11.03.2016

JESUS IM GESPRÄCH MIT JOSEPH DES ALPHÄUS

nach Maria Valtorta

Eben geht die Sonne über der erfrischten Natur auf, nach einem kurzen Regen, der sicher gerade erst gefallen ist, denn der Staub auf dem Weg ist noch feucht, ohne jedoch zu Schlamm geworden zu sein. Deshalb sage ich, dass es erst vor kurzem geregnet hat und dass es ein kurzer Regen war. Ein erster Herbstregen, eine Ankündigung des Novemberregens, der die Straßen Palästinas in ein schlammiges Band verwandeln wird. Aber dieser leichte, für den Wanderer angenehme Regen hat nur den Staub angefeuchtet, der für Palästina im Sommer eine so große Plage ist wie der Schlamm im Winter. Er hat die Luft gereinigt und auch die Blätter und die Kräuter, die nun alle sauber unter den ersten Strahlen der Sonne glänzen. Eine sanfte, reine Brise weht durch die Ölgärten, welche die Hügel von Nazareth bedecken, und es scheint, als flogen Engel durch die friedlichen Haine, denn das Laub rauscht, wie von Federschwingen bewegt, und glänzt in seinem glitzernden Silber, während sich die Zweige alle nach einer Seite neigen, als ob hinter dem Engelsflug ein Leuchtschweif paradiesischen Lichtes zurückgeblieben wäre.

Jesus hat die Stadt schon einige Stadien hinter sich gelassen, als er nach verschiedenen Abkürzungen durch die Hügel die Hauptstraße erreicht, die von Nazareth zur Ebene Esdrelon führt, die Karawanenstraße, die sich von Minute zu Minute immer dichter mit Pilgern bevölkert. Er legt noch einige Stadien auf dieser Straße zurück und erreicht schließlich einen Scheideweg, an dem auf den beiden Seiten eines Meilensteins zu lesen ist: «Japhia Simonias-Bethlehem Karmel» im Westen und «Caslot-Naim Scythopolis-Engannim» im Osten. Dort erblickt er am Straßenrand seine beiden Vettern Joseph und Simon, die ihn zusammen mit Johannes des Zebedäus sogleich begrüßen.

«Der Friede sei mit euch! Ihr seid schon da? Ich hatte damit gerechnet, hier auf euch zu warten und als erster anzukommen... und nun finde ich euch schon hier.» Er küßt sie, sichtlich erfreut, sie zu sehen.

«Du konntest nicht als erster hier sein. Aus Furcht, dass du vorübergehen könntest, bevor wir hier ankommen, sind wir im Licht der Sterne weggegangen, die bald hinter den Wolken verschwunden sind.»

«Ich habe euch gesagt, dass wir uns sehen würden. Dann hast du, Johannes, ja gar nicht geschlafen.»

«Wenig, Meister; doch immerhin mehr als du, dass ist sicher. Aber das macht nichts.» Das heitere Gesicht des Johannes lächelt, ein wahrer Spiegel seines glücklichen, mit allem zufriedenen Charakters.

«Nun gut, mein Bruder. Du wolltest mich sprechen?» sagt Jesus zu Joseph.

«Ja... Komm ein wenig in diesen Weinberg hinein. Da werden wir ungestörter sein», sagt Joseph des Alphäus und begibt sich als erster zwischen zwei Reihen von Weinstöcken, deren Trauben schon geerntet sind. Nur einige Reste sind noch an den Reben geblieben, zwischen den bereits gelben Blättern, die bald abfallen werden. Diese Früchte sind entsprechend der Vorschrift des mosaischen Gesetzes für die Armen und Vorübergehenden bestimmt.

Jesus folgt ihm mit Simon. Johannes bleibt auf dem Weg zurück, aber Jesus ruft ihn: «Du kannst kommen, Johannes. Du bist mein Zeuge.»

«Aber...» sagt der Apostel und schaut verlegen auf die beiden Söhne des Alphäus.

«Nein, nein, komm nur. Wir wollen sogar, dass auch du unsere Worte hörst», sagt Joseph. So begibt sich auch Johannes in den Weinberg, in den sie alle so weit hineingehen, dass man sie von der Straße aus durch die in einer leichten Biegung verlaufenden Reihen nicht mehr sieht.

«Jesus, ich habe mich gefreut zu sehen, dass du mich liebst», sagt Joseph.

«Konntest du daran zweifeln? Habe ich dich nicht immer geliebt?»

«Auch ich habe dich immer geliebt, aber... in unserer Liebe haben wir uns seit einiger Zeit nicht mehr verstanden. Ich konnte nicht billigen, was du tust, denn es schien mir, dass du damit dich, deine Mutter und uns ins Verderben ziehen würdest. Du weißt, wir alten Galiläer erinnern uns alle daran, wie es Judas dem Galiläer erging und wie seine Verwandten und Anhänger vertrieben und ihre Güter beschlagnahmt wurden. Wer nicht getötet wurde, wurde auf die Galeeren geschickt, und seine Güter wurden beschlagnahmt. Ich wollte nicht, dass wir das erleben müssen, denn... Ja, ich glaubte, es könnte nicht wahr sein, dass gerade aus uns, aus dem Stamme Davids, ja, aber so... Das Brot fehlt uns nicht, dass nicht, und der Allerhöchste sei dafür gepriesen. Aber wo ist der königliche Glanz, den alle Prophezeiungen dem zuschreiben, der der Messias sein wird? Und bist du der Stab, der schlägt, um zu herrschen? Du warst kein Licht bei deinem Erscheinen. Du kamst nicht einmal in deinem eigenen Haus zur Welt! Ja, ich kenne sie gut, die Prophezeiungen! Wir sind nun trockenes E

Aber nichts wies darauf hin, dass der Herr es mit Blättern schmücken würde. Und was bist du mehr als ein Gerechter?

Dies waren meine Gedanken, und ich bekämpfte dich aus Furcht vor unserem Ruin. Und diese meine Sorge nützten die Versucher aus und bestärkten noch meine Ansichten über Größe und Herrlichkeit des Königtums... Jesus, dein Bruder war töricht. Ich habe ihnen geglaubt und dir mißfallen. Es ist hart, dass zu bekennen, aber ich muss es sagen. Bedenke, dass ganz Israel in mir war; ganz Israel, töricht wie ich und überzeugt wie ich, dass die Gestalt des Messias nicht so ist, wie du sie darstellst... Es ist schwer zu sagen: „Ich habe gefehlt, wir haben gefehlt und seit Jahrhunderten fehlen wir.“ Aber deine Mutter hat mir die Worte der Propheten erklärt.

