29.04.2016

«DIE LIEBE IST DAS GEHEIMNIS UND DAS GEBOT DER HERRLICHKEIT»

nach Maria Valtorta 

Jesus, an dessen Seite Manaen geht, verläßt das Haus der Witwe und sagt: «Der Friede sei mit dir und den deinen. Nach dem Sabbat werden wir uns wiedersehen. Leb wohl, kleiner Joseph! Morgen sollst du dich ausruhen und spielen. Danach kannst du mir wieder helfen. Warum weinst du?»

«Ich fürchte, dass du nicht wiederkommen wirst.»

«Ich sage immer die Wahrheit. Aber tut es dir denn so leid, dass ich fortgehe?»

Der Knabe bejaht mit einem Kopfnicken.

Jesus streichelt ihn und sagt: «Ein Tag geht schnell vorüber. Morgen bleibst du bei der Mama und den Geschwistern. Ich bin bei meinen Aposteln und spreche zu ihnen. In diesen Tagen habe ich mit dir gesprochen und dich arbeiten gelehrt; nun gehe ich zu ihnen, um ihnen beizubringen, wie man predigt und wie man gut wird. Du hättest nicht viel von mir, Kind, allein unter so vielen Männern.»

«Oh, ich würde mich trotzdem freuen, denn ich wäre bei dir.»

«Ich habe verstanden. Frau, dein Sohn macht es wie viele, und zwar wie die Besten. Er will mich nicht verlassen. Hast du genug Vertrauen, um ihn mir bis übermorgen zu überlassen?»

«Oh, Herr! Alle würde ich dir geben! Bei dir sind sie sicher wie im Himmel... Dieser Knabe, der am meisten mit dem Vater zusammen war, hat zu viel gelitten. Nun kommt es ihm wieder zum bewusstsein... Siehst du? ... Er weint nur dauernd und leidet. Weine nicht, mein Kind! Frag den Herrn, ob es wahr ist, was ich sage. Meister, um ihn zu trösten, sage ich ihm immer, dass er den Vater nicht verloren hat, sondern dass er nur vorübergehend von uns fortgegangen ist.»

«Das ist die Wahrheit, kleiner Joseph. Es ist so, wie deine Mutter es sagt!»

«Aber solange ich nicht sterbe, werde ich ihn nicht wiederfinden. Ich bin noch klein. Und wenn ich alt werde wie Isaak, wie lange muss ich dann noch warten?»

«Armes Kind! Aber die Zeit vergeht geschwind.»

«Nein, Herr! Seit drei Wochen fehlt mir der Vater, und es kommt mir schon so lange vor! ... Ich kann nicht ohne ihn leben...» und er weint lautlos, doch mit tiefem Schmerz.

«Siehst du? So macht er es immer. Und besonders, wenn er nicht beschäftigt ist mit Dingen, die ihn ganz in Anspruch nehmen. Der Sabbat ist eine Qual. Ich befürchte, dass er sterben wird...»

«Nein! Ich habe einen anderen Knaben ohne Vater und ohne Mutter. Er war abgemagert und traurig. Nun, da er bei einer guten Frau in Bethsaida ist und die gewissheit hat, nicht von seinen Eltern getrennt zu sein, ist er körperlich und seelisch aufgeblüht. So wird es auch deinem Sohn ergehen. Nachdem, was ich ihm sagen werde, und weil die Zeit ein großer Arzt ist, und nicht zuletzt, wenn er dich ruhiger sehen wird in bezug auf das tägliche Brot, wird auch er ruhiger werden. Auf Wiedersehen, Frau! Die Sonne sinkt, und ich muss gehen. Komm, Joseph. Verabschiede dich von der Mutter, den Geschwistern und der Großmutter und dann folge mir geschwind nach.»

Jesus geht.

«Was wirst du nun deinen Aposteln sagen?»

«Daß ich einen alten Jünger und einen neuen habe.»

Sie gehen nach Chorazim, dass sich mit Menschen belebt. Eine Gruppe von Männern hält Jesus auf: «Gehst du fort? Bleibst du nicht über den Sabbat hier?»

«Nein, ich gehe nach Kapharnaum.»

«Ohne die ganze Woche ein Wort gesagt zu haben? Sind wir deines Wortes nicht würdig?»

«Habe ich euch nicht sechs Tage lang die besten Worte gesagt?»

«Wann denn? Und wem?»

