24.07.2016

JESUS LEHRT DAS VATERUNSER

nach Maria Valtorta

Jesus verläßt mit den Seinen ein Haus in der Nähe der Mauer, wohl in der Gegend von Bezetha, denn beim Verlassen der Stadt müssen sie am Haus Josephs vorbei, dass sich am Herodestor befindet. Die Stadt ist halb verlassen in dieser friedlichen, vom Mondschein erhellten Nacht. Ich verstehe, dass das Ostermahl in einem der Häuser von Lazarus eingenommen worden ist, jedoch auf keinen Fall in dem des Abendmahlsaales. Es liegt gerade in der entgegengesetzten Richtung. Das eine liegt im Norden, dass andere im Süden Jerusalems.

An der Haustüre verabschiedet sich Jesus auf seine freundliche Art von Johannes von Endor, den er zum Schutz der Frauen zurückläßt; er dankt dafür. Er küßt Margziam, der ebenfalls an die Türe gekommen ist, und geht dann zum Herodestor hinaus.

«Wohin gehen wir, Herr?»

«Kommt mit mir! Ich will das Osterfest mit einer kostbaren und ersehnten Perle krönen. Daher wollte ich mit euch allein sein. Mit meinen Aposteln! Danke, Freunde, für eure große Liebe zu mir. Wenn ihr sehen könntet, wie sie mich tröstet, wäret ihr überrascht. Schaut: ich schreite inmitten dauernder Sorgen und Enttäuschungen voran. Enttäuschungen für euch! Denn für mich, seid dessen versichert, gibt es keine, da mir die Gabe des Nichtwissens nicht beschieden ist... Auch aus diesem Grunde möchte ich euch raten, euch von mir leiten zu lassen. Wenn ich einem dies oder jenes erlaube, dann hindert ihn nicht! Wenn ich nichts unternehme, um einer Sache ein Ende zu setzen, so tut es nicht eurerseits. Alles hat seine Zeit. Habt Vertrauen in mich, in allem.»

Sie befinden sich an der nordöstlichen Ecke der Umfassungsmauern. Von dort aus gehen sie am Berg Moriah entlang bis zur Stelle, wo sie auf einer kleinen Brücke den Kedron überschreiten können.

«Gehen wir nach Gethsemane?» fragt Jakobus des Alphäus.

«Nein, höher, auf den Ölberg.»

«Oh, oben ist es schön!» sagt Johannes.

«Das hätte dem Kind auch gefallen», murmelt Petrus.

«Es wird noch oft dorthin kommen. Es war müde. Es ist ja noch ein Kind. Ich möchte euch etwas Großes geben, denn die Zeit dafür ist reif.»

Sie steigen zwischen den Ölbäumen hinauf, lassen Gethsemane zu ihrer Rechten und gehen weiter bis zum Gipfel, auf dem die Ölbäume einen rauschenden Kamm bilden.

Jesus bleibt stehen und sagt: «Machen wir etwas halt, meine teuren und lieben Jünger, meine künftigen Nachfolger. Kommt in meine Nähe! Mehrmals habt ihr mir gesagt: „Lehre uns, zu beten, wie du betest. Lehre uns, wie Johannes der Täufer die Seinen gelehrt hat, damit wir Jünger mit den Worten des Meisters beten können.“ Ich habe euch stets geantwortet: „Ich werde es tun, sobald ich in euch ein Mindestmaß an notwendiger Vorbereitung sehe, damit dieses Gebet keine leere Formel menschlicher Wörter sei, sondern wahres Gespräch mit dem Vater.“ Jetzt ist die Zeit gekommen. Ihr seid genügend vorbereitet, um die Worte zu kennen, die würdig sind, zu Gott gesagt zu werden. Und ich will sie euch heute abend lehren, im Frieden und in der Liebe, die zwischen uns herrschen; im Frieden und in der Liebe Gottes und mit Gott, denn wir haben als echte Israeliten das Ostergebot und das göttliche Gebot der Liebe zu Gott und dem Nächsten befolgt. Einer von euch hat in diesen Tagen sehr gelitten. Gelitten wegen einer unverdienten Behandlung und der Mühe, die er auf sich nahm, um das Ärgernis zu überwinden. Ja, Simon des Jonas, komm her! Kein Zucken deines ehrbaren Herzens ist verborgen geblieben und kein Leid gegeben, dass ich nicht mit dir geteilt habe. Ich und auch deine Gefährten...»

