06.06.2016

DIE BERGPREDIGT; DIE SELIGPREISUNGEN (Erster Teil)

nach Maria Valtorta

Jesus spricht mit den Aposteln und weist jedem seinen Platz zu, damit sie die Leute, die seit den ersten Morgenstunden heraufkommen, anleiten und betreuen. Viele Kranke sind auf Armen oder Bahren herbeigetragen worden oder haben sich auf Krücken hergeschleppt. Unter den Vielen befinden sich auch Stephanus und Hermas.

Die Luft ist klar und etwas frisch, doch die Sonne mildert die morgendliche Brise in den Bergen, ohne ihr die gesunde Reinheit zu nehmen. Die Menschen setzen sich auf Steine und Felsbrocken, die in der Senke zwischen den beiden Gipfeln liegen; andere warten ab, dass die Sonne das taunasse Gras trocknet, um sich dann auf dem Boden niederzulassen. Es ist schon eine große Menschenmenge da; sie stammen aus allen Gegenden Palästinas und aus allen Volksschichten. Die Apostel verlieren sich in dieser Menge, aber, wie Bienen, die zwischen den Wiesen und den Bienenstöcken hin- und herfliegen, kehren sie immer wieder zum Meister zurück, um ihm zu berichten und ihm Fragen zu stellen, aber auch, um von den Leuten als ihm Nahestehende beachtet zu werden.

Jesus geht durch den Talgrund und steigt etwas höher die Wiese empor, lehnt sich an die Felswand und beginnt zu sprechen.

«Viele haben mich während des Jahres, da ich gepredigt habe, gefragt: „Du, der du dich Sohn Gottes nennst, sage uns also, was der Himmel, was das Reich, was Gott ist, denn wir haben unklare Vorstellungen. Wir wissen, dass es einen Himmel mit Gott und den Engeln gibt; doch keiner ist je zu uns gekommen, um uns zu sagen, wie der Himmel ist, da er selbst den Gerechten verschlossen ist.“ Sie haben mich also gefragt, was das Reich und was Gott ist. Ich habe mich bemüht, es euch zu erklären: bemüht, nicht weil es schwierig für mich wäre, euch dies zu erklären, sondern weil es durch eine Reihe von Umständen schwierig ist, euch die anstößige Wahrheit über das wahre Reich erkennen zu lassen; denn dem steht ein jahrhundertealtes Gefüge menschlicher Vorstellungen über das Wesen Gottes – ungeachtet der Erhabenheit seiner göttlichen Natur – entgegen.

Andere wiederum haben gefragt: „Gut, dies ist das Reich, und das ist Gott. Aber wie gelangt man zu Gott und zum Reich?“ Auch hier habe ich unermüdlich versucht, den wahren Kern des Gesetzes vom Sinai zu erklären. Wer sich diese Wahrheit zu eigen macht, macht sich den Himmel zu eigen. Aber um euch das Gesetz des Sinai zu erklären, ist es nötig, euch auch die Donnerstimme des Gesetzgebers und seines Propheten vernehmen zu lassen, die den Befolgern des Gesetzes Segen verheißen, den Ungehorsamen aber harte Strafen und den Fluch Gottes androhen. Die Erscheinung des Herrn am Sinai war schreckenerregend, und diese Schrecklichkeit spiegelt sich im ganzen Gesetz wider und gilt für alle Zeiten und alle Menschen.

Doch Gott ist nicht nur Gesetzgeber, Gott ist Vater! Er ist ein unendlich gütiger Vater.

Vielleicht, nein, sicher können sich eure geschwächten Seelen nicht mehr zu Gott erheben; denn sie sind geschwächt durch die Erbsünde, die Leidenschaften, die Sünden, die vielen Arten euerer Selbstsucht und auch durch den Egoismus anderer. Durch all das habt ihr eure Mitmenschen verärgert und verschließt euch ihnen gegenüber. Ihr seid daher nicht fähig, die unendlichen Vollkommenheiten Gottes zu betrachten, und am wenigsten die Güte Gottes, weil sie die Tugend ist, die die Sterblichen, zusammen mit der Liebe, am wenigsten besitzen. Die Güte! Wie süß ist es, gut zu sein, ohne Haß, ohne Neid, ohne Hochmut! Augen zu haben, die nur liebevoll schauen, Hände zu haben, die in einer Gebärde der Liebe gereicht werden, Lippen, die nur Worte der Liebe sprechen, und ein Herz, vor allem ein Herz, in dem einzig und allein die Liebe wohnt und das Augen, Hände und Lippen zu Taten der Liebe drängt!