«Allen. An der Hobelbank des Zimmermanns! Tagelang habe ich gepredigt, dass man den Nächsten lieben und ihm in jeder Weise helfen muss, und besonders schwachen Menschen wie Witwen und Waisenkindern. Auf Wiedersehen, ihr Leute von Chorazim. Betrachtet am Sabbat diese meine Lektion.» Und Jesus geht seines Weges und läßt die Bürger sprachlos zurück.

Doch der Knabe, der ihn nun im Laufschritt einholt, veranlaßt die Bürger aufs neue, Jesus aufzuhalten und neugierig zu fragen: «Nimmst du den Knaben der Witwe mit? Warum?»

«Um ihn zu lehren, dass Gott Vater ist und dass er in Gott auch den verlorenen Vater wiederfinden wird. Und auch, damit es hier einen gibt, der anstelle des alten Isaak glaubt.»

«Bei deinen Jüngern sind drei aus Chorazim.»

«Bei meinen Jüngern, aber nicht hier. Dieser wird hierbleiben. Lebt wohl.» Und indem er den Knaben zwischen sich und Manaen nimmt, geht er schnell durch die Felder nach Kapharnaum, wo die Apostel schon eingetroffen sind.

Die Apostel sitzen auf der Terrasse im Schatten der Pergola um Matthäus herum und berichten dem Kameraden, der noch nicht geheilt ist, von ihren Erlebnissen. Sie drehen sich beim leisen Geräusch, dass die Sandalen auf der Treppe verursachen, um und sehen das blonde Haupt Jesu, dass hinter der Mauer der Terrasse auftaucht. Sie eilen ihm entgegen, er lächelt ihnen zu... und sie bleiben überrascht stehen, weil sie hinter Jesus einen kleinen Knaben erblicken. Manaen kommt würdevoll in seinem weißen Linnengewand herauf, dass nun noch viel schöner wirkt mit dem kostbaren Gürtel und dem feuerroten Mantel aus gefärbter Leinwand, der wie Seide glänzt, ihm lässig über die Schultern herabfällt und beinahe eine Schleppe bildet; mit der Kopfbedeckung aus Byssus, die von einem goldenen Diadem gehalten wird und der verzierten Scheibe, welche die hohe Stirne schmückt und ihm das Aussehen eines ägyptischen Königs verleiht. Seine Anwesenheit verhindert eine Lawine von Fragen, die ihre Augen aber sehr deutlich ausdrücken.

Doch nach gegenseitiger Begrüßung setzen sich die Apostel um Jesus herum und fragen: «Und dieses Kind?» Sie deuten dabei auf den Knaben.

«Es ist meine letzte Eroberung. Ein kleiner Joseph; Zimmermann wie der große Joseph, der mein Vater gewesen ist. Deswegen ist er mir so lieb, wie auch ich ihm lieb bin. Nicht wahr, Kind? Komm her, dass ich dich mit meinen Freunden bekanntmache, von denen du schon so viel gehört hast. Dies hier ist Simon Petrus, der Mann, der am liebsten von allen zu den Kindern ist. Und dies ist Johannes, ein großer Knabe, der dir auch beim Spielen von Gott erzählen wird. Dies ist Jakobus, sein Bruder, ernst und gut wie ein älterer Bruder. Und dies ist Andreas, der Bruder des Simon Petrus; du wirst dich gleich mit ihm vertragen, denn er ist sanft wie ein Lamm. Und dann hier Simon, der Zelote; er liebt die vaterlosen Kinder sehr und würde bestimmt durch die ganze Welt ziehen, um sie zu suchen, wenn er nicht bei mir wäre. Und dieser hier ist Judas des Simon und neben ihm sind Philippus von Bethsaida und Nathanael. Schau nur, wie sie dich ansehen! Sie haben auch Kinder und lieben die Kinder. Das sind meine Brüder Jakobus und Judas. Sie lieben alles, was ich liebe, also werden sie auch dich lieben. Nun gehen wir zu Matthäus, der an einer Wunde am Fuß leidet und nicht böse auf die Kinder ist, die ihn bei ihrem ausgelassenen Spiel versehentlich mit einem spitzen Stein getroffen haben. Nicht wahr, Matthäus?»

«O nein, Meister! Ist er der Sohn der Witwe?»

«Ja! Er ist sehr gut, aber immer noch sehr traurig.»

«Oh, armes Kind! Ich werde den kleinen Jakob rufen lassen, und du wirst mit ihm spielen.» Matthäus streichelt ihn und zieht ihn mit einer Hand zu sich hin.

Jesus beendet die Vorstellung mit Thomas, der, praktisch wie er ist, dem Kind eine Weintraube anbietet, die er vom Weinstock genommen hat.

