22.07.2016

DIE FROMMEN FRAUEN AM GRAB

nach Maria Valtorta

Die Frauen gehen inzwischen, nachdem sie das Haus verlassen haben, an den Mauern entlang, Schatten im Schatten. Einige Zeit schweigen sie, hüllen sich ganz in ihre Mäntel und fürchten sich vor so viel Stille und Einsamkeit. Doch nachdem sie in Anbetracht der absoluten Ruhe in der Stadt sicherer geworden sind, gehen sie in einer Gruppe und wagen, miteinander zu sprechen.

«Sind die Tore wohl schon offen?» fragt Susanna.

«Gewiß. Schau, dort kommt der erste Gärtner mit seinem Gemüse. Er ist auf dem Weg zum Markt», antwortet Salome.

«Werden sie nichts sagen?» fragt wiederum Susanna.

«Wer?» will Maria Magdalena wissen.

«Die Soldaten am Gerichtstor. Dort kommen nur wenige herein, und noch weniger gehen hinaus... Wir werden Verdacht erregen...»

«Ja und? Sie werden uns anschauen. Sie werden fünf Frauen sehen auf dem Weg in die Felder. Wir könnten auch Leute sein, die nach dem Passahfest wieder in ihre Dörfer zurückkehren.»

«Aber... um nicht die Aufmerksamkeit irgendeines Übelgesinnten zu erregen, wäre es vielleicht besser, zu einem anderen Tor hinauszugehen und dann an der Mauer entlang zurückzukommen ...»

«Wir würden den Weg verlängern.»

«Aber wir würden uns auch sicherer fühlen. Gehen wir durch das Wassertor...»

«Oh, Salome, an deiner Stelle würde ich das Osttor nehmen! So könntest du noch länger laufen. Wir müssen uns beeilen und rasch nach Hause zurückkehren.» Es ist die resolute Magdalena, die das sagt.

«Also dann ein anderes Tor, nur nicht das Gerichtstor. Sei so gut...»betteln alle.

«Nun gut. Da ihr es so wollt, gehen wir bei Johanna vorbei. Sie hat darum gebeten, dass wir sie benachrichtigen. Hätten wir den direkten Weg genommen, wären wir ohne sie ausgekommen. Aber da ihr einen längeren Weg machen wollt, gehen wir bei ihr vorbei ...»

«O ja! Auch wegen der dort aufgestellten Wachen... Sie ist bekannt und gefürchtet...»

«Ich würde vorschlagen, auch bei Joseph von Arimathäa vorbeizuschauen. Er ist der Besitzer des Ortes.»

«Aber ja! Wir können einen Umzug veranstalten, um nicht aufzufallen! Oh, was für eine ängstliche Schwester habe ich doch! Weißt du, was wir machen, Martha? Ich gehe voraus und sehe mich um. Ihr kommt dann mit Johanna nach. Ich werde mich mitten auf die Straße stellen, wenn Gefahr besteht. Dann seht ihr mich, und wir gehen zurück. Aber was die Wachen betrifft, habe ich vorgesorgt, und mit dem hier (sie zeigt eine volle Geldbörse) werden sie uns alles erlauben.»

«Wir werden es auch Johanna sagen. Du hast recht.»

«Dann geht, damit ich gehen kann.»

«Du gehst allein, Maria? Ich komme mit dir», sagt Martha, die Angst um ihre Schwester hat.

«Nein, du gehst mit Maria des Alphäus zu Johanna. Salome und Susanna sollen am Tor außerhalb der Mauer auf euch warten. Dann nehmt ihr alle zusammen die Hauptstraße. Lebt wohl.»

Und Maria Magdalena unterbindet jede weitere mögliche Bemerkung, indem sie sich rasch mit ihrer Tasche voller Salben und dem Geld im Gewand entfernt.

Sie eilt, fliegt auf der Straße dahin, die nun in der ersten Morgenröte etwas freundlicher wird. Sie geht durch das Gerichtstor, um schneller da zu sein. Niemand hält sie auf...

Die anderen sehen ihr nach, drehen dann der Straßenkreuzung, an der sie gestanden sind, den Rücken und nehmen eine enge, dunkle Gasse, die in der Nähe des Xystos in eine breite, offene Straße mit schönen Häusern mündet. Dort teilen sie sich noch einmal: Salome und Susanna gehen auf der Straße weiter, während Martha und Maria des Alphäus an das eisenbeschlagene Tor klopfen und sich an dem Fensterchen zeigen, dass der Türhüter öffnet.

Sie treten ein und begeben sich zu Johanna, die schon aufgestanden und ganz in dunkles Violett gekleidet ist, dass sie noch blasser macht. Auch sie ist dabei, zusammen mit der Amme und einer Dienerin Salben zu bereiten.

«Ihr seid gekommen? Gott möge es euch vergelten. Aber wenn ihr nicht gekommen wäret, wäre ich allein gegangen... Um Trost zu finden... Denn vieles hat sich verändert nach diesen schrecklichen Tagen. Und um mich nicht so einsam zu fühlen, muss ich zu dem Stein gehen, daran klopfen und sagen: „Meister, ich bin die arme Johanna... Laß nicht auch du mich allein...“» Johanna weint leise, aber sehr verzweifelt, und Esther, die Amme, macht hinter dem Rücken der Herrin unverständliche Zeichen, während sie ihr den Mantel umlegt.

«Ich gehe, Esther.»

«Gott möge dich trösten!»

Sie verlassen den Palast, um die Gefährtinnen einzuholen. In diesem Augenblick erfolgt das kurze, heftige Erdbeben, dass die Einwohner von Jerusalem erneut in Panik versetzt. Die Erinnerung an die Ereignisse des Freitags ist noch frisch.

Die drei Frauen kehren überstürzt zurück und warten in der großen Vorhalle zwischen den schreienden und Gott anrufenden Dienerinnen und Dienern angstvoll auf neue Erdstöße...

