna, und Johanna und unsere Mutter haben dieselbe Sehnsucht», sagt wiederum Johannes.

Bartholomäus fügt bei: «Auch meine Frau will mit unseren Töchtern nach so vielen Jahren wieder nach Jerusalern mitkommen. Sie sagt, dass es nie mehr so schön sein wird, wie dieses Jahr... Ich weiß nicht, warum sie das sagt; aber sie behauptet, es im Herzen zu fühlen.»

«Dann wird bestimmt auch die meinige kommen. Sie hat noch nicht davon gesprochen, aber was Anna tut, macht auch Maria immer», sagt Philippus.

«Was machen die Schwestern des Lazarus? Ihr, die ihr sie gesehen habt», fragt der Zelote.

«Sie gehorchen schweren Herzens dem Befehl des Meisters und der Notwendigkeit... Lazarus ist sehr leidend, nicht wahr Judas? Er muss fast immer liegen. Doch erwarten sie sehnlichst den Meister», sagt Thomas.

«Bald ist das Passahfest, und wir werden Lazarus aufsuchen.»

«Aber du, was hast du in Nazareth und Chorazim getan?»

«In Nazareth habe ich Verwandte und Freunde besucht, auch die Verwandten der beiden Jünger. In Chorazim habe ich in der Synagoge gesprochen und eine Frau geheilt. Wir haben bei der Witwe Aufenthalt genommen. Ihre Mutter ist gestorben. Es war ein Schmerz und eine Erleichterung zugleich, wegen der geringen Einnahmen und wegen der Zeit, welche die Pflege der Kranken in Anspruch nahm; denn die Witwe hat begonnen, in Lohnarbeit für andere zu spinnen. Aber sie ist nicht mehr verzweifelt wie früher. Das Notwendige ist gesichert, und sie ist zufrieden damit. Joseph geht jeden Morgen zu einem Zimmermann am Jakobsbrunnen, um das Handwerk zu erlernen.»

«Haben sich die Leute von Chorazim gebessert?» fragt Matthäus.

«Nein, Matthäus! Sie werden immer schlimmer», bekennt Jesus offen. «Sie haben uns schlecht behandelt, die Mächtigen natürlich, nicht das einfache Volk.»

«Es ist ein schrecklicher Ort. Geh nicht mehr dorthin», mahnt Philippus.

«Das würde dem Jünger Elias sehr weh tun, und ebenso der Witwe, der heute geheilten Frau und den andern guten Leuten.»

«Ja, aber es sind so wenige, dass ich mich nicht mehr dieses Ortes annehmen würde. Du selbst hast es gesagt: „Die Leute dort lassen sich nicht belehren“, sagt Thomas.

«Etwas wird bleiben, wie ein Same, der tief unter sehr harten Schollen liegt. Es wird lange dauern, bis er keimt, aber schließlich wird er keimen. So ist es mit Chorazim. Eines Tages wird das, was ich gesät habe, aufgehen. Man darf sich nicht von den ersten Niederlagen entmutigen lassen. Hört dieses Gleichnis. Es könnte den Titel tragen: Das Gleichnis vom guten Landmann.

Ein reicher Mann hatte einen großen und schönen Weinberg, in dem auch Feigenbäume verschiedener Güte waren. Die Arbeiten im Weinberg besorgte einer seiner Knechte mit viel Erfahrung als Winzer und im Beschneiden der Obstbäume, der seine Pflicht in Liebe zu seinem Herrn und zu den Pflanzen erfüllte. Alle Jahre ging der Reiche in der schönsten Jahreszeit mehrmals in seinen Weinberg, um das Heranreifen der Weintrauben und der Feigen zu betrachten und um sie zu genießen, indem er sie mit eigenen Händen von den Pflanzen pflückte. Eines Tages kam er zu einem besonders edlen Feigenbaum, dem einzigen Baum dieser Art im Weinberg. Wie in den beiden letzten Jahren, fand er ihn auch jetzt wieder voller Blätter, aber ohne Früchte. Er rief den Winzer herbei und sagte: „Es sind nun schon drei Jahre, dass ich komme und an diesem Feigenbaum Früchte suche, jedoch nur Laub vorfinde. Ich sehe nun, dass dieser Baum nie mehr Früchte tragen wird. Haue ihn um. Es ist zwecklos, dass er hier den Platz beansprucht und deine Zeit verschwendet, um schließlich doch nichts hervorzubringen. Säge ihn ab, verbrenne ihn, grabe seine Wurzeln aus und setze an die Stelle einen neuen Baum; in einigen Jahren wird er Früchte bringen.“ Der Winzer, der geduldig und liebevoll war, antwortete: „Du hast recht, aber laß mich ihn noch ein Jahr pflegen. Ich werde ihn nicht absägen, sondern vielmehr mit noch größerer Sorgfalt den Boden um ihn herum auflockern, ihn düngen und bewässern. Vielleicht wird er dann doch noch Früchte tragen. Wenn er nach diesem letzten Versuch keine Früchte tragen sollte, werde ich deinen Wunsch erfüllen und ihn umhauen.“

Chorazim ist der Feigenbaum, der keine Früchte trägt; ich bin der gute Gärtner, und ihr seid der ungeduldige Reiche. Laßt den guten Gärtner wirken!»

«Gut! Aber du hast dein Gleichnis nicht beendet. Hat der Feigenbaum dann im nächsten Jahr Früchte getragen?» fragt der Zelote.