«Aber du, Herr, bist tiefer beleidigt worden als ich! Das war für mich ein weit größerer Schmerz... größer, nein spürbarer... Schau: dass Judas es für gut fand, nicht an meinem Fest teilzunehmen, hat mich als Mensch gekränkt. Aber sehen zu müssen, dass du betrübt und beleidigt warst, hat mir auf eine andere Art weh getan; deswegen habe ich doppelt gelitten ... Ich... ich will mich nicht loben... indem ich deine Worte gebrauche ...

Aber ich muss sagen – wenn ich hochmütig bin, sage es mir – ich muss sagen, dass ich in meiner Seele gelitten habe... und das tut viel mehr weh.»

«Das ist nicht Hochmut, Simon! Du hast seelisch gelitten, weil Simon des Jonas, der Fischer von Galiläa, dabei ist, sich in Petrus des Jesus zu verwandeln; in Petrus des Jesus, des Meisters der Seele, durch den auch seine Jünger tätig und weise im Geiste werden. Und für diesen deinen Fortschritt und für euren Fortschritt im Leben des Geistes, will ich euch heute abend das Gebet lehren. Wie sehr habt ihr euch verändert, seit unserem Aufenthalt in der Einsamkeit!»

«Alle, Herr?» fragt Bartholomäus etwas ungläubig.

«Ich verstehe, was du sagen willst... Aber ich spreche zu euch Elfen, nicht zu anderen...»

«Aber was hat denn Judas des Simon, Meister? Wir verstehen ihn nicht mehr... Er schien so anders geworden zu sein, und nun, seit wir den See verlassen haben ...», sagt Andreas ganz untröstlich.

«Schweige, Bruder! Den Schlüssel des Geheimnisses habe ich! Da hat sich ein Stückchen von Beelzebub eingemischt. Er hat ihn in der Höhle von Endor aufgesucht, um ihn in Staunen zu versetzen; er ist bedient worden! Der Meister hat es an jenem Tag gesagt... In Gamala sind die Teufel in die Schweine gefahren. In Endor sind die Teufel, die den unglücklichen Johannes verließen, in ihn hineingefahren... Es versteht sich von selbst, daß... Laß es mich sagen, Meister! Es steckt mir im Halse, und wenn ich es nicht sage, bleibt es drin und erstickt mich...»

«Simon, sei gut!»

«Ja, Meister... Und ich versichere dir, dass ich nicht ungut zu ihm sein werde. Aber ich sage und denke, dass Judas, der ein lasterhafter Mensch ist – alle haben wir das erkannt – etwas vom Schweine hat, und man versteht, dass die Dämonen gerne Schweine für ihren Wohnungswechsel wählen. So, nun habe ich es gesagt.»

«Du meinst, dass es so ist?» fragt Jakobus des Zebedäus.

«Was soll es sonst sein? Es gibt keinen anderen Grund dafür, dass er so unerträglich geworden ist. Schlimmer als beim „Trügerischen Gewässer“! Damals konnte man noch annehmen, es seien der Ort und die Jahreszeit, die ihn beunruhigten. Aber nun ...»

«Es gibt einen anderen Grund, Simon ...»

«Sage ihn, Meister! Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.»

«Judas ist eifersüchtig. Er ist unruhig aus Eifersucht.»

«Eifersüchtig? Auf wen? Er hat keine Frau, und wenn er eine hätte und es mit den Frauen hätte: ich glaube, keiner von uns würde den Mitjünger deswegen verachten...»