... Magdalena hingegen ist gerade am Anfang des Weges, der zum Garten des Joseph von Arimathäa führt, als sie das mächtige und zugleich harmonische Dröhnen dieses himmlischen Zeichens überrascht. Im schwach rosafarbenen Licht des Morgengrauens, dass sich über den Himmel ausbreitet, an dem im Westen noch ein hartnäckiger Stern widersteht, und der bisher grünlichen Luft einen goldenen Schimmer verleiht, erscheint ein herrliches großes Licht, ein Feuerball, und saust im Zickzack durch die ruhige Luft auf die Erde hernieder.

Maria Magdalena wird von ihm fast gestreift und zu Boden geworfen.

Sie bleibt einen Augenblick zusammengekauert liegen und flüstert: «Mein Herr!» Dann richtet sie sich wie ein Blumenstengel nach einem Windstoß wieder auf und läuft noch schneller, um den Garten zu erreichen. Sie geht rasch hinein und eilt wie ein verfolgter, sein Nest suchender Vogel dem Felsengrab zu. Aber so schnell sie auch läuft, sie kann nicht dort sein, als der himmlische Meteor mit seiner Kraft und seinem Feuer die zur Sicherung des schweren Steins angebrachten Kalksiegel zerstört, und auch nicht, als mit einem letzten Donner die steinerne Tür fällt und diese Erschütterung noch zu dem Erdbeben hinzukommt, das, obgleich kurz, doch so heftig ist, dass die Wachen wie tot zu Boden stürzen.

Als Maria ankommt, sieht sie diese nutzlosen Kerkermeister des Siegers wie gemähte Halme am Boden liegen. Maria Magdalena bringt das Erdbeben nicht mit der Auferstehung in Zusammenhang. Als sie diese Szene sieht, hält sie sie vielmehr für eine Strafe Gottes für die Schänder des Grabes Jesu, fällt auf die Knie und klagt: «O weh, sie haben ihn gestohlen!»

Sie ist ganz verzweifelt und weint wie ein Kind, dass in der gewissheit gekommen ist, den gesuchten Vater anzutreffen, und statt dessen die Wohnung leer vorfindet. Dann steht sie auf und läuft fort, um Petrus und Johannes aufzusuchen. Und da sie nur daran denkt, diese beiden zu benachrichtigen, vergißt sie, den Freundinnen entgegenzugehen und auf dem Weg auf sie zu warten. Flink wie eine Gazelle eilt sie auf demselben Weg zurück, durch das Gerichtstor und die nun etwas belebteren Straßen, stürzt auf das Tor des gastlichen Hauses zu und rüttelt und klopft heftig daran.

Die Hausherrin öffnet. «Wo sind Johannes und Petrus?» fragt Maria Magdalena atemlos.

«Dort», und die Frau zeigt auf den Abendmahlsaal.

Maria Magdalena geht hinein, und kaum ist sie drinnen und steht vor den beiden Überraschten, sagt sie mit aus Mitleid mit der Mutter leiser Stimme, die aber mehr Kummer ausdrückt, als wenn sie schreien würde: «Sie haben den Herrn aus dem Grab geholt! Wer weiß, wo sie ihn hingelegt haben!» Und zum ersten Mal bebt und wankt sie, und um nicht zu fallen, hält sie sich, wo sie gerade kann.

«Wie?! Was sagst du da?» fragen die beiden.

Und sie berichtet betrübt: «Ich war vorausgegangen, um die Wachen zu bestechen... damit sie uns hineinlassen. Sie liegen da wie tot... Das Grab ist offen, der Stein am Boden... Wer? Wer kann es gewesen sein? Oh, kommt! Beeilt euch...»

Petrus und Johannes machen sich sofort auf den Weg. Maria geht ihnen einige Schritte nach. Dann kehrt sie um, packt die Hausherrin, schüttelt sie heftig in ihrer vorsorgenden Liebe und zischt ihr ins Gesicht: «Hüte dich, jemanden zu ihr hineinzulassen! (Sie deutet auf das Zimmer Marias.) Vergiß nicht, dass ich deine Herrin bin. Gehorche und schweige.»

Dann läßt sie die erstaunte Frau stehen und holt die Apostel ein, die mit großen Schritten zum Grab eilen...

... Susanna und Salome, die sich indessen von den Gefährtinnen getrennt und die Mauer erreicht haben, werden dort von dem Erdbeben überrascht. Erschreckt flüchten sie unter einen Baum und bleiben stehen im Widerstreit der Wünsche, zum Grab zu gehen oder zu Johanna zu laufen. Schließlich siegt die Liebe über die Angst, und sie gehen zum Grab.

Immer noch bestürzt betreten sie den Garten und sehen die reglosen Wächter... sehen ein großes Licht aus dem offenen Grab dringen. Und ihr Staunen wächst und wird schließlich vollkommen, als sie sich an den Händen fassen, um einander Mut zu machen, an die Schwelle des Grabes treten und im Dunkel der Höhle eine leuchtende, wunderschöne, sanft lächelnde Gestalt sehen, die sie von ihrem Platz aus grüßt. Sie lehnt rechts am Stein der Einbalsamierung, dessen Grau sich vor so viel leuchtendem Glanz in Nichts auflöst.

Stumm vor Staunen fallen sie auf die Knie.

Doch der Engel sagt sanft: «Fürchtet euch nicht vor mir. Ich bin der Engel des göttlichen Schmerzes. Ich bin gekommen, um mich über dessen Ende zu freuen. Der Schmerz Christi ist nicht mehr, noch seine Erniedrigung im Tod. Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte, den ihr sucht, ist auferstanden. Er ist nicht mehr hier. Leer ist der Ort, an dem er begraben wurde. Jubelt mit mir. Geht und sagt Petrus und den Jüngern, dass er auferstanden ist und euch nach Galiläa vorausgeht. Dort werdet ihr ihn noch eine kleine Weile sehen, wie er es vorhergesagt hat.»

