19.03.2016

»Wenn Josef weniger heilig gewesen wäre, hätte Gott ihm sein Licht nicht gewährt«

nach Maria Valtorta

Maria sagt:

»Es ist der Vorabend des Gründonnerstag. Manch einem wird diese Vision unangebracht erscheinen. Aber dein Liebesschmerz über meinen gekreuzigten Jesus ist in deinem Herzen und bleibt dort, auch wenn eine liebliche Vision sich zeigt.

Sie ist wie eine milde Wärme, die von einer Flamme ausgeht, die noch Feuer und doch nicht mehr Feuer ist. Feuer ist die Flamme, nicht ihre Wärme, die nur ihr Ergebnis ist. Keine selige oder friedvolle Vision ist imstande, dir diesen Schmerz vom Herzen zu nehmen. Behüte ihn sorgfältiger als dein Leben! Denn es ist das größte Geschenk, das Gott jemandem machen kann, der an seinen Sohn glaubt.

Außerdem steht meine Vision in ihrem Frieden nicht im Gegensatz zu den Feiern dieser Woche.

Auch mein Josef hatte seine Passionszeit [Mt 1,18–25]; sie begann in Jerusalem, als ihm mein Zustand klar wurde. Und sie dauerte tagelang, wie für Jesus und für mich. Und es war kein geringer seelischer Schmerz. Nur wegen der Heiligkeit des Gerechten, meines Bräutigams, verlief sie in einer Weise, die so würdig und geheim war, dass sie im Laufe der Jahrhunderte wenig Beachtung gefunden hat.

Oh! Wie schmerzlich war unsere erste Passionszeit! Wer könnte ihre tiefe, stille Intensität beschreiben! Wer meinen Schmerz, da ich feststellen musste, dass der Himmel mich noch nicht erhört und mein Geheimnis noch nicht enthüllt hatte; dass Josef es nicht kannte, sah ich an seinem Verhalten mir gegenüber, dass wie üblich war.

Wenn er gewußt hätte, dass ich in mir das Wort Gottes trug, hätte er dieses in meinem Schoß verschlossene Wort mit Akten der Verehrung, wie sie Gott gebühren, angebetet; er hätte sie nicht unterlassen, ebenso wie ich mich nicht geweigert hätte, sie entgegenzunehmen, nicht für mich, sondern für den, den ich in mir trug, so wie die Bundeslade die steinernen Tafeln und die Gefäße mit Manna in sich barg.

Wer kann meinen Kampf gegen die Niedergeschlagenheit beschreiben, die mich überwältigen wollte, um mich zu überzeugen, dass ich vergeblich auf den Herrn gehofft hatte? Oh! Ich glaube, es war die Wut Satans! Ich fühlte, wie der Zweifel hinter meinen Schultern auftauchte und mit seinen kalten langen Krallen meine Seele zu umklammern und zu halten versuchte, um sie vom Gebet fernzuhalten.

Zweifel ist gefährlich, ja tödlich für den Geist. Tödlich, weil der Zweifel der erste Ausdruck der tödlichen Krankheit ist, die „Verzweiflung“

heißt. Gegen sie muss der Geist sich mit aller Kraft wehren, um nicht seelisch zugrunde zu gehen und Gott zu verlieren.

Wer kann den Schmerz Josefs wahrheitsgetreu beschreiben, seine Gedanken und die Verwirrung seiner Gefühle? Wie eine kleine, von einem großen Sturm ergriffene Barke befand er sich in einem Wirbel sich widersprechender Gedanken, in einem Netz peinlicher und grausamer Überlegungen, eine schmerzhafter als die andere. Er war ein Mann, der dem Schein nach von seiner Frau verraten worden war. Er sah seinen guten Namen und die Achtung in der Welt zusammenbrechen; er stellte sich schon vor, dass man ihretwegen mit Fingern auf ihn zeigen und ihn im ganzen Ort bedauern würde. Er sah seine Liebe und Hochachtung zu mir zu Tode getroffen durch die Offensichtlichkeit der Tatsache.