«Er ist eifersüchtig auf mich. Überlege: Judas hat sich nach Endor und Esdrelon verändert. Als er sah, dass ich mich um Johannes und Jabe kümmere. Nun aber, da Johannes, vor allem Johannes, sich entfernt, weil er von mir weg zu Isaak geht, wirst du sehen, dass Judas wieder fröhlich und gut wird.»

«Nun gut. Du wirst mir aber doch nicht sagen wollen, dass er nicht von einem Teufelchen besessen ist. Und vor allem... Nein, ich sage es! Und vor allem wirst du doch nicht behaupten wollen, dass er sich in diesen Monaten gebessert hat. Auch ich bin letztes Jahr eifersüchtig gewesen. Ich wollte keinen anderen mehr als uns sechs, die ersten sechs, erinnerst du dich? Nun, nun... laß mich einmal Gott zum Zeugen meiner Gedanken anrufen. Nun sage ich, dass ich um so glücklicher bin, je mehr Jünger sich um dich scharen. Oh, ich möchte alle Menschen gewinnen und sie dir bringen; ich möchte alle Mittel haben, um denen helfen zu können, die Not leiden, damit das Elend keinem ein Hindernis sei, zu dir zu gelangen. Gott sieht, dass ich die Wahrheit sage. Aber warum bin ich nun so? Weil ich mich von dir habe ändern lassen. Er... hat sich nicht geändert. Im Gegenteil... Gib es zu, Meister, dass ihn ein Teufelchen reitet ...»

«Sag dies nicht! Denke es nicht einmal. Bete, dass er gesundet. Die Eifersucht ist eine Krankheit...»

«An deiner Seite wird jeder gesund, wenn er es nur will. Ach, deinetwegen will ich ihn ertragen... Aber welch eine Mühsal! ...»

«Ich habe dir den Lohn dafür gegeben: das Kind! Und nun lehre ich dich das Beten.»

«O ja, Bruder. Sprechen wir darüber. Mein Namensvetter soll nur genannt werden als ein Mensch, der das Gebet nötig hat. Mir scheint, er hat schon seine Strafe. Er ist nicht bei uns, in dieser Stunde», sagt Judas Thaddäus...

«Hört. Wenn ihr betet, sprecht so: „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme auf Erden wie im Himmel, und auf Erden wie im Himmel geschehe dein Wille. Gib uns heute unser tägliches Brot, vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“»

Jesus hat sich erhoben, um das Gebet zu sprechen, und alle haben es ihm nachgetan, aufmerksam und bewegt.

«Anderes braucht es nicht, meine Freunde. In diesen Worten ist alles, was der Mensch für die Seele, den Leib und das Blut benötigt wie in einem goldenen Ring eingeschlossen. Mit diesem Gebet bittet um das, was dem einen und den anderen nützlich ist; wenn ihr darum bittet, werdet ihr das ewige Leben erlangen. Es ist ein so vollkommenes Gebet, dass die Wellen der Häretiker und der Lauf der Jahrhunderte es nicht zu ändern imstande sind. Das Christentum wird vom Biß Satans zerstückelt werden, und viele Teile meines mystischen Leibes werden zerrissen und abgetrennt, eigene Zellen bilden, im vergeblichen Verlangen, einen vollkommenen Leib zu gestalten, wie es der mystische Leib Christi ist, in welchen alle Gläubigen in der apostolischen Kirche vereint sind und in der alleinigen wahren Kirche, die bestehen wird, so lange die Erde besteht! Aber die abgetrennten Teilchen, denen die Gaben nicht zukommen, die ich der Mutterkirche schenke, um meine Kinder zu nähren, werden sich immer christlich nennen und sich dessen erinnern, dass sie auf Christus zurückzuführen sind. Auch sie werden dieses universelle Gebet beten. Vergeßt es nie und denkt stets darüber nach. Wendet es auf euer Wirken an. Es braucht nichts anderes für die Heiligung. Wenn einer allein unter Heiden, ohne Kirche und ohne Bücher wäre, hätte er alles, was zur Betrachtung erforderlich ist, in diesem Gebet, und eine offene Kirche in seinem Herzen durch dieses Gebet. Er hätte eine Regel und ein sicheres Mittel, sich zu heiligen.