Die Gelehrten unter euch wissen, welch reiche Gaben Gott Adam und seinen Nachkommen hat zuteil werden lassen. Auch die ungebildetsten unter den Kindern Israels wissen, dass in uns der Geist (die Seele), ist. Nur die armen Heiden kennen ihn nicht, diesen königlichen Gast, diesen Hauch des Lebens, dieses himmlische Licht, dass unseren Leib heiligt und belebt. Aber die Gelehrten wissen, welche Gaben dem Menschen, dem Geist des Menschen, verliehen wurden.

Gott hat diesen Geist nicht weniger freigebig bedacht als das Fleisch und Blut des von ihm mit etwas Staub und seinem Hauch erschaffenen Geschöpfes. Wie er Adam die natürlichen Gaben der Schönheit, der Unversehrtheit, der Intelligenz, des Willens und der Fähigkeit zu lieben und Liebe zu schenken gab, so verlieh er auch die moralischen Gaben: die Unterordnung des Fleisches unter die Vernunft, damit sein Geschenk der Freiheit, Selbstbeherrschung und des eigenen Willens nicht durch die Knechtschaft der Triebe und Leidenschaften beeinträchtigt werde. Frei war sein Lieben, frei sein Wollen, und frei seine Freude in Gerechtigkeit; ohne das Gift, dass Satan verspritzt, von dem er überfließt und das euch zu Sklaven macht; das Gift, dass euch vom reinen Flußbett über schlammige Felder in faulende Tümpel führt, wo die Fieber fleischlicher und geistiger Triebhaftigkeiten gären. Ihr wißt, dass auch die Begehrlichkeit im Denken zur Sinnlichkeit gehört. Die ersten Menschen hatten übernatürliche Gaben: die heiligmachende Gnade, die Bestimmung zu Höherem, die Anschauung Gottes.

Die heiligmachende Gnade: das Leben der Seele, dieses hochgeistige Etwas, dass in unsere religiöse Seele gelegt wurde; die Gnade, die uns zu Kindern Gottes macht, weil sie uns vor dem Tod durch die Sünde bewahrt; denn wer tot ist, lebt nicht im Haus des Vaters, im Paradies, in meinem Reich: dem Himmel. Was ist diese heilige Gnade, die das Leben und den Himmel verleiht? Oh, macht nicht viele Worte. Die Gnade ist Liebe. Die Gnade ist daher Gott. Sie ist Gott! Gott, der sich selbst in seinem vollendet erschaffenen Geschöpf bewundert, liebt, betrachtet, sich selbst verschenkt, um diesen seinen Besitz zu vermehren, um sich an dieser Vermehrung zu beseligen und um sich in allen zu lieben, die sein eigenes Ich sind.

O Kinder, beraubt Gott nicht dieses seines Rechtes! Beraubt Gott nicht seines Besitzes! Enttäuscht Gott nicht in diesem seinem Wunsch! Denkt daran, dass er aus Liebe wirkt. Auch wenn ihr nicht wäret, bliebe er doch immer der Unendliche, und seine Macht wäre dadurch nicht geringer. Doch obschon Gott in seiner unendlichen Größe vollendet und unermeßlich ist, will er seine Liebe nicht für sich und in sich vermehren, denn er könnte es ja gar nicht, da er schon der Unendliche ist, sondern er will es tun für sein Geschöpf, und er will diese Liebe in dem Maße vermehren, wie dieses Geschöpf selbst Liebe hat. Er gibt euch die Gnade, die Liebe, auf dass sie in euch zur Vollkommenheit der Heiligen wachse und ihr dann diesen Schatz, den ihr aus dem Schatz der Gnade Gottes geschöpft und durch alle heiligen Werke eures ganzen heldenhaften und heiligen Lebens vermehrt habt, in den unendlichen Ozean des Himmels, die Wohnung Gottes, zurückfließen laßt.