«Nun seid ihr Freunde», schließt Jesus und setzt sich wieder hin, während das Kind an seinen Trauben lutscht und Matthäus antwortet, der es in seiner Nähe behält.

«Aber wo bist du denn die ganze Woche allein gewesen?»

«In Chorazim, Simon des Jonas.»

«Das weiß ich. Aber was hast du dort getan? Bist du bei Isaak gewesen?»

«Isaak, der Alte, ist gestorben.»

«Was hast du dann getan?»

«Hat es dir Matthäus nicht gesagt?»

«Nein! Er hat nur gesagt, dass du dich vom Tag unserer Abreise an in Chorazim aufgehalten hättest.»

«Matthäus ist viel tüchtiger als du. Er kann schweigen, du aber kannst deine Neugier nicht beherrschen.»

«Nicht die meinige allein, sondern die von uns allen.»

«Nun ja, ich bin nach Chorazim gegangen, um die in die Tat umgesetzte Nächstenliebe zu predigen.»

«Die in die Tat umgesetzte Nächstenliebe? Was willst du damit sagen?» fragen viele.

«In Chorazim lebt eine Witwe mit fünf Kindern und einer alten kranken Frau. Der Mann ist unversehens an der Hobelbank gestorben und hat viel Elend und unfertige Arbeit zurückgelassen. Chorazim hat kein bißchen Mitleid mit dieser unglücklichen Familie. Ich bin hingegangen, um die Arbeiten zu vollenden und...»

Es kommt zu einem großen Durcheinander. Die einen fragen, die anderen protestieren. Einer tadelt Matthäus, weil er es zugelassen hat; ein anderer bewundert Jesus und wieder ein anderer tadelt ihn. Doch Kritik und Proteste sind leider in der Überzahl.

Jesus läßt sich den Sturm legen, so wie er entstanden ist, und sagt nur: «Übermorgen will ich dorthin zurückkehren und auch in den folgenden Tagen, so lange, bis ich alle Arbeiten beendet habe. Ich hoffe, dass wenigstens ihr dafür Verständnis habt. Chorazim ist eine harte Nuß ohne Kern. Seid wenigstens ihr keine tauben Nüsse. Du, Kind, reiche mir die Nuß, die Simon dir gegeben hat, und höre auch du gut zu.

Seht ihr diese Nuß? Ich nehme sie, da ich kein anderes Schalenobst zur Verfügung habe; aber, um das Gleichnis besser zu verstehen, denkt an die Kerne der Pinien oder der Palmen, an die härtesten, an jene der Oliven zum Beispiel. Es sind verschlossene Behältnisse, ohne Fugen, steinhart und aus kompaktem Holz. Sie gleichen magischen Schreinen, die nur mit Gewalt geöffnet werden können. Doch wenn einer auf den Boden fällt und ein Vorübergehender ihn in die Erde stampft, was geschieht? Der Schrein öffnet sich und bildet Wurzeln und Blätter. Wie kann das von allein geschehen? Uns kostet es Mühe, ihn mit dem Hammer aufzuschlagen, und doch öffnet sich dieser Kern von selbst. Hat der Same vielleicht magische Kräfte? Nein! Er enthält ein Mark. Oh, etwas sehr Weiches im Vergleich zur harten Schale! Und das Mark nährt etwas noch viel kleineres: den Keim. Das ist der Trieb, der die Schale sprengt und eine Pflanze mit Blättern, Krone und Wurzeln bildet. Versucht, die Nüsse einzugraben, und dann wartet ab. Ihr werdet sehen, dass einige sich öffnen, andere nicht. Grabt jene, die sich nicht öffnen, wieder aus. Zerschlagt sie mit dem Hammer, und ihr werdet sehen, dass es leere Schalen sind. Es ist daher weder die Feuchtigkeit des Bodens noch die Wärme, welche die Nuß öffnet, sondern das Mark, vielmehr die Seele des Marks: der Keim, der anschwillt, die Schale sprengt und öffnet.

Dies ist das Gleichnis. Doch wir wollen es auf uns anwenden.

Was habe ich getan, dass nicht gut sein soll? Verstehen wir uns noch so wenig, dass ihr nicht begreift, dass Heuchelei eine Sünde und das Wort Wind ist, wenn es nicht in die Tat umgesetzt wird? Habe ich euch nicht immer wieder gesagt: „Liebet einander! Die Liebe ist das Gebot und das Geheimnis der Herrlichkeit?“ Und ich, der ich dies predige, sollte ohne Liebe sein? Soll ich euch das Beispiel eines Meisters der Lüge geben? Nein, niemals!

