18.03.2016

JESUS AM TEMPELWEIHFEST

nach Maria Valtorta

Es ist unmöglich, an diesem kalten und windigen Morgen stillzustehen. Auf der Höhe des Moriah bläst ein beißender Nordwestwind, der die Kleider flattern läßt und die Gesichter rötet. Und dennoch gibt es Leute, die zum Tempel hinaufgehen, um zu beten. Dagegen fehlen die Rabbis mit ihren Schülergruppen vollständig, und der Säulenhof erscheint viel weiter und vor allem viel würdevoller ohne die schreiende und prahlerische Bande, die ihn gewöhnlich füllt.

Es muss sehr eigenartig sein, ihn so leer zu sehen, denn alle sind darüber erstaunt wie über etwas nie Gesehenes. Petrus schöpft sogar Verdacht. Aber Thomas, der noch kräftiger erscheint, weil er in seinen weiten schweren Mantel gehüllt ist, sagt: «Sie werden sich in irgendeinen Raum eingeschlossen haben aus Furcht, die Stimme zu verlieren. Bist du betrübt darüber?» Er lacht.

«Gewiß nicht! Ich wäre froh, wenn ich sie nie wieder sehen würde. Aber ich möchte nicht, daß...» und er schaut Iskariot an, der nicht redet, aber den Blick des Petrus auffängt und sagt: «Sie haben wirklich versprochen, keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, es sei denn, dass der Meister sie... reizt. Sicherlich werden sie wachsam sein. Aber da hier niemand sündigt oder sie beleidigt, werden sie sich nicht blicken lassen.»

«Besser so. Und Gott segne dich, Junge, wenn es dir gelungen ist, sie zur Vernunft zu bringen.»

Es ist noch früh. Wenig Volk ist im Tempel. Ich sage „wenig“, denn so sieht es aus, da es in Anbetracht seiner Größe enorme Mengen von Leuten braucht, damit er voll erscheint. Heute sind kaum zwei- oder dreihundert Personen in diesem Komplex von Höfen, Atrien, Säulenhallen und Gängen...

Jesus, der einzige Lehrmeister in dem weiten Vorhof der Heiden, geht mit den Seinen und den Jüngern, die er im Tempelbezirk schon gefunden hat, auf und ab und spricht mit ihnen. Er antwortet auf ihre Einwände und Fragen und klärt Punkte, die sie sich selbst und anderen nicht erklären können.

Zwei Heiden kommen vorbei. Sie schauen ihn an und gehen weiter, ohne etwas zu sagen. Einige zum Tempel Gehörende gehen vorüber, schauen ihn an, aber nicht einmal sie sagen etwas. Der eine oder andere Gläubige nähert sich, grüßt und hört zu; aber es sind nur wenige.

«Bleiben wir noch hier?» fragt Bartholomäus.

«Es ist kalt, und niemand kommt. Aber es ist angenehm, so in Frieden hier zu sein. Meister, heute bist du wahrhaft im Haus deines Vaters, und das als Hausherr», sagt lächelnd Jakobus des Alphäus und fügt hinzu: «So war es wohl im Tempel zur Zeit des Nehemias und der weisen und frommen Könige.»

«Ich würde vorschlagen, wir gehen. Von da drüben spionieren sie schon ...» sagt Petrus.

«Wer denn? Pharisäer?»

«Nein, die, die vorher vorbeigegangen sind, und andere. Gehen wir, Meister...»

«Ich warte auf Kranke. Man hat mich in die Stadt gehen sehen, und die Nachricht hat sich gewiss verbreitet. In den wärmeren Stunden werden sie kommen. Bleiben wir wenigstens bis zum ersten Drittel der sechsten Stunde hier», sagt Jesus und beginnt wieder auf- und abzugehen, um bei dieser rauhen Witterung nicht stillzustehen.

Tatsächlich kommt bald darauf, da die Sonne beginnt, die Wirkung des kalten Windes zu mäßigen, eine Frau mit einem kleinen kranken Mädchen und bittet um Heilung. Jesus kommt ihrem Wunsch nach. Die Frau legt ihre Gabe zu Füßen Jesu nieder mit den Worten: «Das ist für andere leidende Kinder.» Iskariot nimmt die Münzen an sich.

Etwas später wird auf einer kleinen Bahre ein alter Mann gebracht, dessen Beine erkrankt sind. Und Jesus heilt ihn.

