03.07.2016

DIE AUSSENDUNG UND RÜCKKEHR DER ZWEIUNDSIEBZIG JÜNGER

nach Maria Valtorta

«Ich sage es euch noch einmal! Wenn einer von euch sich nicht bereit fühlt, Opfer seiner eigenen Mission zu sein, soll er weggehen, aber nicht gegen sie fehlen. Er lasse es weder an seiner eigenen Ausbildung noch an der der anderen fehlen, wo es sich um wahrhaft schwerwiegende Dinge handelt. Er muss sich Gott zum Freund machen, indem er in seinem Herzen immer Vergebung für die Schwachen hegt. Denn seht, jeder, der dem Nächsten zu verzeihen weiß, wird auch von seinem Vater Verzeihung erlangen.

Der Aufenthalt ist zu Ende. Das Laubhüttenfest ist nahe. Jene, zu denen ich heute in der Frühe gesprochen habe, werden morgen aufbrechen, um mir vorauszugehen und mich den Menschen anzukündigen. Die, die zurückbleiben, sollen deswegen nicht betrübt sein. Ich habe einige von ihnen aus Gründen der Vorsicht zurückbehalten, nicht weil ich sie mißachte. Sie werden bei mir bleiben, und bald will ich auch sie aussenden, wie die ersten zweiundsiebzig. Die Ernte ist groß, und der Arbeiter werden immer wenige sein, gemessen am Bedarf. Es wird also immer Arbeit für alle geben. Daher bittet ohne Eifersucht den Herrn der Ernte, dass er immer neue Arbeiter in seine Ernte sende.

Nun geht! Ich und meine Apostel haben euch in diesen Tagen über die Arbeit, die ihr zu tun habt, unterwiesen und alles wiederholt, was ich den Zwölfen gesagt habe vor ihrer Aussendung. Einer von euch hat mich gefragt: „Aber wie werde ich in deinem Namen heilen können?“ Heilt immer zuerst den Geist. Versprecht den Kranken das Reich Gottes, wenn sie an mich glauben können; und wenn ihr in ihnen Glauben seht, dann befehlt der Krankheit zu weichen; sie wird weichen. Und so macht es auch mit den Kranken im Geist! Erweckt als erstes den Glauben. Teilt ihnen mit sicherem Wort die Hoffnung mit. Ich werde alsdann das Meinige tun und in ihnen die göttliche Liebe entzünden, so wie ich sie auch euch ins Herz gelegt habe, nachdem ihr an mich geglaubt und auf meine Barmherzigkeit gehofft habt. Fürchtet weder die Menschen noch Satan. Sie werden euch nicht schaden. Hütet euch nur vor der Sinnlichkeit, dem Stolz und dem Geiz. Dann werdet ihr euch Satan und den von Satan besessenen Menschen stellen können.

Geht nun! Geht mir auf dem Weg längs des Jordan voraus. Wenn ihr Jerusalern erreicht habt, begebt euch zu den Hirten im Tal von Bethlehem und kommt mit ihnen zu dem euch bekannten Ort. Dort wollen wir zusammen das heilige Fest feiern, um dann gestärkter denn je zu unserer Mission zurückzukehren.

Geht in Frieden! Ich segne euch im heiligen Namen des Herrn!»

In der langen Abenddämmerung eines heiteren Oktobertages kehren die zweiundsiebzig Jünger mit Elias, Joseph und Levi zurück. Sie sind müde und staubbedeckt, aber sehr glücklich! Glücklich sind auch die drei Hirten, die nun frei sind, dem Meister zu dienen. Glücklich sind sie auch darüber, dass sie nach langen Jahren der Trennung wieder mit den einstigen Gefährten zusammensein können. Glücklich sind die zweiundsiebzig Jünger, weil sie ihre Mission gut ausgeführt haben. Die Gesichter strahlen mehr als die Lämpchen, die die Hütten beleuchten, welche für die zahlreichen Gruppen von Pilgern aufgestellt worden sind.