O meine Freunde! Unser Körper ist wie eine harte Nuß. In der harten Schale ist das Mark eingeschlossen: die Seele, und in ihr befindet sich der Keim, den ich hineingelegt habe. Er besteht aus vielen Elementen. Doch das wichtigste ist die Liebe. Sie sprengt die Schale, um den Geist aus der Umklammerung der Materie zu befreien und ihn wieder mit Gott zu vereinigen, der die Liebe ist. Die Liebe übt man nicht nur mit Worten oder Geld. Man übt Liebe nur mit Liebe. Das soll kein Wortspiel sein. Ich hatte kein Geld, und Worte genügten nicht in diesem Fall. Hier waren sieben Personen an der Schwelle des Hungers und der Bedrängnis. Die Verzweiflung streckte ihre schwarzen Fangarme aus, um zu erfassen und zu ersticken. Die Welt zog sich hart und egoistisch vor diesem Unglück zurück. Die Welt hat damit bewiesen, dass sie die Worte des Meisters nicht begreift. So hat der Meister eben durch die Tat gepredigt. Ich war fähig und frei, es zu tun. Und ich hatte die Pflicht, diese Elenden, die die Welt nicht liebt, für die ganze Welt zu lieben. All das habe ich getan. Wollt ihr mich immer noch tadeln? Oder muss nicht vielmehr ich euch in Gegenwart eines Jüngers tadeln, der es nicht für unter seiner Würde gehalten hat, sich zwischen Sägemehl und Hobelspänen aufzuhalten, um den Meister nicht zu verlassen, und der sich, dessen bin ich gewiss, mehr von mir überzeugen ließ, als er mich über Bretter gebeugt sah, als wenn er mich auf einem Thron gesehen hätte? muss nicht vielmehr ich euch in Gegenwart eines Kindes tadeln, dass mich als den erkannt hat, der ich bin, trotz seiner absoluten Unkenntnis des Messias und trotz des Unglücks, dass es bedrückt?

Ihr schweigt? Bereut nicht nur, solange ich die Stimme erhebe, um eure falschen Ansichten zu berichtigen. Ich tue es aus Liebe. Legt deshalb in euch den Keim, der heiligt und die Schale sprengt, sonst bleibt ihr immer unnütze Wesen. Ihr müßt zu dem bereit sein, was ich getan habe. Aus Liebe zum Nächsten und um die Seele zu Gott zu führen darf euch keine Mühe abschrecken. Die Arbeit, welcherart auch immer sie sei, demütigt nie. Demütigend sind jedoch die niedrigen Handlungen: Falschheit, falsche Anschuldigungen, Härte, Übergriffe, Ausbeutung, Verleumdungen und Wollust. Diese erniedrigen den Menschen. Und doch werden sie ohne Scham begangen, auch von jenen, die sich für vollkommen halten und sich ganz sicher geärgert haben, als sie mich mit Säge und Hammer arbeiten sahen. Oh! Oh! Der Hammer! Der unwürdige Hammer, wie edel wird er, wenn man mit ihm Nägel ins Holz schlägt, um einen Gegenstand herzustellen, mit dem man den Waisenkindern Nahrung verschaffen kann. Wie erscheint doch der gewöhnliche Hammer, den meine Hände zu einem guten Zweck verwenden, nicht mehr als unedel, und alle jene werden ihn haben wollen, die jetzt noch Ärgernis daran nehmen!

O Mensch, Geschöpf, dass du Licht und Wahrheit sein solltest, wie bist du doch Finsternis und Lüge! Aber begreift wenigstens ihr, was das Gute ist! Was die Liebe ist! Was der Gehorsam ist! Wahrlich, ich sage euch, dass es viele Pharisäer gibt. Und sie fehlen auch nicht unter denen, die mich umgeben.»

«Nein, Meister, sag das nicht! Nein... Nur weil wir dich lieben, wollen wir gewisse Dinge nicht...!»

«Eben weil ihr bis heute noch nichts begriffen habt. Ich habe vom Glauben und von der Hoffnung gesprochen und gedacht, dass keine neuen Worte notwendig wären, um von der Liebe zu reden; denn ich ströme so viel Liebe aus, dass ihr davon durchdrungen sein müßtet. Aber ich sehe, dass ihr sie nur dem Namen nach kennt, ohne ihre wahre Natur und Gestalt erkannt zu haben. So wie ihr den Mond kennt.