Als dritte erscheint eine Gruppe von Leuten und bittet Jesus, vor die Tempelmauern zu kommen, um den Teufel aus einem Mädchen zu vertreiben, dessen durchdringende Schreie man auch innen hört. Und Jesus folgt ihnen auf die Straße, die in die Stadt führt. Leute, unter denen auch Fremde sind, drängen sich um die, die das Mädchen festhalten, dass schäumt, die Augen verdreht und sich losreißen will. Unflätige Worte aller Art dringen aus ihrem Mund, je näher Jesus kommt, desto mehr. Auch sein umsich-Schlagen wird immer wilder. Nur mit Mühe können vier starke junge Männer sie halten. Und den Schimpfwörtern folgen unter Schreien die Anerkennung Christi, und dann die flehentlichen Bitten des Geistes, der sie in Besitz genommen hat, nicht ausgetrieben zu werden; und sogar stereotyp wiederholte Wahrheiten: «Fort! Zwingt mich nicht, diesen Verfluchten zu sehen! Fort, fort, fort, Ursache unseres Verderbens. Ich weiß, wer du bist. Du bist... Du bist der Christus. Du bist... Kein anderes Öl hat dich gesalbt als das von oben. Die Macht des Himmels umgibt und beschützt dich! Ich hasse dich! Verfluchter! Verjage mich nicht! Warum verjagst du uns und willst uns nicht hierlassen, wo du doch eine ganze Legion von Dämonen in deiner Nähe hast in einem einzigen? Weißt du nicht, dass die ganze Hölle in dem einen ist? Ja, du weißt es ... Laß mich doch wenigstens hier bis zur Stunde des...» Die Worte stocken bisweilen wie erstickt. Andere Male ändert sich der Tonfall oder sie werden abgebrochen oder unter zu unmenschlichen Schreien ausgedehnt. So, als sie ruft: «Laß mich wenigstens in ihn einfahren. Schicke mich nicht in den Abgrund! Warum haßt du uns, o Jesus, Sohn Gottes? Genügt dir nicht das, was du bist? Warum willst du auch noch über uns befehlen? Wir wollen keinen Befehl! Warum bist du gekommen, uns zu verfolgen, da wir doch von dir abgefallen sind? Geh deines Weges! Bringe nicht das Feuer des Himmels über uns. Deine Augen! Wenn sie erloschen sind, werden wir lachen... Ach, nein! Auch dann nicht... Du besiegst uns! Du besiegst uns! Seid verflucht, du und der Vater, der dich gesandt hat, und der, der von euch kommt und euch gleich ist... Aaaah!»

Der letzte Schrei ist wirklich furchtbar. Er gleicht dem eines Menschen, der ermordet wird, in den langsam das Eisen des Mörders eindringt. Was ihn verursacht, ist, dass Jesus, nachdem er durch einen geistigen Befehl viele Male die Worte der Besessenen abgeschnitten hat, ihnen nun ein Ende macht, indem er mit einem Finger die Stirn des Mädchens berührt. Und der Schrei endet in einer schrecklichen Konvulsion, bis mit Getöse -einem Mittelding zwischen dem Gelächter und dem Schreien eines Tieres aus einem Alptraum – der Dämon sie heulend verläßt: «Aber ich gehe nicht weit fort... Ha, ha, ha!» Es folgt ein kurzer Knall, wie durch einen Blitz hervorgerufen, obwohl der Himmel tiefblau ist.

Viele laufen erschrocken davon. Andere drängen sich noch näher heran, um das Mädchen zu betrachten, dass sich plötzlich beruhigt und in die Arme derer sinkt, die sie festgehalten haben. Eine kleine Weile bleibt sie so und öffnet dann die Augen, lächelt und merkt, dass sie sich ohne Schleier um Gesicht und Kopf unter Leuten befindet. Sie senkt das Haupt und hält noch einen Arm vor ihr Gesicht, um es zu verbergen. Ihre Begleiter wollen, dass sie sich beim Meister bedankt. Aber dieser sagt: «Respektiert ihre Schamhaftigkeit. Führt sie nach Hause zu ihrer Mutter. Das ist ihr Platz als Mädchen ...» Und er kehrt der Menge den Rücken und geht wieder in den Tempel.

«Hast du gesehen, Herr, dass viele Judäer hinter uns gestanden sind? Einige von ihnen habe ich wiedererkannt... Da sind sie! Es sind die, die schon vorher spioniert haben. Schau, wie sie miteinander streiten...» sagt Petrus.

«Sie werden entscheiden wollen, in welchen von ihnen der Teufel gefahren ist. Da ist auch Nahum, der Vertrauensmann des Annas. Das ist der richtige Typ...» sagt Thomas.

«Ja. Und du hast nichts gesehen, weil du ihm den Rücken zugekehrt hast. Das Feuer hat sich förmlich über seinem Haupt entladen», sagt Andreas fast zähneklappernd. «Ich stand nahe bei ihm und habe Angst gehabt...!»

«In Wirklichkeit waren sie alle nahe beieinander. Aber ich habe gesehen, wie das Feuer über uns aufgeflammt ist, und glaubte, daran sterben zu müssen... Ja, ich habe besonders für den Meister gezittert. Denn die Flammen schienen über seinem Haupt zu schweben», sagt Matthäus.

«Aber nein. Ich habe das Feuer vielmehr aus dem Mädchen fahren und an der Tempelmauer explodieren sehen», widerspricht Levi, der Hirtenjünger.

«Streitet nicht. Das Feuer hat weder auf den einen noch auf den anderen hingewiesen. Es war nur ein Zeichen, dass der Dämon geflohen ist», sagt Jesus.

«Aber er hat gesagt, dass er nicht weit fortgehen würde!» entgegnet Andreas.

