01.06.2016

DIE FRAGE NACH DER AUFERSTEHUNG

nach Maria Valtorta

Am Nachmittag kehrt er in den Tempel zurück. Er ist unermüdlich. Gnaden entströmen seinen Händen, die er den Kranken auflegt, und Weisheit fließt von seinen Lippen in den Ratschlägen, die er den vielen erteilt, die sich ihm nähern. Es scheint, als wolle er alle trösten und heilen, bevor ihm dies nicht mehr möglich ist.

Es ist schon beinahe Abend, und die müden Apostel sitzen auf dem Boden unter dem Säulengang und sind verwundert über dieses ununterbrochene Kommen und Gehen der Menge in den Höfen des Tempels so kurz vor dem Osterfest, als sich dem Unermüdlichen reiche Männer nähern. Den prunkvollen Gewändern nach zu schließen, müssen es wohl Reiche sein.

Matthäus, der nur mit einem Auge schlummert, steht auf und weckt die anderen. Er sagt: «Sadduzäer gehen zum Meister. Wir wollen ihn nicht allein lassen, damit sie ihn nicht wieder beleidigen oder versuchen, ihm zu schaden und ihn zu verhöhnen.»

Alle stehen sofort auf, gehen zum Meister und umringen ihn. Ich glaube zu verstehen, dass es Schwierigkeiten gegeben hat beim Verlassen des Tempels oder bei der Rückkehr um die sechste Stunde.

Die Sadduzäer, die Jesus durch übertriebene Verbeugungen ehren, sagen zu ihm: «Meister, du hast den Herodianern so klug geantwortet, dass in uns das Verlangen nach einem Strahl deines Lichtes geweckt wurde. Höre. Moses hat gesagt: „Wenn jemand kinderlos stirbt, so soll sein Bruder die Witwe heiraten und dem Bruder Nachkommenschaft sichern.“ Nun waren bei uns sieben Brüder. Der erste nahm eine Jungfrau zur Frau und starb, ohne Kinder zu haben, und so hinterließ er seine Frau seinem Bruder. Auch der zweite Bruder starb, ohne Kinder zu hinterlassen, und ebenso der dritte, der die Witwe seiner beiden Vorgänger geheiratet hatte, und so weiter bis zum siebten Bruder. Zuletzt, nachdem die Frau die sieben Brüder hintereinander geheiratet hatte, starb auch sie selbst. Sage uns nun: Bei der Auferstehung der Leiber – wenn es wirklich wahr ist, dass die Menschen auferstehen, dass unsere Seele uns überlebt und sich am Jüngsten Tag wieder mit dem Leib vereinigt und so die Lebenden wiederherstellt – welchem von den sieben Brüdern wird dann die Frau angehören, da sie ja auf Erden allen sieben angehört hat?»

«Ihr irrt. Ihr versteht weder die Schrift noch die Macht Gottes. Ganz anders als in diesem wird es im anderen Leben sein. Im ewigen Reich wird es keine Bedürfnisse des Fleisches geben, wie in diesem Leben. Denn wahrlich, nach dem letzten Gericht wird das Fleisch auferstehen, sich mit der unsterblichen Seele vereinigen und wieder ein Ganzes bilden; es wird leben, und besser leben als ich und ihr heute, aber es wird nicht mehr den Gesetzen, und vor allem nicht mehr den Reizen und Mißbräuchen unterworfen sein, die jetzt noch gelten. Bei der Auferstehung werden Männer und Frauen nicht mehr heiraten und nicht mehr geheiratet werden, sondern sie werden sein wie die Engel im Himmel, die nicht heiraten und nicht geheiratet werden und doch in vollkommener Liebe leben, der göttlichen und geistigen Liebe. Und was die Auferstehung der Toten betrifft: Habt ihr nicht gelesen, wie Gott zu Moses aus dem Dornbusch gesprochen hat? Was hat der Allerhöchste damals gesagt? „Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs.“ Er sagte nicht: „Ich war...“ um damit zu verstehen zu geben, dass Abraham, Isaak und Jakob gewesen waren, aber nicht mehr waren. Er sagte: „Ich bin.“ Denn Abraham, Isaak und Jakob sind. Unsterblich. Wie der unsterbliche Teil aller Menschen, solange die Jahrhunderte andauern, und dann auch mit dem für die Ewigkeit auferstandenen Fleisch. Sie sind, ebenso wie Moses, wie die Propheten und die Gerechten, wie leider auch Kain und die Menschen der Sündflut, die Sodomiter und alle in der Todsünde Verstorbenen. Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.»

«Auch du wirst sterben und dann leben?» Sie versuchen Jesus. Sie sind es schon müde, sanft zu sein. Ihr Groll ist so heftig, dass sie sich nicht beherrschen können.

«Ich bin der Lebendige, und mein Fleisch wird die Verwesung nicht schauen. Die Bundeslade hat man uns genommen, und selbst das Symbol der jetzigen wird uns genommen werden. Das heilige Zelt wurde uns genommen und es wird zerstört werden. Doch der wahre Tempel Gottes kann nicht weggenommen und nicht zerstört werden. Wenn seine Gegner glauben, es geschafft zu haben, dann ist die Zeit gekommen, dass er im wahren Jerusalem in seiner ganzen Herrlichkeit errichtet wird. Lebt wohl.»

Jesus beeilt sich, zum Vorhof der Israeliten zu gelangen, denn die silbernen Trompeten rufen zum Abendopfer.