21.07.2016

IN DER KÜCHE DES PETRUS; BELEHRUNG JESU

nach Maria Valtorta

Man befindet sich wieder in der Küche des Petrus. Das Abendessen muss reichlich gewesen sein, denn die Platten mit Resten von Fleisch, Fisch, Käse, getrockneten oder zum mindesten trocken gewordenen Früchten und Honigkuchen häufen sich auf einer Art Anrichte, die mich ein wenig an unsere toskanischen Backtröge erinnert. Krüge und Becher stehen noch auf dem Tisch herum.

Die Frau des Petrus muss Wunder vollbracht haben, um ihren Mann zufriedenzustellen; sie hat gewiss den ganzen Tag gearbeitet. Nun steht sie müde, aber zufrieden in einem Winkel und hört den Gesprächen ihres Mannes und der anderen zu. Sie blickt ihren Simon an, der für sie ein großer Mann sein muss, obgleich er etwas anspruchsvoll ist. Wenn sie ihn, der früher nur von Booten, Netzen, Fischen und Geld redete, so sprechen hört, mit Worten, die aus diesem Mund neu und ungewohnt sind, dann blinzelt sie ein wenig mit den Augenlidern, als ob sie von einem hellen Licht geblendet würde. Petrus, ob aus Freude, Jesus an seinem Tische zu haben, oder aus Freude über die reichlich genossene Mahlzeit, ist diesen Abend in Hochstimmung und er zeigt sich als jener Petrus, der einmal dem Volk predigen wird.

Ich weiß nicht, welche Bemerkung eines Gefährten ihm die bildkräftige Antwort entlockt hat: «Es wird ihnen ergehen wie den Erbauern des Turmes von Babel. Ihr eigener Stolz wird schließlich zum Zusammenbruch ihrer Theorien führen, und damit zu ihrem Untergang.»

Andreas entgegnet seinem Bruder: «Aber Gott ist Barmherzigkeit. Er wird den Zusammenbruch verhindern, um ihnen Zeit zu lassen, in sich zu gehen.»

«Denke nicht so. Als Krönung ihres Stolzes werden Verleumdung und Verfolgung hinzukommen. Oh, ich ahne es schon. Verfolgen werden sie uns, um uns als verhaßte Zeugen auseinanderzutreiben. Da sie heimtückisch die Wahrheit angreifen werden, wird Gott Rache nehmen, und sie werden zugrunde gehen.»

«Werden wir die Kraft haben durchzuhalten?» fragt Thomas.

«Nun... was mich betrifft, ich hätte sie nicht. Aber ich vertraue auf ihn», und Petrus deutet auf den Meister, der schweigend zuhört und mit geneigtem Haupte neben ihnen steht, als wolle er sein ausdrucksvolles Gesicht verbergen.

«Ich denke nicht, dass Gott Prüfungen über uns kommen läßt, die unsere Kraft übersteigen», sagt Matthäus.

«Oder er wird unsere Kräfte im Verhältnis zu den Prüfungen vermehren», fügt Jakobus des Alphäus hinzu.

«Er tut es gewiss. Ich war reich und mächtig. Hätte Gott mein Leben nicht erhalten wollen, weil er bestimmte Absichten verfolgte, wäre ich an der Verzweiflung zugrunde gegangen, als ich verfolgt wurde und aussätzig war. Ich hätte selbst Hand an mich gelegt... Aber bei meinem vollständigen Zusammenbruch wurde mir ein neuer Reichtum geschenkt, den ich nie zuvor besessen hatte, nämlich die gewissheit: „Es gibt einen Gott.“ Vorher... Gott... Ja, ich war gläubig, ich war ein treuer Israelit, aber es war ein Glaube der sich auf Formalitäten beschränkt und mir schien, dass der Gewinn daraus immer geringer war, als der, der mir die Übung der Tugenden hätte erbringen können. Ich erlaubte mir, mit Gott zu hadern, weil ich mir damals noch etwas auf meine Person einbildete. Simon Petrus hat recht. Auch ich baute mir mit Eigenlob, Selbstbeweihräucherung und der Befriedigung meines Ichs einen Turm zu Babel. Als dann alles über mir zusammenbrach und ich wie ein Wurm unter der Last dieser nutzlosen Menschlichkeit erdrückt wurde, klagte ich nicht mehr Gott, sondern mich selbst, meine eigene Torheit an und begann, alles niederzureißen. Je mehr ich dies tat und auf dem Weg war zu dem, was ich unter dem uns Menschen dieser Erde innewohnenden Gott verstehe, um so mehr gewann ich eine neue Kraft und einen neuen Reichtum: die gewissheit, dass ich nicht allein war und dass Gott über dem von seiner menschlichen Natur und vom Bösen bezwungenen Menschen wacht.»'