Göttliche, göttliche, göttliche Zisternen der Liebe! Ihr lebt und seid nicht bestimmt zu sterben, weil ihr unsterblich seid wie Gott, indem ihr in Gott seid. Ihr werdet leben, und euer Leben wird nicht enden, weil ihr unsterblich seid wie die heiligen Geister, die euch im Überfluß ernährt haben und reich an eigenen Verdiensten zu euch zurückkommen. Ihr lebt und nährt euch, ihr lebt und bereichert euch, ihr lebt und bildet diese heiligste Gemeinschaft der Geister, die alle umfaßt, von Gott, dem vollkommensten Geist, bis zum neugeborenen Kinde, dass zum erstenmal an der mütterlichen Brust saugt.

Kritisiert mich nicht in euren Herzen, ihr Gelehrten! Sagt nicht: „Dieser da ist ein Narr, ein Lügner; denn nur ein Narr kann behaupten, dass die Gnade in uns wäre, da wir sie doch durch die Erbsünde verloren haben. Er lügt, wenn er uns schon eins mit Gott nennt.“ Ja, die Schuld besteht! Ja, die Trennung ist da! Doch vor der Macht des Erlösers wird die Schuld, die grausame Trennung des Vaters von den Kindern, wie eine Wand zusammenstürzen, erschüttert vom neuen Samson. Schon habe ich sie erfaßt und rüttle an ihr. Sie wankt und Satan zittert vor Zorn und Ohnmacht, da er gegen meine Macht nichts vermag und ahnt, dass ihm eine große Beute entgeht und dass es für ihn schwierig wird, den Menschen zur Sünde zu verleiten. Denn, wenn ich euch durch mich zum Vater gebracht habe und ihr durch mein Blut und mein Leiden rein und stark geworden seid, dann wird auch die Gnade in euch wieder lebendig, rege und mächtig werden und ihr werdet siegen, wenn ihr es wollt.

Gott zwingt euch nicht zu entsprechenden Gedanken und auch nicht zu eurer Heiligung. Ihr seid frei. Aber er gibt euch die Kraft zurück. Er gibt euch wiederum die Freiheit von der Herrschaft Satans. Euch ist es überlassen, dass höllische Joch wieder aufzuladen oder eurer Seele Engelsflügel zu verleihen. Alles ist euch überlassen, mich als euren Bruder, der euch führt und mit unvergänglicher Speise nährt, anzunehmen.

„Wie gewinnt man Gott und sein Reich auf einem leichteren Weg als dem mühsamen Pfad des Sinai?“ fragt ihr. Es gibt keinen anderen Weg. Nur dieser ist es. Doch laßt ihn uns betrachten, nicht in der Farbe der Drohung, sondern in jener der Liebe. Sagen wir nicht: „Wehe, wenn ich das nicht tue!“ während man aus Angst, der Sünde nicht widerstehen zu können, furchtsam erzittert. Sagen wir: „Selig, wenn ich dies tue“; und schwingen wir uns mit übernatürlicher Freude jubelnd empor um diese Seligkeiten zu erreichen, die der Befolgung der Gesetzes entspringen, und wie Rosenblüten aus einem Dornenstrauch hervorwachsen.

„Selig, wenn ich arm im Geiste bin, denn mein ist das Himmelreich!

Selig, wenn ich sanftmütig bin, denn ich werde das Land erben!

Selig, wenn ich mich nicht gegen den Schmerz auflehne, denn ich werde getröstet werden!

Selig, wenn ich mehr hungere und dürste nach Gerechtigkeit als nach Brot und Wein, um mein Fleisch zu sättigen, denn die Gerechtigkeit wird mich sättigen!

Selig, wenn ich Barmherzigkeit übe, denn ich werde göttliche Barmherzigkeit erfahren!

Selig, wenn ich reinen Herzens bin, denn Gott wird sich über mein reines Herz neigen, und ich werde Gott schauen!

Selig, wenn ich den Geist des Friedens in mir habe, denn ich werde Kind Gottes genannt werden; denn im Frieden ist Liebe, und Gott ist Liebe und er liebt jene, die ihm ähnlich sind.

Selig, wenn ich um der Gerechtigkeit willen verfolgt werde, denn Gott, mein Vater, wird mir als Belohnung für die irdischen Verfolgungen das Himmelreich geben.

Selig, wenn ich geschmäht und verleumdet werde, weil ich dein Kind bin, o Gott! Nicht Trostlosigkeit, sondern Freude wird mir daraus erwachsen, denn so werde ich deinen besten Dienern, den Propheten, gleich, die aus demselben Grund verfolgt wurden. Ich glaube beharrlich, dass ich mit ihnen einst an der erhabenen, ewigen Belohnung teilhaben werde: am Himmel, der mein sein wird.“

Betrachten wir den Weg des Heiles mit der Freude der Heiligen.

