07.04.2016

JESUS BEIM „TRÜGERISCHEN GEWÄSSER“; DIE DREI JÜNGER DES TÄUFERS

nach Maria Valtorta

Ein ganz klarer Wintertag. Sonne und Wind und ein heiterer Himmel ohne das geringste Anzeichen einer Wolke. Noch ist es früh am Morgen. Ein leichter Schleier von Rauhreif, besser, von beinahe gefrorenem Tau, liegt als Diamantenstaub auf Boden und Gräsern.

Es nähern sich dem Haus drei Männer, die sicher und zielbewußt einherschreiten, dass man den Eindruck haben könnte, sie seien des Ortes kundig. Sie sehen Johannes, der mit aufgefüllten Wassereimern beladen vom Brunnen kommt und den Hof überquert. Sie rufen ihn.

Johannes dreht sich um, stellt die Krüge ab und fragt: «Ihr seid hier? Willkommen! Der Meister wird sich freuen, euch zu sehen. Kommt, kommt, bevor die Leute eintreffen. Es kommen jetzt so viele! ...»

Es sind die drei Hirtenjünger des Johannes des Täufers, Simeon, Johannes und Matthias, und sie folgen zufrieden dem Apostel.

«Meister, drei Freunde sind da. Schau», sagt Johannes, in die Küche eintretend, wo ein fröhliches Feuer knistert und sich ein angenehmer Duft von verbranntem Gesträuch und Lorbeer verbreitet.

«Oh! Der Friede sei mit euch, meine Freunde! Weshalb kommt ihr zu mir? Ist dem Täufer ein Unglück zugestoßen?»

«Nein, Meister. Wir sind mit seiner Erlaubnis gekommen. Er läßt dich grüßen und dir sagen, du sollst Gott den Löwen anempfehlen, der von den Häschern verfolgt wird. Er macht sich keine Illusionen über sein Los. Doch zur Zeit ist er frei. Er ist glücklich, denn er weiß, dass du viele Getreue hast. Auch solche, die früher seine waren. Meister, es ist auch unser glühender Wunsch, es zu sein; ... doch wir wollen ihn, jetzt wo er verfolgt wird, nicht verlassen. Verstehe uns...» sagt Simeon.

«Ich segne euch, weil ihr so handelt. Der Täufer verdient jede Achtung und Liebe.»

«Ja, du sagst es gut. Er ist groß und seine Größe wird immer überragender. Er gleicht der Agave, die vor dem Sterben zum großen Kandelaber der siebenfachen Blume wird und mit ihr strahlt und duftet. So auch er. Er sagt immer: „Ich möchte ihn nur noch einmal sehen...“ Dich sehen! Wir haben den Sehnsuchtsschrei seiner Seele vernommen, und ohne ihm etwas davon zu sagen, bringen wir diesen Schrei zu dir. Er ist der „Büßer“, der „Faster“ ' und er verzehrt sich noch im heiligen Verlangen, dich zu sehen und zu hören. Ich bin Tobias, nun Matthias. Doch denke ich, dass der Erzengel, der Tobias als Begleiter gegeben wurde, sich von ihm in nichts unterschieden hat. Alles im Täufer ist Weisheit!»

«Es ist nicht gesagt, dass ich ihn nicht sehen werde... Aber seid ihr nur deswegen gekommen? Bei dieser Jahreszeit ist es beschwerlich, zu reisen. Heute ist es heiter... aber bis vor drei Tagen! Wieviel Wasser auf den Straßen!»

«Nicht nur deswegen. Vor einigen Tagen ist Doras, der Pharisäer gekommen um sich zu reinigen. Doch der Täufer hat ihm die Taufe verweigert und gesagt: „Das Wasser kann dort nicht eindringen, wo eine so dicke Kruste der Sünde ist. Ein Einziger allein kann dir verzeihen, der Messias.“ Da hat Doras gesagt: „So werde ich zu ihm gehen. Ich möchte geheilt werden und denke, dass mein Übel seine Verwünschung ist.“ Daraufhin hat ihn der Täufer weggejagt, wie wenn er den Teufel vertrieben hätte. Doras ist beim Weggehen Johannes begegnet, den er kannte, seitdem Johannes zu Jonas gegangen war, mit dem er etwas verwandt ist, und hat zu ihm gesagt: „Ich gehe zu Jesus. Alle gehen. Auch Manaen ist dort gewesen, und sogar... ich sage Dirnen, doch er hat ein gemeineres Wort benützt, gehen dorthin. Das „trügerische Gewässer“ ist voll von Schwärmern. Wenn er mich nun heilt und den Bann, den er über meine Ländereien verhängt hat, zurücknimmt, dann will ich sein Freund werden. Mein Landgut sieht aus wie von Kriegsmaschinen verwüstet, Maulwürfe, Würmer und Vampirgrillen wimmeln, die das Saatgut fressen und die Wurzeln der Obstbäume und der Weinstöcke zerstören, wogegen es kein Mittel gibt. Anderenfalls, wehe ihm!“ Wir haben ihm geantwortet: „Mit einer solchen Gesinnung willst du hingehen?“ Er hat geantwortet: „Wer glaubt denn schon an diesen Teufelskerl? Übrigens hat er Dirnen im Haus und kann also auch mit mir ein Bündnis schließen.“ Wir sind hergekommen, um dir dies zu berichten, damit du dich auf Doras vorbereiten kannst.»

