08.08.2016

DIE TEMPELABGABE UND DIE MÜNZE IM SCHLUND DES FISCHES

nach Maria Valtorta 

Die beiden gemieteten Boote, in denen sie nach Kafarnaum zurückkehren, gleiten auf einem unwahrscheinlich ruhigen See dahin, eine wahre Scheibe himmlischen Kristalls, die, nachdem

die beiden Boote vorbeigefahren sind, jeweils sofort wieder ihre glatte Oberfläche zurückgewinnt.

Es sind jedoch nicht die Boote des Petrus und des Jakobus, sondern zwei andere, die sie vielleicht in Tiberias gemietet haben, denn ich höre, dass sich Judas etwas beklagt, weil er nach dieser letzten Ausgabe kein Geld mehr hat.

»An die anderen hat man gedacht, aber an uns? Was werden wir nun tun? Ich hoffte, dass Chuza . . . Aber nichts! Wir sind nun in der Lage eines Bettlers, eines der vielen, die sich in dieser Zeit an die Straßen stellen und die Pilger um Almosen bitten«, sagt er leise und unzufrieden zu Thomas.

Doch dieser antwortet gutmütig: »Was tut das schon? Ich mache mir keine Sorgen.«

»Ja! Aber wenn die Stunde der Mahlzeit kommt, bist du derjenige, der mehr als alle anderen essen möchte.«

»Gewiß, ich habe Hunger. Ich bin auch in diesem Punkt tüchtig. Nun gut, heute werde ich, anstatt wie üblich Brot und andere Speisen zu verteilen, diese direkt von Gott erbitten.«

»Heute! Heute! Aber morgen werden wir uns wieder in derselben Lage befinden, und übermorgen ebenfalls. Zudem sind wir auf dem Weg zur Dekapolis, wo uns niemand kennt und die Leute halbe

Heiden sind. Es ist nicht nur wegen des Brotes, sondern auch wegen der Sandalen, die sich abnützen, und wegen der Armen, die dich belästigen. Einer könnte auch krank werden, und . . . «

»Und wenn du so weitermachst, dann bringst du mich noch um und wirst auch an die Begräbniskosten denken müssen. Oh, wie viele Sorgen! Ich . . . bin wirklich sorgenfrei, ruhig wie

ein neugeborenes Kind.«

Jesus, der in seine Gedanken versunken zu sein scheint und amBug, fast auf dem Bootsrand, sitzt, dreht sich um und sagt laut zu Judas, der am Heck sitzt – aber es sieht so aus, als ob er zu allen

sprechen würde – »Es ist ganz gut, ohne einen Pfennig zu sein, umsomehr wird die Vatergüte Gottes auch in den kleinen Dingen erstrahlen.«

»Seit einigen Tagen ist für dich alles gut. Es ist gut, dass kein Wunder geschieht, es ist gut, dass wir von niemandem Spenden erhalten, es ist gut, dass wir alles, was wir besaßen, verteilt haben, alles

in allem ist gut . . . Aber mir ist sehr unbehaglich dabei . . . Du bist ein teurer Meister, ein heiliger Meister, aber auf Dinge des materiellen Lebens verstehst du dich überhaupt nicht«, sagt Judas ohne Bitterkeit, als ob er einem guten Bruder Vorhaltungen machte, dessen unbedachter Güte er sich aber auch rühmt.

Jesus antwortet ihm mit einem strahlenden Lächeln: »Es ist gerade mein größter Vorzug, ein Mensch zu sein, der sich nicht auf Dingedes materiellen Lebens versteht . . . und ich wiederhole:

Es ist ganz gut, ohne einen Pfennig zu sein.«

Das Boot gleitet über den Kies und hält an. Alle steigen aus, während sich das andere Boot nähert, um anzulegen. Jesus begibt sich mit Judas, Thomas, Judas und Jakobus, Philippus und Bartholomäus zu dem Haus . . .

Petrus steigt aus dem zweiten Boot aus, und Matthäus, die Söhne des Zebedäus, Simon der Zelote und Andreas folgen ihm; und während sich alle auf den Weg machen, bleibt Petrus am Ufer zurück,

um mit den Bootsmännern zu sprechen, die sie begleitet haben und die er vielleicht kennt, und um ihnen bei der Abfahrt behilflich zu sein. Dann zieht er wieder sein langes Gewand an und steigt das

Ufer hinauf, um sich zum Hause zu begeben.