„Selig, wenn ich arm im Geiste bin.“

O Reichtümer, die ihr den brennenden Durst Satans, Wahn und Rausch im Menschen hervorruft, im Reichen wie im Armen! Im Reichen, der für sein Gold, dem Abgott seiner verderbten Seele, lebt. Im Armen, der vom Neid auf den Reichen lebt, weil dieser im Reichtum des Goldes schwelgt, und wenn er auch keinen wirklichen Mord begeht, so schleudert er dennoch seine Flüche gegen die Reichen und wünscht ihnen allerhand Schlechtes. Es genügt nicht, dass Böse nicht zu tun, man darf auch nicht wünschen, jemandem etwas Böses anzutun. Wer seinen Mitmenschen verflucht und ihm Tod und Unglück wünscht, ist dem wirklichen Mörder nicht unähnlich, denn in ihm lodert der Wunsch, den Gehaßten zugrunde gehen zu sehen. Wahrlich, ich sage euch, dass der Wunsch nichts anderes ist als eine zurückgehaltene Tat, eine schon gebildete, aber noch nicht geborene Leibesfrucht. Die Verwünschung vergiftet und verdirbt, denn sie dauert länger als die gewaltsame Tat und ihre Wirkung ist eine tiefgreifendere.

Der Arme im Geiste, obwohl reich an materiellen Güter, sündigt nicht seines Goldes wegen, sondern er bedient sich des Goldes zu seiner Heiligung und wandelt es in Liebe. Geliebt und gepriesen, gleicht er den rettenden Quellen in der Wüste, die sich ohne Geiz, glücklich, sich zu verschenken, für alle ergießen, um ihnen in ihrer Verzweiflung Linderung zu verschaffen. Ist der Arme im Geiste arm an materiellen Gütern, ist er doch glücklich in seiner Armut und das Brot, dass er in der Heiligkeit seiner vom Fieber nach Gold unbelasteten Seele ißt, mundet köstlich. Sein Schlaf, frei von Alpträumen, läßt ihn ausgeruht und heiter an sein Tagwerk gehen, dass ihm stets leicht erscheint, da er es ohne Habsucht und Neid verrichtet.

Dinge, welche den Menschen reich machen, sind sowohl materielle: das Gold, als auch moralische: die Zuneigungen. Mit Gold sind nicht nur die Münzen gemeint, sondern auch die Häuser, die Felder, die Schmuckstücke, die Möbel, die Herden und alles, was das Leben materiell bereichert. Zuneigungen sind die Bande des Blutes oder der Ehe, die Freundschaften, die intellektuellen Bereicherungen, die öffentlichen Ämter.

Wenn nun der Arme, wie ihr seht, hinsichtlich der ersten Art sagen kann: „Oh! meinetwegen, wenn ich nur nicht die Reichen beneide, weil ich arm bin, dann ist für mich alles in Ordnung“, so muss sich doch auch der Arme hinsichtlich der zweiten Art in acht nehmen, da selbst der elendste unter den Menschen in sündhafter Weise reich im Geist werden kann, denn wer einer Sache übermäßig ergeben ist, sündigt.

Ihr werdet sagen: „Wir sollen also das Gute, dass Gott uns gewährt, hassen. Warum gebietet er dann, Vater und Mutter, Gattin und Kinder zu lieben, und sagt: 'Du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst'?“ Ihr müßt unterscheiden. Wir müssen den Vater, die Mutter, die Ehefrau und den Nächsten lieben, aber in dem Maße, wie es uns von Gott befohlen wurde: wie uns selbst. Gott hingegen müssen wir über alles lieben und mit unserem ganzen Sein. Gott soll nicht in der Weise geliebt werden, wie wir die unter unseren Mitmenschen lieben, die uns am nächsten stehen: die eine, weil sie uns gestillt hat, die andere, weil sie an unserer Brust schläft und uns ein Kind gebiert; nein, Gott soll mit unserem ganzen Sein geliebt werden, was heißen will, mit der ganzen Liebesfähigkeit des Menschen: mit der Liebe des Kindes, des Gatten, des Freundes, und – oh! empört euch nicht! – des Vaters. Ja, der Sache Gottes müssen wir die Sorge eines Vaters für seine Kinder angedeihen lassen. Mit Liebe sichert und mehrt er ihren Besitz, sorgt sich um ihr körperliches Gedeihen, läßt sie ausbilden und bemüht sich um ihr Zurechtkommen im Leben.