«Teufelsworte... auf die man nicht hören soll. Loben wir vielmehr den Allerhöchsten wegen dieser drei Kinder Abrahams, die an Leib und Seele geheilt worden sind.»

Inzwischen nähern sich viele Juden, die von allen Seiten auftauchen – aber weder ein Pharisäer noch ein Schriftgelehrter oder Priester ist unter ihnen – drängen sich um Jesus, und einer tritt vor und spricht: «Große Dinge hast du an diesem Tag getan! Wahrhaft Werke eines Propheten, eines großen Propheten. Und die Geister des Abgrundes haben große Dinge von dir gesagt. Aber ihre Worte kann man nicht annehmen, wenn dein Wort sie nicht bestätigt. Wir sind voll Staunen über diese Worte. Aber wir fürchten auch einen großen Betrug, denn wir wissen, dass Beelzebub ein Lügengeist ist. Wir möchten uns nicht täuschen und nicht getäuscht werden. Sage uns daher, wer du bist, denn du hast Worte der Wahrheit und der Gerechtigkeit.»

«Habe ich euch denn nicht schon oft gesagt, wer ich bin? Seit fast drei Jahren sage ich es euch, und vor mir haben es euch Johannes am Jordan und die Stimme Gottes vom Himmel gesagt.»

«Das ist wahr. Aber wir waren damals nicht dabei... Du, der du ein Gerechter bist, musst unsere Unruhe verstehen. Wir würden gerne an dich, als den Messias, glauben. Aber gar zu oft wurde das Volk Gottes schon von falschen Christussen getäuscht. Tröste unser Herz, dass hofft und auf ein sicheres Wort wartet, und wir werden dir huldigen.»

Jesus blickt sie streng an. Seine Augen scheinen die Körper zu durchdringen und die Herzen bloßzulegen. Dann sagt er: «Wahrlich, oft können die Menschen noch besser lügen als Satan selbst. Nein. Ihr werdet mir nicht huldigen. Nie! Was immer ich euch auch sage. Und selbst wenn ihr es tätet, wen würdet ihr dann anbeten?»

«Wen? Unseren Messias natürlich!»

«Dazu wäret ihr fähig? Wer ist denn für euch der Messias? Antwortet, damit ich weiß, was ihr wert seid.»

«Der Messias? Nun, der Messias ist der, der auf Geheiß Gottes das verstreute Volk Israels wieder sammelt und daraus ein triumphierendes Volk macht, dass die ganze Welt beherrschen wird. Weißt du denn nicht, wer der Messias ist?»

«Ich weiß es, so wie ihr es nicht wißt. Für euch ist er also ein Mensch, größer als David, Salomon und Judas Makkabäus; einer, der Israel zum König der Welt machen wird?»

«Das ist es. Gott hat es versprochen. Alle Rache, aller Ruhm, alle Genugtuung wird von dem verheißenen Messias kommen.»

«Es steht geschrieben: „Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten.“ Warum nun würdet ihr mich anbeten, wenn ihr in mir nur den menschlichen Messias sehen könntet?»

«Was sollen wir sonst in dir sehen?»

«Was? Und mit solchen Anschauungen kommt ihr mich fragen? Arglistiges und giftiges Viperngezücht und Gotteslästerer noch dazu! Denn wenn ihr in mir nichts anderes sehen könntet als den menschlichen Messias und mich anbeten würdet, wäret ihr Götzendiener. Nur Gott darf man anbeten. Und in Wahrheit sage ich euch noch einmal, dass der, der mit euch spricht, mehr ist als der Messias, den ihr euch vorstellt und mit anderen Aufgaben, Vollmachten und einer anderen Macht ausgestattet ist, als ihr euch einbildet. Der Messias kommt nicht, um seinem Volk ein Reich zu schaffen, wie ihr es glaubt. Er kommt nicht, um Rache zu üben an anderen Mächtigen. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, und seine Macht überragt alle begrenzte Macht dieser Welt.»

«Du demütigst uns, Meister. Wenn du der Meister bist und wir unwissend sind, warum willst du uns dann nicht unterweisen?»

«Seit drei Jahren tue ich es, aber ihr geratet in immer tiefere Finsternis, da ihr das Licht zurückweist.»

«Es ist wahr. Vielleicht ist es wahr. Aber was für die Vergangenheit galt, könnte sich in der Zukunft ändern. Oder etwa nicht? Du, der du mit Zöllnern und Dirnen Erbarmen hast und die Sünder freisprichst, willst kein Erbarmen mit uns haben, nur weil wir einen harten Schädel haben und nicht so schnell begreifen, wer du bist?»

«Es ist nicht, dass ihr Mühe habt zu begreifen; ihr wollt nicht verstehen. Mangelndes Begriffsvermögen wäre keine Schuld. Gott besitzt so viel Licht, dass er auch den schwächsten Geist erleuchten kann, wenn er voll guten Willens ist. Dieser aber fehlt auch. Euer Wille ist vielmehr das Gegenteil. Und daher versteht ihr nicht, wer ich bin.»