«Er hat keine Früchte getragen und ist umgehauen worden. Aber der Gärtner konnte eine noch junge, kräftige Pflanze mit gutem Gewissen fällen, denn er hatte seine Pflicht getan. Auch ich will gerechtfertigt sein hinsichtlich derer, an die ich die Axt anlegen werde, um sie aus meinem Weinberg zu entfernen, wo es unfruchtbare und giftige Pflanzen, Schlangennester, Parasiten und Schädlinge gibt, welche den Jüngern schaden oder sie gar verderben, oder auch ungerufen, mit ihren bösartigen Wurzeln und widerspenstig gegen jede Veredelung, in meinen Weinberg eindringen, um sich dort zu vermehren. Sie haben sich nur eingeschlichen, um auszukundschaften, anzuschwärzen und mein Feld unfruchtbar zu machen. Diese werde ich ausrotten, nachdem ich alles versucht habe, um sie zu bekehren. Vorerst jedoch, bevor ich die Axt zur Hand nehme, ergreife ich das Messer und die Baumschere und beschneide und veredle... Oh, es wird eine harte Arbeit sein, sowohl für mich, der sie ausführt, als auch für jene, an denen sie vorgenommen wird. Aber es muss geschehen, damit man im Himmel sagen kann: „Alles hat er getan, doch sie sind immer unfruchtbarer und bösartiger geworden, je mehr er sie bewässerte und veredelte, je mehr er das Erdreich auflockerte und düngte, mit Schweiß und Tränen, mit Mühen und Blut...“ Nun sind wir im Dorf angekommen. Geht alle voraus und fragt nach einer Unterkunft. Du, Judas von Kerioth, bleibe bei mir!»

Sie bleiben allein zurück und gehen im Halbdunkel des Abends schweigend nebeneinander.

Schließlich sagt Jesus, so als rede er mit sich selbst: «Und doch, auch wenn man bei Gott in Ungnade gefallen ist, weil man gegen sein Gesetz gehandelt hat, kann man immer noch zurückkehren und das werden, was man vorher war, wenn man der Sünde entsagt ...»

Judas sagt nichts.

Wieder beginnt Jesus zu reden: «Und wenn man begreift, dass man nicht mehr über die göttliche Macht verfügen kann, weil Gott nicht dort ist, wo Satan ist, kann man doch mit Leichtigkeit alles wieder gutmachen, wenn man das, was Gott zusteht, dem vorzieht, was unser Stolz begehrt.»

Judas schweigt.

Schon sind sie am ersten Haus des Dorfes angekommen, und Jesu sagt, als würde er zu sich selber sprechen: «Wenn ich bedenke, dass ich harte Buße getan habe, auf dass er sein Unrecht einsehe und zum Vater zurückkehre...»

Judas zuckt zusammen, hebt den Kopf hoch, schaut ihn an... sagt aber kein Wort.

Auch Jesus schaut ihn an... und fragt dann: «Judas, zu wem rede ich?»

«Zu mir, Meister. Deinetwegen habe ich keine Macht mehr, weil du sie mir genommen hast, um Johannes, Simon, Jakobus und allen andern mehr davon zu verleihen als mir. Du liebst mich nicht, dass ist es! Ich werde noch soweit kommen, dass ich dich nicht mehr liebe und die Stunde verwünsche, in der ich dich geliebt habe und in den Augen der Welt für einen verzagten, unkriegerischen König, der sich vom Pöbel überwältigen läßt, mein Ansehen verloren habe. Das habe ich nicht von dir erwartet!»

«Auch ich habe so etwas nicht von dir erwartet, doch habe ich dich nie betrogen und dich nie zu etwas gezwungen. Warum bleibst du also an meiner Seite?»

«Weil ich dich liebe und mich nicht mehr von dir trennen kann. Du ziehst mich an und erregst zugleich Abscheu in mir. Ich verlange nach dir wie nach der Luft zum Atmen, und... du flößest mir Angst ein. Ach, ich bin verflucht! Ich bin verdammt! Warum befreist du mich nicht vom Teufel, du, der du es kannst?» Das Gesicht des Judas ist fahl und verzerrt. Wahnsinn, Furcht und Haß zeichnen sich darauf ab... Es erinnert schon, wenn auch nur schwach, an die satanische Maske des Judas am Karfreitag.

Das Antlitz Jesu hingegen gemahnt an den gegeißelten Nazarener, der im Hofe des Prätoriums auf einer umgestülpten Bütte sitzt und mit unendlich liebevoller Barmherzigkeit auf die schaut, die ihn verspotten. Er sagt, und mir scheint, ein Schluchzen sei schon in seiner Stimme zu hören: «Warum verspürst du keine Reue in dir, sondern nur Haß gegen Gott, als ob er an deiner Sünde Schuld trüge?»

Judas stößt einen häßlichen Fluch aus...

«Meister, wir haben Unterkunft gefunden, fünf in einem Haus, drei in einem andern, zwei in einem weiteren, und je einer wiederum in zwei andern Häusern. Anders war es nicht möglich», sagen die Jünger.

«Gut. Ich gehe mit Judas von Kerioth», sagt Jesus.

«Nein, ich ziehe es vor, allein zu bleiben. Ich bin unruhig und würde dich nicht schlafen lassen ...»

«Wie du willst... Dann werde ich mit Bartholomäus gehen, und ihr könnt tun, wie es euch beliebt. Zunächst gehen wir in das Haus, in dem am meisten Platz ist, um miteinander zu Abend zu essen.»