Die Liebe ist nichts Schlechtes und soll es nicht werden. Die Gnaden, die Gott gewährt, sind nichts Schlechtes und dürfen es nicht werden. Sie sind Liebe. Aus Liebe werden sie uns geschenkt. Darum soll man sich dieser Reichtümer, die uns Gott aus Liebe und Güte gewährt, in Liebe bedienen, und nur, wer sie nicht zu Abgöttern macht, sondern zum Mittel, um Gott in Heiligkeit zu dienen, beweist, dass er keine sündhafte Anhänglichkeit an sie hat. Er übt die heilige Armut im Geist und entäußert sich von allem, um frei zu sein und Gott, den höchsten Reichtum, und mit ihm das Himmelreich zu erwerben.

„Selig, wenn ich sanftmütig bin.“

Diese Aussage steht anscheinend im Widerspruch zu den Beispielen des täglichen Lebens, denn nicht die Sanftmütigen scheinen in den Familien, in den Städten und in den Nationen zu triumphieren. Aber ist es ein wahrer Triumph? Nein! Es ist nur die Angst, welche die vom Despoten Unterdrückten scheinbar gefügig macht; in Wirklichkeit ist sie der Deckmantel für eine überbordende Auflehnung gegen den Tyrannen. Die Jähzornigen und Herrschsüchtigen besitzen die Herzen der Familienangehörigen, der Mitbürger und der Untertanen nicht. Sie vermögen nicht, Verstand und Geist ihren Lehren zu unterwerfen, diese Meister des: „Ich habe es gesagt.“ Sie schaffen nur Autodidakten, Suchende nach einem geeigneten Schlüssel, um die verschlossenen Tore einer Weisheit oder einer

Wissenschaft aufzuschließen, deren Existenz sie ahnen, die aber im Widerspruch zu der ihnen aufgezwungenen steht.

Jene Priester, die nicht mit geduldiger, demütiger und liebevoller Sanftmut Seelen zu gewinnen suchen, sondern bewaffneten Kriegern gleich, überfallartig, anmaßend und keinen Widerspruch duldend auf ihr Ziel losgehen, führen die Seelen nicht zu Gott... Oh, arme Seelen! Wären sie heilig, hätten sie euch, ihr Priester, nicht nötig, um zum Lichte zu gelangen! Sie hätten das Licht bereits in sich. Wären sie gerecht, hätten sie euch, Richter, nicht nötig, um am Zügel der Gerechtigkeit gehalten zu werden, sie hätten die Gerechtigkeit schon in sich. Wären sie gesund, hätten sie eure Fürsorge nicht nötig. Seid daher sanftmütig! Treibt die Seelen nicht in die Flucht! Zieht sie mit Liebe an, denn die Sanftmut ist Liebe, so wie es die Armut im Geiste ist.

Wenn ihr sanftmütig seid, werdet ihr das Land erben und diesen Boden für Gott gewinnen, noch bevor Satan von ihm Besitz ergreift, denn eure Sanftmut, die außer Liebe auch Demut ist, wird den Haß und den Stolz besiegen und den schändlichen König des Stolzes und des Hasses aus den Herzen verbannen. So wird die Welt euch, also Gott, gehören; denn ihr seid dann gerecht, wenn ihr Gott als den absoluten Herrn der Schöpfung anerkennt, dem Ehre und Lobpreis gebührt und dem sein Eigentum zurückgegeben wird.

„Selig, wenn ich mich im Leid nicht auflehne.

Der Schmerz ist auf Erden, und der Schmerz läßt den Menschen Tränen vergießen. Den Schmerz gab es nicht, doch der Mensch brachte ihn in die Welt und bemüht sich wegen der Entartung seines Geistes mit allen Mitteln ständig darum, ihn zu vermehren. Außer Krankheiten und dem Unheil, dass Blitzschlag, Unwetter, Lawinen, Erdbeben nach sich ziehen, sucht der Mensch, um zu leiden und besonders, um andere leiden zu lassen, immer schrecklichere tödliche Waffen und immer grausamere moralische Härten, und mit raffinierten Mitteln versucht er, anderen den Schmerz zu bereiten, von dem er selbst jedoch frei sein möchte. Wieviel Tränen verursacht der Mensch dem Mitmenschen durch die Anstiftung seines geheimen Königs, Satan! Trotzdem sage ich euch in Wahrheit, dass alle deshalb vergossenen Tränen für die Menschen nicht eine Erniedrigung, sondern eine Vervollkommnung bedeuten.