«Es wird so sein, wie du sagst. Du siehst, wie demütig wir sind. Aber wir bitten dich im Namen Gottes, antworte auf unsere Fragen. Laß uns nicht länger im Zweifel. Wie lange soll unser Geist noch im Ungewissen bleiben? Wenn du der Christ bist, dann sage es uns offen heraus.»

«Ich habe es euch gesagt. In den Häusern, auf den Plätzen, auf den Straßen, in den Dörfern, auf den Bergen, an den Flüssen, am Meer, in der Wüste, im Tempel, in den Synagogen und auf den Märkten habe ich es euch gesagt, und ihr glaubt nicht. Es gibt keinen Ort in Israel, der nicht meine Stimme gehört hätte. Selbst die Orte, die seit Jahrhunderten fälschlicherweise den Namen Israel tragen, die aber vom Tempel getrennt sind, selbst die Orte, die ihren Namen diesem unserem Land gegeben haben, die aber aus Herrschern zu Untertanen geworden sind und sich doch niemals vollständig befreit haben von ihren Irrtümern, um zur Wahrheit zu kommen, selbst Syro-Phönizien, dass die Rabbis als ein Land der Sünde meiden, alle haben sie meine Stimme gehört und mein Wesen kennengelernt.

Ich habe es euch gesagt, und ihr glaubt meinen Worten nicht. Ich habe gewirkt, aber ihr habt meine Handlungen nicht mit gutem Willen, in gutem Geist betrachtet. Wenn ihr es getan hättet in der aufrichtigen Absicht, euch über mich zu vergewissern, dann wäret ihr zum Glauben an mich gelangt; denn die Werke, die ich im Namen des Vaters vollbringe, legen Zeugnis von mir ab. Die Menschen guten Willens, die mir gefolgt sind, weil sie mich als Hirten erkannt haben, haben meinen Worten geglaubt und dem Zeugnis, dass meine Werke ablegen.

Glaubt ihr vielleicht, dass das, was ich tue, nicht auch zu eurem Nutzen ist? Zum Nutzen jedes Menschen? Täuscht euch nicht. Denkt nicht, dass der Nutzen nur in der durch meine Macht wiedererlangten Gesundheit des Einzelnen besteht, oder in der Befreiung des einen oder anderen von der Besessenheit oder der Sünde. Das ist der auf ein Individuum beschränkte Nutzen. Und er wäre viel zu gering im Hinblick auf die Macht, die verströmt aus der übernatürlichen Quelle, der mehr als übernatürlichen, der göttlichen strömenden Quelle, als dass es der einzige Nutzen sein könnte. Eine viel allgemeinere nützliche Wirkung bezwecken meine Taten. Den Unsicheren wollen sie jeden Zweifel nehmen, die Widersetzlichen wollen sie überzeugen, die Glaubenden immer mehr im Glauben bestärken.

Um dieses kollektiven Nutzens aller Menschen der Gegenwart und der Zukunft willen – denn meine Werke werden auch vor den zukünftigen Menschen von mir Zeugnis ablegen und sie von mir überzeugen – hat mir mein Vater die Macht gegeben, dass zu tun, was ich tue. Nichts geschieht ohne einen guten Zweck in den Werken Gottes. Denkt immer daran. Betrachtet diese Wahrheit!»

Jesus hält eine Zeitlang inne. Er heftet seinen Blick auf einen Judäer, der mit geneigtem Haupt dasteht, und sagt dann: «Du, der du so sinnend dastehst, du in dem Gewand von der Farbe einer reifen Olive, du fragst dich, ob auch Satan zu einem guten Zweck da ist. Sei nicht so töricht, mich widerlegen und Irrtum in meinen Worten finden zu wollen. Ich antworte dir, dass Satan nicht das Werk Gottes ist, sondern das Werk des freien Willens des rebellischen Engels. Gott hatte ihn zu seinem glorreichen Diener gemacht, und so hatte er ihn zu einem guten Zweck erschaffen. Du sagst nun zu dir selbst: „Dann ist Gott töricht; denn er hat die Herrlichkeit einem künftigen Rebellen verliehen und seinen Willen einem Ungehorsamen anvertraut.“ Ich antworte dir: „Gott ist nicht töricht, sondern vollkommen in seinem Denken und Tun. Er ist der Allervollkommenste. Die Geschöpfe sind unvollkommen, auch die vollkommensten. Immer ist in ihnen etwas Mangelhaftes im Vergleich zu Gott. Aber Gott, der sie liebt, hat ihnen den freien Willen gegeben, damit das Geschöpf mit seiner Hilfe in der Vollkommenheit wachse und dadurch Gott, seinem Vater, ähnlicher werde.“ Und weiter sage ich dir, du Spötter und listig nach Sünden in meinen Worten Suchender, dass Gott auch durch das Böse, dass aus freiem Willen entstanden ist, etwas Gutes erreicht: Er gibt den Menschen die Möglichkeit, eine verdiente Herrlichkeit zu erwerben. Die Siege über das Böse sind die Krone der Auserwählten. Wenn das Böse nicht etwas Gutes in den Menschen guten Willens bewirken könnte, hätte Gott es vernichtet. Denn nichts von allem in der Schöpfung darf ganz ohne Beziehung zum Guten sein, sei es, dass es dazu anspornt oder daraus folgt.