«Was ist deiner Meinung nach Gott, wenn du als Mensch dieser Erde von dem in uns „innewohnenden Gott“ sprichst? Was willst du damit sagen? Ich verstehe dich nicht, und dies kommt mir fast wie eine Gotteslästerung vor. Gott ist der, den wir durch das Gesetz und die Propheten kennen. Einen anderen gibt es nicht», sagt Judas Iskariot etwas streng.

«Wenn Johannes hier wäre, könnte er es dir besser erklären als ich. Aber ich sage es dir so, wie ich es weiß. Gott ist der, den wir durch das Gesetz und die Propheten kennen. Das ist wahr. Aber woran erkennen wir ihn und wie?

Judas des Alphäus ruft aus: «Wenig und schlecht! Die Propheten, die ihn uns beschrieben haben, kannten ihn noch. Wir hingegen haben eine verworrene Vorstellung von ihm, die durch den ganzen Berg von Hindernissen, die die Sekten angehäuft haben, noch schwach durchschimmert ...»

«Sekten? Aber wie redest du denn? Wir haben keine Sekten. Wir sind die Kinder des Gesetzes. Alle!» sagt Judas Iskariot entrüstet und aggressiv.

«Die Kinder der Gesetze, nicht des Gesetzes. Es besteht ein kleiner Unterschied zwischen Einzahl und Mehrzahl. Aber in Wirklichkeit stehen die Dinge so: wir sind Kinder dessen, was wir an Gesetzen geschaffen haben, und nicht mehr dessen, was Gott uns gegeben hat», entgegnet Judas Thaddäus.

«Die Gesetze sind aus dem Gesetz hervorgegangen», behauptet Judas Iskariot.

«Auch die Krankheiten werden in unserem Körper erzeugt, und du wirst mir doch nicht sagen wollen, dass sie etwas Gutes sind», entgegnet Judas Thaddäus.

«Doch laßt mich wissen, was der „innewohnende Gott“ ist, von dem Simon der Zelote spricht.» Judas Iskariot, der nichts gegen die Bemerkung von Judas des Alphäus einzuwenden weiß, versucht, die Frage zum Ausgangspunkt zurückzuführen.

Simon der Zelote sagt: «Unsere Sinne brauchen immer ein Bild, um eine Idee erfassen zu können. Jeder von uns, ich spreche von uns Gläubigen, glaubt aufgrund seiner religiösen Überzeugung an den Allmächtigen, den Herrn und Schöpfer, den ewigen Gott im Himmel. Aber jedes Wesen braucht auch mehr als diesen nackten Glauben in seiner Lauterkeit und Abstraktheit, der für die Engel taugt und ihnen angemessen ist, da sie Gott in geistiger Weise sehen und lieben, mit ihm die geistige Natur teilen und die Fähigkeit besitzen, Gott zu schauen. Wir müssen uns ein „Bild“ von Gott machen, und dieses besteht aus den wesentlichen Eigenschaften, die wir Gott zuschreiben, um seiner absoluten, unendlichen Vollkommenheit einen Namen zu geben. Je mehr sich die Seele in sich selbst zurückzieht, desto mehr gelingt es ihr, zu einer richtigen Erkenntnis Gottes zu gelangen. Das ist es, was ich den „innewohnenden Gott“ nenne. Ich bin kein Philosoph. Vielleicht habe ich das Wort nicht richtig angewendet. Aber für mich bedeutet der „innewohnende Gott“ einfach Gott, den unsere Seele fühlt und wahrnimmt, und ich verstehe dies nicht mehr als eine unwirkliche Idee, sondern als wirkliche Gegenwart Gottes, die eine neue Kraft und einen neuen Frieden vermittelt.»

«Gut, aber wie fühltest du ihn denn? Welcher Unterschied besteht zwischen dem Fühlen aufgrund des Glaubens und dem Fühlen aufgrund des „Innewohnens“ Gottes?» fragt Judas Iskariot etwas spöttisch.