Seine Heiligkeit erstrahlt hier noch erhabener als die meine. Und ich gebe dies Zeugnis mit meiner Liebe als Frau, weil ich will, dass ihr ihn liebt, meinen Josef, diesen weisen und klugen, diesen geduldigen und guten Menschen, der vom Geheimnis der Erlösung nicht ausgeschlossen ist, sondern mit ihm aufs innigste verbunden ist, denn er litt den Schmerz für das Geheimnis und verzehrte sich selbst dafür, er rettete euch den Erlöser durch den Preis seines Opfers und seiner großen Heiligkeit. Wäre er weniger heilig gewesen, so hätte er menschlich gehandelt und mich als Ehebrecherin verklagt, damit ich gesteinigt würde, und die Frucht meiner Sünde mit mir zugrunde ginge. Wäre er weniger heilig gewesen, so hätte ihm Gott das Licht der Erleuchtung in dieser Prüfung nicht geschenkt.

Aber Josef war heilig. Sein reiner Geist lebte in Gott. Die Liebe in ihm war glühend und stark. Und durch diese Liebe rettete er euch den Erlöser, da er mich nicht bei den Ältesten verklagte; und später ließ er in bereitwilligem Gehorsam alles zurück, um Jesus nach Ägypten zu führen und zu retten. Wenig der Zahl nach, aber furchtbar in der Intensität waren die drei Tage der Passion Josefs, die auch die meine war. Meine erste Passion. Obwohl ich seinen Schmerz kannte, konnte ich ihn in keiner Weise davon befreien aus Gehorsam gegenüber dem Beschluß Gottes, der mir gesagt hatte: „Schweige!“

Und als wir in Nazaret angekommen waren und ich sah, wie er nach einem kurzen Gruß wegging, gebeugt und wie in kurzer Zeit gealtert, und abends nicht mehr zu mir kam, wie es sonst seine Gewohnheit war: ich sage euch, meine Kinder, mein Herz weinte in heftigem Schmerz. Eingeschlossen in meinem Haus, allein, im Haus, wo mich alles an die Verkündigung und Menschwerdung erinnerte, und an Josef, der in einer unversehrten Jungfräulichkeit mit mir verlobt war, musste ich der Entmutigung widerstehen, den Einflüsterungen Satans, und hoffen, hoffen und hoffen. Und beten, beten und beten. Und verzeihen, verzeihen und verzeihen, dem Verdacht Josefs, dem Aufwallen seiner scheinbar berechtigten Entrüstung. Kinder: man muss hoffen, beten und verzeihen, um die Gnade zu erhalten, dass Gott zu unseren Gunsten eingreift. Auch ihr habt eure Passion durchzumachen. Ihr verdient sie wegen eurer Sünden. Ich lehre euch, wie man sie durchsteht und in Freude umwandelt. Hofft ohne Maß! Betet ohne Mißtrauen! Verzeiht, um Verzeihung zu erhalten!

Die Vergebung Gottes wird der Friede sein, nach dem ihr strebt, meine Kinder.

Weiteres möchte ich jetzt nicht sagen. Bis nach dem Ostertriumph wird Schweigen herrschen. Es ist Passionszeit. Habt Mitleid mit eurem Erlöser! Hört sein Klagen, zählt seine Wunden und Tränen; jede einzelne ist für euch geflossen, für euch ist alles gelitten worden. Jede andere Vision soll verschwinden vor dieser Erinnerung an die Erlösung, die für euch vollzogen wurde.«

Maria von Nazaret spricht sich mit Josef aus

Nach 53 Tagen zeigt die Mutter sich wieder mit der folgenden Vision, die ich nach ihrer Anweisung in dieses Buch einfügen soll. Die Freude erneuert sich in mir.

Denn Maria sehen, heißt Freude besitzen.

Ich sehe also das Gärtlein von Nazaret. Maria spinnt im Schatten eines dicht belaubten Apfelbaums, der voll beladen ist mit Früchten, die sich zu röten beginnen und rosig und rund wie Kinderbäcklein sind.

