02.09.2016

DIE FRAGE NACH DEM FASTEN

nach Maria Valtorta

Jesus segnet das Volk und begibt sich zu einem Haus. Er ist schon fast auf der Schwelle, als er von einer Gruppe älterer Männer aufgehalten wird, die ihn ehrfürchtig grüßen und sagen: «Dürfen wir dir einige Fragen stellen, Herr? Wir sind Jünger des Täufers, und da dieser immer von dir spricht und auch, weil der Ruf deiner Wunder zu uns gelangt ist, wollten wir dich kennenlernen. Nun, da wir dich gehört haben, möchten wir dir eine Frage stellen.»

«Sprecht sie nur aus. Wenn ihr Jünger des Johannes seid, befindet ihr euch bereits auf dem Weg der Gerechtigkeit.»

«Als du über die allgemeine Abgötterei der Gläubigen gesprochen hast, hast du gesagt, dass es unter uns einige gibt, die sowohl mit gesetzestreuen Leuten als auch mit solchen, die dem Gesetz nicht unterstellt sind, Handel treiben. Und auch du bist ein Freund von letzteren. Wir wissen, dass du die Römer nicht verachtest. Also? ...»

«Ich leugne es nicht. Doch könnt ihr behaupten, dass ich es tue, um einen Gewinn daraus zu ziehen? Könnt ihr sagen, dass ich ihnen schmeichle, um ihre Gunst zu genießen?»

«Nein, Meister, dessen sind wir mehr als sicher. Doch die Welt besteht nicht nur aus Menschen wie wir, die nur an das Böse glauben wollen, das sie mit eigenen Augen sehen, und nicht an das, was andere erzählen. Sage uns nun die Gründe, die einen Kontakt mit den Heiden rechtfertigen, damit wir von dir lernen und dich verteidigen können, wenn dich jemand in unserer Gegenwart verleumden sollte.»

«Es ist schlecht, um menschlicher Ziele willen solche Kontakte zu pflegen, doch wenn sie dazu dienen, diese Menschen zu unserem Herrn und Gott zu führen, ist es nicht schlecht. Das tue ich. Wäret ihr Heiden, würde ich euch erklären, dass jeder Mensch von einem einzigen Gott kommt. Doch ihr seid Hebräer und Jünger des Johannes. Ihr seid die Auslese der Hebräer, und es ist nicht nötig, dass ich es euch erkläre. Ihr könnt also verstehen und glauben, dass es meine Pflicht ist – da ich das Wort Gottes bin – das Wort dieses Vaters allen Menschen, allen Kindern des Vaters, zu verkünden.»

«Aber sie sind doch keine Kinder Gottes, wenn sie Heiden sind ...»

«Was die Gnade anbelangt, sind sie es nicht. Wegen ihres Irrglaubens sind sie es nicht, das ist wahr. Aber solange ich euch nicht erlöst habe, bleibt auch der Hebräer ohne Gnade, denn der Makel der Erbsünde hindert den göttlichen Strahl der Gnade, in die Herzen niederzusteigen. Dank seiner Erschaffung bleibt der Mensch das Kind Gottes. Von Adam, dem Stammvater der ganzen Menschheit, stammen sowohl die Hebräer als auch die Römer ab, und Adam ist Kind des Vaters, der ihm seine geistige Ähnlichkeit gegeben hat.»

«Das ist wahr. Noch eine Frage, Meister. Warum fasten die Jünger des Johannes so oft und die deinen nicht? Wir wollen nicht sagen, dass du nicht essen sollst. Auch der Prophet Daniel war in den Augen Gottes heilig, trotz seines hohen Ansehens am Hofe von Babylon; und du bist größer als er. Aber sie ...»