«Gott gibt Sicherheit, Bursche. Wenn du ihn fühlst, so wie Simon es sagt mit einem Wort, dass ich nicht buchstäblich verstehe, dessen Sinn ich aber begreife – und glaube mir, unser Übel besteht darin, nur den Buchstaben zu verstehen, statt den Sinn des Wortes Gottes – dann bedeutet das, dass du fähig wirst, nicht nur den Begriff der schrecklichen Majestät

Gottes zu erfassen, sondern auch jenen der zärtlichsten Vaterschaft Gottes. Das heißt, daß, wenn alle Welt dich ungerecht verurteilen und verdammen würde, ein Einziger, Gott, der Ewige, der dir Vater ist, dich nicht verurteilt, sondern dich freispricht und tröstet. Das heißt, wenn die ganze Welt dich hassen würde, du über dir eine größere Liebe fühlst, als dir die ganze Welt zu geben vermöchte. Das heißt, dass du in der Abgeschiedenheit eines Kerkers oder einer Wüste stets den vernimmst, der zu dir spricht und sagt: „Sei heilig, um so zu sein wie dein Vater.“ Das heißt, dass man aus wahrer Liebe zu diesem Vatergott, als den man ihn schließlich erkennt, annimmt, was er uns schickt, ohne menschliche Überlegungen anzustellen; dass man wirkt, empfängt oder beläßt, und nur daran denkt, Liebe mit Liebe zu vergelten und Gott mit unseren eigenen Werken so weit als möglich nachzuahmen», sagt Petrus.

«Du bist überheblich! Gott nachahmen! Das ist dir nicht erlaubt», findet Iskariot.

«Das ist nicht Überheblichkeit. Die Liebe führt zum Gehorsam. Gott nachahmen scheint mir auch eine Art des Gehorsams zu sein, denn Gott selbst sagt, dass er uns nach seinem Bild und seiner Ähnlichkeit erschaffen hat», entgegnet Petrus.

«Das hat er getan, doch wir dürfen nicht darüber hinausgehen.»

«Du bist zu bedauern, wenn du so denkst, mein lieber Bursche! Du vergißt, dass wir gefallen sind, und dass Gott uns wieder in unseren Anfangszustand zurückbringen will.»

Jesus ergreift das Wort: «Mehr noch, Petrus, Judas und ihr alle, noch weiter will er euch bringen. Die Vollkommenheit Adams konnte durch die Liebe noch gesteigert werden und durch sie wäre er, als Abbild Gottes, seinem Schöpfer noch ähnlicher geworden. Adam wäre ohne den Makel der Sünde ein klarer Spiegel Gottes gewesen und daher sage ich: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Wie der Vater, also wie Gott. Petrus hat es sehr gut gesagt und sehr gut auch Simon. Ich bitte euch, erinnert euch an ihre Worte und wendet sie für eure Seelen an.»

Die Frau des Petrus fällt vor lauter Freude, ihren Mann so gelobt zu sehen, beinahe in Ohnmacht. Sie weint unter ihrem Schleier, leise und glücklich. Petrus sieht aus als bekomme er einen Schlaganfall, so rot ist er geworden. Nach einem Augenblick des Schweigens sagt er: «Also, dann gib mir die Belohnung. Das Gleichnis von heute morgen...»

Auch die anderen schließen sich Petrus an und sagen: «Ja, du hast es uns versprochen. Die Gleichnisse helfen uns zu verstehen, doch wir sehen ein, dass sie einen höheren Sinn haben. Warum sprichst du zum Volk in Gleichnissen?»

«Weil es ihm nicht gegeben ist, mehr zu verstehen, als was ich erkläre. Euch aber ist viel mehr gegeben, weil ihr, als meine Apostel, dass Geheimnis kennen müßt; und darum ist es euch gegeben, die Geheimnisse des erstehen. Daher sage ich euch: „Fragt, wenn ihr den Sinn eines Gleichnisses nicht versteht.“ Ihr gebt alles, und alles wird euch gegeben, damit ihr eurerseits alles geben könnt. Ihr gebt Gott alles: Liebe, Zeit, Interesse, Freiheit und das Leben, und Gott gibt euch alles, um euch zu belohnen und euch zu befähigen, im Namen Gottes jenen alles zu geben, die nach euch kommen werden. So wird dem, der gegeben hat, gegeben werden, und dies in Fülle. Dem aber, der nur wenig oder nichts gegeben hat, wird auch noch genommen, was er hat.