Aber Maria ist es durchaus nicht rosig zumute. Die schöne Farbe, die ihre Wangen in Hebron belebte, ist verschwunden. Ihr Antlitz ist bleich wie Elfenbein. Nur die Lippen zeichnen einen Bogen von bleichem Korall. Unter den gesenkten Wimpern liegen zwei dunkle Schatten, und die Augenränder sind geschwollen wie bei jemand, der geweint hat. Ich sehe ihre Augen nicht, denn ihr Haupt ist nach vorne geneigt. Ihre Aufmerksamkeit ist auf ihre Arbeit gerichtet und mehr noch auf betrübliche Gedanken, denn ich höre sie seufzen wie jemand, der im Herzen schmerzlich leidet. Sie ist weiß gekleidet, in weißes Linnen; es ist sehr warm, obwohl die noch volle Frische der Blumen mir sagt, dass es Morgen sein muss. Ihr Haupt ist unbedeckt, und die Sonne, die mit dem von einem leichten Wind bewegtem Blätterwerk des Apfelbaumes spielt und wie mit Lichtbündeln bis zur braunen Erde der Blumenbeete vordringt, zeichnet Lichtkreise auf ihr blondes Haupt, und die Haare leuchten dort wie Dukatengold.

Vom Haus her dringt kein Geräusch, ebensowenig von den benachbarten Gärten. Man hört nur das Murmeln eines kleinen Wasserrinnsals, dass hinten im Garten in ein Becken plätschert.

Ein kräftiges Klopfen an der Außentür des Hauses läßt Maria auffahren.

Sie legt Spinnrocken und Spindel nieder und geht, um zu öffnen. Wenn auch ihr Gewand noch so locker und weit ist, es gelingt ihm nicht vollständig, die Rundung des Leibes zu verbergen.

Vor ihr steht Josef. Maria erbleicht bis zu den Lippen. Jetzt gleicht ihr Antlitz einer Hostie, so blutleer ist es. Maria schaut ihn an mit einem traurigen, fragenden Blick. Josef sieht sie an mit fast flehenden Augen. Schweigend schauen sie sich an. Maria öffnet den Mund: »Zu dieser Stunde, Josef? Brauchst du etwas? Was willst du mir sagen?

Komm!«

Josef tritt ein und schließt die Tür. Er spricht noch nicht.

»Sprich, Josef! Was willst du von mir?«

»Dein Verzeihen.« Josef beugt sich nieder, als wollte er niederknien.

Aber Maria, sonst immer so zurückhaltend, ihn zu berühren, faßt ihn entschlossen bei den Schultern und hindert ihn daran. Die Farbe im Antlitz Marias wechselt ständig. Bald ist sie ganz rot, bald schneeweiß wie vorher. »Mein Verzeihen! Ich habe dir nichts zu verzeihen, Josef. Ich kann dir immer nur danken für alles, was du hier drinnen während meiner Abwesenheit getan hast, und für die Liebe, die du mir entgegenbringst.«

Josef schaut sie an, und ich sehe, wie sich zwei große Tränen in der Höhlung seiner tiefen Augen bilden; sie stehen wie auf dem Rand eines Gefäßes und rollen dann über Wangen und Bart. »Verzeih, Maria!

Ich habe dir mißtraut. Jetzt weiß ich [Mt 1,19–24].

Ich bin nicht würdig, einen solchen Schatz zu besitzen. Ich habe gegen die Liebe gefehlt, ich habe dich in meinem Herzen angeklagt.

Ich habe dich ungerechterweise angeklagt, denn ich habe dich nicht nach der Wahrheit gefragt. Ich habe gegen das Gesetz Gottes gefehlt, weil ich dich nicht geliebt habe, wie ich mich selbst geliebt hätte . . . «

[Lev 19,18].

»Oh! Nein! Du hast nicht gefehlt!«

»Doch, Maria! Wenn ich eines solchen Fehlers angeklagt worden wäre, hätte ich mich verteidigt. Du jedoch . . . Ich habe dir nicht ermöglicht, dich zu verteidigen, denn ich war daran, Entscheidungen zu treffen, ohne dich zu fragen. Ich habe gegen dich gefehlt, weil ich dich mit meinem Verdacht beleidigt habe. Schon ein Verdacht ist eine Beleidigung, Maria.Wer Verdacht schöpft, versteht nicht. Ich habe dich nicht verstanden, wie ich hätte sollen. Aber um des Schmerzes willen, den ich gelitten habe . . . drei Tage der Qual, verzeih mir, Maria!«

»Ich habe dir nichts zu verzeihen. Im Gegenteil: ich bitte dich um Verzeihung für den Schmerz, den ich dir bereitet habe.«

»O ja, dass war ein Schmerz! Welch ein Schmerz! Schau: heute morgen hat man mir gesagt, dass ich um die Schläfen weiß geworden bin, dass ich im Gesicht Falten habe. Um mehr als zehn Lebensjahre bin ich in diesen Tagen älter geworden! Aber warum, Maria, bist du so demütig gewesen, vor mir, deinem Bräutigam, deinen Ruhm zu verbergen, und hast gestattet, dass ich dich verdächtigte?«

Josef kniet nicht mehr, aber er steht so gebeugt da, dass es fast so scheint. Maria legt ihre kleine Hand auf sein Haupt und lächelt.