O ja! Jakobus hat recht, und auch Judas hat recht. Wenn man deine Mutter hört, wie sie sie als Kinder gehört haben, dann erkennt man, dass du der Messias bist. Sieh, meine Haare werden weiß, weil ich kein Kind mehr bin, und ich war es nicht einmal mehr, als Maria aus dem Tempel als Josephs Braut zurückkehrte. Ich erinnere mich jener Tage und der verwunderten Mißbilligung meines Vaters, als er sah, dass sein Bruder die Ehe nicht innerhalb kurzer Zeit vollzog. Das verwunderte ihn und ganz Nazareth. Man flüsterte, denn es ist nicht Brauch, so viele Monate vor der Heirat vorübergehen zu lassen, da man sich der Gefahr zu sündigen aussetzt und... Jesus, ich achte Maria und ehre das Andenken meines Verwandten. Aber die Welt... Für die Welt war es keine gute Zeit... Du... Oh! Jetzt weiß ich Bescheid. Deine Mutter hat mir die Prophezeiungen erklärt. Gott wollte die Verzögerung der Heirat, weil deine Geburt mit dem großen Edikt zusammenfallen und du in Bethlehem in Judäa geboren werden solltest. Und... Ja, alles hat mir Maria erklärt, und es war mir, als ob ein Licht in mir das beleuchtete, was sie aus Demut verschwiegen hatte. Und ich sage: Du bist der Messias. So habe ich gesagt und so werde ich immer sagen. Aber dies zu sagen bedeutete noch kein Umdenken... denn in Gedanken stellte ich mir den Messias immer noch als König vor. Die Prophezeiungen sprechen... und es ist schwierig, aus ihnen herauszulesen, dass der Messias etwas anderes ist als ein König... Folgst du mir? Bist du müde?»

«Nein, ich höre zu.»

«Nun gut. Die, die einst mein Herz verführten, sind zurückgekehrt und wollten, dass ich dich zwinge... Und als ich nicht einwilligte, fielen ihre Masken, und sie zeigten sich als das, was sie wirklich sind: falsche Freunde, wahre Feinde... Und andere sind gekommen, und sie weinten wie Sünder, und ich habe sie angehört. Sie haben deine Worte im Haus des Chuza wiederholt ... Jetzt weiß ich, dass du über die Seelen herrschen wirst, d.h., du wirst der sein, in dem sich alle Weisheit Israels vereint, um neue, weltumfassende Gesetze zu geben. In dir ist die Weisheit der Patriarchen, der Richter und der Propheten und die unserer Ahnen David und Salomon. In dir ist die Weisheit, welche die Könige Nehemias und Esdras leitete, und die, die über die Makkabäer herrschte. Alle Weisheit eines Volkes, unseres Volkes, des Volkes Gottes, ist in dir. Ich verstehe, dass du der Welt, wenn sie ganz deiner Macht untersteht, deine weisesten Gesetze geben wirst. Und wahrhaft ein Volk von Heiligen wird dein Volk sein. Doch, mein Bruder, du kannst das nicht allein tun. Moses erwählte sich Helfer für eine viel geringere Mission. Damals war es nur ein Volk. Du... Die ganze Welt. Alles zu deinen Füßen! ... Ah! Aber um das zu tun, musst du dafür sorgen, dass du bekannt wirst ... Warum lächelst du und schließt du die Augen?»

«Weil ich dir zuhöre und mir sage: „Mein Bruder vergißt, dass er mich getadelt hat, weil ich bekannt werden wollte, und dass er gesagt hat, ich hätte damit der ganzen Familie geschadet.“ Deshalb lächle ich. Und ich denke auch, dass ich seit zweieinhalb Jahren wirklich alles tue, damit man mich kennenlernt.»

«Das ist wahr. Aber... wer kennt dich denn? Arme Leute, Bauern, Fischer, Sünder und Frauen. Die Finger einer Hand reichen aus, um die zu zählen unter denen, die dich kennen, die kein wertloser Niemand sind. Ich will sagen, du solltest sehen, dass du bei den Großen Israels bekannt wirst, bei den Priestern und Hohenpriestern, bei den Ältesten und Schriftgelehrten, bei den großen Rabbis von Israel, bei all denen, die zwar klein an der Zahl sind, aber mehr gelten als das ganze einfache Volk. Diese müssen dich kennenlernen, diese, die dich nicht lieben. Ihre Anklagen, dass verstehe ich jetzt, sind falsch, aber eine ist gerechtfertigt, und zwar die, dass du sie vernachlässigst. Warum gehst du nicht unter diese Leute als der, der du bist, und eroberst sie durch deine Weisheit? Geh zum Tempel hinauf und in den Vorhof des Salomon – du bist aus dem Stamm Davids und Prophet zugleich, und es steht dir zu; niemandem wie dir steht dieses Recht zu – und sprich.»

«Ich habe schon dort gesprochen, und gerade deswegen haben sie mich gehaßt.»

«Bestehe auf deinem Recht und sprich als König. Erinnerst du dich nicht der Macht und Majestät der Taten Salomons? Wenn (herrlich, dieses „Wenn“!) du wirklich der von den Propheten Verheißene bist, so wie ihn uns die mit den Augen des Geistes gelesenen Prophezeiungen beschreiben, dann bist du mehr als nur ein Mensch. Er, Salomon, war nur ein Mensch. Darum zeige dich als das, was du bist, und sie werden dir huldigen.»

«Werden sie mir huldigen, die Judäer, die Fürsten und die Häupter der Familien und der Stämme Israels? Nicht alle, aber der eine oder andere, der mir nicht huldigt, wird mich doch im Geist und in der Wahrheit anbeten. Aber das wird nicht jetzt geschehen. Erst muss ich die Krone tragen, dass Szepter ergreifen und mich in Purpur kleiden.»

«Ah! Also bist du der König, du wirst es bald sein! Du sagst es selbst! Wie ich es mir gedacht habe! Und wie viele es sich denken!»

«Wahrlich, du weißt nicht, wie ich herrschen werde. Nur ich und der Allerhöchste und einige Seelen, denen es dem Geist Gottes, jetzt und in vergangenen Zeiten, gefallen hat, es zu enthüllen, wissen, wie der König Israels, der Gesalbte des Herrn, regieren wird.»

«Höre aber auch mich, Bruder. Joseph hat recht. Wie sollen sie dich lieben oder fürchten, wenn du es immer vermeidest, sie zu beeindrucken? Du willst Israel nicht zu den Waffen rufen? Du willst den alten Schlacht und Siegesruf nicht wiederholen? Es wäre nicht das erste Mal, dass dann einer unter dem Beifall des Volkes auf den Thron gehoben wird. Aber laß dich wenigstens durch das von deiner Macht als Meister und Prophet herrührende Hosanna des Volkes zum König erheben», sagt Simon des Alphäus.

«Ich bin es schon. Seit ewig.»

«Ja, dass hat uns schon ein Tempelvorsteher gesagt. Du bist als König der Juden zur Welt gekommen. Aber du liebst Judäa nicht. Du bist ein fahnenflüchtiger König, weil du nie nach Judäa kommst. Du bist kein heiliger König, wenn du den Tempel nicht liebst, wo der Wille eines Volkes dich zum König salben wird. Ohne den Willen des Volkes wirst du nicht herrschen können, es sei denn, dass du es mit Gewalt unterjochst», entgegnet Simon.

«Ohne den Willen Gottes, willst du wohl sagen, Simon. Was ist der Wille des Volkes? Was ist das Volk? Durch wen ist es Volk? Wer erhält es als solches? Gott. Das darfst du nicht vergessen, Simon. Und ich werde sein, was Gott will. Durch seinen Willen werde ich sein, was ich sein muss, und nichts wird verhindern können, dass ich es sei. Nicht ich muss zur Versammlung aufrufen. Ganz Israel wird bei meinem Aufruf zugegen sein. Ich brauche nicht zum Tempel hinaufzugehen, um Beifall zu ernten. Man wird mich dorthin bringen. Ein ganzes Volk wird mich dorthin bringen, auf dass ich meinen Thron besteige. Ihr klagt mich an, dass ich Judäa nicht liebe... Im Herzen Judäas, in Jerusalem, werde ich der „König der Juden“ sein. Weder Saul noch David noch Salomon wurden in Jerusalem zum König ausgerufen; ich aber werde in Jerusalem gesalbt werden. Doch jetzt werde ich nicht öffentlich zum Tempel gehen und werde meinen Platz dort nicht einnehmen, da meine Stunde noch nicht gekommen ist.»