Erinnert ihr euch, dass ich gesagt habe, dass die Hoffnung der Querbalken des süßen Joches ist, dass den Glauben und die Liebe trägt, und dass sie das Kreuz der Menschheit und der Thron des Heiles ist? Aber ihr habt den Sinn meiner Worte nicht verstanden. Warum habt ihr mich nicht um eine Erklärung gebeten? Jetzt will ich sie euch geben. Die Hoffnung ist ein Joch, weil sie den Menschen zwingt, seinen törichten Hochmut unter der Last der ewigen Wahrheiten zu beugen. Und sie ist das Kreuz dieses Hochmuts. Ein Mensch, der auf Gott, seinen Herrn, hofft, demütigt notwendigerweise seinen Stolz, der sich „Gott“ nennen möchte, und erkennt, dass er nichts ist und Gott alles ist; dass er nichts kann, Gott aber alles vermag; dass er vergänglicher Staub ist, während Gott Ewigkeit ist und den Staub auf eine höhere Stufe erhebt, indem er ihm den Lohn der Ewigkeit zuteil werden läßt. Der Mensch nagelt sich an sein heiliges Kreuz, um das wahre Leben zu erlangen. Und es heften ihn die Flammen des Glaubens und der Liebe daran, während die Hoffnung, die zwischen beiden steht, ihn zum Himmel erhebt.

Daher merkt euch diese Lehre: wenn die Liebe fehlt, ist der Thron ohne Licht, und der Körper, nur an einer Seite angenagelt, hängt in den Schlamm und kann den Himmel nicht mehr sehen. Dadurch werden auch die heilsamen Wirkungen der Hoffnung zunichte gemacht, und es endet damit, dass der Glaube ebenfalls unfruchtbar wird; denn losgelöst von zwei der drei göttlichen Tugenden, verfällt er in Siechtum und tödliche Kälte.

Lehnt Gott auch nicht in den geringsten Dingen ab. Denn es ist eine Ablehnung Gottes, wenn man dem Nächsten aus heidnischem Stolz die Hilfe versagt.

Meine Lehre ist ein Joch, dass die schuldige Menschheit niederdrückt; sie ist ein großer Hammer, der die harte Schale zerschlägt, um den Geist zu befreien. Sie ist ein Joch und ein Hammer, ja; doch wer sie annimmt, spürt die Müdigkeit, die alle anderen menschlichen Lehren und alle anderen menschlichen Dinge erzeugen, nicht. Und auch wer sich von dem Hammer schlagen läßt, spürt nicht den Schmerz, in seinem menschlichen Ich zerschmettert zu werden, sondern er empfindet ein Gefühl der Befreiung. Warum sucht ihr euch davon zu befreien, um es durch all das, was Blei und Schmerz ist, zu ersetzen? Ihr habt alle eure Schmerzen und Mühen. Die ganze Menschheit hat Schmerzen und Mühen, die manchmal die menschlichen Kräfte übersteigen. Angefangen vom Kind, dass wie dieses schon eine große Bürde auf seinen kleinen Schultern trägt, die es niederdrückt und ihm das Lächeln von den Lippen und die Sorglosigkeit aus seinem Geist reißt, bis hin zum Greis, der mit all den Enttäuschungen, Mühen, Lasten und Wunden seines langen Lebens auf das Grab zugeht. Aber meine Lehre und mein Glaube sind eine Erleichterung dieser niederdrückenden Lasten. Daher werden sie die „Frohe Botschaft“ genannt. Und wer sie annimmt und ihr gehorcht, wird schon auf Erden selig sein; denn Gott wird ihn trösten und die Tugenden werden ihm den Weg leicht und hell machen, als wären sie gute Schwestern, die ihn an der Hand nehmen, mit brennenden Lampen den Weg und das Leben erhellen und ihm die ewigen Verheißungen Gottes singen, bis er im Frieden den müden Körper der Erde zum irdischen Schlaf überläßt und im Paradies wieder erwacht.

Warum wollt ihr Menschen belastet, trostlos, müde, angeekelt und verzweifelt sein, wenn ihr erleichtert und gestärkt sein könntet? Warum wollt auch ihr, meine Apostel, die Last, die Schwierigkeit und die Strenge der Mission spüren, während ihr mit dem Vertrauen eines Kindes nur heiteren Fleiß und lichtvolle Leichtigkeit in ihrer Ausführung kennen und begreifen würdet, dass sie nur für die Unbußfertigen, die Gott nicht kennen, streng ist, für die Getreuen Gottes aber wie eine Mutter, die beim Gehen hilft und dem Kind Steine, Dornen, Schlangennester und Gräben aufzeigt, damit es sie erkenne und nicht ihrer Gefahr ausgesetzt sei?