Sie scheint ihm zu verzeihen und sagt: »Wenn meine Demut nicht vollkommen gewesen wäre, hätte ich nicht verdient, den zu empfangen, der kommt, die Schuld jenes Hochmuts zu tilgen, der den Menschen zugrunde gerichtet hat. Und dann habe ich gehorcht . . . Gott hat diesen Gehorsam von mir verlangt. Er hat mich sehr viel gekostet . . . um deinetwillen, um des Schmerzes willen, den du erlitten hast. Aber ich konnte nur gehorchen. Ich bin die Magd Gottes, und die Diener widersprechen den Anordnungen nicht, die sie erhalten.

Sie führen sie aus, Josef, auch wenn es sie blutige Tränen kostet.«

Maria weint leise, während sie spricht. So still, dass Josef, gebeugt wie er ist, es erst bemerkt, als eine Träne zu Boden fällt.

Da erhebt er das Haupt und – es ist das erste Mal, dass ich ihn dies tun sehe – er nimmt die zarten Hände Marias in seine braunen, starken Hände und küßt die Spitzen der zarten Finger, die wie Pfirsichknospen aus den umschließenden Händen Josefs hervorragen.

»Aber jetzt muss vorgesorgt werden, weil . . . « Josef spricht nicht weiter, sondern blickt auf den Leib Marias. Sie wird purpurrot und setzt sich sogleich, um ihre Körperformen nicht so seinem Blick auszusetzen.

»Es muss schnell etwas geschehen. Ich werde hierherkommen.

Wir werden die Ehe schließen . . . [Mt 1,24] in der kommenden Woche . . . paßt es dir?«

»Alles was du tust, ist gut, Josef. Du bist der Hausherr, ich deine Dienerin.«

»Nein. Ich bin dein Diener. Ich bin der glückliche Knecht meines Herrn, der in deinem Schoß heranwächst. Du bist gebenedeit unter allen Frauen Israels. Heute abend werde ich die Verwandten benachrichtigen und dann . . . wenn ich hier sein werde, werden wir alles vorbereiten für sein Kommen . . . Oh! Wie werde ich Gott in meinem Haus empfangen können? Gott in meinen Armen? Ich werde sterben vor Freude! . . . Ich werde nie wagen, ihn zu berühren! . . . «

»Du wirst es können, wie ich es können werde, durch die Gnade Gottes.«

»Aber du bist Du! Ich bin ein armer Mensch, der ärmste der Söhne Gottes . . .!«

»Jesus kommt für uns Arme, um uns reich zu machen in Gott; er kommt zu uns beiden, denn wir sind die Ärmsten und erkennen an, es zu sein! Freue dich, Josef! Der Stamm Davids hat den erwarteten König, und unser Haus wird prächtiger sein als der Königspalast Salomons; denn hier wird der Himmel sein. Wir werden mit Gott das Geheimnis des Friedens teilen, dass die Menschen später kennen werden. Er wird unter uns aufwachsen, und unsere Arme werden die Wiege des heranwachsenden Erlösers sein, und unsere Mühen werden ihm das Brot sichern . . . Oh, Josef, wir werden die Stimme Gottes vernehmen, die „Vater und Mutter“ zu uns sagen wird!

Oh!« . . . Maria weint vor Freude: ein glückliches Weinen!

Und Josef kniet jetzt zu ihren Füßen und weint, dass Haupt fast in ihrem weiten Gewand verborgen, dass in Falten auf den armen Ziegelboden des Zimmers fällt.

Hier endet die Vision.