Nun ergreift Joseph wieder das Wort: «Du läßt deine Stunde vorübergehen. Ich sage es dir! Das Volk ist seiner fremden Unterdrücker und seiner Führer müde. Dies ist die Stunde, ich sage es dir. Ganz Palästina, abgesehen von einem Teil Judäas, folgt dir als Rabbi und noch mehr. Du bist wie ein Banner auf einer Anhöhe. Alle schauen auf dich. Du bist wie ein Adler, und alle folgen deinem Flug. Du bist wie ein Rächer, und alle warten darauf, dass du den Pfeil abschießt. Geh, verlaß Galiläa, die Dekapolis, Peräa und die anderen Gegenden und geh ins Herz Israels, in die Zitadelle, in der sich alles Böse verbirgt und aus der alles Gute kommen muss, und erobere sie. Auch dort hast du Jünger, aber sie sind lau, weil sie dich nur wenig kennen... und wenige sind es, weil du dich dort nicht aufhältst;

und voller Zweifel sind sie, weil du dort nicht die Werke vollbracht hast, die du an anderen Orten getan hast. Geh nach Judäa, damit auch sie an deinen Werken erkennen, wer du bist. Du wirfst den Juden vor, dass sie

dich nicht lieben, aber wie kannst du verlangen, von ihnen geliebt zu werden, wenn du ihnen verborgen bleibst? Niemand, der den Beifall der Öffentlichkeit sucht und möchte, tut seine Werke im Verborgenen, sondern er vollbringt sie so, dass das Volk es sieht. Wenn du nun Wunder in den Herzen, an den Leibern und an den Elementen wirken kannst, dann geh dorthin und gib dich der Welt zu erkennen.»

«Ich habe es euch gesagt: es ist nicht meine Stunde. Meine Zeit ist noch nicht gekommen. Euch scheint es immer an der Zeit zu sein, doch es ist nicht so. Ich muss zu meiner Stunde wirken, nicht vorher und nicht nachher. Vorher wäre es unnütz. Ich würde in der Welt und den Herzen vernichtet, bevor ich mein Werk vollendet hätte. Die bereits getane Arbeit würde keine Früchte hervorbringen, weil sie noch nicht vollendet ist und der Hilfe Gottes entbehrt; denn Gott will, dass ich sie vollende, ohne ein Wort oder ein Werk zu unterlassen. Ich muss meinem Vater gehorchen. Und ich werde nie tun, was ihr erhofft, denn dies würde dazu dienen, dem Plan meines Vaters zu schaden.

Ich verstehe euch und habe Mitleid mit euch. Ich hege keinen Groll gegen euch, eurer Blindheit bin ich nicht einmal müde oder überdrüssig... Ihr wißt nicht. Aber ich weiß. Ihr wißt nicht, denn ihr seht nur die Oberfläche des Angesichts der Erde. Ich aber sehe in die Tiefe. Die Welt zeigt sich euch noch von ihrer guten Seite. Sie haßt euch nicht, nicht weil sie

euch etwa lieben würde, sondern weil ihr ihren Haß nicht verdient. Ihr seid zu unbedeutend. Aber mich haßt sie, weil ich eine Gefahr für die Welt darstelle, eine Gefahr für die Falschheit, die Begierlichkeit und Gewalttätigkeit, die die Welt beherrschen.

Ich bin das Licht, und das Licht leuchtet. Die Welt liebt das Licht nicht, da es die Handlungen der Welt enthüllt. Die Welt liebt mich nicht und kann mich auch nicht lieben, da sie weiß, dass ich gekommen bin, um sie

zu besiegen in den Herzen der Menschen und im König der Finsternis, der sie beherrscht und irreführt. Die Welt will sich nicht überzeugen lassen, dass ich ihr Arzt und ihre Medizin bin, und wie eine Wahnsinnige will sie mich zerschmettern, um nicht geheilt zu werden. Sie will sich auch nicht überzeugen lassen, dass ich der Meister bin, weil das, was ich sage, im

Gegensatz zu dem steht, was sie behauptet. Und so versucht sie die Stimme zu ersticken, die zur Welt spricht, um sie in den Dingen Gottes zu belehren; um ihr die wahre Natur ihrer niederträchtigen Handlungen zu enthüllen.

Zwischen mir und der Welt besteht ein Abgrund. Und dies ist nicht meine Schuld. Ich bin gekommen, um der Welt das Licht, den Weg, die Wahrheit und das Leben zu geben. Aber die Welt will mich nicht annehmen, und mein Licht wird für sie zur Finsternis; denn es wird die Ursache der Verdammung jener sein, die mich nicht gewollt haben. In Christus ist alles Licht für diejenigen unter den Menschen, die ihn aufnehmen wollen; aber in Christus ist auch alle Finsternis für die, die mich hassen und mich zurückweisen. Daher hat man zu Beginn meiner irdischen Tage mit prophetischen Worten auf mich gewiesen als auf ein „Zeichen des Widerspruchs“. Denn je nachdem, wie man mich aufnimmt, wird der Welt Heil oder Verwerfung, Leben oder Tod, Licht oder Finsternis zuteil.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, die mich aufnehmen, werden Kinder des Lichtes, also Kinder Gottes sein, für Gott geboren, da sie Gott aufgenommen haben. Wenn ich also gekommen bin, um aus den Menschen Kinder Gottes zu machen, wie kann ich dann aus mir einen König machen, wie ihn viele von euch in Israel aus Liebe oder Haß, aus Einfalt oder Bosheit haben wollen? Ihr begreift nicht, dass ich dadurch mich selbst zerstören würde, mein wahres Wesen, den Messias, nicht etwa den Jesus Marias und Josephs von Nazareth. Ich würde den König der Könige vernichten, den Erlöser, den aus einer Jungfrau Geborenen und Emmanuel genannten, der auch genannt wird: Wunderbarer, Ratgeber, Starker, Vater der zukünftigen Zeiten, Friedensfürst, Gott, den, dessen Reich und dessen Friede kein Ende haben werden; der durch seine menschliche Abstammung auf dem Thron Davids sitzt, der aber die Welt als Schemel seiner Füße hat, als Schemel seiner Füße auch alle seine Feinde, und der zur Rechten des Vaters sitzt, wie es im Buch der Psalmen heißt, und dies durch übermenschliches Anrecht göttlichen Ursprungs. Versteht ihr nicht, dass Gott nur durch die Vollkommenheit seiner Güte, und um den Menschen zu retten, Mensch sein kann, sich aber selbst nicht zu armen menschlichen Dingen erniedrigen kann und darf? Versteht ihr nicht, dass ich, wenn ich die Krone und dieses Reich, wie ihr es euch vorstellt, annehmen würde, dadurch bekennen würde, dass ich ein falscher Christus bin? Ich würde Gott belügen, mich selbst und den Vater verleugnen, und schlimmer als Luzifer wäre ich, denn ich würde Gott der Freude berauben, euch zu gewinnen. Ich wäre schlimmer als Kain für euch, denn ich würde euch zu einer ewigen Verbannung von Gott, zu einem Limbus ohne Hoffnung auf das Paradies verurteilen.