Die Frauen werfen sich auf ihr Angesicht, und als sie es wieder erheben, fliehen sie, als würden sie von einer Strafe verfolgt. Sie sind zu Tode erschrocken und flüstern: «Nun werden wir sterben! Wir haben den Engel des Herrn gesehen.»

Erst auf dem freien Feld beruhigen sie sich etwas und beraten sich. Was tun? Wenn sie erzählen, was sie gesehen haben, wird man ihnen nicht glauben. Wenn sie die anderen auffordern, selbst hinzugehen, können sie von den Juden beschuldigt werden, die Wächter getötet zu haben ... Nein, sie dürfen nichts sagen, weder den Freunden noch den Feinden ...

Verängstigt und schweigend kehren sie auf einem anderen Weg zum Haus zurück. Sie gehen hinein und flüchten in den Abendmahlsaal, wollen nicht einmal Maria sehen... Und dort fragen sie sich plötzlich, ob das, was sie gesehen haben, nicht eine Täuschung des Teufels gewesen ist. Demütig wie sie sind, halten sie es nicht für möglich, dass ihnen gewährt wurde, den Boten Gottes zu sehen. Es war Satan, der ihnen Angst einjagen wollte, um sie von dort fernzuhalten.

Sie weinen und beten wie zwei von einem Alptraum verängstigte Kinder.

... Die dritte Gruppe, bestehend aus Johanna, Maria des Alphäus und Martha, entschließt sich, da nichts weiter geschieht, dorthin zu gehen, wo gewiss die Gefährtinnen auf sie warten. Sie begeben sich auf die Straße, wo nun erschrockene Leute über das Erdbeben sprechen, es in Zusammenhang mit den Ereignissen des Freitags bringen und auch Dinge sehen, die gar nicht sind.

«Besser, wenn alle verängstigt sind. Vielleicht sind es auch die Wachen und machen keine Schwierigkeiten», sagt Maria des Alphäus.

Sie eilen zur Stadtmauer. Doch während sie auf dem Weg dorthin sind, haben Petrus und Johannes, gefolgt von Maria Magdalena, bereits den Garten erreicht.

Johannes, der schneller ist, kommt als erster am Grab an. Die Wachen sind nicht mehr da. Auch der Engel ist nicht mehr da. Johannes kniet furchtsam und schmerzerfüllt am offenen Eingang nieder, um zu beten und aus den Dingen, die er sieht, zu schließen, was vorgefallen ist. Aber er sieht nichts als die Binden, die in einem Häufchen auf dem Leichentuch am Boden liegen.

«Er ist wirklich nicht da, Simon! Maria hat es richtig gesehen. Komm, geh hinein und schau.»

Petrus, der vom Laufen ganz außer Atem ist, geht in das Grab hinein. Unterwegs hat er noch gesagt: «Ich werde es nicht wagen, mich diesem Ort zu nähern.» Jetzt aber will er nur eines, herausfinden, wo der Meister sein kann. Er ruft ihn sogar, als ob er sich in irgendeinem dunklen Winkel versteckt haben könnte.

Zu dieser Morgenstunde ist es noch sehr dunkel in der Tiefe des Grabes, in das nur Licht durch die kleine Türöffnung fällt, die nun Johannes und Magdalena ausfüllen ... Und Petrus sieht nur wenig und muss sich mit den Händen vorantasten ... Er berührt zitternd den Einbalsamierungstisch und fühlt, dass er leer ist...

«Er ist nicht da, Johannes! Er ist nicht da...! Oh, komm auch du! Ich habe so viel geweint, dass ich in diesem schwachen Licht fast nichts sehe.»

Johannes steht auf und geht hinein. Während er es tut, hat Petrus das in einer Ecke liegende, schön gefaltete Schweißtuch entdeckt. Darin befindet sich das sorgsam aufgerollte Grabtuch.

«Sie haben ihn wirklich weggebracht. Die Wächter hat man nicht unseretwegen aufgestellt, sondern um dies zu tun... Und wir haben es zugelassen. Wir haben es ermöglicht, da wir fortgegangen sind...»

«Oh, wo haben sie ihn wohl hingebracht?»

«Petrus! Petrus, dass ... ist das Ende!»

Die beiden Jünger gehen ganz vernichtet hinaus.

«Gehen wir, Frau. Du wirst es der Mutter berichten...»

«Ich gehe nicht von hier fort. Ich bleibe hier... Irgend jemand wird kommen... Oh, ich gehe nicht fort... Hier ist immer noch etwas von ihm. Die Mutter hatte recht... die Luft einatmen zu können, wo er gewesen ist, dass ist der einzige Trost, der uns bleibt.»

«Der einzige Trost... Nun siehst also auch du ein, dass es töricht war, zu hoffen ...» sagt Petrus.

Maria erwidert nichts darauf. Sie wirft sich zu Boden, gerade am Eingang, und weint, während die anderen langsam fortgehen.

Dann hebt sie das Haupt und schaut hinein, und mit tränenerfüllten Augen sieht sie zwei Engel, die am Kopfende und am Fußende des Einbalsamierungstisches sitzen. Die arme Maria ist so verwirrt in ihrem heftigen Kampf zwischen der Hoffnung, die stirbt, und dem Glauben, der nicht sterben will, dass sie sie nur verstört ansieht und sich nicht einmal wundert. Die Starke, die allem wie eine Heldin getrotzt hat, kann nur noch weinen.

«Warum weinst du, Frau?» fragt einer der beiden strahlenden Jünglinge; denn sie sehen aus wie wunderschöne Halbwüchsige.

«Weil sie meinen Herrn weggenommen haben und ich nicht weiß, wohin sie ihn gelegt haben.»

Maria hat keine Angst, mit ihnen zu reden. Sie fragt auch nicht: «Wer seid ihr?» Nichts. Nichts verwundert sie mehr. Alles, worüber sich ein Mensch wundern könnte, hat sie längst erlebt. Sie ist jetzt nur noch ein gebrochenes Geschöpf, dass kraftlos und rückhaltslos weint.