Antwortest du nicht? Fällt es dir schwer, zugeben zu müssen, dass ich in deinem Herzen gelesen und die unrichtigen Schlußfolgerungen deiner gewundenen Gedankengänge widerlegt habe? Ich werde dich nicht zwingen, es zu tun. Im Angesicht so vieler lasse ich dir deinen Hochmut. Ich verlange nicht, dass du mich öffentlich Sieger nennst. Aber wenn du allein bist mit deinesgleichen und mit denen, die euch geschickt haben, dann bekenne, dass Jesus von Nazareth deine Gedanken gelesen und deine Einwände in der Kehle erstickt hat mit seiner einzigen Waffe: dem Wort der Wahrheit.

Aber lassen wir diese persönliche Auseinandersetzung und kehren wir zurück zu den vielen, die mir zuhören. Wenn auch nur ein einziger unter den vielen seinen Geist durch meine Worte dem Licht zuwenden würde, wäre meine Mühe, zu Steinen zu sprechen, ja zu Gräbern voller Vipern, belohnt.

Ich habe gesagt, dass jene, die mich lieben, mich an meinen Worten und meinen Werken als den Hirten erkannt haben. Aber ihr glaubt nicht, ihr könnt nicht glauben, weil ihr nicht zu meinen Schafen gehört.

Was seid ihr? Ich frage es euch. Fragt es euch selbst im Inneren eures Herzens. Ihr seid nicht töricht. Ihr könnt euch erkennen als das, was ihr seid. Ihr braucht nur auf die Stimme eurer Seele zu hören, die unruhig ist und den Sohn dessen, der sie geschaffen hat, nicht länger beleidigen will. Aber obwohl ihr erkennt, was ihr seid, werdet ihr es nicht sagen. Ihr seid weder demütig noch aufrichtig. Ich jedoch sage euch, was ihr seid. Ihr seid teils Wölfe, teils wilde Ziegen. Aber keiner von euch ist ein wahres Lamm trotz des Schafspelzes, den ihr tragt, um als Lämmer zu erscheinen. Unter dem weichen, weißen Fell habt ihr alle die harten Farben, die spitzen Hörner, Tatzen und Klauen von Böcken oder wilden Tieren; und ihr wollt so bleiben, weil es euch gefällt, so zu sein, und weil ihr von Gewalt und Auflehnung träumt. Deshalb könnt ihr mich nicht lieben, mir nicht folgen und mich nicht verstehen. Wenn ihr zur Herde kommt, ist es, um zu schaden, Schmerz zu bereiten oder Verwirrung zu stiften. Meine Schafe haben Angst vor euch. Wenn sie wären wie ihr, müßten sie euch hassen. Aber sie können nicht hassen. Sie sind Schäflein des Friedensfürsten, des Meisters der Liebe, des barmherzigen Hirten. Sie kennen keinen Haß, und sie werden euch nie hassen, wie auch ich euch nie hassen werde. Ich überlasse den Haß euch, denn er ist die böse Frucht der dreifachen Begierlichkeit im entfesselten Inneren des Menschentieres, dass lebt und dabei vergißt, dass es auch eine Seele besitzt, und nicht nur den Körper. Ich behalte, was mein ist: die Liebe. Und sie gebe ich an meine Schäflein weiter und biete sie auch euch an, um euch gut zu machen.

Wenn ihr gut würdet, würdet ihr mich verstehen und zu meiner Herde kommen, gleich den anderen, die zu ihr gehören. Wir würden uns lieben. Ich und meine Schafe, wir lieben uns. Sie hören auf mich und kennen meine Stimme. Ihr versteht nicht, was es in Wahrheit bedeutet, meine Stimme zu kennen. Es bedeutet, keinen Zweifel zu haben an ihrem Ursprung und sie von den tausend anderen Stimmen der falschen Propheten als wahre Stimme vom Himmel unterscheiden zu können. Jetzt und immer wird es selbst unter denen, die sich für Anhänger der Weisheit halten und es teilweise auch sind, viele geben, die meine Stimme nicht unterscheiden können von anderen Stimmen, die mit mehr oder weniger Gerechtigkeit von Gott sprechen, die aber alle geringwertiger sind als meine Stimme...»

«Du sagst immer, dass du bald fortgehst; und dann willst du behaupten, dass du immer sprechen wirst? Wenn du fortgegangen bist, wirst du nicht mehr sprechen?» entgegnet ihm ein Jude in dem verächtlichen Ton, in dem er wahrscheinlich mit einem Schwachsinnigen sprechen würde.