All das versteht ihr nicht? Versteht ihr nicht die Schlingen der Menschen, die mich zu Fall bringen wollen? Die Schlingen Satans, der den

Ewigen in seinem Geliebten und in seinen Geschöpfen, den Menschen, treffen will? Begreift ihr nicht, dass dies das Zeichen ist, dass ich mehr bin als nur ein Mensch, dass ich der Gottmensch bin? Dieses mein ausschließliches Verlangen nach geistigen Dingen, um euch das geistige Reich Gottes zu bringen? ... Versteht ihr nicht, dass das Zeichen, dass ich...»

«Die Worte des Gamaliel!» ruft Simon aus.

«... dass ich nicht ein König, sondern der König bin, der Haß der ganzen Hölle und der ganzen Welt auf mich ist? Ich muss belehren, leiden und euch retten. Das muss ich, und das will Satan und wollen die Satane nicht. Einer von euch hat gesagt: „Die Worte des Gamaliel!“ Seht, er ist nicht mein Jünger, und er wird es nie sein, solange ich auf Erden weile; aber er ist ein Gerechter. Nun sagt mir: Ist unter denen, die mich und euch mit dem armen irdischen Reich versuchen, etwa auch Gamaliel?»

«O nein! Stephanus hat gesagt, dass der Rabbi, als er hörte, was im Haus des Chuza geschehen ist, ausgerufen hat: „Mein Geist erschrickt bei der Frage, ob er wahrhaft sein kann, was er sagt. Aber jede Frage wäre erstorben, noch bevor sie im Geist entstanden ist, und für immer, wenn er diesen Dingen zugestimmt hätte. Der Knabe, den ich gehört habe, hat gesagt, dass die Sklaverei wie auch das Königtum nicht irdischer Art sein werden, wie wir glauben, da wir die Propheten falsch auslegen, sondern dass sie geistig zu verstehen seien durch das Werk des Christus, des Erlösers von der Schuld und des Gründers des Reiches Gottes in den Seelen. Ich erinnere mich dieser Worte und beurteile den Rabbi nach ihnen. Wenn er diesem hohen Maßstab nicht gerecht würde, würde ich ihn als Sünder und Lügner von mir weisen; und ich habe gezittert bei dem Gedanken, dass die Hoffnung, die dieser Knabe in mir erweckt hat, sich in Nichts auflösen könnte“», sagt Simon.

«Ja, aber dennoch nennt er ihn nicht den Messias», entgegnet Joseph.

«Er sagt, dass er auf ein Zeichen wartet», antwortet Simon.

«Gib es ihm also! Und ein mächtiges.»

«Ich werde ihm geben, was ich ihm versprochen habe, aber nicht jetzt. Geht nun inzwischen zum Fest. Ich werde mich nicht öffentlich als Rabbi und Prophet zeigen, um mich durchzusetzen, denn meine Zeit ist noch nicht gekommen.»

«Aber du wirst doch wenigstens nach Judäa gehen? Wirst du den Juden Beweise geben, die sie überzeugen, so dass sie nicht mehr sagen können...»

«Ja; aber glaubst du, dass dies meinem Frieden zuträglich sein würde? Bruder, je mehr ich tue, desto mehr werde ich gehaßt werden. Aber ich werde dich zufriedenstellen. Ich werde ihnen Beweise geben, wie sie größer nicht sein könnten... und werde ihnen Worte sagen, die Wölfe in Lämmer und harte Felsen in weiches Wachs verwandeln könnten. Aber es wird ihnen nicht helfen...» Jesus ist traurig.

«Habe ich dir weh getan? Ich habe es zu deinem Wohl gesagt.»

«Du hast mir nicht weh getan... Doch möchte ich, dass du mich verstehst, dass du, mein Bruder, mich als den siehst, der ich bin... Ich möchte mich auf den Weg machen mit der Freude der gewissheit, dich zum Freund zu haben. Ein Freund versteht und hütet die Interessen des Freundes...»

«Und ich sage dir, dass ich es tun werde. Ich weiß, dass sie dich hassen, ich weiß es nun, und deswegen bin ich gekommen. Doch du weißt das. Ich werde über dich wachen, denn ich bin der Ältere. Ich werde die Verleumdungen zurückweisen... Ich werde an deine Mutter denken», verspricht Joseph.

«Danke, Joseph. Schwer ist meine Last, und du erleichterst sie mir. Ein Meer des Schmerzes rückt heran, mich mit seinen Wogen zu verschlingen, und mit ihm der Haß... Aber wenn ich eure Liebe habe, bedeuten sie nichts; denn der Menschensohn hat ein Herz... und dieses Herz braucht Liebe ...»

«Und ich gebe sie dir, ja, ich verspreche es unter den Augen Gottes, der mich sieht, dass meine Liebe dir gehört. Gehe nun in Frieden an dein Werk, Jesus. Ich werde dir beistehen. Wir hatten uns gern, doch dann... Aber jetzt werden wir wieder die sein, die wir einst waren, einer für den anderen. Du, der Heiland, und ich, der Mensch; aber vereint zur Ehre Gottes. Leb wohl, Bruder.»

«Leb wohl, Joseph.»

Sie küssen sich, und dann ist die Reihe an Simon, der bittet: «Segne uns, auf dass sich unsere Herzen ganz dem Lichte öffnen.»

Jesus segnet sie, und bevor er sie verläßt, fügt er an: «Ich vertraue euch meine Mutter an...»

«Geh in Frieden. Sie wird in uns zwei Söhne haben.»

Sie trennen sich.

Jesus kehrt mit Johannes an seiner Seite zur Straße zurück, auf der sie eiligen Schrittes voranschreiten.

Nach einiger Zeit bricht Johannes das Schweigen um zu fragen: «Aber ist Joseph des Alphäus jetzt überzeugt oder nicht?»

«Noch nicht.»

«Was bist du dann für ihn? Der Messias? Mensch? König? Gott? Ich habe nicht recht verstanden. Mir scheint, dass er ...»

«Joseph befindet sich wie in einem Traum am frühen Morgen, wenn der Geist sich bereits der Wirklichkeit nähert und aus dem tiefen Schlaf auftaucht, der bisweilen unwirkliche Alpträume verursacht. Die Trugbilder der Nacht weichen, doch der Geist wiegt sich noch im Traum und will dessen Ende nicht, weil er schön ist... Genauso ist es bei ihm ... Das Erwachen naht. Aber immer noch liebäugelt er mit dem Traum und will ihn kaum lassen, denn für ihn ist er schön... Aber man muss nehmen können, was der Mensch geben kann. Und man muss den Allerhöchsten preisen für die bisher erfolgte Veränderung. Selig die Kinder! Für sie ist es so leicht zu glauben!» Jesus schlingt den Arm um die Taille des Johannes, der es versteht, Kind zu sein und zu glauben, um ihn seine Liebe fühlen zu lassen.

IM TEMPEL; «KENNT IHR MICH UND WISST IHR, WOHER ICH BIN?»

Im Tempel ist noch mehr Volk versammelt als am Tag zuvor. Unter denen, die den ersten Vorhof füllen und beleben, sehe ich viele Heiden, viel mehr als gestern. Alle sind in lebhafter Erwartung, sowohl die Israeliten als auch die Heiden. Heiden mit Heiden und Juden mit Juden, in Grüppchen hier und dort, sprechen miteinander, ohne jemals die Tore aus den Augen zu lassen.

