22.09.2016

DIE MEINUNG DES HERODES ÜBER JESUS

nach Maria Valtorta

Manaen kommt herein und verneigt sich.

»Der Friede sei mit dir«, grüßt Jesus.

»Der Friede sei mit dir, Meister. Die Sonne geht unter, und die ersten Schritte nach dem Sabbat führen mich zu dir, mein Herr.«

»Hast du das Paschafest gut verbracht?«

»Gut?! Nichts Gutes kann dort sein, wo sich Herodes und Herodias befinden. Ich versichere dir, dass ich das letzte Mal das Lamm mitnihnen gegessen habe! Selbst wenn es mich das Leben kosten sollte, werde ich nicht länger bei ihnen bleiben!«

»Ich glaube, du machst einen Fehler. Du könntest dem Meister,dienen, wenn du dort bleibst . . . « erwidert Iskariot.

»Das ist wahr, und das war es auch, was mich bisher zurückgehalten hat. Aber welch ein Ekel! Chuza könnte mich ersetzen . . . «

Bartholomäus hält ihm entgegen: »Chuza ist nicht Manaen. Chuza ist . . . Ja . . . Er weicht Schwierigkeiten aus und würde seinen Herrn,nie verraten. Du bist aufrichtiger.«

»Nun, das ist wahr, und es stimmt auch, dass Chuza Höfling ist,und dem Zauber des Königtums unterliegt. Königtum! Was sage ich? Dem königlichen Schlamm! Aber er glaubt, König zu sein, weil

er beim König ist . . . und zittert vor der königlichen Ungnade. Vor einigen Tagen glich er einem geprügelten Hund, als er abends fast kriechend vor Herodes erschien. Der König hatte ihn rufen lassen, nachdem er sich die Klagen Salomes, die von dir verjagt worden war, angehört hatte. Chuza war in einer schlimmen Klemme. Der Wunsch, sich unter allen Umständen herauszuwinden, selbst indem er dich anklagte und dir unrecht gab, war ihm ins Gesicht geschrieben. Aber Herodes! . . . Er wollte nur hinter dem Rücken des Mädchens lachen, denn er ist ihrer überdrüssig, wie er auch ihrer Mutter überdrüssig ist. Er lachte wie ein Verrückter, als ihm Chuza deine Worte wiederholte, und sagte immer wieder: „Zu sanft, zu sanft noch für dieses Mädchen . . . (er gebrauchte ein so anstößiges Wort, dass ich es dir nicht wiedergeben kann). Er hätte sie in ihren erregten Leib treten sollen . . . Aber damit hätte er sich verunreinigt!“ und er lachte. Danach sagte er aber ernst: „Allerdings . . . die Beleidigung, die das Frauenzimmer durchaus verdient hat, darf er sich der Krone

gegenüber nicht erlauben. Ich bin großzügig (das ist eine seiner fixen Ideen, und da es ihm niemand sagt, wiederholt er es sich selbst immer wieder) und verzeihe dem Rabbi, auch weil er Salome die Wahrheit gesagt hat. Jedoch will ich, dass er an den Hof kommt, damit ich ihm gänzlich verzeihen kann. Ich will ihn sehen, hören und ihn Wunder wirken lassen. Er soll kommen, und ich werde sein Beschützer sein. Dies sagte er vor einigen Tagen am Abend. Chuza wußte nicht, was er antworten sollte, und „nein“, wollte er dem Monarchen nicht sagen, „ja“ konnte er nicht sagen, weil du den Wünschen des Herodes selbstverständlich nicht entsprechen könntest. Heute hat er zu mir gesagt: „Du gehst ganz gewiss zu ihm . . . Teile ihm meinen Willen mit.“ Ich sage es dir, doch kenne ich schon die Antwort. Aber sage sie mir, damit ich sie ihm überbringen kann.«

»Nein!« Ein Nein wie ein Blitz.

»Machst du ihn dir damit nicht zum gefährlichen Feind?« fragt Thomas.

»Auch zum Henker. Aber ich kann nur mit einem „Nein“ antworten.«

»Er wird uns verfolgen . . . «

»Oh, in drei Tagen wird er schon wieder alles vergessen haben«, sagt Manaen und zuckt die Schultern. Dann fügt er hinzu: »Sie haben ihm Schauspielerinnen versprochen . . . Sie sollen morgen eintreffen . . . und er wird alles vergessen! . . . «