«Oh, es ist alles schon getan.»

«Schon getan? Wirklich? Natürlich, er hat Pferd und Wagen, wir haben nur unsere Beine. Wann ist er gekommen?»

«Gestern.»

«Was ist geschehen?»

«Dies: wenn ihr euch um Doras kümmern wollt, könnt ihr in sein Haus nach Jerusalem gehen, um euer Beileid zu bekunden. Sie bereiten ihn für die Beisetzung vor.»

«Er ist gestorben?»

«Gestorben! Hier. Doch sprechen wir nicht über ihn.»

«Ja, Meister... Nur... sag uns: ist es wahr, was er uns über Manaen gesagt hat?»

«Ja. Mißfällt es euch?»

«Oh, es ist uns eine Freude. Wir haben ihm in der Burg Machaerus so viel von dir erzählt, und was wünscht sich denn ein Apostel anderes, als dass sein Meister geliebt wird? Das ist der Wunsch Johannes und auch der unsrige.»

«Du sprichst gut, Matthias. Die Weisheit ist mit dir.»

«Doch ... ich glaube es nicht. Doch nun sind wir ihr begegnet (der Verschleierten)... Sie ist auch vor dem Laubhüttenfest bei uns gewesen und hat dich gesucht. Wir haben ihr gesagt: „Der, den du suchst, ist nicht hier; doch bald wird er zum Laubhüttenfest in Jerusalem sein.“ So sagten wir, denn der Täufer hatte uns gesagt: „Seht jene Sünderin. Sie ist eine Kruste von Schmutz, doch in ihr lodert eine Flamme, die genährt wird. Sie wird so stark werden, dass sie die Kruste sprengen, und alles entzünden wird. Die Kruste wird fallen und die Flamme wird allein zurückbleiben.“ So hat er gesagt. Aber ist es wahr, dass sie hier schläft, wie uns zwei einflußreiche Schriftgelehrte berichtet haben?»

«Nein, sie wohnt in einem der Ställe des Verwalters, mehr als eine Stadie von hier entfernt.»

«Diese Teufelszungen! Hast du gehört? Und sie...»

«Laßt sie nur reden. Die Guten glauben ihren Worten nicht, sondern meinen Werken.»

«Das sagt auch Johannes. Vor einigen Tagen haben ihm einige seiner Jünger in unserer Gegenwart gesagt: „Rabbi, jener, der mit dir jenseits des Jordan war und für den du Zeugnis abgelegt hast, tauft nun auch und alle gehen zu ihm, und du wirst bald keine Getreuen mehr haben.“