Die Gesetzeslehrer in den Säulengängen erheben ihre Stimmen, um sich bemerkbar zu machen und mit ihrer Beredsamkeit zu prahlen. Aber das Volk achtet nicht auf sie, und sie sprechen nur vor wenigen Schülern. Gamaliel ist auch da, an seinem Platz. Aber er redet nicht. Er geht auf seinem prächtigen Teppich mit verschränkten Armen hin und her, dass Haupt geneigt, in Betrachtung versunken. Das lange Gewand und der noch längere Mantel, den er lose umgehängt hat und der nur von zwei silbernen Schnallen auf den Schultern gehalten wird, bilden eine Schleppe, die er, wenn er sich umdreht, mit dem Fuße zurückstößt. Seine Schüler, die treuesten, lehnen an der Mauer, sehen ihn, schweigend, fast ängstlich, an und achten die Betrachtung ihres Meisters.

Pharisäer und Priester zeigen sich sehr geschäftig und kommen und gehen... Das Volk, dass ihre wahren Absichten versteht, zeigt mit Fingern auf sie. Scharfe Bemerkungen brandmarken ihre Heuchelei. Aber sie tun, als ob sie nichts hörten. Sie sind wenige im Vergleich zu den vielen, die nicht Jesus, sondern sie selbst hassen. Daher halten sie es für klug, sich still zu verhalten.

«Seht, da kommt er! Er kommt heute vom Goldenen Tor.»

«Laufen wir.»

«Ich bleibe hier. Er wird hierher kommen, um zu reden. Ich will meinen Platz nicht verlieren.»

«Ich auch nicht. Und die, die fortgehen, machen Platz für uns, die wir bleiben.»

«Aber werden sie ihn sprechen lassen?»

«Wenn sie ihn haben hereinkommen lassen...»

«Ja, aber das ist etwas anderes. Da er ein Sohn des Gesetzes ist, können sie ihm den Eintritt nicht verwehren. Doch als Rabbi können sie ihn vertreiben, wenn sie wollen.»

«Welche Unterscheidungen! Wenn sie ihn mit Gott sprechen lassen, warum sollen sie ihn dann nicht zu den Menschen sprechen lassen?» Es ist ein Heide, der das sagt.

«Das ist wahr», sagt ein anderer Heide. «Da wir unrein sind, laßt ihr uns nicht weiter hineingehen, aber bis hierher doch, in der Hoffnung, dass wir uns beschneiden lassen.»

«Schweige, Quintus. Das ist der Grund, warum er zu uns sprechen darf. Sie hoffen, uns zu beschneiden, als wären wir Bäume. Wir aber kommen, um seine Ideen wie Pfropfreiser auf uns Wildlinge zu setzen.»

«Das hast du gut gesagt. Er ist der einzige, der uns nicht verachtet.»

«Oh, was das betrifft... Wenn man mit einem Geldbeutel einkaufen geht, dann verachten uns nicht einmal die anderen.»

«Schau, wir Heiden sind doch die Herren des Ortes geblieben. Wir werden gut hören und noch besser sehen. Es gefällt mir, die Gesichter seiner Feinde zu beobachten. Beim Jupiter! Eine Schlacht der Gesichter ...»

«Schweig! Laß nicht den Namen Jupiter hören. Das ist hier verboten!»

«Oh, zwischen Jupiter und Jahwe besteht nur ein kleiner Unterschied, und Götter werden sich doch nicht gegenseitig kränken... Ich bin gekommen mit dem aufrichtigen Wunsch zuzuhören. Nicht um zu spotten. Man spricht überall so viel von diesem Nazarener! Da habe ich mir gesagt: Es

ist gutes Wetter, und ich will gehen und ihn einmal hören. Es gibt Leute, die noch viel weiter gehen, um ein Orakel aufzusuchen ...»

«Woher kommst du denn?»

«Von Perge. Und du?»

«Von Tarsus.»

«Ich bin fast ein Hebräer. Mein Vater war ein Hellenist aus Iconium, aber er heiratete in Antiochia in Cilicien eine Römerin. Dann starb er, bevor ich geboren wurde. Aber der Same ist hebräisch.»

«Warum ist er noch nicht da? ... Ob sie ihn womöglich festgenommen haben?»

«Fürchte das nicht. Das Geschrei des Volkes würde es uns sogleich ankündigen. Diese Hebräer schreien wie aufgeregte Elstern, immer...»

«Oh, schau! Da ist er. Wird er wohl hierher kommen?»

«Siehst du nicht, dass sie absichtlich alle Plätze besetzt halten, mit Ausnahme dieser Ecke? Hörst du, wie viele Frösche quaken, um sich als Meister aufzuspielen.»

«Der dort schweigt. Ist es wahr, dass er der größte Lehrer Israels ist?»

«Ja, aber... welch ein Pedant! Ich habe ihm einmal zugehört, und um seine Wissenschaft zu verdauen, habe ich viele Becher Falerner bei Titus in Bezetha trinken müssen.» Sie lachen alle beide.

Jesus nähert sich langsam. Er geht an Gamaliel vorbei, der nicht einmal den Kopf erhebt, und gelangt dann an seinen Platz von gestern.

Das Volk, Mischung aus Israeliten, Proselyten und Heiden, bemerkt, dass er zu reden beginnt und flüstert: «Siehst du, er spricht öffentlich, und sie sagen ihm nichts.»

«Vielleicht haben die Fürsten und Häupter in ihm den Christus erkannt. Gestern hat Gamaliel, nachdem der Galiläer fortgegangen war, viel mit den Ältesten gesprochen.»

«Unmöglich. Wie hätten sie ihn so plötzlich anerkennen können, wenn sie ihn kurz zuvor zum Tode verurteilen wollten?»

«Vielleicht konnte Gamaliel Beweise erbringen...»

«Welche Beweise denn? Welche Beweise sollte er zugunsten dieses Menschen erbringen können?» braust einer auf.

«Ruhig, du Schakal. Du bist ja bloß der letzte der Schreiber. Wer hat dich denn gefragt?» Und sie halten ihn zum Besten. Er entfernt sich.

Aber es treten andere an seine Stelle, die zwar nicht vom Tempel, aber sicher ungläubige Juden sind: «Die Beweise haben wir. Wir wissen, woher dieser stammt. Aber von Christus, wenn er kommt, wird niemand wissen, woher er stammt. Dieser hier ist der Sohn eines Zimmermanns aus Nazareth, und der ganze Ort kann Zeugnis ablegen gegen uns, wenn wir lügen...»

Nun hört man die Stimme eines Heiden, der sagt: «Meister, sprich heute ein wenig für uns. Man hat uns gesagt, dass du versicherst, alle Menschen kämen von einem Gott, dem deinen. Deshalb nennst du sie auch Kinder des Vaters. Ähnliche Ideen hatten auch unsere stoischen Dichter. Sie haben gesagt, dass wir Nachkommen Gottes sind. Deine Landsleute halten uns für unreiner als Tiere. Wie versöhnst du die beiden Anschauungen?»