Der Engel sieht seinen Gefährten an und lächelt. Auch dieser lächelt. In einem Aufleuchten himmlischer Freude schauen beide in den blühenden Garten hinaus, in dem sich die abertausend Blüten der dichten Apfelbäume unter den ersten Strahlen der Sonne geöffnet haben.

Maria wendet sich um, um zu sehen, was die beiden betrachten. Und sie erblickt einen wunderschönen Mann, und es ist mir unbegreiflich, dass sie ihn nicht sofort erkennt. Einen Mann, der sie mitleidig anschaut und fragt: «Frau, warum weinst du? Wen suchst du?»

Es ist wahr, es ist ein Jesus, der seinen Glanz ein wenig verhüllt hat aus Mitleid mit dem Geschöpf, dass zu viele Aufregungen ausgelaugt haben und das an einer so plötzlichen Freude sterben könnte. Aber ich frage mich trotzdem, wie es möglich ist, dass sie ihn nicht erkennt.

Maria sagt schluchzend: «Sie haben mir den Herrn Jesus weggenommen. Ich bin gekommen, um ihn in Erwartung seiner Auferstehung einzubalsamieren... Ich habe meinen ganzen Mut, meine Hoffnung und meinen Glauben um diese meine Liebe gesammelt und aufrechterhalten... und nun finde ich ihn nicht mehr... Vielmehr habe ich mit meiner Liebe die Hoffnung, den Glauben und den Mut umgeben und vor den Menschen verteidigt... Aber alles war vergebens! Die Menschen haben meine Liebe geraubt, und damit haben sie mir alles genommen... O mein Herr, wenn du ihn fortgebracht hast, dann sage mir, wohin du ihn gelegt hast. Und ich werde ihn holen... Ich werde es niemandem sagen... Es soll ein Geheimnis zwischen dir und mir sein. Sieh, ich bin die Tochter des Theophilus, die Schwester des Lazarus, aber ich knie vor dir und flehe dich an wie eine Sklavin. Willst du, dass ich dir den Leichnam abkaufe? Ich werde es tun. Wieviel verlangst du? Ich bin reich. Ich kann dir sein Gewicht in Gold und Edelsteinen aufwiegen. Aber gib ihn mir zurück. Ich werde dich nicht verraten. Willst du mich schlagen? Tu es. Bis aufs Blut, wenn du willst. Wenn du einen Haß gegen ihn hegst, dann rechne mit mir ab. Aber gib ihn mir zurück. Oh, laß mich nicht in diesem Elend versinken, mein Herr! Erbarmen mit einer armen Frau...! Für mich willst du es nicht tun? Dann für seine Mutter! Sage mir, sage mir, wo mein Herr Jesus ist. Ich bin stark. Ich werde ihn in meine Arme nehmen und ihn wie ein Kind in Sicherheit bringen. Herr... Herr... Du siehst... Seit drei Tagen verfolgt uns der Zorn Gottes für alles, was dem Sohn Gottes angetan wurde... Laß dem Verbrechen nicht auch noch die Schändung folgen...»

«Maria!» Jesus leuchtet auf bei diesem Ruf. Er enthüllt sich nun in seinem triumphierenden Glanz.

«Rabbuni!» Der Schrei Maria Magdalenas ist wahrlich der «große Schrei», der den Zyklus des Todes beschließt. Beim ersten umschlang die Finsternis des Hasses das Opfer mit Todesbanden, beim zweiten vermehrt das Licht der Liebe seinen Glanz.

Und Maria steht auf bei diesem Schrei, der den Garten erfüllt, eilt zu Füßen Jesu und will sie küssen.

Jesus hält sie zurück, indem er mit den Fingerspitzen kaum ihre Stirn berührt: «Rühre mich nicht an. Ich bin noch nicht in diesem Gewand zum Vater aufgefahren. Geh zu meinen Brüdern und Freunden und sage ihnen, dass ich zu meinem und eurem Vater, zu meinem und eurem Gott auffahre. Dann werde ich zu ihnen kommen.» Und Jesus verschwindet in einem unerträglichen Licht.

Maria küßt den Boden, auf dem er gestanden ist, und eilt zum Haus. Wie der Blitz ist sie drinnen, denn das Tor ist einen Spalt geöffnet, um den Hausherrn hinauszulassen, der zum Brunnen geht. Sie öffnet die Tür des Zimmers Marias und wirft sich an ihr Herz mit dem Ausruf: «Er ist auferstanden! Er ist auferstanden!» Dann weint sie selig.

Und während Petrus und Johannes herbeieilen und die erschreckte Salome und Susanna aus dem Abendmahlsaal kommen und ihrer Erzählung lauschen, treten auch Maria des Alphäus, Martha und Johanna ein und berichten atemlos, dass sie ebenfalls «dort gewesen sind und zwei Engel gesehen haben, die sich als der Schutzengel des Gottmenschen und der Engel seines Schmerzes zu erkennen gegeben und sie beauftragt haben, den Jüngern zu sagen, dass er auferstanden ist».

Und da Petrus den Kopf schüttelt, fahren sie fort: «Ja, sie haben gesagt: „Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, wie er gesagt hat, als er noch in Galiläa war. Erinnert ihr euch nicht? Er sagte damals: 'Der Menschensohn muss den Händen der Sünder überliefert und gekreuzigt werden. Aber am dritten Tage wird er auferstehen.' „»

Petrus schüttelt den Kopf und sagt: «Zu viele Dinge haben sich in diesen Tagen ereignet. Ihr seid dadurch verwirrt.»

Magdalena hebt den Kopf von der Brust Marias und sagt: «Ich habe ihn gesehen! Ich habe mit ihm gesprochen. Er hat mir gesagt, dass er zum Vater auffährt und dann wiederkommt. Wie schön er war!» Und sie weint, wie sie noch nie geweint hat, nun, da sie sich nicht mehr quälen und gegen die von allen Seiten bedrängenden Zweifel ankämpfen muss.