»Überlaßt dem Herrn die Sorge, euch als seine Diener kundzutun!«

Maria spricht:

»Niemand soll meine Blässe falsch auslegen. Sie entspringt nicht menschlicher Furcht. Menschlich gesehen, hatte ich die Steinigung zu erwarten; aber das war nicht der Grund meiner Furcht. Ich litt wegen der Leiden. Auch der Gedanke, dass er mich verklagen könne, verwirrte mich nicht. Ich befürchtete nur, er könne, wenn er auf Klage bestünde, gegen die Nächstenliebe fehlen. Wenn ich ihn sah, lief mir aus diesem Grund alles Blut zum Herzen. Es war der Augenblick, in dem ein Gerechter die Gerechtigkeit hätte verletzen können, indem er gegen die Liebe fehlte. Und dass ein Gerechter fehlen könnte, er, der nie einen Fehler beging, hätte mir den allergrößten Schmerz verursacht.

Wenn ich nicht bis zum äußersten demütig gewesen wäre, wie ich es Josef gesagt habe, wäre ich nicht würdig gewesen, den in mir zu tragen, der, um den Hochmut im Menschengeschlecht zu tilgen, sich selbst vernichtete: Gott, in der Erniedrigung der Menschwerdung.

Ich habe dir diese Szene gezeigt, von der kein Evangelium berichtet, weil ich die irregeleitete Aufmerksamkeit der Menschen hinlenken wollte auf die wesentlichen Voraussetzungen, um Gott zu gefallen und sein beständiges Kommen in der Seele zu erleben.

Glaube: Josef hat blind an die Worte der himmlischen Botschaft geglaubt. Er bat Gott nur, glauben zu können; denn er war der aufrichtigen Überzeugung, dass Gott gut ist und dass er ihm, der auf den Herrn vertraute, nicht den Schmerz antun würde, verraten, getäuscht und vom Nächsten verspottet zu werden. Er bat Gott nur, mir vertrauen zu können; denn redlich, wie er war, konnte er nicht ohne Schmerzgefühl daran denken, dass andere es nicht seien. Er lebte das Gesetz, und das Gesetz sagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Wir lieben uns selbst so sehr, dass wir glauben, vollkommen zu sein, auch wenn wir es nicht sind. Warum also aufhören, den Nächsten lieben, bei dem Gedanken, er sei unvollkommen?

Absolute Nächstenliebe! Liebe, die verzeihen kann und verzeihen will. Im voraus verzeihen, indem man im Herzen die Fehler des Nächsten entschuldigt. Augenblicklich verzeihen und alle Milderungsgründe dem Schuldigen zugestehen.

Unbedingte Demut wie die Liebe. Anerkennen, dass man gefehlt hat, wenn auch nur mit dem bloßen Gedanken, und nicht so hochmütig sein, – was noch schlimmer wäre als der vorhergehende Fehler – dass man nicht bekennen will: „Ich habe mich geirrt.“ Außer Gott fehlen alle. Wen gibt es, der da sagen könnte: „Ich fehle nie?“

Noch viel schwieriger ist die Demut, die von den Wundertaten Gottes in uns zu schweigen weiß (wenn es nicht um der Ehre Gottes willen nötig wird, davon zu reden), damit der Nächste, der diese besonderen Gottesgaben nicht besitzt, nicht gedemütigt werde. Wenn er will, ja wenn er will, enthüllt Gott sich selbst in seinem Knecht!

Elisabet sah mich, wie ich war. Mein Bräutigam erkannte, was ich war, als die Stunde der Erkenntnis für ihn gekommen war.

Überlaßt dem Herrn die Sorge, euch als seine Diener kundzutun!

Ihn drängt eine liebevolle Eile dazu; denn jedes Geschöpf, dass er erhebt zu einer besonderen Sendung, ist ein neuer Ruhm für seine unendliche Glorie; denn es bezeugt, dass der Mensch so ist, wie Gott ihn haben will: eine geringere Vollkommenheit, die ihren Urheber widerspiegelt. Bleibt im Schatten und im Schweigen, ihr Bevorzugten der Gnade, um die einzigen Worte zu hören, die „Leben“ sind; um würdig zu werden, über euch und in euch die Sonne zu haben, die ewig leuchtet.

Oh, seligstes Licht, du unser Gott, du Freude deiner Knechte, leuchte über diese Knechte, die dir gehören, auf dass sie jubeln in ihrer Demut und dich lobpreisen, dich allein, der du die Stolzen zerstreust, die Demütigen aber, die dich lieben, zur Herrlichkeit deines Reiches erhebst!«