Doch Johannes hat geantwortet: „Selig mein Ohr, dass diese Nachricht vernimmt! Ihr wißt nicht, welche Freude ihr mir damit bereitet. Ihr müßt wissen, dass sich der Mensch nichts aneignen darf, wenn es nicht vom Himmel gegeben wird. Ihr könnt bezeugen, dass ich gesagt habe: 'Ich bin nicht Christus, sondern jener, der vor ihm hergesandt worden ist, um ihm den Weg zu bereiten.' Der gerechte Mann eignet sich nicht einen Namen an, der nicht ihm gehört, selbst wenn man ihn loben will, indem man sagt: 'Du bist jener“ also der Heilige, entgegnet er: 'Nein, wahrhaftig nein! Ich bin nur sein Diener.' Er hat aber dennoch eine große Freude, denn er sagt sich: 'Ich gleiche ihm also ein wenig, wenn man mich für ihn halten kann. Was kann sich denn ein Liebender Schöneres wünschen, als dem Liebsten zu gleichen?' Nur die Braut freut sich des Bräutigams. Dem Brautführer würde dies nicht anstehen, weil es unschicklich und Raub wäre. Doch der dem Bräutigam nahestehende Freund, welcher die Worte hochzeitlichen Glückes vernimmt, verspürt eine so lebhafte Freude, die fast jener gleichkommt, die die dem Bräutigam angetraute Jungfrau erfüllt, denn er kostet darin im voraus die Wonne hochzeitlichen Liebesglücks. Dies ist meine Freude, und sie ist vollkommen. Was macht nun der Freund des Bräutigams, nachdem er monatelang dem Freund gedient und ihn ins Haus der Braut begleitet hat? Er zieht sich zurück und verschwindet. So auch ich, so auch ich! Ein Einziger bleibt zurück: der Bräutigam mit der Braut! Der Mensch mit der Menschheit! Oh, welch tiefgründiges Wort! Er muss wachsen, ich abnehmen. Derjenige, der vom Himmel kommt, steht über allen. Patriarchen und Propheten verschwinden bei seinem Kommen, denn er ist wie die Sonne, die alles erleuchtet, und dies mit so hellem Licht, dass Sterne und Planeten, deren Licht erloschen, dadurch erstrahlen. Jene, die nicht erloschen sind, verblassen jedoch vollends in der Fülle von Licht. Er kommt vom Himmel, Patriarchen und Propheten hingegen werden in den Himmel eingehen, aber nicht vom Himmel kommen. Derjenige, der vom Himmel kommt, ist über alle erhaben, und er verkündet, was er gesehen und gehört hat. Aber niemand kann sein Zeugnis annehmen von denen, die nicht nach dem Himmel streben, also Gott verleugnen. Wer das Zeugnis desjenigen, der vom Himmel herabgekommen ist, annimmt, besiegelt mit diesem Bekenntnis seinen Glauben, dass Gott wahrhaftig ist und kein Märchen, dass jeder Wahrheit entbehrt, und er spürt die Wahrheit, weil er ein eifriges Verlangen nach ihr hat. Denn derjenige, den Gott gesandt hat, spricht Worte Gottes, da Gott ihm den Geist in Fülle gibt, und der Geist Gottes sagt: 'Siehe, da bin ich. Nimm mich dir zu eigen, denn ich will mit dir sein, du Freude unserer Liebe.' Denn der Vater liebt den Sohn über alle Maßen und hat alles in seine Hände gelegt. Daher wird, wer an den Sohn glaubt, dass ewige Leben besitzen. Wer jedoch den Glauben an den Sohn verweigert, der wird das Leben nicht schauen, und der Zorn Gottes wird in ihm und über ihm sein!“

So hat er gesprochen, und ich habe mir seine Worte eingeprägt, um sie dir zu sagen», sagt Matthias.

«Ich lobe dich und danke dir dafür. Der letzte Prophet Israels ist nicht jener, der vom Himmel herabsteigt, sondern jener, der dem Himmel am nächsten ist, weil er – ihr wißt es nicht, doch sage ich es euch – bereits im Schoße der Mutter mit göttlichen Wohltaten beschenkt wurde.»

«Was, was? Oh, erzähle! Er sagt von sich selber: „Ich bin der Sünder.“» Die drei Hirten sind begierig, mehr zu erfahren, und auch die Jünger drängen.

«Als meine Mutter mich in sich trug, mit Mir, Gott, schwanger war, begab sie sich zur Mutter des Johannes, die mütterlicherseits ihre Base war und im fortgeschrittenen Alter ein Kind erwartete, um ihr zu dienen, weil sie die Demütige und Liebreiche ist. Der Täufer besaß bereits seine Seele, denn er war im siebten Monat seines Werdens. Als die menschliche Frucht, eingeschlossen im mütterlichen Schoße, die Stimme der Braut Gottes vernahm, hüpfte sie vor Freude. Auch darin ist er der Vorläufer, weil er als erster Mensch erlöst wurde. Von Schoß zu Schoß übertrug sich die Gnade, durchdrang ihn, und die Erbsünde fiel von der Seele des Kindes. Somit sage ich euch, dass auf der Erde drei im Besitz der Weisheit sind, wie es im Himmel drei sind, welche die Weisheit sind: das Wort, die Mutter und der Vorläufer auf Erden; im Himmel der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.»

«Unser Herz ist voller Erstaunen. Beinahe wie damals, als uns gesagt wurde: „Der Messias ist geboren“; denn du warst der Abgrund der Barmherzigkeit, und dieser unser Johannes ist der Abgrund der Demut.»

«Und meine Mutter ist der Abgrund der Reinheit, der Gnade, der Liebe, des Gehorsams, der Demut und jeder anderen Tugend, die aus Gott ist und die Gott seinen Heiligen einflößt.»