Jesus antwortet wieder in seinem geduldigen und betrübten Ton, der nur zu Anfang, als er zu den Juden gesprochen, und danach, als er auf die

innerlichen Einwände des Juden geantwortet hat, streng geworden ist: «Ich werde immer sprechen, damit die Welt nicht ganz dem Götzendienst verfalle. Und ich werde zu den Meinen sprechen, die dazu erwählt sind, euch meine Worte zu wiederholen. Der Geist Gottes wird sprechen, und sie werden verstehen, was selbst die Gebildeten nicht verstehen können. Denn die Gelehrten werden das Wort, den Satz, die Art, den Ort, dass Wie und das Werkzeug studieren, durch das das Wort spricht, während meine Auserwählten sich nicht in diesen unnützen Studien verlieren, sondern zuhören werden, verloren in meiner Liebe. Und sie werden verstehen, denn es wird die Liebe sein, die zu ihnen spricht. Sie werden die verzierten Blätter der Gelehrten und die Lügenblätter der falschen Propheten und der heuchlerischen Rabbis, die unreine Lehren verbreiten oder lehren, was sie selbst nicht praktizieren, zu unterscheiden wissen von den einfachen, wahren und tiefen Worten, die von mir kommen. Aber die Welt wird sie dafür hassen, denn die Welt haßt mich, dass Licht, und sie haßt auch die Kinder des Lichtes; die finstere Welt liebt die Finsternis, die ihre Sünden begünstigt. Meine Schafe kennen mich und werden mich kennen, und sie werden mir immer folgen, auch auf den Wegen des Blutes und des Schmerzes, die ich als erster gehe und die sie nach mir gehen werden. Die Wege, die die Seelen zur Weisheit führen. Die Wege, die das Blut und die Tränen der als Lehrer der Gerechtigkeit Verfolgten lichtvoll machen, da sie sie von dem finsteren Rauch der Welt und Satans befreien, damit sie seien wie Sternenbahnen und alle führen, die den Weg, die Wahrheit und das Leben suchen und niemanden finden, der sie führt. Denn dies brauchen die Seelen: Einen, der sie zum Leben, zur Wahrheit und auf den richtigen Weg führt. Gott ist erbarmungsvoll mit den Seelen, die suchen und nicht finden, nicht aus eigener Schuld, sondern wegen der Trägheit ihrer götzendienerischen Hirten. Gott erbarmt sich der Seelen, die sich selbst überlassen, umherirren und aufgefangen werden von Dienern Luzifers, die immer bereit sind, die Verirrten zu sammeln und Anhänger ihrer Lehren aus ihnen zu machen. Gott erbarmt sich derer, die der Täuschung nur anheimfallen, weil die Rabbis Gottes, die sogenannten Rabbis Gottes, sich nicht um sie kümmern. Gott erbarmt sich all dieser, die der Mutlosigkeit, der Finsternis, dem Tod anheimfallen durch die Schuld der falschen Meister, die von Meistern nichts haben als das Gewand und den Stolz, so genannt zu werden. Und wie er für sein Volk die Propheten gesandt hat und wie er mich für die ganze Welt gesandt hat, so wird er später, nach mir, für diese armen Seelen Diener des Wortes, der Wahrheit und der Liebe senden, damit sie meine Worte wiederholen. Denn meine Worte sind es, die das Leben geben. So werden meine Schafe von heute und von morgen das Leben haben, dass ich ihnen durch mein Wort gebe und das ewiges Leben für den ist, der es aufnimmt; und sie werden nie umkommen, und niemand wird sie meinen Händen entreißen können.»

«Wir haben nie die Worte der wahren Propheten abgelehnt. Wir haben immer Johannes, den letzten Propheten, anerkannt», antwortet zornig ein Jude, und seine Gefährten stimmen ihm zu.

«Er ist zu früh gestorben, um sich bei euch unbeliebt zu machen und auch von euch verfolgt zu werden. Wenn er noch unter den Lebenden wäre, würde er sein „Es ist dir nicht erlaubt“, dass er angesichts der fleischlichen Blutschande sagte, auch euch entgegenschleudern, die ihr geistigen Ehebruch begeht, indem ihr mit Satan und gegen Gott Unzucht treibt; und ihr würdet ihn töten, so wie ihr jetzt die Absicht habt, mich zu töten.»

Wutentbrannt toben die Juden, schon jetzt bereit zuzuschlagen. Sie sind es müde, Sanftmut vortäuschen zu müssen.

Aber Jesus kümmert sich nicht darum. Er erhebt die Stimme, um das allgemeine Geschrei zu übertönen, und ruft: «Habt ihr mich nicht gefragt, wer ich bin, ihr Heuchler? Habt ihr nicht gesagt, dass ihr es wissen wollt, um sicher zu sein? Und jetzt sagt ihr, dass Johannes der letzte Prophet gewesen ist? Ihr bezeugt euch selbst in zweifacher Weise der Lüge. Einmal, weil ihr sagt, ihr hättet nie die Worte der wahren Propheten abgelehnt; zum anderen, weil ihr, indem ihr sagt, dass Johannes der letzte Prophet gewesen sei und dass ihr an die wahren Propheten glaubt, ausschließt, dass auch ich ein Prophet, wenigstens ein Prophet, und ein wahrer bin. Ihr Lügner und trügerischen Herzen! Ja, wahrlich, wahrlich, hier im Haus meines Vaters erkläre ich, dass ich mehr bin als ein Prophet. Ich habe, was mein Vater mir gegeben hat. Und was mein Vater mir gegeben hat, ist kostbarer als alles auf der Welt, denn der Wille und die Macht der Menschen können nicht die räuberischen Hände danach ausstrecken. Ich besitze, was Gott mir gegeben hat, und obwohl es in mir ist, ist es immer in Gott. Und niemand kann es den Händen meines Vaters und mir entreißen, denn es ist die gleiche göttliche Natur. Ich und der Vater sind eins.»