Ich spreche in Gleichnissen zu ihnen, damit sie nur sehen, was ihr Wille, Gott anzuhangen, sie erkennen läßt; damit sie durch eben diese Bereitschaft ihres Willens aus meinen Worten zu hören und zu verstehen vermögen. Ihr seht: viele hören meine Worte, aber wenige wenden sich zu Gott. Ihrer Seele fehlt der gute Wille. An ihnen erfüllt sich die Prophezeiung des Isaias: „Mit den Ohren werdet ihr hören und doch nicht verstehen, mit den Augen werdet ihr schauen und doch nicht sehen.“ Denn dieses Volk hat ein verstocktes Herz, seine Ohren sind verhärtet und seine Augen geschlossen, um nicht zu hören und nichts zu sehen, um mit dem Herzen nicht zu verstehen und nicht umzukehren, damit ich sie heile. Doch selig seid ihr, die ihr durch den guten Willen mit euren Augen seht und mit euren Ohren hört. Wahrlich, ich sage euch, dass viele Propheten und viele Gerechte zu sehen wünschten, was ihr seht, und es nicht sahen, und zu hören, was ihr hört, und es nicht hörten. Sie verzehrten sich in Sehnsucht, dass Geheimnis der Worte zu verstehen, aber mit dem Erlöschen des Lichtes der Prophezeiung blieben die Worte auch für den Gerechten, der sie vernommen hatte, dunkel.

Gott allein enthüllt sich selbst. Wenn sein Licht entschwindet, nachdem es das Gleichnis beleuchtet hat, dann wickelt die Unfähigkeit des Geistes die königliche Wahrheit des empfangenen Wortes wie eine Mumie ein. Daher habe ich heute morgen zu dir gesagt: „Der Tag wird kommen, an dem du alles wiederfindest, was ich dir gegeben habe.“ Jetzt kannst du es nicht behalten. Dann aber wird das Licht über dich kommen, nicht nur für einen Augenblick, sondern in einer unzertrennlichen Vereinigung des Ewigen Geistes mit dem deinen. Darum wird deine Lehre unfehlbar sein in allem, was das Reich Gottes betrifft; und wie bei dir, wird es auch bei deinen Nachfolgern sein, wenn sie von Gott als ihrem einzigen Brot leben.

Jetzt hört den Sinn des Gleichnisses:

Wir haben vier verschiedene Arten von Äckern: die fruchtbaren, die dornigen, die steinigen und die von vielen Wegen durchzogenen. So haben wir auch vier Arten von Seelen.

Wir haben die ehrlichen Seelen, die Menschen guten Willens, die durch ihren guten Willen und das Wirken eines wahren Apostels vorbereitet sind; denn es gibt Apostel, die zwar den Namen, aber nicht den Geist eines Apostels besitzen. Dies wirkt sich auf die Bereitschaft des Willens der ihnen anvertrauten Seelen schädlich aus, noch schädlicher, als es die Vögel, die Dornensträucher und die Steine für die Getreidefelder sind. Mit ihrer Unnachgiebigkeit, ihrer Hast, ihren Vorwürfen, ihren Drohungen verwirren sie so sehr, dass sich die betroffenen Menschen für immer von Gott abwenden. Andere hingegen tun das Gegenteil mit ihrem ständigen wohlwollenden Begießen – einer Methode, die fehl am Platze ist -und bringen dadurch den Samen im weichen Erdreich zum Faulen. Sie schwächen mit ihrer Weichlichkeit die Seelen, um die sie sich bemühen. Doch bleiben wir bei den wahren Aposteln, bei den getreuen Abbildern Gottes. Sie sind väterlich, barmherzig, geduldig und zugleich stark wie der Herr. Nun, die durch sie und den eigenen guten Willen vorbereiteten Seelen sind mit den fruchtbaren Feldern zu vergleichen, frei von Steinen, Dornenbüschen, Unkraut und Ungeziefer, in denen das Wort Gottes gedeiht und jedes Wort zu einem Samen wird, der in der Ähre hundert-, sechzig- oder dreißigfach Frucht bringt. Sind solche Menschen unter denen, die mir nachfolgen? gewiss, und sie werden Heilige sein. Unter ihnen wird es Leute aus allen Ständen und allen Ländern geben, auch Heiden, die durch ihren eigenen guten Willen oder durch den guten Willen eines Apostels oder Jüngers, der sie vorbereitet hat, hundertfache Frucht bringen werden.