Während er den Marktplatz überquert, kommen ihm zwei Männer entgegen, die ihn anhalten und sagen: »Höre, Simon des Jona.«»Ich höre. Was wollt ihr?«

»Bezahlt dein Meister, oder bezahlt er die Doppeldrachme an den Tempel nicht, nur weil er Meister ist?«

»Gewiß bezahlt er sie! Warum sollte er es nicht tun?«

»Nun . . . weil er sich Sohn Gottes nennt, und . . . «

»Und er ist es auch«, entgegnet Petrus bestimmt, schon ganz rot vor Unwillen. Dann fügt er hinzu: »Doch da er auch ein Sohn des Gesetzes ist, und der beste, den das Gesetz hat, zahlt er wie jeder

Israelit seine zwei Drachmen . . . «

»Das ist uns nicht bekannt. Man hat uns vielmehr gesagt, dass er es nicht tut, und wir möchten ihm raten, es zu tun.«

»Hm, hm«, brummt Petrus, dessen Geduld beinahe am Ende ist. »Hm, hm, hm . . . Mein Meister hat euren Rat nicht nötig. Geht in Frieden und sagt denen, die euch geschickt haben, dass die Drachmen bei der ersten Gelegenheit bezahlt würden.«

»Bei der ersten Gelegenheit bezahlt würden! . . . Warum nicht sofort? Wer garantiert uns, dass er es tun wird, wenn er immer da und dort ist, ohne ein bestimmtes Ziel?«

»Jetzt nicht, weil er im Augenblick keinen Pfennig besitzt. Ihr könntet ihn auf den Kopf stellen, und es käme nicht die kleinste Münze zum Vorschein. Wir sind alle ohne Geld, denn wir, die wir weder Pharisäer noch Schriftgelehrte, weder Sadduzäer noch Begüterte, weder Spione noch Schlangen sind, sind es gewohnt, gemäß seiner Lehre das, was wir haben, für die Armen zu verwenden. Ver-

standen? Gerade haben wir alles weggegeben, und wenn der Allerhöchste nicht für uns sorgt, können wir Hungers sterben oder uns als Bettler an die Straßenecke stellen. Berichtet dies auch jenen, die behaupten, dass er ein Schlemmer wäre. Lebt wohl!« Dann läßt er sie stehen und läuft brummend und glühend vor Erregung davon.

Er betritt das Haus und begibt sich in den oberen Raum, wo Jesus einen Mann anhört, der ihn bittet, in ein Haus auf dem Berg hinter Magdala zu kommen, wo jemand im Sterben liegt.

Jesus verabschiedet sich von dem Mann und verspricht, bald zu kommen. Als der Besucher fort ist, wendet er sich an Petrus, der sich nachdenklich in eine Ecke gesetzt hat, und sagt: »Was meinst

du, Simon, von wem bekommen die Könige der Erde in der Regel den Tribut und die Steuern? Von den eigenen Kindern oder von den Fremden?«

Petrus fährt auf und sagt: »Woher weißt du, Herr, was ich dir hätte sagen sollen?«

Jesus lächelt und macht eine Gebärde, als wolle er sagen: »Laß es gut sein«; dann fügt er an: »Antworte mir auf das, was ich dich frage.«

»Von den Fremden!«

»Also sind die Kinder davon ausgenommen, wie es auch recht ist. Denn ein Sohn ist vom Blut und vom Haus des Vaters und braucht dem Vater nur den Tribut der Liebe und des Gehorsams zu leisten. Daher müßte ich, als Sohn des Vaters, keinen Tribut an den Tempel bezahlen, da dieser

das Haus des Vaters ist. Du hast ihnen richtig geantwortet. Aber da ein Unterschied zwischen dir und ihnen besteht, und zwar dieser: du glaubst, dass ich der Sohn Gottes bin, während sie und jene, die sie geschickt haben, dies nicht glauben, daher will ich, damit wir ihnen nicht Anstoß geben, den Tribut bezahlen, und zwar sofort, solange sie noch auf dem Platz sind, um ihn einzuziehen.«

»Und womit willst du bezahlen, da wir doch keinen Pfennig mehr besitzen?« fragt Judas, der sich mit den anderen genähert hat.

»Siehst du jetzt, wie nötig es ist, etwas zu haben?«

»Wir werden uns vom Herrn des Hauses etwas leihen«, sagt Philippus.