„Vater unser“

Ich nenne ihn Vater. Er ist der Vater des Wortes. Er ist der Vater des Menschgewordenen. Daher will ich, dass auch ihr ihn so nennt; denn ihr seid eins mit mir, wenn ihr in mir bleibt. Es hat eine Zeit gegeben, da musste der Mensch sein Antlitz zur Erde werfen und vor Schrecken zitternd flüstern: „Gott!“ Wer nicht an mich und mein Wort glaubt, befindet sich immer noch in dieser lähmenden Angst. Beobachtet, was im Tempel geschieht. Nicht nur Gott, sondern sogar die Erinnerung an Gott ist hinter dem dreifachen Schleier den Augen der Menschen verborgen. Trennung durch Entfernung, Trennung durch Verschleierung. Alle Mittel werden angewandt, um dem Beter zu sagen: „Du bist Staub. Er ist Licht. Du bist Verworfenheit. Er ist Heiligkeit. Du bist Sklave. Er ist König.“

Aber nun! ... Erhebt euch! Tretet näher! Ich bin der Ewige Priester. Ich kann euch an der Hand nehmen und sagen: „Kommt!“ Ich kann den Vorhang der Verschleierung ergreifen und den unbetretbaren Ort öffnen, der bisher verschlossen war. Verschlossen? Warum? Verschlossen aufgrund der Schuld, ja! Aber noch mehr verschlossen durch das niedrige Denken der Menschen. Warum aber verschlossen, wenn Gott die Liebe, der Vater, ist? Ich kann, ich soll und ich will euch nicht in den Staub treten, sondern ins Himmelsblau ziehen, nicht entfernen, sondern annähern, nicht ins Gewand der Sklaven kleiden, sondern der Söhne am Herzen Gottes. „Vater! Vater!“ müßt ihr sagen. Ihr dürft nicht müde werden, dieses Wort zu wiederholen. Wißt ihr denn nicht, dass jedesmal, wenn ihr es aussprecht, der Himmel wegen der Freude Gottes aufleuchtet? Und wenn ihr nur das und mit wahrer Liebe sagen würdet, sprächt ihr ein Gott wohlgefälliges Gebet. „Vater, mein Vater!“ sagen die Kinder zu ihrem Vater. Es sind die ersten Worte, die sie sprechen: „Mutter, Vater.“ Ihr seid die Kinder Gottes. Ich habe euch aus dem alten Menschen, der ihr wart, gebildet; ich habe ihn mit meiner Liebe vernichtet, damit ein neuer Mensch, der Christ, daraus geboren werde. Ruft also mit dem Wort, dass die Kinder als erstes kennen, den heiligsten Vater an, der im Himmel ist.

„Geheiligt werde dein Name“

Oh! Ein Name, der mehr als jeder andere heilig und wohlklingend ist. Ein Name, den der Schrecken des Schuldhaften unter anderen zu verbergen gelehrt hat. Nein, nicht mehr Adonai! Gott ist es! Gott, der in einem Übermaß an Liebe die Menschen erschaffen hat. Die Menschheit ruft ihn von nun an bei seinem Namen, mit den Lippen, die gereinigt sind im Bad, dass ich bereite; sie nennt ihn mit seinem Namen in der Erwartung, die wahre Bedeutung des Unbegreiflichen in der Fülle der Weisheit verstehen zu lernen, wenn die Menschheit in ihren besten Söhnen mit Ihm vereint und angenommen wird im Reiche, dass zu gründen ich gekommen bin.