Die dornigen Felder sind jene, in denen die menschliche Nachlässigkeit ein ganzes Dickicht von persönlichen Interessen hat wuchern lassen, die den guten Samen ersticken. Man muss sich ständig selbst überwachen, immerfort, immer, immer! Nie darf man sagen: „Oh, nun bin ich geschult, der Samen hat bei mir Wurzeln geschlagen, und ich kann beruhigt sein, dass ich Samen des ewigen Lebens hervorbringen werde.“ Man muss sich beobachten: der Kampf zwischen Gut und Böse geht ununterbrochen weiter. Habt ihr jemals Ameisen betrachtet, die sich in einem Haus einnisten? Sie machen sich an den Herd. Die Hausfrau läßt daraufhin keine Lebensmittel mehr dort stehen, sondern stellt sie auf den Tisch. Doch die Ameisen wittern den Geruch und stürmen auf den Tisch. Die Frau stellt die Speisen in den Schrank, und die Ameisen schlüpfen durch das Schlüsselloch in den Schrank. Die Frau hängt ihre Vorräte an der Decke auf, und die Ameisen machen den langen Weg der Wand und dem Gebälk entlang und den Strick hinunter, um schließlich dort über sie herzufallen. Die Frau verbrüht und vergiftet sie. Dann ist sie beruhigt im Glauben, alle vernichtet zu haben. Doch welch eine Überraschung, wenn man nicht wachsam ist! Aus den Eiern sind wieder Ameisen ausgeschlüpft, und es fängt von vorne an. Solange man lebt, muss man sich selbst überwachen, um das Unkraut beim ersten Erscheinen auszujäten. Anderenfalls bildet sich ein Dickicht aus dornigem Gestrüpp, unter dem die Saat erstickt. Die weltlichen Sorgen, der trügerische Reichtum sind es, die dieses wirre Gestrüpp schaffen, die Pflanze des Samens Gottes ersticken und die Bildung von Ähren verhindern.

Nun die Äcker voller Steine! Wie viele solche Äcker gibt es in Israel! Es sind die der „Kinder des Gesetzes“, wie mein Vetter Judas sehr genau gesagt hat. In ihnen ist nicht der einzige Stein des Zeugnisses, der Stein des Gesetzes, sondern vielmehr ein Haufen erbärmlicher, kleiner Gesetze, die der Mensch ersonnen hat. Unzählige Gesetzchen, die mit ihrem Gewicht auch den Stein des Gesetzes zum Splittern gebracht haben. Ein Trümmerhaufen, der jedes Wurzelfassen des Samens verhindert. Der Wurzel fehlt die Nahrung. Sie hat keine Erde und keinen Saft mehr. Das Wasser, dass sich auf dem steinigen Grund ansammelt, läßt die Pflanzen verfaulen; und die Sonne macht die Steine glühend heiß und die Pflänzchen verbrennen. Es sind dies jene Menschen, die die einfache Lehre Gottes durch komplizierte menschliche Lehren ersetzen. Sie nehmen mein Wort zwar freudig auf, sind wohl auch zuerst beeindruckt und begeistert. Doch dann... wäre Heldentum nötig, um das Feld, nämlich Seele und Geist, von allen Steinhaufen der Phrasendrescherei zu säubern. Nur dann könnte der Same Wurzel fassen und sich zu einer kräftigen Pflanze entwickeln. So aber verkümmert sie! Es genügt die Angst vor menschlichen Vergeltungsmaßnahmen oder die Überlegung: „Ja, und dann? Was habe ich dann von den Mächtigen zu gewärtigen? Und der arme, nahrungslose Same kann nicht gedeihen. Es genügt, dass der ganze Steinhaufen mit dem eitlen Gedröhn der hundert und aberhundert Vorschriften, die das Gesetz ersetzt haben, in Bewegung gerät, und der Mensch geht mit dem Samen darin zugrunde... Israel ist voll von solchen Menschen. Dies erklärt, wie das Sich-Hinwenden zu Gott von der menschlichen Macht wegführt und in entgegengesetzten Richtungen verläuft.

Als letztes, die staubigen, kahlen Felder voller Wege: Es sind die der Lebemenschen, der Egoisten; ihre Bequemlichkeit ist ihnen Gesetz, dass Vergnügen ihr Lebensziel. Sich nicht anstrengen, schlummern, lachen, essen... Ihr König ist der Geist der Welt. Der Staub der großen Welt bedeckt das Erdreich, dass zum unfruchtbaren Acker wird. Die Vögel, d.h. der Mensch in seiner vielfältigen Gier nach Genuß, stürzt sich auf alle offenen Wege, um das Leben zu erleichtern. Der Weltgeist, d.h. der Böse, pickt alle Samen auf, die auf das der Fleischeslust und Leichtfertigkeit zugängliche Feld fallen, und vernichtet sie.

Habt ihr verstanden? Habt ihr noch andere Fragen? Nein? Dann können wir uns zur Ruhe begeben, um morgen nach Kapharnaum zu gehen. Ich muss noch einen Ort besuchen, bevor ich die österliche Reise nach Jerusalem antrete.»