Der Mensch ist ein gedankenloses Kind, ein unbeschwertes, sorgloses, ein geistig zurückgebliebenes Wesen, bis ihn das Leid reif, besinnlich und verständig werden läßt. Nur jene, die ein Leid zu tragen hatten, sind imstande zu lieben, zu verstehen und den wie sie leidenden Brüdern Liebe zu schenken, sie in ihren Schmerzen zu begreifen und ihnen gütig beizustehen, da sie aus eigener Erfahrung wissen, wie weh es tut, im Leid allein zu sein. Auch vermögen sie Gott zu lieben, weil sie erkannt haben, dass außer Gott alles Leid ist; weil sie begriffen haben, dass der Schmerz, wenn wir

ihn am Herzen Gottes ausweinen, nachläßt; weil sie begriffen haben, dass das ergeben getragene Leid, dass den Glauben nicht ins Wanken, dass Gebet nicht zum Versiegen bringt und frei von Auflehnung ist, dessen Wesen ändert und den Schmerz zur Tröstung werden läßt. Ja, die weinen und Gott lieben, werden getröstet werden!

„Selig, wenn ich hungere und dürste nach der Gerechtigkeit.“

Von der Geburt bis zum Tode verlangt der Mensch gierig nach Nahrung. Er öffnet nach der Geburt den Mund, um die Brust der Mutter zu ergreifen. Er öffnet im Sterben die Lippen, um in der Beklemmung des Todeskampfes Labung zu suchen. Er arbeitet, um sich zu ernähren. Er macht aus der Erde ein riesiges Euter, an dem er unersättlich saugt und saugt von dem, was vergänglich ist. Aber was ist der Mensch? Ein Tier? Nein, er ist ein Kind Gottes, dass sich für wenige oder viele Jahre im Exil befindet. Aber sein Leben endet nicht mit dem Wechsel seines Aufenthaltes.

Es gibt ein Leben im Leben, so wie in einer Nußschale der Kern enthalten ist. Nicht die Schale ist die Nuß, sondern der innere Kern. Wenn ihr eine Nußschale pflanzt, dann wächst nichts, wenn ihr aber die Schale mit dem Kern pflanzt, dann wächst ein großer Baum. So ist es auch beim Menschen. Nicht der Körper ist unsterblich, sondern die Seele, und sie muss genährt werden, um ihre Unsterblichkeit zu sichern, zu der sie dann aus Liebe den Körper bei der seligen Auferstehung führen wird. Die Nahrung der Seele sind Weisheit und Gerechtigkeit. Wie Speise und Trank werden sie aufgenommen und stärken, und je mehr man davon kostet, um so mehr wächst das heilige Verlangen nach dem Besitz der Weisheit und dem Erkennen der Gerechtigkeit. Aber es wird auch ein Tag kommen, da dieser unersättliche heilige Hunger der Seele gestillt sein wird. Er wird kommen. Gott wird sich seinem Geschöpfe hingeben und es direkt an seine Brust legen, und der für das Paradies Geborene wird sich sättigen an der bewunderungswürdigen Mutter, die Gott selber ist. Nie mehr wird er Hunger leiden, sondern glücklich an der göttlichen Brust ruhen. Keine menschliche Wissenschaft kommt dieser göttlichen gleich. Die Wißbegier des Geistes kann durch die menschliche Wissenschaft gestillt werden, dass Bedürfnis der Seele aber nicht. In der Verschiedenheit des Geschmackes empfindet die Seele eher Ekel, und sie wendet den Mund ab von dieser bitteren Nahrung und zieht es vor, Hunger zu leiden, anstatt sich mit einer Speise zu sättigen, die nicht von Gott kommt.

Habt keine Angst, ihr, die ihr nach Gott dürstet und hungert! Bleibt treu, und ihr werdet von dem gesättigt werden, der euch liebt.