In der Mitte befindet sich die Hütte Jesu, und etwas weiter unten die Hütte Marias und Margziams, der ihr bei der Zubereitung des Abendessens hilft. Ringsum stehen die Hütten der Apostel. Und in der des Jakobus und des Judas ist Maria des Alphäus; in der des Johannes und Jakobus Maria Salome mit ihrem Mann; in der nächsten Susanna mit ihrem Ehemann, der offiziell weder Apostel noch Jünger ist... aber sein Recht, dort zu sein, geltend gemacht hat, weil er seiner Frau die Erlaubnis gegeben hat, Jesus nachzufolgen. Dann kommen die Hütten der Jünger, teils mit, teils ohne Familie. Jene, die allein sind – was bei den meisten der Fall ist – haben sich mit einem oder mehreren Kameraden zusammengetan. Johannes von Endor hat den Ermastheus zu sich geholt. Er hat sich jedoch auch bemüht, so nahe als möglich bei der Hütte Jesu zu sein, weshalb Margziam oft zu ihm geht, um ihm dieses oder jenes zu bringen oder ihn mit seinen intelligenten, kindlichen Aussprüchen zu erfreuen, weil er glücklich ist, bei Jesus, Maria und Petrus und bei dem Fest zu sein.

Nachdem alle ihre Abendmahlzeit beendet haben, steigt Jesus den Hang des Ölbergs hinauf; die Jünger folgen ihm in großer Zahl. Abseits von der Menge und vom Lärm berichten sie Jesus nach dem gemeinsamen Gebet ausführlicher über ihre Erfahrungen.

Mit Erregung und Freude sagen sie: «Weißt du, Meister, dass nicht nur die Kranken, sondern auch die Dämonen uns unterworfen waren durch die Kraft deines Namens? Welche Macht, Meister! Wir, wir armen Männer konnten, nur weil du uns ausgesandt hast, den Menschen aus der schrecklichen Gewalt der Dämonen befreien...» Sie erzählen von verschiedenen Fällen, die sich da und dort begeben haben. Nur von einem berichten sie: «Die Eltern, oder besser die Mutter und die Nachbarn, haben ihn gegen seinen Willen zu uns gebracht. Doch der Dämon hat uns verspottet mit den Worten: „Ich bin seinem Willen gemäß zurückgekehrt, nachdem Jesus von Nazareth mich von hier vertrieben hatte, und ich lasse ihn nicht mehr los, denn er liebt mich mehr als euren Meister und hat mich gesucht“; und plötzlich entriß er ihn mit unwiderstehlicher Kraft

denen, die ihn hielten, und stieß ihn einen steilen Hang hinunter. Wir liefen hinzu, um zu sehen, ob er zerschmettert sei. Aber nein! Er rannte wie eine junge Gazelle und fluchte und schimpfte auf teuflische Weise ... Wir hatten Mitleid mit der Mutter... Aber er! Aber er! Oh, kann ein Dämon das tun?»

«Das und noch Schlimmeres», sagt Jesus traurig.

«Wenn du da gewesen wärest...»

«Nein! Ich hatte ihm gesagt: „Geh und falle nicht mehr in deine Sünde zurück!“ Er hat es gewollt. Er wußte, dass das Böse ihn anzog, und hat sich nicht dagegen gewehrt. Er ist verloren. Es ist etwas anderes, wenn jemand wegen seiner primitiven Unkenntnis vom Teufel besessen ist, als wenn er sich in Besitz nehmen läßt, obwohl er weiß, dass er sich damit wiederum an den Teufel verkauft. Aber sprecht nicht von ihm. Er ist ein hoffnungslos abgetrenntes Glied. Er will bewusst das Böse. Loben wir lieber den Herrn für die Siege, die er euch gewährt hat. Ich kenne den Namen des Schuldigen, und ich kenne die Namen der Geretteten. Ich sah Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen durch euer Verdienst verbunden mit meinem Namen. Denn ich habe auch eure Opfer und eure Gebete gesehen; die Liebe, mit der ihr zu den Unglücklichen gegangen seid, um zu tun, was ich euch aufgetragen hatte. Ihr habt es mit Liebe getan, und Gott hat euch gesegnet. Andere werden tun, was ihr tut, aber sie werden es ohne Liebe tun. Und sie werden keine Bekehrungen erlangen... Aber freut euch nicht darüber, dass euch die Geister unterlegen sind, sondern freut euch, weil eure Namen im Himmel geschrieben stehen. Und sorgt dafür, dass sie dort nie ausgelöscht werden!»