Die Frage ist so gestellt, wie man es bei philosophischen Auseinandersetzungen zu tun pflegt, glaube ich. Jesus will gerade antworten, als der Streit zwischen den ungläubigen und den gläubigen Juden heftiger und lauter wird und eine gellende Stimme wiederholt: «Er ist ein einfacher Mensch. Christus wird nicht so sein wie er. Alles an ihm wird außergewöhnlich sein, Gestalt, Natur, Ursprung...»

Jesus wendet sich in die Richtung, aus der die Stimme kommt, und sagt laut: «Ihr kennt mich also und wißt, woher ich bin? Seid ihr dessen wirklich sicher? Und das Wenige, dass ihr wißt, sagt es euch nichts? Ist es für euch keine Bestätigung der Prophezeiungen? Aber ihr wißt nicht alles über mich. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich bin nicht aus eigenem Antrieb gekommen und nicht von dort, woher ihr glaubt. Die Wahrheit selbst, die ihr nicht kennt, ist es, die mich gesandt hat.»

Ein Schrei des Unwillens erhebt sich unter den Feinden.

«Die Wahrheit selbst ist es. Ihr kennt nicht ihre Werke. Ihr kennt nicht ihre Wege; die Wege, auf denen ich gekommen bin. Der Haß kann die Wege und die Werke der Liebe nicht erkennen. Die Finsternis kann den Anblick des Lichts nicht ertragen. Aber ich kenne den, der mich gesandt hat, denn ich bin sein, ein Teil von ihm und ein Ganzes mit ihm. Und er hat mich gesandt, damit ich erfülle, was sein Gedanke will.»

Es entsteht ein Tumult. Die Feinde stürzen sich auf ihn, um Hand an ihn zu legen, ihn gefangenzunehmen und zu schlagen. Apostel, Jünger, Volk, Heiden und Proselyten widersetzen sich ihnen, um Jesus zu verteidigen. Andere kommen den ersteren zu Hilfe und vielleicht würden sie die Oberhand gewinnen; doch Gamaliel, der bis zu diesem Augenblick scheinbar auf nichts geachtet hat, verläßt seinen Teppich und geht auf Jesus zu, wird zurückgestoßen von denen, die Jesus unter dem Säulengang verteidigen wollen, und ruft: «Laßt ihn in Ruhe. Ich will hören, was er sagt.»

Mehr als der Trupp der Legionäre, die von der Burg Antonia herbeieilen, um den Tumult zu beruhigen, bewirkt die Stimme des Gamaliel. Der Tumult legt sich wie ein Wirbelsturm, der sich auflöst, und das Geschrei verwandelt sich in ein Gemurmel. Die Legionäre bleiben an der äußeren Mauer stehen, um die Situation zu überwachen, obwohl sie jetzt nicht mehr gebraucht werden.

«Sprich», gebietet Gamaliel Jesus. «Antworte denen, die dich anklagen.» Sein Ton ist gebieterisch, aber nicht verächtlich.

Jesus tritt vor in den Hof. Ruhig beginnt er wieder zu reden. Gamaliel bleibt, wo er ist, und seine Schüler bringen ihm eilig Teppich und Schemel herbei, damit er es bequem habe. Er aber bleibt mit verschränkten Armen stehen, dass Haupt geneigt und die Augen geschlossen, um gesammelt zuzuhören.

«Ihr habt mich ohne Grund angeklagt, als hätte ich Gott gelästert, anstatt die Wahrheit zu sagen. Ich rede nun, nicht um mich zu verteidigen, sondern um euch das Licht zu bringen, auf dass ihr die Wahrheit erkennen mögt. Ich rede nicht für mich selbst, sondern ich erinnere euch an die Worte, an die ihr glaubt und auf die ihr schwört. Sie sprechen von mir. Ihr, ich weiß es, seht in mir nur einen Menschen, euch ähnlich, aber geringer als ihr. Es erscheint euch auch unmöglich, dass ein Mensch der Messias sein kann. Ihr stellt euch vor, dass er zumindest ein Engel sein müßte, dieser Messias; dass er einen so geheimnisvollen Ursprung haben müßte, dass er schon allein durch die Autorität, die ihm das Geheimnis seines Ursprungs verleiht, König sein könnte. Aber wo steht in der Geschichte unseres Volkes, in den Büchern, die diese Geschichte enthalten und die ewige Bücher sein werden, solange die Welt besteht – denn Gelehrte aller Länder und aller Zeiten werden sie heranziehen, um ihre Wissenschaft und ihre Forschungen über die Vergangenheit vom Licht der Wahrheit bestätigen zu lassen – wo steht in diesen Büchern geschrieben, dass Gott zu einem seiner Engel gesprochen hat: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“?»

Ich sehe, dass Gamaliel sich eine Tafel und Pergamentblätter bringen läßt und sich niedersetzt, um zu schreiben.

«Die Engel, geistige Geschöpfe, Diener und Boten des Allerhöchsten, sind von ihm geschaffen worden, ebenso wie der Mensch, die Tiere und die ganze Schöpfung. Aber er hat sie nicht gezeugt; denn Gott zeugt nur sein anderes Selbst, da der Vollkommene nur etwas Vollkommenes zeugen kann, ein anderes Sein, dass ihm gleich ist, um nicht seine Vollkommenheit zu vermindern durch die Zeugung eines Geschöpfes, dass geringer ist als er.

Wenn daher Gott die Engel nicht zeugen und auch nicht zur Würde der Kindschaft erheben kann, was wird dann der Sohn sein, zu dem er sagt: „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.“? ... Und welcher Natur wird dieser Sohn sein, wenn Gott, da er ihn zeugt, auf ihn weist und seinen Engeln sagt: „Und es sollen ihn anbeten alle Engel Gottes.“? Und wie wird dieser Sohn sein, dass er es verdient, vom Vater – von dem, durch dessen Gnade allein die Menschen ihn mit sich in Anbetung vernichtendem Herzen nennen dürfen – zu hören: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde als Schemel dir zu Füßen lege.“? Dieser Sohn kann nur allein Gott sein wie der Vater, mit dem er die Eigenschaften und die Macht teilt und sich der Liebe erfreut, die beglückt in der unaussprechlichen und unbegreiflichen Liebe der Vollkommenheit zu sich selbst.

Wenn Gott es aber nicht für angebracht gehalten hat, einen Engel in den Rang eines Sohnes zu erheben, hätte er dann je von einem Menschen sagen können, was er von dem sagte, der hier zu euch spricht – und viele von euch, die ihr mich jetzt bekämpft, waren zugegen, als er es sagte – dort bei der Furt von Bethabara vor zwei Jahren? Ihr habt es gehört und habt gezittert; denn die Stimme Gottes ist unverkennbar, und ohne seine besondere Gnade wird jeder zu Boden geworfen und erschüttert, der sie hört.

Wer ist also der Mensch, der zu euch spricht? Ist er vielleicht, wie ihr alle, aus dem Samen und dem Wollen des Mannes geboren? Hätte der Allerhöchste seinen Geist senden können, damit er ein der Gnade bares Fleisch bewohne, wie das der Menschen, die durch den menschlichen Willen gezeugt wurden? Könnte der Allerhöchste sich mit dem Opfer eines Menschen begnügen als Sühne für die große Schuld? Denkt nach. Er erwählt keinen Engel als Messias und Erlöser; könnte er da einen Menschen erwählen? Könnte der Erlöser nur Sohn des Vaters sein, mit Mitteln und Kräften versehen, die das menschliche Fassungsvermögen übersteigen, ohne aber die menschliche Natur anzunehmen? Könnte der Erstgeborene Gottes Eltern haben, wenn er der ewige Eingeborene des Vaters ist?