„Selig, wenn ich Barmherzigkeit übe.“

Wer unter den Menschen kann sagen: „Ich brauche keine Barmherzigkeit?“ Niemand! Wenn auch im Alten Gesetz geschrieben steht: „Auge um Auge und Zahn um Zahn“, warum sollte es dann im Neuen Gesetz

nicht heißen: „Wer Barmherzigkeit übt, dem wird Barmherzigkeit zuteil werden“? Alle bedürfen der Verzeihung.

Nun, nicht die Worte und die äußere Form eines Ritus, nicht die Symbole, die dem Menschen in der Trübheit seines Geistes zugebilligt wurden, bewirken die Vergebung, sondern der innere Akt der Liebe, oder, wiederum der Barmherzigkeit. Wenn das Opfer einer Ziege oder eines Lammes und die Gabe einiger Münzen auferlegt wurden, dann geschah dies, weil jedes Übel letztlich zwei Wurzeln hat: die Habsucht und den Stolz. Die Habsucht wird mit der Ausgabe für die Beschaffung des Opfers bestraft, der Stolz mit dem offenkundigen rituellen Bekenntnis, indem man gesteht: „Ich bringe diese Opfer dar, weil ich gesündigt habe.“ Es geschah auch, um damit die Zeit und das Zeichen der Zeit vorwegzunehmen, denn das dabei vergossene Blut symbolisiert das göttliche Blut, dass vergossen werden wird, um die Sünden der Menschheit zu tilgen.

Daher selig, wer Barmherzigkeit übt an Hungernden, Nackten und Obdachlosen, aber auch an den noch Elenderen, die durch ihren schlechten Charakter ihrer Umgebung und ihren Mitmenschen Leid zufügen. Habt Erbarmen, verzeiht, seid nachsichtig, hilfsbereit, belehrt und stärkt sie. Schließt euch nicht in einen Kristallturm ein und sagt: „Ich bin rein und mische mich nicht unter die Sünder.“ Sagt nicht: „Ich bin reich und glücklich und will nichts vom Elend hören.“ Gebt acht, denn noch schneller als der Rauch, den der Wind verweht, kann euer Reichtum, eure Gesundheit und euer häusliches Glück entschwinden. Denkt daran, dass der Kristall wie ein Vergrößerungsglas wirkt, denn hättet ihr euch unter die Menschen begeben, wäret ihr unbemerkt geblieben; in einem Kristallturm eingeschlossen aber, allein, abgeschieden und allen Blicken ausgesetzt, bleibt ihr nicht mehr verborgen.

Übt Barmherzigkeit, um damit ein geheimes, ununterbrochenes, heiliges Opfer der Sühne zu vollbringen und selbst Barmherzigkeit zu erlangen.

„Selig bin ich, wenn ich reinen Herzens bin.“

Gott ist die Reinheit! Das Paradies ist das Reich der Reinheit. Nichts Unreines kann in den Himmel eingehen, wo Gott ist. Wenn ihr also unrein seid, werdet ihr nicht in den Himmel, in das Reich Gottes, eingehen. Aber, o Freude! Vorfreude, die der Vater seinen Kindern schenkt! Wer rein ist, hat schon auf Erden eine Vorahnung des Himmels, denn Gott neigt sich über den Reinen, und der Mensch schaut schon auf dieser Erde seinen Gott. Der Reine kennt nicht die Freude der menschlichen Liebe, aber er kennt die Wonne der göttlichen Liebe bis zur Verzückung und kann sagen: „Ich bin bei dir und du in mir, und daher besitze und kenne ich dich als liebenswürdigsten Bräutigam meiner Seele.“ Glaubt mir, wer Gott besitzt, erfährt unerklärliche, grundlegende Veränderungen, die ihn heilig, weise und stark werden lassen; auf seinen Lippen erblühen Worte und seine Handlungen sind von einer Macht getragen, die ihren Ursprung nicht in ihm selbst hat, sondern in Gott, der in ihm lebt.

Was ist das Leben des Menschen, der Gott schaut? Seligkeit. Möchtet ihr euch wegen niedriger Unreinheit einer solchen Gabe berauben?

„Selig, wenn ich den Geist des Friedens besitze. „

Der Friede ist eine der Eigenschaften Gottes. Gott ist im Frieden, denn der Friede ist Liebe, der Krieg aber Haß. Der Teufel ist Haß. Gott ist Friede. Ein jähzorniger Mensch, jederzeit zu wüten und zu toben bereit, kann sich nicht Kind Gottes nennen, und Gott kann ihn nicht sein Kind nennen.