Doch Petrus und selbst Johannes zweifeln immer noch. Sie schauen einander an, und ihre Augen sagen: «Einbildung von Frauen.»

Auch Susanna und Salome wagen nun zu sprechen. Aber die unvermeidlichen Unterschiede in den Einzelheiten, die Wächter, die einmal wie tot und dann gar nicht mehr da waren; die Engel, von denen einmal einer, dann wieder zwei da waren und die sich den Aposteln nicht gezeigt haben; die beiden Versionen, dass Jesus hierher kommen oder den Seinen nach Galiläa vorausgehen würde; all das bewirkt, dass die Zweifel und sogar die Überzeugung der Apostel nur noch größer werden.

Maria, die heilige Mutter, schweigt und stützt Magdalena... Ich verstehe das Geheimnis dieses mütterlichen Schweigens nicht.

Maria des Alphäus sagt zu Salome: «Kehren wir zwei dorthin zurück. Wir wollen sehen, ob wir alle betrunken sind...» und sie eilen hinaus.

Die anderen bleiben, von den beiden Aposteln leise belächelt, bei Maria, die in Gedanken versunken schweigt, was jeder auf seine Art deutet; keiner begreift, dass es eine Ekstase ist.

Die beiden betagten Frauen kommen zurück «Es ist wahr! Es ist wahr! Wir haben ihn gesehen. Er hat beim Garten des Barnabas zu uns gesagt: „Der Friede sei mit euch. Fürchtet euch nicht. Geht und sagt meinen Brüdern, dass ich auferstanden bin und dass sie in einigen Tagen nach Galiläa gehen sollen. Dort werden wir noch eine Weile beisammen sein.“ So hat er gesagt. Maria hat recht. Wir müssen es denen in Bethanien, Joseph, Nikodemus, den vertrauenswürdigsten Jüngern und den Hirten sagen. Gehen wir, tun wir etwas, tun wir etwas... Oh, er ist auferstanden...!» Alle weinen beseligt.

«Ihr seid von Sinnen, Frauen. Der Schmerz hat euren Verstand verwirrt. Das Licht schien euch ein Engel, der Wind eine Stimme, die Sonne Christus. Ich mache euch keinen Vorwurf. Ich verstehe euch. Aber ich kann nur glauben, was ich gesehen habe: das offene, leere Grab und die mit dem verschwundenen Leichnam geflohenen Wachen.»

«Aber wenn doch die Wächter selbst sagen, dass er auferstanden ist! Wenn doch die Stadt in Aufruhr ist und die Obersten der Priester zornentbrannt sind, weil die Wachen entsetzt geflohen sind und geredet haben! Nun wollen sie, dass sie etwas anderes sagen, und zahlen sie dafür. Aber die Nachricht hat sich schon verbreitet. Und wenn die Juden auch nicht an die Auferstehung glauben, nicht glauben wollen, so glauben doch viele andere daran ...»

«Hm, die Frauen...!» Petrus zuckt die Achseln und will gehen.

Da erhebt die Mutter ihr verklärtes Antlitz und sagt den kurzen Satz: «Er ist wirklich auferstanden. Ich habe ihn in meinen Armen gehalten und seine Wunden geküßt.» Magdalena, die noch immer an ihrem Herzen liegt, weint in ihrer übergroßen Freude wie eine Weide unter einem Wolkenbruch und küßt ihr blondes Haar. Dann neigt sich Maria über den Kopf dieser leidenschaftlichen Frau und sagt: «Ja, die Freude ist mächtiger als der Schmerz. Aber diese Freude ist nur ein Sandkorn im Vergleich zum Ozean der ewigen Freude. Selig bist du, weil du mehr auf den Geist als auf deinen Verstand gehört hast.»

Petrus wagt nun nicht mehr, zu widersprechen... und in einer Anwandlung des alten Petrus, die nun wieder zum Vorschein kommt, sagt er, ja schreit er, als ob die Verspätung nicht auf ihn, sondern auf die anderen zurückzuführen wäre: «Ja, aber wenn es so ist, dann müssen wir es die anderen wissen lassen! Die, die auf den Feldern verstreut sind... Wir müssen sie suchen... etwas tun... Auf, rührt euch! Wenn er wirklich kommen sollte... dass er uns wenigstens vorfindet», und er bemerkt nicht, dass er mit diesen Worten bekennt, dass er immer noch nicht völlig an die Auferstehung glaubt.

ZUM VORIGEN KAPITEL

Jesus sagt:

«Die inbrünstigen Gebete Marias haben meine Auferstehung um einige Zeit vorverlegt.

Ich hatte gesagt: „Der Menschensohn wird getötet werden, aber am dritten Tage wird er auferstehen.“ Ich starb am Freitag nachmittag um drei Uhr. Ob ihr nun die Tage oder die Stunden zählt, ich hätte nicht am Morgen des Sonntags auferstehen dürfen. Es waren nur achtunddreißig Stunden anstatt zweiundsiebzig, die mein Leib ohne Leben blieb; und wenn man die Tage zählt, hätte ich wenigstens bis zum Abend des dritten Tages warten müssen, um sagen zu können, dass ich drei Tage im Grab gelegen war.

Aber Maria hat das Wunder beschleunigt. So wie sie durch ihr Gebet den Himmel einige Jahre vor der vorherbestimmten Zeit geöffnet hat, um der Welt das Heil zu schenken, so hat sie nun erreicht, dass ihrem gebrochenen Herzen einige Stunden früher Trost geschenkt wurde.

Und ich bin im ersten Morgengrauen des dritten Tages wie eine fallende Sonne herabgestiegen, und mein Glanz hat die angesichts der Macht eines Gottes so nutzlosen Siegel der Menschen in Staub verwandelt. Meine Kraft war der Hebel, der den vergeblich bewachten Stein umstürzte. Mein Erscheinen habe ich in den Blitz gehüllt, der die dreimal nutzlosen Wachen niederstreckte, die man aufgestellt hatte, um einen Toten zu bewachen, der das Leben war, dass keine menschliche Macht daran hindern konnte, Leben zu sein.