Wird euer stolzer Sinn nicht erschüttert von solchen Fragen, die sich zum Reich der Wahrheit erheben und ihm immer näher kommen und die nur in einem demütigen Herzen voll Glauben eine Antwort finden?

Wer soll der Gesalbte sein? Ein Engel? Mehr als ein Engel. Ein Mensch? Mehr als ein Mensch. Ein Gott? Ja, ein Gott. Aber mit einem Fleisch vereint, damit dieses für das schuldbeladene Fleisch Sühne leiste. Der gleiche Stoff, der gesündigt hat, muss auch für alles Sühne leisten. Gott hätte daher einen Engel senden müssen, um die Schuld der gefallenen Engel zu sühnen, um zu sühnen für Luzifer und seinen Anhang unter den Engeln. Denn ihr wißt, auch Luzifer hat gesündigt. Aber Gott schickt keinen Engel, um die Engel der Finsternis zu erlösen. Sie haben den Sohn Gottes nicht angebetet, und Gott verzeiht nicht die Sünde gegen sein Wort, dass aus seiner Liebe gezeugt wird. Gott liebt jedoch den Menschen, und sendet den Menschen, den einzigen vollkommenen Menschen, um die Menschen zu erlösen und ihnen den Frieden mit Gott zu erlangen. Und es ist gerecht, dass nur ein GOTTMENSCH die Erlösung des Menschen vollbringen und Gott besänftigen kann.

Der Vater und der Sohn lieben sich und sind sich einig, und der Vater sprach: „Ich will“, und der Sohn sprach: „Ich will.“ Und dann sprach der Sohn: „Gib mir“ ' und der Vater sprach: „Nimm.“ So hat das Wort ein Fleisch angenommen, dessen Bildung geheimnisvoll ist, und dieses Fleisch heißt Jesus Christus, der Messias. Er ist es, der die Menschen erlösen, sie in das Reich bringen, den Teufel besiegen und die Knechtschaft vernichten soll.

Den Teufel besiegen! Kein Engel vermochte und vermag das je zu vollbringen, was der Menschensohn vermag. Deswegen beruft Gott zu seinem großen Werk nicht die Engel, sondern den Menschen. Seht den Menschen, über dessen Ursprung ihr nachdenkt, im Ungewissen seid, oder den ihr leugnet. Seht den Menschen, der Gott wohlgefällig ist; den Menschen, der alle seine Brüder vertritt; den Menschen, der euch ähnlich und doch verschieden von euch ist und über euch steht durch seine Herkunft; der nicht von einem Menschen, sondern von Gott gezeugt und seinem Dienst geweiht wurde. Er steht vor dem erhabenen Altare, um Priester und Opfer zu sein für die Sünden der Welt, der ewige und höchste Hohepriester, der Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech.

Habt keine Angst! Ich strecke nicht die Hand aus nach dem hohepriesterlichen Diadem. Ein anderer Kranz erwartet mich. Zittert nicht! Ich beraube euch nicht des hohepriesterlichen Brustschildes. Ein anderer ist schon für mich bereit. Zittert einzig darum, dass für euch das Opfer des Menschen und die Barmherzigkeit Christi nicht vergeblich seien. Ich habe euch so sehr geliebt und liebe euch so sehr, dass ich vom Vater erlangt habe, mich selbst zu vernichten. Ich habe euch so sehr geliebt und liebe euch so sehr, dass ich ihn gebeten habe, den ganzen Schmerz der Welt auf mich nehmen zu dürfen, um euch das ewige Heil zu schenken.

Warum wollt ihr mir nicht glauben? Könnt ihr immer noch nicht glauben?

Steht nicht von Christus geschrieben: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech.“? Wann hat das Priestertum seinen Anfang genommen? Etwa zur Zeit Abrahams? Nein, und ihr wißt es. Der König der Gerechtigkeit und des Friedens, der in prophetischer Gestalt in der Morgenröte unseres Volkes erscheint, um mich anzukündigen, weist er euch nicht darauf hin, dass es ein vollkommeneres Priestertum gibt, dass unmittelbar von Gott kommt wie Melchisedech, dessen Ursprung nie jemand zu erforschen vermochte und der genannt wird „der Priester“; und Priester ist er in Ewigkeit? Glaubt ihr nicht mehr an die von Gott eingegebenen Worte? Und wenn ihr an sie glaubt, ihr Schriftgelehrten, wie kommt es, dass ihr keine annehmbare Erklärung geben könnt für die Worte, die sich auf mich beziehen und die da lauten: „Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech.“?

Es gibt also noch ein anderes Priestertum, vor und außer dem des Aaron, und von diesem heißt es: „Du bist“; nicht „Du warst“, und auch nicht: „Du wirst sein.“ Du bist Priester in Ewigkeit. Seht, wie dieser Satz ankündigt, dass der ewige Priester nicht aus dem bekannten Geschlecht Aarons und auch nicht aus einem anderen priesterlichen Geschlecht sein wird. Seine Herkunft wird neu und geheimnisvoll wie die des Melchisedech sein. Das ist seine Herkunft. Wenn die Macht Gottes ihn sendet, so ist dies ein Zeichen dafür, dass sie das Priestertum und den Ritus erneuern will, damit sie der gesamten Menschheit zum Heil werden.

Kennt ihr meine Herkunft? Nein. Kennt ihr meine Werke? Nein. Ahnt ihr ihre Früchte? Nein. Nichts wißt ihr von mir. Ihr seht also, dass ich auch in dieser Hinsicht der Christus bin, dessen Ursprung, Natur und Mission verborgen bleiben müssen, bis es Gott gefällt, sie den Menschen zu offenbaren. Selig, die glauben werden können, die glauben können, bevor die furchtbare Offenbarung Gottes sie mit ihrer Gewalt zu Boden schmettert, fesselt und zermalmt durch den Blitz ihrer mächtigen Wahrheit, die mit Donnergetöse vom Himmel erschallen und von der Erde wiederholt werden wird: „Dieser war der Messias Gottes.“

Ihr sagt: „Er ist von Nazareth. Sein Vater war Joseph. Seine Mutter ist Maria.“ Nein. Ich habe keinen Vater, der mich als Mensch gezeugt hat. Ich habe keine Mutter, die mich als Gott geboren hat, und dennoch habe ich ein Fleisch, dass ich durch das wunderbare Wirken des Geistes angenommen habe. Ich bin durch ein heiliges Zelt zu euch gelangt. Und ich werde euch retten, nachdem ich mich selbst als Opfer bereitet habe, gemäß dem Willen Gottes. Ich werde euch retten, indem mein wahres Selbst den Tempel meines Leibes verläßt, um das große Opfer darzubringen, dass Opfer eines Gottes, der sich für die Rettung der Menschen hingibt.

Vater, mein Vater! Ich habe es dir gesagt am Anfang der Tage: „Siehe, hier bin ich, um deinen Willen zu tun.“ Ich habe es dir in der Stunde der Gnade gesagt, bevor ich dich verlassen und Fleisch angenommen habe, um zu leiden: „Siehe, hier bin ich, um deinen Willen zu tun.“ Noch einmal sage ich es dir, um jene zu heiligen, für die ich gekommen bin. „Siehe, hier bin ich, um deinen Willen zu tun.“ Wieder werde ich es sagen, immer wieder, bis dein Wille erfüllt ist...»

