29.02.2016

145. JESUS WIRD IN NAZARETH SCHLECHT EMPFANGEN

nach Maria Valtorta

Ich sehe einen großen quadratischen Raum. Ich sage Raum, obgleich ich weiß, dass es sich um die Synagoge von Nazareth handelt (wie mein innerer Mahner zu mir sagt), denn außer den nackten Wänden, die gelblich getüncht sind, sehe ich nur auf einer Seite eine Kanzel und ein hohes Lesepult mit Pergamentrollen. Lesepult oder Regal, wie ihr wollt. Es ist eine Art geneigter Tisch, der nur einen Fuß hat und auf dem die Rollen nebeneinanderliegen.

Es sind auch Menschen da, die beten... nicht, wie wir es tun, sondern nach einer Seite gebeugt und die Hände nicht gefaltet, sondern erhoben; ungefähr so wie der Priester sie am Altare hält. Auf der Kanzel und über dem Pult hängen sieben Lampen.

Ich verstehe den Sinn dieser Vision nicht, die für einige Zeit unverändert in mir bleibt. Doch Jesus trägt mir auf, sie niederzuschreiben, und ich tue es.

Ich bin wieder in der Synagoge von Nazareth.

Der Rabbi liest etwas vor. Ich höre die Kantilene seiner näselnden Stimme, aber ich kann die Worte in einer mir unbekannten Sprache nicht verstehen. Unter den Menschen sehe ich Jesus mit den Vettern und anderen, die bestimmt auch mit ihm verwandt sind, die ich jedoch nicht kenne.

Nach der Lesung wendet der Rabbi der Menge einen fragenden Blick zu. Jesus geht nach vorne und bittet darum, heute die Versammlung leiten zu dürfen.

Ich höre seine schöne Stimme, die den Vers des Isaias liest, der im Evangelium enthalten ist: «Der Geist des Herrn ist über mir...» und ich höre seine Erklärung, in der er sich den Überbringer der Frohen Botschaft nennt, des Gesetzes der Liebe, dass die frühere Härte durch die Barmherzigkeit ersetzt; damit alle das Heil erlangen, die durch Adams Schuld in der Seele krank geworden sind und folglich auch im Fleische, da die Sünde immer Laster und das Laster auch körperliche Krankheiten hervorruft. Und damit alle, die Gefangene des Geistes des Bösen sind, Befreiung finden. «Ich bin gekommen, diese Ketten zu zerbrechen, den Weg zum Himmel zu öffnen, den verblendeten Seelen das Licht zu bringen und den tauben Seelen das Gehör zu schenken. Die Zeit der Gnade des Herrn ist da. Sie ist unter euch. Sie ist es, die zu euch spricht. Die Patriarchen haben diesen Tag ersehnt, den die Stimme des Allerhöchsten angekündigt und dessen Stunde die Propheten vorausgesagt haben. Und durch übernatürliche Einwirkung ist ihnen schon kundgetan worden, dass der Morgen dieses Tages angebrochen ist und dass ihr Einzug ins Paradies nicht mehr fern ist. Sie frohlocken darüber im Geiste, sie, die schon heilig sind und denen nur noch mein Segen fehlt, um Bürger des Himmels zu werden. Ihr seht es! Kommt zum Licht, dass aufgegangen ist! Legt eure Leidenschaften ab, um gefügig zu werden und Christus nachzufolgen. Habt den guten Willen zu glauben, euch zu bessern und das Heil zu wollen, und das Heil wird euch gegeben werden. Es liegt in meinen Händen. Aber ich schenke es nur denen, die guten Willens sind, es anzunehmen. Denn es wäre Beleidigung der Gnade gegenüber, es denen zu geben, die weiterhin dem bösen Geiste dienen wollen.»

Ein Gemurmel geht durch die Synagoge. Jesus schaut umher. Er liest auf den Gesichtern und in den Herzen und fährt fort: «Ich verstehe, was ihr denkt. Da ich Nazarener bin, glaubt ihr ein Anrecht auf Privilegien zu haben. Doch das ist nur euer Egoismus, nicht die Kraft eures Glaubens. Ich sage euch: wahrlich, kein Prophet wird in seiner 'Vaterstadt gut aufgenommen. Andere Orte haben mich aufgenommen, und viele andere, deren Name für euch ein Ärgernis bedeutet, werden mich mit noch größerem Glauben aufnehmen. Dort werde ich meine Nachfolger finden, während ich hier, in meiner Heimat, nichts tun kann, denn sie ist mir verschlossen und feindlich. Aber ich erinnere euch an Elias und Elisäus. Der erste fand Glauben bei einer Frau in Phönizien, der andere bei einem Syrer. Und bei beiden konnte das Wunder gewirkt werden. Die Leute, die in Israel am Verhungern waren, bekamen kein Brot, und die Aussätzigen fanden keine Reinigung, weil ihr Herz den guten Willen nicht hatte, den der Prophet wie eine Perle suchte. Das wird auch euch

geschehen, da ihr feindlich und ungläubig dem Worte Gottes gegenüber seid.»

Die Menge beginnt zu schreien und versucht handgreiflich zu werden. Doch die Apostel, die Vettern, Judas, Jakobus und Simon verteidigen Jesus; da jagen die wütenden Nazarener ihn aus der Stadt. Sie verfolgen ihn bis zur Spitze des Berges und drohen ihm nicht nur mit Worten. Doch Jesus wendet sich um und bannt sie mit seinem magnetischen Blick, so dass sie sich nicht bewegen können. Dann schreitet er unbehelligt durch ihre Mitte und verschwindet auf einem Bergpfad.