Jesus macht ein Zeichen mit der Hand, dass sie schweigen sollen, und sagt: »Simon des Jona, geh ans Ufer des Sees und wirf die Angel mit einem großen Haken aus. Sobald der erste Fisch anbeißt, ziehe ihn ans Ufer. Es wird ein großer Fisch sein. Öffne ihm gleich am Ufer das Maul; du wirst darin einen Stater finden. Nimm ihn, eile zu den beiden und zahle für mich und für dich. Dann bring den Fisch hierher. Wir werden ihn rösten, und Thomas wird uns aus Liebe zu Gott ein wenig Brot geben. Wir werden essen und danach sogleich den Sterbenden aufsuchen. Jakobus und Andreas, bereitet die Boote vor, um mit ihnen nach Magdala zu fahren, und am Abend werden wir dann zu Fuß heimkehren, um Zebedäus und den Schwager Simons nicht am Fischfang zu hindern.«

Petrus geht, und gleich darauf sieht man ihn am Ufer in ein kleines, halb im Wasser liegendes Boot steigen und eine dünne, starke Schnur auswerfen, die mit einem Stein oder Bleistückchen beschwert ist und an deren Ende der Angelhaken hängt. Die Wasser des Sees öffnen sich mit glitzernden Spritzern, als das Gewicht in ihnen versinkt, und beruhigen sich dann wieder, nachdem die Ringe auf dem Wasser ausgelaufen sind . . .

Nach einer Weile jedoch spannt sich die Schnur, die locker in der Hand des Petrus gelegen ist . . . Petrus zieht, zieht und zieht, während die Schnur immer stärker zuckende Bewegungen macht.

Schließlich ein heftiger Ruck, und die Angelschnur erscheint mit ihrer Beute, die in der Luft über dem Kopf des Fischers zappelt und dann auf den gelblichen Sand aufschlägt, wo sie sich vor Schmerz wegen des Angelhakens im Gaumen und dem Beginn des Erstickens aufbäumt.

Es ist ein prächtiger Fisch, groß wie ein Steinbutt und mindestens drei Kilogramm schwer. Petrus reißt den Haken aus dem fleischigen Kiefer, steckt seinen dicken Finger in den Schlund und zieht

eine große Silbermünze heraus. Er hält sie zwischen Daumen und Zeigefinder empor, um sie dem Meister zu zeigen, der an der Brüstung der Terrasse steht. Dann nimmt er die Schnur, wickelt sie auf, ergreift den Fisch und eilt davon, zum Marktplatz.

Die Apostel sind alle starr vor Staunen . . . Jesus lächelt und sagt: »So haben wir ein Ärgernis verhindert . . . «

Petrus kehrt zurück: »Sie waren schon mit Eli, dem Pharisäer, auf dem Wege hierher. Ich habe versucht, höflich wie ein Mädchen zu sein, und habe sie gerufen: „He, ihr Boten des Fiskus!

Nehmt, hier sind vier Drachmen, nicht wahr? Zwei für den Meister und zwei für mich. Nun ist alles

in Ordnung, nicht wahr? Auf baldiges Wiedersehen im Tale Joschafat, besonders mit dir, lieber Freund!“ Sie waren beleidigt, weil ich gesagt habe: „Fiskus“. „Wir sind vom Tempel, nicht vom Fiskus.“ „Ihr nehmt Steuern ein wie die Zöllner. Jeder Einnehmer ist für mich der Fiskus“, habe ich geantwortet. Aber Eli hat erwidert: „Unverschämter! Wünschest du mir den Tod?“ „Nein, Freund! Niemals. Ich wünsche dir eine glückliche Reise ins Tal Joschafat. Gehst du nicht nach Jerusalem zum Paschafest? Dann könnten wir uns dort irgendwo begegnen, Freund.“ „Lieber nicht; und

ich erlaube dir auch nicht, mich deinen Freund zu nennen.“ „Tatsächlich wäre es eine zu große Ehre“, habe ich geantwortet und bin dann fortgegangen. Das Schöne ist, dass halb Kafarnaum anwesend war und gesehen hat, wie ich für dich und für mich bezahlt habe. So wird diese alte Schlange nichts mehr sagen können.«

Die Apostel haben alle über die Erzählung und die Mimik des Petrus lachen müssen. Jesus möchte ernst bleiben, doch ein leichtes Lächeln stiehlt sich auf seine Lippen, während er sagt: »Du bist

schärfer als der Senf«, und er fügt hinzu: »Kocht nun den Fisch und beeilen wir uns, denn bei Sonnenuntergang möchte ich wieder zurück sein.«