Jesus, der seine Arme betend zum Himmel erhoben hatte, verschränkt sie nun vor der Brust, neigt das Haupt, schließt die Augen und vertieft sich in ein inneres Gebet.

Das Volk flüstert. Nicht alle haben ihn verstanden, ja, die meisten haben nichts verstanden (und ich auch nicht). Wir sind gar zu unwissend. Aber wir ahnen, dass er große Dinge dargelegt hat. Schweigen wir also in Bewunderung.

Die Böswilligen, die nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen, grinsen: «Er ist ein Schwärmer!» Aber sie wagen nicht, mehr zu sagen, und entfernen sich oder begeben sich kopfschüttelnd zu den Ausgängen. Ich glaube, dass so viel Vorsicht auf die römischen Lanzen und Schwerter zurückzuführen ist, die an der äußeren Mauer in der Sonne glänzen.

Gamaliel bahnt sich einen Weg durch die Menge der Zurückgebliebenen. Bei Jesus angekommen, der noch betet, in sich versunken, fern von der Menge und dem Ort, ruft er ihn: «Rabbi Jesus!»

«Was willst du, Rabbi Gamaliel?» fragt Jesus und erhebt sein Haupt, während sein Blick noch in eine innere Schauung vertieft ist.

«Eine Erklärung von dir.»

«Sprich.»

«Zieht euch alle zurück!» befiehlt Gamaliel, und das in einem Ton, dass Apostel, Jünger, Anhänger, Neugierige und selbst die Schüler Gamaliels sich eiligst entfernen. Sie verbleiben allein, von Angesicht zu Angesicht. Und sehen sich an. Jesus immer sanft und gütig, Gamaliel, ohne es zu wollen, autoritär und in unbewußt stolzer Haltung – ein Ausdruck, der gewiss auf lange Jahre übermäßiger Huldigungen zurückzuführen ist.

«Meister... Worte sind mir berichtet worden, die du bei einem Gastmahl gesagt hast... das ich mißbilligt habe, weil es nicht aufrichtig war. Ich kämpfe oder kämpfe nicht, aber immer offen... ich habe über diese Worte nachgedacht und sie verglichen mit denen, an die ich mich erinnerte... Und ich habe auf dich gewartet, hier, um dich darüber zu befragen... Aber zuvor wollte ich dich sprechen hören... Sie haben deine Worte nicht verstanden. Ich hoffe, sie verstehen zu können. Ich habe deine Worte niedergeschrieben, während du sprachst. Um darüber nachzudenken, nicht um dir zu schaden. Glaubst du mir?»

«Ich glaube dir. Und möge der Allerhöchste sie zu leuchtenden Flammen werden lassen für deinen Geist.»

«So sei es. Nun höre. Die Steine, die erbeben müssen, sind das vielleicht die Steine unserer Herzen?»

«Nein, Rabbi, diese. Und er weist mit einer kreisenden Bewegung der Hand auf die Mauern des Tempels. Warum fragst du das?»

«Mein Herz erlebte, als mir deine Worte während des Gastmahls berichtet wurden, und die Antworten, die du den Versuchern gegeben hast. Ich glaubte, dieses Erbeben sei das Zeichen ...»

«Nein, Rabbi. Zu gering war das Erbeben deines Herzens und das der wenigen anderen, als dass es ein Zeichen hätte sein können, dass keine Zweifel zuläßt... auch wenn du mit einem seltenen Urteil demütiger Selbsterkenntnis dein Herz als Stein bezeichnest. Oh, Rabbi Gamaliel, vermagst du es wirklich noch nicht, aus deinem steinernen Herzen einen leuchtenden Altar zu machen, um Gott aufzunehmen? Nicht zu meinem Nutzen, Rabbi, sondern damit deine Gerechtigkeit vollkommen sei ...»

Jesus schaut sanft auf den alten Meister, der an seinem Bart zieht, mit den Fingern unter seine Kopfbedeckung fährt, die Hand auf die Stirn preßt, etwas murmelt und dann den Kopf neigt und sagt: «Ich kann nicht... Ich kann es noch nicht... Aber ich hoffe... Das Zeichen, wirst du es noch geben?»

«Ich werde es geben.»

«Lebe wohl, Rabbi Jesus.»

«Der Herr komme zu dir, Rabbi Gamaliel.»

399

Sie trennen sich. Jesus gibt den Seinen ein Zeichen und verläßt den Tempel.

Schriftgelehrte, Pharisäer, Priester und Schüler des Rabbi stürzen sich wie Geier auf Gamaliel, der gerade die von ihm beschriebenen Blätter in seinen breiten Gürtel steckt.

«Nun? Was hältst du von ihm? Ein Verrückter? Du hast gut daran getan, diese irren Reden aufzuzeichnen. Sie werden uns nützlich sein. Hast du eine Entscheidung getroffen? Bist du überzeugt? Gestern... heute... mehr als notwendig war, dich zu überzeugen.» Sie reden alle durcheinander, und Gamaliel schweigt, während er seinen Gürtel zurechtrückt und das Tintengefäß schließt, dass er darangehängt hat. Dann gibt er einem Schüler die Tafel zurück, auf der er seine Pergamentblätter zum Schreiben ausgebreitet hatte.

«Antwortest du nicht? Seit gestern sprichst du nicht...» drängt einer seiner Kollegen.

«Ich höre zu. Nicht euch. Ihm. Und ich versuche in den heutigen Worten zu erkennen, was er mir eines Tags gesagt hat. Hier.»

«Und gelingt es dir?» fragen viele lachend.

«Er ist wie der Donner, der zwar verschieden klingt, je nach der Entfernung, aber dennoch Donner bleibt.»

«Also ein undefinierbarer Ton», höhnt einer.

«Lache nicht, Levi. Im Donner kann auch die Stimme Gottes sein, und wir Törichte halten sie für die Stimme zerrissener Wolken... Lacht nicht! Auch du nicht, Elchias, und du, Simon, damit der Donner sich nicht in einen Blitz verwandle und euch einäschere...»

«Also bist du beinahe überzeugt, dass der Galiläer jener Knabe ist, den ihr, du und Hillel, für einen Propheten gehalten habt, und dass dieser Knabe und dieser Mann der Messias ist? ...» fragen die Spötter, wenn auch in gedämpftem Ton, denn Gamaliel weiß sich Respekt zu verschaffen...

«Ich sage nichts. Ich sage nur, dass Donnerrollen immerhin Donnerrollen ist.»

«Nahes oder fernes?»

«Ach! Die Worte sind stärker, wie es das Alter mit sich bringt; aber die zwanzig Jahre, die vergangen sind, haben meinen Verstand zwanzigmal mehr verschlossen über dem Schatz, den er besitzt, und die Stimme dringt immer schwächer hinein.» Und Gamaliel läßt nachdenklich das Haupt auf die Brust sinken.

«Ha, ha, ha! Du wirst alt und töricht, Gamaliel. Du hältst Hirngespinste für Wirklichkeit. Ha, ha, ha!» Alle lachen über ihn.

Gamaliel zuckt nur ärgerlich die Achseln. Dann rafft er seinen Mantel zusammen, der ihm von den Schultern hängt, wickelt ihn mehrmals um sich herum, da er so weit ist, und wendet allen, ohne ein Wort zu erwidern, in verächtlichem Schweigen den Rücken.