Mein Geist, weit stärker als euer elektrischer Strom, ist wie ein Schwert aus göttlichem Feuer in die kalte Hülle meines Leichnams eingedrungen und hat sie erwärmt, und der Geist Gottes hat dem neuen Adam das Leben eingehaucht und zu sich selbst gesagt: „Lebe. Ich will es.“

Sollte ich – der ich die Toten erweckt hatte, als ich nur der Menschensohn war, dass Opfer, dass dazu bestimmt war, die Sünden der Welt auf sich zu nehmen – mich nicht selbst erwecken können, nun, da ich war der Sohn Gottes, der Erste und der Letzte, der ewig Lebende, der in seinen Händen die Schlüssel des Lebens und des Todes hat? Und mein Leichnam fühlte das Leben wiederkehren.

Sieh: Wie ein Mensch, der nach einer großen Mühsal schläft und dann erwacht, atme ich tief ein. Die Augen öffne ich noch nicht. Das Blut beginnt langsam in den Adern zu zirkulieren und gibt dem Verstand die Gedanken wieder. Aber ich komme von so weit her! Schau: Wie bei einem Verwundeten, den eine wunderbare Macht heilt, kehrt das Blut in die leeren Adern zurück, füllt das Herz und erwärmt die Glieder. Die Verletzungen schließen sich, die Striemen und die Wunden verschwinden, und die Kraft kehrt zurück. Und ich hatte so viele Wunden! Sieh, die Kraft wirkt. Ich werde geheilt. Ich werde auferweckt. Ich kehre ins Leben zurück. Ich war tot, nun lebe ich! Ich stehe auf!

Ich streife die Grablinnen ab und die Hülle der Salben. Ich brauche sie nicht, um als ewige Schönheit, als ewige Unversehrtheit zu erscheinen. Ich kleide mich in Gewänder, die nicht von dieser Erde sind, sondern die der gewebt hat, der mir Vater ist und der die Seide der jungfräulichen Lilien webt. Ich bin von Glanz umkleidet. Ich schmücke mich mit meinen Wunden, aus denen kein Blut mehr dringt, die vielmehr Licht ausstrahlen. Dieses Licht, dass die Freude meiner Mutter und der Seligen und der Schrecken, der unerträgliche Anblick der Verfluchten und der Dämonen auf der Welt und am Jüngsten Tag sein wird.

Der Engel meines Lebens als Mensch und der Engel meines Schmerzes werfen sich vor mir nieder und beten meine Herrlichkeit an. Meine beiden Engel sind da. Der eine, um sich am Anblick seines Schützlings zu beseligen, der nun nicht mehr seiner Verteidigung bedarf. Der andere, der meine Tränen gesehen hat, um nun mein Lächeln zu sehen, der meinen Kampf gesehen hat, um meinen Sieg zu sehen, der meinen Schmerz gesehen hat, um meine Freude zu sehen.

Und ich gehe hinaus in den Garten voller Blütenknospen und Tau. Die Apfelbäume öffnen ihre Blüten, um einen blühenden Baldachin über das Haupt des Königs zu spannen. Die Gräser bilden einen Teppich von Edelsteinen und Blüten für meine Füße, die wieder auf der nun erlösten Erde wandeln, nachdem sie über sie erhöht wurden, um sie zu erlösen. Und es grüßen mich die ersten Strahlen der Sonne, der sanfte Aprilwind, dass leichte vorüberziehende Wölkchen, rosig wie eine Kinderwange, und die Vöglein in den Zweigen. Ich bin ihr Gott. Sie beten mich an.

Ich gehe vorüber an den betäubten Wachen, die ein Symbol sind für die von Todsünden befleckten Seelen, die den Vorübergang Gottes nicht bemerken.

Es ist Ostern, Maria! Dies ist wahrhaft der „Vorübergang des Engels Gottes“. Sein Übergang vom Tod zum Leben. Sein Vorübergang, der jenen das Leben schenkt, die an seinen Namen glauben. Es ist Ostern! Es ist der Friede, der vorübergeht in der Welt. Der Friede, der nicht mehr durch seine Menschheit beschränkt, sondern frei und vollkommen in seiner wiedererlangten göttlichen Wirkkraft ist.

Und ich gehe zur Mutter. Es ist nur recht und billig, dass ich zu ihr gehe. Es war gerecht für meine Engel. Wieviel mehr für sie, die nicht nur meine Hüterin und mein Trost war, sondern mir auch das Leben geschenkt hat. Bevor ich zum Vater zurückkehre in meinem Gewand als verherrlichter Mensch, gehe ich zur Mutter. Ich gehe im Glanz meines paradiesischen Kleides und meiner lebendigen Edelsteine. Sie darf mich berühren, sie darf mich küssen, denn sie ist die Reine, die Schöne, die Geliebte, die Gesegnete, die Heilige Gottes.

Der neue Adam geht zur neuen Eva. Das Böse ist durch die Frau in die Welt gekommen, und von der Frau wurde es besiegt. Die Leibesfrucht der Frau hat die Menschen befreit vom vergifteten Auswurf Luzifers. Nun können sie, wenn sie nur wollen, gerettet werden. Die durch die Todeswunde so geschwächte Frau hat gerettet.

Und nach der Reinen, die es durch ihre Heiligkeit und Mutterschaft verdient hat, dass der Sohn Gottes zu ihr geht, zeige ich mich der erlösten Frau, der Ahnherrin, der Vertreterin aller weiblichen Geschöpfe, für die ich gekommen bin, um sie vom Stachel der Lüste zu befreien. Damit sie alle auffordere, mir zu nahen, um geheilt zu werden; an mich zu glauben, an meine Barmherzigkeit zu glauben, die versteht und verzeiht; mein mit den fünf Wunden geschmücktes Fleisch zu betrachten, um Satan, der in ihrem Fleisch wühlt, zu besiegen.