«Oh! Entsetzlich! Gotteslästerung! Anathema!» Das Geschrei der Juden hallt im Tempel wider, und noch einmal sind die Steine, die die Wechsler und Viehhändler der besseren Ordnung halber für ihre Einfriedungen benutzen, dass Arsenal für alle, die Waffen suchen, um ihn zu treffen.

Aber Jesus richtet sich mit über der Brust gekreuzten Armen auf. Er ist auf einen Steinsitz gestiegen, um höher zu stehen und besser gesehen zu werden, und von dort beherrscht er alle mit den Strahlen seiner saphirblauen Augen. Er beherrscht sie und durchbohrt sie. Seine gewaltige Majestät lähmt sie. Anstatt die Steine auf ihn zu schleudern, werfen sie sie weg oder halten sie in den Händen, aber sie haben nicht mehr den Mut, sie auf ihn zu werfen. Auch das Geschrei legt sich und ein eigenartiges Staunen tritt an seine Stelle. Es ist wirklich Gott, der in Christus aufblitzt. Und wenn Gott seine Blitze schleudert, wird auch der verwegenste Mensch klein und furchtsam.

Ich denke daran, welch ein Geheimnis darin verborgen liegt, dass die Juden am Karfreitag so grausam sein konnten; dass diese beherrschende Macht Christi an jenem Tag abwesend war. Es war wahrhaft die Stunde der Finsternis, die Stunde Satans, und sie allein herrschten... Die Gottheit, die Vaterschaft Gottes hatte ihren Christus verlassen, und er war nichts mehr als das Opfer...

Jesus steht eine Weile so da. Dann beginnt er wieder zu sprechen zu dieser verkauften und niederträchtigen Menge, der alle Anmaßung vergangen ist, einzig und allein weil sie einen Blitzstrahl Gottes gesehen hat: «Nun? Was wollt ihr tun? Ihr habt mich gefragt, wer ich bin. Ich habe es euch gesagt, und ihr seid rasend geworden. Ich habe euch in Erinnerung gerufen, was ich alles getan habe; ich habe euch die vielen guten Werke sehen lassen und euch an sie erinnert, die von meinem Vater ausgehen und die ich mit der Macht vollbringe, die mir vom Vater kommt. Für welches dieser Werke wollt ihr mich steinigen? Weil ich euch die Gerechtigkeit gepredigt habe? Oder weil ich euch die Frohe Botschaft gebracht habe? Weil ich gekommen bin, euch in das Reich Gottes einzuladen? Weil ich eure Kranken geheilt habe? Weil ich den Blinden das Augenlicht, den Gelähmten die Beweglichkeit und den Stummen die Sprache gegeben habe? Weil ich die Besessenen befreit und die Toten auferweckt habe? Weil ich den Armen Wohltaten erwiesen, den Sündern verziehen und allen Liebe geschenkt habe, selbst denen, die mich hassen: euch und denen, die euch schicken? Für welches dieser Werke also wollt ihr mich steinigen?»

«Nicht wegen der guten Werke, die du getan hast, wollen wir dich steinigen, sondern wegen deiner Gotteslästerung, da du, obwohl du ein Mensch bist, dich zu Gott machst.»

«Steht denn nicht in eurem Gesetz geschrieben: „Ich sprach: Götter seid ihr und Söhne des Allerhöchsten.“ Wenn nun aber Gott jene Götter nannte, zu denen er sprach, und ihnen ein Gebot gab: so zu leben, dass die Ähnlichkeit und das Ebenbild Gottes, dass sich im Menschen findet, offenbar würden und der Mensch weder ein Dämon noch ein unvernünftiges Tier sei; wenn die Menschen in der Heiligen Schrift, die doch ganz von Gott inspiriert ist und daher nicht nach den Wünschen und Interessen der Menschen abgeändert oder abgeschafft werden kann, Götter genannt werden, wie könnt ihr mir dann sagen, dass ich lästere, ich, den der Vater gesalbt und in die Welt gesandt hat, wenn ich sage: „Ich bin der Sohn Gottes“? Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tun würde, dann hättet ihr Grund, nicht an mich zu glauben. Aber ich tue sie. Und ihr wollt nicht an mich glauben. Glaubt also wenigstens an diese Werke, die geschehen, damit ihr erkennt, dass der Vater in mir ist und ich im Vater bin.»