«Was man mit Strenge oft nicht erreicht, erreicht man mit Freundlichkeit. Es gibt Menschen, die nie von selbst zum Meister kommen würden, daher muss der Meister zu ihnen gehen. Andere würden wohl zum Meister kommen, aber sie schämen sich vor den Mitmenschen, und auch sie muss der Meister aufsuchen. Da sie mir sagen: „Sei mein Gast, damit ich dich kennenlernen kann“ ' gehe ich zu ihnen, nicht der reichen Tafel und der für mich oft so mühsamen Reden wegen, sondern wiederum und stets nur im Interesse Gottes. Dies gilt für mich. Da sich oft wenigstens eine der Seelen, denen ich mich nähere, bekehrt, und jede Bekehrung ein Hochzeitsfest für meine Seele bedeutet, ein großes Fest, an dem alle Engel des Himmels teilnehmen und das dem ewigen Gott zum Ruhm und zur Freude gereicht, so frohlocken auch alle meine Jünger als Freunde des Bräutigams vereint mit dem Bräutigam und Freund. Sollen die Freunde trauern, während ich frohlocke und noch unter ihnen weile? Doch die Zeit wird kommen, da ich nicht mehr unter ihnen weile, und dann werden sie streng fasten. Die neuen Zeiten werden neue Methoden mit sich bringen. Bis gestern, bis zur Zeit des Täufers, war es die Asche der Buße. Heute jedoch, in meiner Zeit, gibt es das süße Manna der Erlösung, der Barmherzigkeit und Liebe. Die Methoden früherer Zeiten könnten nicht auf meine Zeit übertragen werden, so wie meine Methode früher nicht gelten konnte, weil damals die Barmherzigkeit noch nicht auf Erden war. Jetzt ist sie unter euch. Nicht mehr der Prophet, sondern der Messias, dem Gott alles übergeben hat, ist auf der Erde. Jede Zeit hat die für sie nützlichen Dinge. Niemand näht ein Stück neuen Tuches auf ein altes Gewand, denn beim Waschen geht der neue Stoff ein und wird der Riß im alten noch größer. Ebenso füllt niemand jungen Wein in alte Schläuche, denn die alten Schläuche würden durch die Gärung des Weines bersten und der Wein würde auslaufen. Der alte Wein, der schon alle seine Umwandlungen durchgemacht hat, gehört in alte Behälter, und der neue Wein in neue. Daher soll eine Kraft einer anderen, ebenso starken gegenübergestellt werden. Dies geschieht jetzt. Die Kraft der neuen Lehre erfordert neue Methoden ihrer Verbreitung, und ich, der ich es weiß, bediene mich ihrer.»

«Danke, Herr, nun sind wir zufrieden. Bete für uns. Wir sind alte Schläuche. Werden wir deine Kraft in uns aufnehmen können?»

«Ja, denn der Täufer hat euch schon vorbereitet, und seine Gebete, vereint mit den meinen, werden euch zu vielem fähig machen. Geht mit meinem Frieden und sagt Johannes, dass ich ihn segne.»

«Aber ... ist es besser für uns, beim Täufer zu bleiben oder bei dir?»

«Solange es den alten Wein gibt, soll man von diesem trinken, da der Gaumen sich an den Geschmack gewöhnt hat. Später... wenn euch das faule Wasser, dass ihr überall vorfindet, anekelt, werdet ihr den neuen Wein schätzen.»

«Glaubst du, dass der Täufer wieder gefangengenommen wird?»

«Ganz sicher. Ich habe ihn schon warnen lassen. Geht nun, geht. Freut euch eures Johannes, solange es möglich ist, und macht im Freude. Später werdet ihr mich lieben, und dies wird euch nicht einmal leicht fallen... denn niemand, der sich an den alten Wein gewöhnt hat, möchte plötzlich zum neuen Wein übergehen. Er sagt: „Der alte war besser“ ' und tatsächlich wird es Unterschiede geben, die euch bitter erscheinen. Doch mit der Zeit werdet ihr euch mit dem lebendigen Geschmack vertraut machen. Lebt wohl, Freunde. Gott sei mit euch!»