„Dein Reich komme auf Erden wie im Himmel“

Ersehnt mit all euren Kräften diese Ankunft. Es wäre die Seligkeit auf Erden, wenn es käme: das Reich Gottes in den Herzen, in den Familien, in den Bürgern und den Nationen. Leidet, bemüht euch, opfert euch auch für dieses Reich. Die Erde soll in den Einzelnen ein Spiegelbild des Lebens in den Himmeln sein. Es wird kommen. Eines Tages wird alles kommen. Jahrhunderte um Jahrhunderte der Tränen und des Blutes, der Irrtümer, der Verfolgungen, der Trümmer und des Nebels, in dem das Licht des mystischen Leuchtturms meiner Kirche leuchtet, werden vergehen. Aber das Schiff der Kirche wird nicht untergehen. Wie ein unerschütterlicher Fels wird sie jedem Angriff standhalten und das Licht hochhalten, mein Licht, dass Licht Gottes. Erst danach wird die Erde das Reich Gottes besitzen. Und sie wird dann wie das starke Aufflammen eines Sternes sein, der die Vollkommenheit seiner Existenz erreicht hat und zerfällt; unermeßliche Blume der kosmischen Gärten, um mit strahlendem Pulsschlag seine Existenz und seine Liebe zu Füßen seines Schöpfers auszuhauchen. Es wird kommen, dass Reich! Und es wird ein vollkommenes Reich sein, dass selige, ewige Reich des Himmels.

„Und auf Erden wie im Himmel geschehe dein Wille“

Das Aufgeben des eigenen Willens in einen anderen kann erst vollzogen werden, wenn die vollkommene Liebe das Geschöpf erreicht. Das Sich Auflösen des eigenen Willens im Willen Gottes kann nur erfolgen, wenn man die theologischen Tugenden in heroischer Weise besitzt. Im Himmel, wo alles makellos ist, gilt nur der Wille Gottes. Versteht es, ihr Kinder des Himmels, dass zu tun, was im Himmel getan wird!

„Gib uns unser tägliches Brot“

Wenn ihr im Himmel seid, werdet ihr euch nur in Gott nähren. Die Seligkeit wird eure Nahrung sein. Aber hier habt ihr noch Brot nötig. Ihr seid die Kinder Gottes. Es ist daher richtig, zu bitten: „Vater, gib uns Brot.“ Habt ihr Angst, nicht erhört zu werden? O nein. Überlegt: Wenn einer von euch einen Freund hat und bemerkt, dass er kein Brot hat, um einen anderen Freund oder Verwandten, der am Ende der zweiten Nachtwache zu ihm kommt, zu sättigen, dann geht er zum ersten und sagt: „Freund, leihe mir drei Brote, denn es ist ein Gast gekommen und ich habe nichts zu essen im Haus.“ Wird er je die Antwort hören müssen: „Störe mich nicht, ich habe die Türe schon geschlossen und den Riegel vorgelegt, und meine Kinder schlafen schon an meiner Seite. Ich kann nicht aufstehen und dir geben, was du verlangst?“ Nein. Wenn er sich an einen wahren Freund gewandt hat und weiter bittet, wird er bekommen, was er verlangt. Er würde es auch bekommen, wenn er sich an keinen besonders guten Freund gewandt hätte. Er bekäme es schon wegen seines Drängens; denn der um diesen Gefallen Ersuchte würde dem Drängen nachgeben, um nicht länger belästigt zu werden.

Ihr aber wendet euch, wenn ihr den Vater bittet, nicht an einen Freund dieser Erde, sondern an den vollkommenen Freund, den Vater des Himmels! Daher sage ich euch: „Bittet, und es wird euch gegeben werden; sucht, und ihr werdet finden; klopft an, und es wird euch aufgemacht werden.“ Denn wer bittet, empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet werden. Welches Menschenkind bekommt einen Stein in die Hand gelegt, wenn es den eigenen Vater um Brot bittet? Wird der Vater ihm anstelle eines gebratenen Fisches eine Schlange geben? Ein Vater, der die eigenen Kinder so behandelt, wäre ein Verbrecher. Ich habe es euch schon einmal gesagt, und ich wiederhole es nun, um in euch die Güte und das Vertrauen zu stärken: wenn also einer, mit gesundem Verstand, einen Skorpion anstelle eines Eies gibt, mit welch größerer Güte wird Gott euch geben, um was ihr bittet! Denn er ist gut, während ihr mehr oder weniger schlecht seid. Bittet also mit demütiger und kindlicher Liebe den Vater um das tägliche Brot.