Geschrei und Tumult, ein ganzer Sturm bricht erneut los, und schlimmer als zuvor. Von einer der Terrassen des Tempels, auf der gewiss Priester, Schriftgelehrte und Pharisäer versteckt auf der Lauer liegen, krächzen eine Anzahl Stimmen: «Aber ergreift doch diesen Gotteslästerer! Seine Schuld ist nun ganz offenbar. Wir alle haben ihn gehört. Tod dem Gotteslästerer, der sich zum Gott erklärt! Straft ihn wie den Sohn der Selomith, der Tochter Dibris! Er soll vor die Stadt gebracht und gesteinigt werden! Es ist unser Recht! Denn es steht geschrieben: „Der Gotteslästerer soll zu Tode gesteinigt werden.“»

Die Hetze der Vorsteher entflammt den Zorn der Juden noch mehr. Sie versuchen, sich Jesu zu bemächtigen, um ihn gebunden den obersten des Tempels auszuliefern, die gefolgt von der Tempelwache herbeieilen.

Aber schneller als sie sind wieder einmal die Legionäre, die auf der Burg Antonia Wache halten, den Aufruhr verfolgt haben und nun aus der Kaserne zum Schauplatz des Geschreis gerannt kommen. Und sie nehmen auf niemanden Rücksicht. Die Schäfte der Lanzen sausen auf Köpfe und Rücken nieder. Durch Hohn und Schimpfworte stacheln sie sich gegenseitig an, die Juden zu verprügeln: «Kuscht, ihr Hunde! Macht Platz! Licinus, gib es diesem räudigen Kerl! Fort mit euch! Die Angst läßt euch mehr denn je stinken! Aber was eßt ihr denn eigentlich, ihr Rabengesindel, dass ihr so stinkt? Richtig, Bassus! Sie reinigen sich wohl, aber sie stinken erbärmlich. Schau da, den mit der langen Nase! An die Mauer! An die Mauer mit ihnen, damit wir ihre Namen aufnehmen können! Und ihr Nachteulen da oben, kommt herunter! Wir kennen euch. Einen netten Rapport wird der Centurio für das Präsidium machen... Nein! Den laßt in Ruhe! Das ist ein Apostel des Rabbi. Siehst du nicht, dass er wie ein Mensch aussieht und nicht wie ein Schakal? Schau! Schau, wie sie dort davonlaufen! Laß sie nur laufen. Um sie zur Vernunft zu bringen, müßte man sie alle auf die Lanzen spießen! Nur so könnte man sie bändigen! Vielleicht morgen! So, dich haben wir, dich lassen wir nicht mehr entschlüpfen. Ich habe dich gesehen, weißt du? Du hast den ersten Stein geworfen. Du wirst dich dafür verantworten müssen, dass du einen römischen Soldaten mit Steinen beworfen hast... Auch dieser da! Er hat uns verwünscht und die Feldzeichen beschimpft. So? Wirklich? Komm, du wirst sie in unseren Kerkern lieben lernen ...» Auf diese Weise, schimpfend und schlagend, packen die Legionäre einige beim Schopf, schlagen andere in die Flucht und räumen den großen Vorhof.

Aber erst als die Juden sehen, dass wirklich zwei von ihnen festgenommen werden, entpuppen sie sich als das, was sie in Wirklichkeit sind: große Feiglinge. Entweder fliehen sie unter Geschrei wie ein Schwarm Hühner, der den Sperber zu Gesicht bekommt, oder sie werfen sich zu Füßen der Soldaten nieder und flehen um Erbarmen mit abstoßender Kriecherei und Schmeichelei.

Ein Offizier, an dessen Waden sich ein runzeliger Alter – einer der Gehässigsten gegen Jesus – geklammert hat, der ihn „hochherzig und gerecht“ nennt, befreit sich von diesem mit einem kräftigen Stoß, der den Juden drei Schritte zurückrollen läßt, und schreit ihn an: «Weg mit dir, du räudiger Fuchs!» Dann wendet er sich an einen Kameraden, zeigt ihm seine Wade und sagt: «Sie haben Krallen wie Füchse und Geifer wie Schlangen! Sieh dir das an! Beim Jupiter Maximus, jetzt gehe ich sofort in die Thermen und wasche mir die Spuren dieses geifernden Alten ab.»Und er geht wirklich verärgert weg mit seiner zerkratzten Wade.

Ich habe Jesus aus den Augen verloren und könnte nicht sagen, wohin er gegangen ist und durch welches Tor er den Tempel verlassen hat. Ich habe nur einige Male die Gesichter der beiden Söhne des Alphäus und des Thomas in dem Durcheinander auftauchen und wieder verschwinden sehen, die versucht haben, sich durchzukämpfen, und einige Hirten-Jünger, die dasselbe tun wollten. Dann sind auch diese verschwunden, und nun bleibt nur noch Geschrei der letzten falschen Juden, die da- und dorthin laufen, um der Gefangennahme und der Identifizierung durch die Legionäre zu entgehen, für die es, wie mir scheint, ein Fest gewesen ist, die Hebräer ordentlich verprügeln zu können und den ganzen Haß zurückzuzahlen, mit dem sie sich von ihnen bedacht wissen.