Jetzt seid ihr betrübt. Eure Betrübnis hatte einen elenden Anfang! Ihr wart zuerst untröstlich über meine Demut, als wäre sie ein Verbrechen gegen mich selbst. Nun seid ihr traurig, weil ihr begriffen habt, dass ihr mich betrübt habt und noch so weit von der Vollkommenheit entfernt seid. Doch nur bei wenigen ist diese zweite Traurigkeit frei von Stolz; vom Stolz, der verletzt ist durch die Feststellung, dass ihr noch ein Nichts seid, während ihr aus Hochmut vollkommen sein möchtet. Habt wenigstens die willige Demut, den Vorwurf anzunehmen und zu bekennen, dass ihr gefehlt habt, und versprecht in eurem Herzen, dass ihr die Vollkommenheit für ein übermenschliches Ziel anstreben wollt. Dann kommt zu mir. Ich weise euch zurecht, aber ich verstehe euch und habe Mitleid.

Kommt zu mir, ihr Apostel, und kommt zu mir alle, ihr Menschen, die ihr an materiellen, an moralischen Schmerzen und an seelischen Schmerzen leidet. Diese letzteren verursacht der Kummer darüber, dass ihr noch nicht fähig seid, euch zu heiligen, wie ihr es aus Liebe zu Gott und mit Eifer und ohne Rückfälle ins Böse tun möchtet. Der Weg der Heiligung ist lang und geheimnisvoll, und manchmal erfüllt er sich ohne Wissen des Wanderers, der im Dunkeln weitergeht, mit dem Geschmack des Giftes im Mund, und glaubt, nicht voranzukommen und den himmlischen Trank nicht trinken zu können, und nicht weiß, dass auch diese geistige Blindheit ein Teil der Vollkommenheit ist.

Selig jene, dreimal selig, welche ihren Weg fortsetzen, ohne die Freuden des Lichtes und der Süßigkeiten zu verspüren, und nicht aufgeben, weil sie nichts sehen und hören, und nicht stehenbleiben und sagen: „Solange Gott mir keine Freuden gewährt, gehe ich nicht weiter.“ Ich sage euch: die dunkelste Straße wird plötzlich ganz leuchtend und öffnet sich himmlischen Gefilden. Das Gift, dass den Geschmack für menschliche Dinge verdorben hat, wandelt sich in paradiesische Süßigkeit für jene Mutigen, die erstaunt sagen werden: „Wie dies? Warum wird mir so viel Süßigkeit und Freude zuteil?“ Weil sie ausgeharrt haben und Gott sie schon auf Erden über das jubeln läßt, was im Himmel auf sie wartet.

Aber vorerst, um standzuhalten, kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Ihr Apostel, und mit euch alle Menschen, die Gott suchen, die über die Schmerzen der Erde weinen, die sich allein dahinschleppen, ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch. Es ist keine Last. Es ist eine Stütze. Umfangt meine Lehre, als wäre sie eine geliebte Braut. Ahmt euren Meister nach, der sich nicht damit begnügt, euch zu segnen, sondern auch tut, was er euch lehrt. Lernt von mir, der ich sanft und demütig von Herzen bin. Ihr werdet die Ruhe eurer Seelen finden; denn Sanftmut und Demut gewähren das Reich auf Erden und im Himmel. Ich habe euch schon gesagt, dass die wahren Sieger unter den Menschen jene sind, die mit Liebe erobern, und Liebe ist immer Sanftmut und Demut. Ich werde euch niemals auftragen, Dinge zu tun, die über eure Kräfte gehen, denn ich liebe euch und will euch bei mir in meinem Reich haben. Nehmt daher meine Grundsätze und meine Lehre an und bemüht euch, mir und dem, was meine Glaubenslehre euch sagt, ähnlich zu werden. Habt keine Angst, denn mein Joch ist süß und meine Bürde ist leicht, die Herrlichkeit aber, die ihr genießen werdet, wenn ihr mir treu bleibt, ohnegleichen. Unendlich und ewig...

Ich lasse euch nun eine Weile allein. Ich gehe mit dem Kind zum See. Es wird dort Freunde finden... Dann werden wir zusammen das Brot brechen. Komm, Joseph! Ich werde dich mit den Kindern bekan