«Meister, wann werden jene kommen, die keine Bekehrungen bewirken können? Vielleicht, wenn du nicht mehr bei uns sein wirst?» fragt ein Jünger, dessen Namen ich nicht kenne.

«Nein, Agapus. Zu jeder Zeit!»

«Wie? Auch während du uns belehrst und liebst?»

«Ja! Und was die Liebe angeht, werde ich euch immer lieben, auch wenn ihr fern von mir seid. Meine Liebe wird euch immer erreichen, und ihr werdet sie fühlen.»

«Oh, dass ist wahr! Eines Abends habe ich es gefühlt, als ich in Verlegenheit war, weil ich einem, der mir Fragen stellte, nicht antworten konnte. Ich war schon dabei, beschämt zu fliehen. Doch dann habe ich mich deiner Worte erinnert: „Habt keine Angst! Im richtigen Augenblick werden euch die Worte, die ihr sagen müßt, eingegeben“; ich habe dich im Geist angerufen. Ich sagte: „Gewiß liebt Jesus mich. Ich rufe seine Liebe zu Hilfe“, und Liebe wurde mir zuteil. Wie ein Feuer, wie ein Licht... eine Kraft ... Der mir gegenüberstehende Mann bemerkte meine Verlegenheit, grinste höhnisch und zwinkerte seinen Freunden zu. Er war sicher, den Disput zu gewinnen. Ich habe den Mund geöffnet, und es war fast ein

Wortschwall, der freudig meinem törichten Mund entquoll. Meister, bist du wirklich gekommen, oder war es nur Einbildung? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass am Ende der Mann – es war ein junger Schriftgelehrter – mir die Arme um den Hals schlang und sagte: „Glücklich bist du, und glücklich ist, der dich zu dieser Weisheit geführt hat“, und er schien mir bereit zu sein, dich aufzusuchen. Wird er kommen?»

«Der Gedanke des Menschen ist unbeständig wie ein auf das Wasser geschriebenes Wort, und sein Wille ist unruhig wie die Flügel der Schwalbe, die umherfliegt, um sich die letzte Nahrung des Tages zu verschaffen. Doch du, bete für ihn... Und ja, ich bin zu dir gekommen. Außer mit dir bin ich auch mit Matthias und Timoneus, Johannes von Endor, Simon und Samuel des Jonas gewesen. Die einen haben mich gerufen, die anderen nicht. Doch ich war mit euch allen. Ich werde immer bei dem sein, der mir mit Liebe und in Wahrheit dient, bis ans Ende der Zeiten.»

«Meister, du hast uns noch nicht gesagt, ob unter den Anwesenden solche sind, die keine Liebe haben...»

«Das zu wissen ist nicht nötig. Es wäre Mangel an Liebe meinerseits, wenn ich euch Abneigung gegen einen Gefährten, der nicht lieben kann, einflößen würde.»

«Aber gibt es solche? Das kannst du doch sagen...»

«Es gibt solche! Die Liebe ist das Einfachste, dass Süßeste und das Seltenste, was es gibt, und nicht immer blüht sie auf, wenn sie gesät wird.»

«Aber wenn wir dich nicht lieben, wer kann dich dann lieben?»

Es entsteht ein fast unwilliges Murren unter den Aposteln und Jüngern durch den Verdacht und den Schmerz.

Jesus senkt die Lider. Er verschleiert auch den Blick, damit dieser nichts verrate. Doch er nimmt eine ergebene, sanfte, traurige Haltung an, wobei sich seine Hände öffnen und die Handflächen nach oben gerichtet sind zum Zeichen einer resignierten Feststellung, und sagt: «Es müßte so sein. Aber es ist nicht so. Viele kennen sich selbst noch nicht. Ich aber kenne sie. Und ich habe Mitleid!»