Doch auch der kann sich nicht Kind Gottes nennen, der sich nicht bemüht, einen Streit, selbst wenn er ihn nicht ausgelöst hat, durch seine Ruhe und seinen inneren Frieden zu besänftigen. Ein friedfertiger Mensch verbreitet, auch ohne zu sprechen, Friede.

Als Herr seiner selbst, und ich wage es zu sagen, als Gebieter über Gott, trägt er ihn in sich, gleich wie eine Lampe das Licht, wie ein Weihrauchfaß den Wohlgeruch des Weihrauchs und wie ein Schlauch die Flüssigkeit. Es wird Licht inmitten von rauchigen Nebeln des Grolls, die Luft wird rein vom Gifthauch der Mißgunst, und die tobenden Wogen der Streitigkeiten beruhigen sich unter dem Einfluß des milden Öls des Geistes des Friedens, den die Kinder Gottes ausströmen.

Handelt so, dass Gott und die Menschen euch friedfertig nennen können.

„Selig, wenn ich um der Gerechtigkeit willen Verfolgung leide.“

Der Mensch ist so sehr von Satan beherrscht, dass er das Gute haßt, wo immer er es antrifft. Er haßt den Guten, als ob jeder gute Mensch ihn anklagen und ihm Vorwürfe machen wollte, auch wenn dieser schweigt. Tatsächlich läßt die Güte eines Menschen die Bosheit des Bösen noch deutlicher zutage treten. Der Glaube des wahrhaft Glaubenden läßt die Scheinheiligkeit des falschen Gläubigen noch offenkundiger hervortreten. Und so kann es nicht anders sein, als dass der Ungerechte den haßt, der durch seinen Lebenswandel ein stetes Zeugnis für die Gerechtigkeit ablegt. Daher gerät man in Wut über die Menschen, die die Gerechtigkeit lieben.

Auch hier ist es wie bei den Kriegen. Der Mensch macht in der satanischen Kunst der Verfolgung mehr Fortschritte als in der heiligen Kunst der Liebe. Aber er kann nur verfolgen, was ein kurzes Leben hat. Das Ewige im Menschen entgeht seinen Nachstellungen und erwirbt durch die Verfolgung noch mehr Lebenskraft. Das Leben entschwindet durch die Wunden der geöffneten Adern oder durch sonstige Leiden, die den Verfolgten erliegen lassen. Doch das Blut wird zum Purpur des künftigen Königs, und die Leiden wandeln sich in ebensoviele Stufen, die ihn hinauf zum Throne führen, den der Vater seinen Märtyrern, denen die königlichen Sitze des Himmelreiches vorbehalten sind, bereitet hat.

„Selig, wenn ich geschmäht und verleugnet werde.“

Seht zu, dass euer Name in den himmlischen Büchern eingetragen sei, in denen nicht die Namen entsprechend den menschlichen Lügen aufgezeichnet sind und jene gelobt werden, die eine Auszeichnung am wenigsten verdienen, sondern wo die Werke der Guten in Gerechtigkeit und Liebe geschrieben stehen, um ihnen die den Gesegneten Gottes verheißene Belohnung zuteil werden zu lassen.

In der Vergangenheit waren es die Propheten, die verleumdet und geschmäht wurden. Aber wenn sich die Pforten des Himmels öffnen, werden sie wie mächtige Könige in die Stadt Gottes einziehen, und die Engel werden sich vor ihnen verneigen und freudig singen. Auch ihr, auch ihr, die ihr verleumdet und geschmäht werdet, weil ihr Gott angehört, werdet den himmlischen Triumph feiern. Und wenn die Zeit erfüllt und das Paradies vollendet ist, dann werdet ihr den den Wert jeder Träne erkennen, denn ihretwegen habt ihr diese ewige Herrlichkeit erworben, die ich euch im Namen des Vaters verheiße.

Gehet hin! Morgen werde ich wieder zu euch sprechen. Nur die Kranken sollen noch hier bleiben, damit ich ihnen in ihren Leiden helfen kann. Der Friede sei mit euch, und die Betrachtung über das Heil durch die Liebe führe euch auf den Weg zum Himmel.»