08.06.2016

DIE BERGPREDIGT DIE SELIGPREISUNGEN (Zweiter Teil)

nach Maria Valtorta

Ort und Stunde sind immer die gleichen. Die Menschenmenge hat noch zugenommen. In einer Ecke, an einer Wegbiegung, so als wolle er zuhören ohne den Widerwillen der Leute zu erregen, steht ein Römer. Ich erkenne ihn an seinem kurzen Gewand und dem andersartigen Mantel als Römer. Auch Stephanus und Hermas sind immer noch da. Jesus geht langsam zu seinem Platz und fährt mit seiner Predigt fort.

«Aus dem, was ich euch gestern gesagt habe, dürft ihr nicht schließen, ich sei gekommen, um das Gesetz aufzuheben. Nein. Doch als Menschensohn verstehe ich die Schwächen des Menschen und ich möchte euch nur ermutigen, es zu befolgen und euer geistiges Auge nicht auf den dunklen Abgrund, sondern auf den Abgrund des Lichtes zu lenken. Denn, wenn die Angst vor der Strafe die Menschen in drei von zehn Malen von der Sünde abhalten kann, so verleiht ihm die gewissheit einer Belohnung in sieben von zehn Malen Auftrieb. Die Zuversicht vermag also mehr als die Angst, und ich will, dass sie in euch vollkommen und fest verankert sei, damit ihr nicht in sieben von zehn Teilen, sondern in zehn von zehn Teilen gut handelt, um so die heiligste Belohnung des Himmels zu erwerben.

Ich ändere kein Jota des Gesetzes. Denn wer hat es unter den Blitzen des Sinai gegeben? Der Allerhöchste.

Wer ist der Allerhöchste? Der eine und dreieinige Gott.

Woher hat er das Gesetz genommen? Aus seinen Gedanken.

Wie hat er es gegeben? Durch sein Wort.

Warum hat er es gegeben? Aus Liebe.

Ihr seht also, dass die Dreifaltigkeit zugegen war. Das dem Gedanken und der Liebe stets gehorsame Wort sprach im Namen des Gedankens und der Liebe.

Könnte ich mir selbst widersprechen? Ich könnte es nicht. Aber ich kann, da ich alles vermag, dass Gesetz vervollständigen, es göttlich vervollständigen. Nicht wie es die Menschen im Laufe der Jahrhunderte getan haben, die es nur immer schwieriger zu verstehen und einzuhalten werden ließen durch Gesetze und Vorschriften und Vorschriften und Gesetze, die sie zu ihrem eigenen Nutzen erdacht haben. Mit diesen Trümmern haben sie das heiligste Gesetz, dass uns von Gott gegeben wurde, gesteinigt und erstickt, verschüttet und unfruchtbar gemacht.. Kann eine Pflanze überleben, wenn Lawinen und Geröll sie für immer unter sich begraben und Überschwemmungen sie überfluten? Nein, die Pflanze stirbt. Das Gesetz ist in vielen Herzen tot, weil es durch zu viel Überflüssiges erstickt wurde. Dies wegzuräumen bin ich gekommen, und wenn das Gesetz einmal freigelegt und auferstanden sein wird, dann wird es nicht mehr Gesetz, sondern König sein.

Die Könige erlassen die Gesetze. Gesetze sind das Werk der Könige, aber sie sind nicht mehr wie Könige. Ich hingegen mache aus dem Gesetz einen König: Ich vervollständige es und setze ihm mit den evangelischen Räten die Krone auf, mit den Ratschlägen zur Übung der Tugenden. Zuerst gab es den Befehl, jetzt gibt es mehr als den Befehl. Zuerst gab es das Notwendige, jetzt gibt es mehr als das Notwendige, jetzt gibt es das Vollkommene. Wer es annimmt, wie ich es euch schenke, ist sogleich ein König, weil er das 'Vollkommene' erreicht hat, weil er nicht nur gehorsam, sondern heldenhaft, also heilig war. Denn die Heiligkeit ist die Summe aller Tugenden, die höchste von einem Geschöpf erreichbare Stufe, wenn es in heldenhafter Weise und in vollkommener Loslösung von allem, was menschliche Begierde und Überlegung ist, gelebt und gedient hat.

könnte sagen, den Heiligen hindern Liebe und Sehnsucht, sein Auge auf irgend etwas anderes zu lenken, als auf Gott. Nicht durch niedrige Dinge abgelenkt, sind die Augen seines Herzens inständig auf die Herrlichkeit der höchsten Heiligkeit Gottes gerichtet. Im Lichte Gottes sieht er die Brüder in Bedrängnis, die flehend ihre Hände ausstrecken. Ohne seinen Blick von Gott abzuwenden, begibt sich der Heilige helfend zu seinen bittenden Brüdern. Wider das Fleisch, wider die Reichtümer und die Bequemlichkeit verwirklicht er sein Ideal: zu dienen. Ist der Heilige deshalb ein Armer, ein Herabgesetzter? Nein. Er hat die wahre Weisheit und den wahren Reichtum erlangt, und darum besitzt er alles. Er verspürt auch keine Müdigkeit, denn da er ständig arbeitet, hat er stets genug, um sich zu ernähren, und da er das Leid der Welt erkennt, weidet er sich an der Seligkeit des Himmels. Er nährt sich von Gott und erfreut sich in Gott. Er ist das Geschöpf, dass den Sinn des Lebens erkannt hat.

Wie ihr seht, verändere und verunstalte ich das Gesetz nicht. Ich verfälsche es auch nicht mit dem Beiwerk gärender menschlicher Theorie, sondern ich vervollständige es. Das Gesetz bleibt, was es sein muss, und als solches wird es bis zum letzten Tag fortbestehen, ohne dass ein Wort verändert oder eine Vorschrift aufgehoben würde; aber es wird mit Vollkommenheit gekrönt. Um das Heil zu erlangen genügt es, dass Gesetz anzunehmen, wie es gegeben wurde. Um die unmittelbare Einheit mit Gott zu erreichen, muss es so gelebt werden, wie ich es euch sage. Da jedoch die Helden eine Ausnahme bilden, wende ich mich an die gewöhnlichen Menschen, an die Masse der Seelen, damit man nicht sagen kann, ich wäre um der Vollkommenheit willen am Notwendigsten vorbeigegangen. Von dem, was ich euch sage, behaltet vor allem folgendes: wer sich erlaubt, eines der geringsten dieser Gebote zu übertreten, wird im Himmelreich gering geschätzt werden, und wer andere dazu verleitet, sie zu übertreten, wird gering geachtet werden; und nicht nur er selbst, sondern auch der, den er zur Übertretung verleitet hat. Wer aber durch seine Lebensweise und seine Werke andere zum Gehorsam geführt hat, wird groß sein im Himmelreich, und seine Größe wird zunehmen mit jedem, den er zum Gehorsam und zur Selbstheiligung angespornt hat. Ich weiß, dass meine Worte für viele einen bitteren Geschmack haben; aber ich kann nicht lügen, auch wenn die Wahrheit, die ich euch verkünde, mir Feinde schaffen wird.