«Oh, Meister, Meister! Aber ich werde es doch nicht sein?» fragt Petrus, indem er sich Jesus nähert und dabei den armen Margziam zwischen sich und den Meister stellt. Er legt seine kurzen, sehnigen Arme auf die Schultern Jesu, faßt ihn dann und schüttelt ihn wie von Sinnen aus Angst, einer von denen zu sein, die Jesus nicht lieben.

Jesus öffnet die Augen wieder, die, obwohl sie immer noch traurig sind, nun wieder strahlen, schaut dem erschrockenen Petrus in das fragende Gesicht und sagt: «Nein, Simon des Jonas! Du bist nicht einer von ihnen. Du kannst lieben und wirst immer zu lieben verstehen. Du bist mein Fels, Simon des Jonas. Ein guter Felsen! Auf ihn werde ich die mir liebsten Dinge niederlegen, und ich bin sicher, dass du sie beschützen wirst, ohne Verwirrung zu kennen.»

«Ich vielleicht?» «Ich?» «Ich?» Die Fragen wiederholen sich wie ein Echo, dass von Mund zu Mund geht.

«Beruhigt euch! Seid beruhigt und bemüht euch alle, die Liebe zu besitzen.»

«Aber wer von uns liebt am meisten?»

Jesus läßt seinen Blick über alle schweifen: eine lächelnde Liebkosung. Dann senkt er den Blick auf Margziam, der immer noch zwischen ihm und Petrus gezwängt ist, schiebt Petrus etwas beiseite und sagt, indem er das Kind der Schar zuwendet:

«Hier ist der, der unter euch am stärksten liebt. Das Kind! Doch fürchtet euch nicht, ihr, die ihr schon Bärte auf den Wangen und weiße Fäden in den Haaren habt. Jeder, der in mir wiedergeboren wird, wird ein „Kind“. Oh, geht in Frieden! Lobt Gott, der euch berufen hat, denn ihr seht mit euren eigenen Augen die Wunder des Herrn. Selig jene, die sehen werden, was ihr seht. Denn ich versichere euch, viele Propheten und Könige haben sich gesehnt, zu sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen; viele Patriarchen hätten gerne gewußt, was ihr wißt, und wußten es nicht, und viele Gerechte hätten gerne gehört, was ihr hört, und konnten es nicht hören. Aber von nun an werden alle, die mich lieben, alles verstehen.»

«Und dann? Wenn du uns verlassen hast, wie du sagst?»

«Dann werdet ihr für mich reden. Und dann... Oh, große Scharen, nicht an Zahl, sondern an Gnaden, die das sehen, wissen und hören werden, was ihr jetzt seht, wißt und hört! Oh, große, geliebte Scharen meiner „Kleinen Großen“! Ewige Augen, ewige Geister, ewige Ohren! Wie kann ich euch erklären, euch, die ihr mich umringt, was dieses ewige Leben sein wird; mehr als ewig, unermeßlich, dieses ewige Leben aller, die mich lieben und die ich ewig liebe; die Bewohner Israels sein werden, auch wenn sie in Jahrhunderten leben, da Israel nichts anderes mehr sein wird als die Erinnerung an eine Nation, und die die Zeitgenossen des in Israel lebenden Jesus sein werden? Sie werden mit mir und in mir sein und sogar erkennen, was die Zeit ausgelöscht und der Hochmut widerlegt hat. Welchen Namen soll ich ihnen geben? Ihr Apostel, ihr Jünger, ihr Gläubigen werdet Christen genannt werden. Und sie? Welchen Namen werden sie haben? Einen Namen, der nur im Himmel bekannt ist. Welchen Lohn werden sie schon auf Erden erhalten? Meinen Kuß, meine Stimme, die Wärme meiner Menschheit. Alles, alles, alles! Mich selbst! Ich in ihnen, sie in mir. Die vollkommene Vereinigung...