„Vergib uns unsere Schuld, wie wir sie unseren Schuldigern vergeben“

Es gibt materielle und geistige Schuld. Es gibt auch moralische Schuld. Eine materielle Schuld ist das Geld oder die Ware, die geliehen ist und darum zurückgegeben werden muss. Eine moralische Schuld ist die Ehrabschneidung, die nicht wiedergutgemacht wurde, und erbetene, doch verweigerte Hilfe. Geistige Schuld ist der Gehorsam gegenüber Gott, der viel verlangt, dem aber nur wenig gegeben wird. Er liebt uns und muss geliebt werden wie eine Mutter, eine Gattin oder ein Sohn, von denen man vieles verlangt. Der Egoist will haben, nicht geben. Aber der Egoist gehört zur Gegenseite des Himmels.

Wir haben Schulden gegenüber allen. Von Gott bis zum Verwandten, von diesem bis zum Freund, vom Freund bis zum Nächsten, vom Nächsten bis zum Diener und Sklaven; denn sie alle sind Geschöpfe, wie wir es sind. Wehe dem, der nicht verzeiht! Ihm wird nicht vergeben werden. Gott kann – aus Gerechtigkeit – keine Schuld nachlassen, wenn der Mensch nicht seinesgleichen verzeiht.

„Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“

Der Mann, der es nicht für nötig hielt, mit uns das Ostermahl zu teilen, hat mich vor ungefähr einem Jahr gefragt: „Wie? Du hast gebeten, nicht versucht zu werden, und um Hilfe in den Versuchungen?“ Wir beide waren allein; und ich habe ihm geantwortet. Dann waren wir zu viert an einem einsamen Ufer, und ich habe noch einmal geantwortet. Doch es war bisher ergebnislos; denn in einen widerspenstigen Geist muss erst eine Bresche geschlagen und die bösartige Festung der Starrköpfigkeit zerstört werden. Und darum will ich es noch einmal, zehnmal, hundertmal sagen, bis alles vollzogen ist.

Aber ihr, die ihr euch nicht mit unglücklichen Lehren und noch unglücklicheren Leidenschaften beschäftigt, betet so: Betet mit Demut, dass Gott die Versuchungen verhindere. Oh, die Demut! Sich als das zu erkennen, was man ist! Ohne darüber zu verzweifeln, sondern um zu erkennen. Zu sagen: „Ich könnte nachgeben, obgleich ich keine Lust dazu habe, denn ich bin ein unvollkommener Richter mir selbst gegenüber. Darum, Vater, halte wenn möglich die Versuchungen von mir fern, indem du mich so nahe bei dir hältst, dass der Böse keine Möglichkeit hat, mir zu schaden.“ Denn, erinnert euch daran, es ist nicht Gott, der zum Bösen versucht, sondern es ist der Böse, der versucht. Bittet den Vater, dass er euch in eurer Schwäche unterstütze, um nicht den Versuchungen des Bösen zu unterliegen!

Ich habe gesprochen, meine Auserwählten! Ich feiere mein zweites Ostern mit euch. Letztes Jahr haben wir nur das Brot und das Lamm miteinander geteilt. Dieses Jahr schenke ich euch das Gebet. Andere Gaben werde ich bei den kommenden Osterfesten mit euch teilen, damit ihr, wenn ich dorthin gegangen bin, wo der Vater es will, ein Andenken an mich, dass Lamm, an jedem Fest des mosaischen Lammes besitzt.

Erhebt euch und laßt uns gehen! Wir werden bei Sonnenaufgang in die Stadt zurückkehren. Besser: Morgen wirst du, Simon, und du, mein Bruder (Judas Thaddäus), die Frauen und das Kind hierherholen. Du, Simon des Jonas, und ihr anderen bleibt bei mir, bis sie zurückkommen. Dann gehen wir zusammen nach Bethanien.»

Sie steigen nach Gethsemane hinab und begeben sich ins Haus zur Ruhe.