Ich lasse mich von ihr nicht berühren. Sie ist nicht die Reine, die den Sohn, der zum Vater zurückkehrt, berühren kann, ohne ihn zu verunreinigen. Sie muss durch Buße noch vieles reinwaschen. Aber ihre Liebe verdient diese Belohnung. Sie hat es verstanden, aus eigenem Willen aus dem Grab ihres Lasters herauszusteigen, Satan zu vernichten, der sie in seinen Krallen hatte, der Welt aus Liebe zu ihrem Erlöser zu trotzen. Sie hat es verstanden, sich aller Dinge zu entäußern, die nicht Liebe waren, und nichts als Liebe zu sein, die sich für ihren Gott verzehrt.

Und Gott ruft sie: „Maria.“ Höre ihre Antwort: „Rabbuni!“ Ihr ganzes Herz ist in diesem Ausruf. Ihr, die es verdient hat, gebe ich den Auftrag, die Verkünderin der Auferstehung zu sein. Und noch einmal wird sie ein wenig verspottet, als ob sie von Sinnen wäre. Doch das Urteil der Menschen kümmert sie nicht, die Maria von Magdala, die Maria von Jesus. Sie hat mich auferstanden gesehen, und dies ist für sie eine Freude, die jedes andere Gefühl verdrängt.

Siehst du, wie ich auch solche liebe, die in Schuld lebten, sich aber von ihrer Schuld befreien wollten? Nicht Johannes habe ich mich zuerst gezeigt, sondern Magdalena. Johannes hatte schon durch mich den Rang des Sohnes erhalten. Er konnte ihn einnehmen, denn er war rein und konnte nicht nur geistig Sohn sein, sondern er konnte auch der Reinen Gottes alles geben und von ihr alles empfangen im Zusammenhang mit den Bedürfnissen und der Fürsorge für den Leib.

Magdalena, die zur Gnade Wiedererstandene, hat die erste Vision der auferstandenen Gnade.

Wenn ihr mich liebt und um meinetwillen alles besiegt, nehme ich euer Haupt und euer krankes Herz in meine durchbohrten Hände und hauche euch meine Macht ins Antlitz. Und ich errette euch, ich errette euch, ihr Kinder, die ich liebe. Ihr werdet wieder schön, gesund, frei und glücklich. Ihr werdet wieder die von Gott geliebten Kinder. Ich lasse euch meine Güte zu den armen Menschen bringen, damit ihr Zeugnis ablegt von ihr und die Menschen von ihr und von mir überzeugt.

Habt Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen in mich. Liebt und fürchtet euch nicht. Seid euch des Herzens eures Gottes gewiss angesichts alles dessen, was ich gelitten habe, um euch zu retten.

Und du, kleiner Johannes, lächle nun, nachdem du geweint hast. Dein Jesus leidet nicht mehr. Es gibt kein Blut und keine Wunden mehr, sondern Licht, Licht, Licht, und Freude und Herrlichkeit. Mein Licht und meine Freude seien in dir, bis die Stunde des Himmels kommt.»

Wie Sie verstehen werden, hat Jesus mich, während er mir die Erklärung zur Vision der Begegnung mit der Mutter nach der Auferstehung gab, gleichzeitig seine Auferstehung aus dem Grab und die Begegnung mit Magdalena schauen lassen. Ich bin ganz selig. Eingetaucht in das Licht des auferstandenen Christus, dass freudvolle, friedvolle Licht!

Ich könnte Ihnen das Heft geben, denn nach menschlichem Ermessen ist «alles vollbracht». Doch der Meister sagt mir, dass noch etwas hinzuzufügen ist. Und ich warte.

Etwas später sage ich zu Jesus: «Welche Freude, Herr, dich nicht mehr so leiden und die Mutter lächeln zu sehen.»

Und er: «Aber gib dich nicht dieser Wonne hin. Nicht dieses Brot sollst du essen, sondern jenes der Leiden deines Gottes und der Tränen Marias. Ich musste diese Vision vorwegnehmen, um das versprochene Geschenk zu machen. Doch es ist die Zeit der Schmerzen, und du musst den Schmerz betrachten. Pater M. hat gewünscht, all dies zu Ostern zu erhalten. Aber ich will, dass es die Vorbereitung auf Ostern für ihn und für viele sei. Sage ihm daher, dass er, wenn ich dieses mein Geschenk mit dem letzten Punkt vervollständigt habe, sofort alles andere, womit er beschäftigt ist, beiseite legen und sich diesem hier widmen soll; damit es rechtzeitig verteilt wird. So will ich es.»

Ich gehorche ihm und beschreibe die Vision der Auferstehung. Menschlich gesehen hätte ich es vorgezogen, mir diese Mühe zu ersparen, zumal Jesus schon davon gesprochen hatte. Doch der Gehorsam ist eine Tugend, und so gehorche ich ohne Widerrede.

Nun, es schien mir, vom Willen Gottes in den kühlen Garten geführt worden zu sein, in dem das Grab sich befindet; sein schwerer Stein war ummauert und auf dem Kalk waren die Siegel angebracht, große, in den Putz gedrückte Rosetten, die nicht entfernt werden konnten, ohne Spuren zu hinterlassen. Davor waren die schlaftrunkenen Tempelwachen, teils sitzend und teils stehend und an den Grabfelsen gelehnt.

Der Himmel beginnt sich gerade etwas aufzuhellen, so dass man in dem grünlichen unbestimmten Licht, dass im frischen Morgenlüftchen zu erschauern scheint, schon etwas erkennen kann. Alles ist still. Die Vöglein sind noch nicht erwacht.

Vom Himmel, an dem noch vereinzelte Sternlein stehen und der blauer Seide gleicht, heller im Osten, dunkler im Westen, kommt etwas wie eine feurige Rakete oder ein Blitz, der in einer lichtsprühenden Kugel endet. Er saust mit außerordentlicher Geschwindigkeit herab, schießt durch den stillen Raum und die Atmosphäre.

Der strahlende Meteor erzeugt bei seinem Fall das Dröhnen eines Erdbebens; aber es ist kein unharmonischer Klang und ähnlich dem, den die größten Pfeifen einer Riesenorgel unter dem Gewölbe einer Kathedrale bei einem festlichen Gloria hervorbringen. Er ist machtvoll, harmonisch und erfüllt die Morgenluft.

Die Wachen springen erschrocken auf und blicken um sich. Doch der leuchtende Blitz ist schon über ihnen und schlägt in den schweren Stein, dessen Verschluß man mit Strebepfeilern aus Kalk gesichert hat. Er gibt nach, als wäre er ein zerbrechlicher Schutz aus Seidenpapier und stürzt krachend und mit einer erdbebenähnlichen Erschütterung um, die die Wachen vornüber oder rücklings zu Boden schleudert, wo sie wie ohnmächtig liegenbleiben. Betäubt. Sie kommen nicht wieder zu sich. Sie liegen da wie ein Haufen Marionetten, deren Schnüre man abgeschnitten hat. Sie sind lächerlich.

Der Feuerstrahl ist viel schneller herabgekommen, als ich es beschreiben kann, denn von seinem Erscheinen am Himmel bis zu seiner Ankunft am Grab sind nicht Minuten, sondern Bruchteile von Minuten vergangen, ein Augenblick. Er dringt in das Dunkel des Grabes und erhellt es mit einem zauberhaften Licht, dass die Felswände, die Decke und den Boden mit allen erdenklichen Edelsteinen zu schmücken scheint. Und während der Schein, dass Wesen dieses Lichtes, gleichsam in der Luft hängenbleibt, dringt das Licht selbst in den unter den Grabtüchern liegenden Leichnam ein.

Die reglose Form atmet tief ein. Ich sehe die Tücher über der Brust sich heben und wieder senken. Ein Augenblick Pause, dann erhebt sich Christus mit einer plötzlichen Bewegung. Er muss unter dem Linnen seine über dem Unterleib gekreuzten Hände voneinander lösen, die Arme ausbreiten, sich aufsetzen und dann auf die Füße stellen; denn das Schweißtuch, die sonstigen Tücher und das Leichentuch fallen ruckartig auseinander; erstere fallen zu Boden, dass Grabtuch verschiebt sich auf dem Einbalsamierungsstein und hängt von dort zur Hälfte wie eine schlaffe, tote Schale herab.

Jesus ist schon mit seinem herrlichen weißen Gewand bekleidet, ohne Blut und Wunden, dass göttliche Haupt strahlend und schön, ohne andere Zeichen seiner schrecklichen Passion als die Strahlen, die aus den Wunden kommen und wie fünf Feuer ihren Schein über die göttliche Person werfen und sie mit einem Kranz sich überkreuzender Strahlen umgeben. Sie dringen aus Händen und Füßen und kreisförmig aus der Mitte der Brust.

Die Seitenwunde sieht man nicht. Sie ist vorn Gewand bedeckt. Aber ein Leuchten, dass heller ist als bei allen anderen Wunden, geht von der Brust aus und gleicht einer hinter Seide verborgenen Sonne...

Weniger strahlend, doch sehr schön sind die beiden Engelwesen, die gewiss mit dem Licht in das Grab gelangt sind und die ich, da ganz in die Betrachtung Jesu versenkt, vorher nicht gesehen habe. Sie knien zu beiden Seiten der Öffnung und beten an. Es sind körperlose Wesen, von menschlichem Aussehen, aber ganz aus Licht; aus dem seligen «Licht», dass ich bei der Betrachtung des Paradieses als Eigenschaft seiner geistigen Bewohner gesehen habe.

Jesus verläßt das Grab nach der Anbetung durch die Engel, geht an den betäubten Wachen vorbei und in den Garten hinein. Bei seinem Erscheinen wird alles von seinem göttlichen Glanz erfüllt. Die taubedeckten Gräser erstrahlen unter einer Sonne, die schöner ist als die nun am Himmel erschienene Sonne, und verneigen sich sanft unter dem Kuß eines lauen, duftenden Lüftchens, wie um den Erlöser zu verehren, der lächelnd und segnend vorübergeht. Die Apfelbäume, die zuvor wenige weiße Blüten hatten, öffnen nun ihre Myriaden von Knospen, und über dem Haupt Jesu bildet sich ein zarter, duftender Wolkenschaum aus tausend und abertausend gerade aufgesprungenen weißen, rosa überhauchten Blüten, zu dem ein kleines Wölkchen am azurblauen Himmel, dass einem rosa Schleier gleicht, dass Gegenstück bildet. Die von so viel Licht aufgeweckten Vöglein singen ihre Triller in dem blühenden Garten.

Jesus bleibt, um mit mir zu sprechen, unter einem Apfelbaum stehen – ein ganzer Ball aus Blüten; und einige Blütenblätter, die verliebter als die anderen sind, fallen herab, um die Wangen ihres Herrn zu liebkosen und sich auf seinen Füßen niederzulassen, Blumen unter den Blumen auf dem Boden.

Ich sehe Maria Magdalena erst, als Jesus sie mir zeigt. Ich bin ganz in ihn versenkt und sehe nicht, was mit den Wachen geschieht, und werde auch nicht gewahr, wie sie sich davonschleichen. Nicht einmal die Engel sehe ich mehr, aber ich erkenne, dass sie im Grabgewölbe sind, da dessen Dunkel von ihrem Licht erhellt wird.

Magdalena weint untröstlich. Ich verstehe nicht, wie es möglich ist, dass sie Jesus nicht erkennt. Vielleicht verschleiert er ihren Blick, um sie als erste rufen zu können. Doch als er sie ruft, «sieht» sie ihn als den, der er ist: als Sieger, stößt ihren Schrei grenzenloser, anbetender Liebe aus, der den ganzen blühenden Garten erfüllt, und berührt mit der Stirn das laubbedeckte Gras zu Füßen Jesu.

Die Vision endet hier.