13.03.2016

JESUS, DIE PHARISÄER UND DIE EHEBRECHERIN

nach Maria Valtorta

Ich sehe die Umfassungsmauer des Tempels von innen, also einen der vielen Höfe, die von Säulenhallen umgeben sind. Ich sehe auch Jesus, der ganz in den Mantel gehüllt ist, den er über seinem Gewand trägt, dass nicht weiß, sondern dunkelrot ist und aus einem schweren wollenen Gewebe zu sein scheint. Jesus spricht von viel Volk umgeben.

Ich würde sagen, dass es ein Wintertag ist, denn ich sehe alle in dicke Mäntel gehüllt. Es muss sehr kalt sein, denn anstatt stillzustehen, gehen alle rasch hin und her, als wollten sie sich auf diese Weise erwärmen. Es bläst auch ein starker Wind, der die Mäntel bewegt und den Staub in den Höfen aufwirbelt.

Die Gruppe, die sich um Jesus drängt und die als einzige stillsteht, während alle anderen, die sich um diesen oder jenen Meister scharen, hin- und hergehen, teilt sich nun, um einen kleinen Trupp heftig gestikulierender Schriftgelehrter und Pharisäer vorbeizulassen, die giftiger sind als je zuvor. Sie sprühen Gift aus ihren Augen, ihrer Gesichtsfarbe und ihrem Mund. Welche Vipern! Sie führen, oder vielmehr, sie schleifen eine Frau von etwa dreißig Jahren mit wüstem Haar und ungeordneter Kleidung mit sich, die aussieht, als sei sie mißhandelt worden, und die jetzt weint. Vor Jesus werfen sie sie zu Boden, als wäre sie ein Haufen Lumpen oder ein toter Balg. Dort bleibt sie zusammengekauert liegen, dass Gesicht auf den Armen, die es verbergen und gleichzeitig ein Kissen auf dem Boden bilden.

«Meister, diese wurde auf frischer Tat ertappt, als sie Ehebruch beging. Ihr Gemahl liebte sie und ließ es ihr an nichts fehlen. Sie war Königin in ihrem Haus, aber sie betrog ihn, weil sie eine undankbare, lasterhafte Sünderin ist, die ihr Haus entehrt. Eine Ehebrecherin ist sie, und als solche muss sie gesteinigt werden. Moses hat es befohlen. In seinem Gesetz gebietet er, dass Frauen, wie sie, wie unreine Tiere gesteinigt werden müssen. Und unrein sind sie, denn sie mißbrauchen das Vertrauen des Mannes, der sie liebt und für sie sorgt, und wie das immer durstige Erdreich sind sie unersättlich in ihrem Verlangen nach Wollust. Schlimmer als Huren sind sie, denn ohne durch die Not dazu gezwungen zu sein, geben sie sich hin, um ihre Begierde zu sättigen. Sie sind ansteckend in ihrer Verkommenheit und müssen zum Tode verurteilt werden. Moses hat es befohlen. Und du, Meister, was sagst du dazu?»

Jesus hat bei der stürmischen Ankunft der Pharisäer aufgehört zu sprechen. Er schaut die armselige Meute mit seinen durchdringenden Augen an, senkt dann den Blick auf die zu seinen Füßen liegende, gedemütigte Frau und schweigt.

Er beugt sich nieder, ohne sich von seinem Sitz zu erheben, und schreibt mit einem Finger auf den vom Wind mit Staub bedeckten Boden der Säulenhalle. Sie reden, und er schreibt.

«Meister, wir sprechen mit dir. Höre uns zu. Antworte uns. Hast du nicht verstanden? Diese Frau ist beim Ehebruch ertappt worden, in ihrem eigenen Haus, im Ehebett ihres Mannes. Sie hat es mit ihrer Unzucht beschmutzt.»

Jesus schreibt.

«Der Mann ist blöde! Seht ihr nicht, dass er nichts versteht und Zeichen in den Staub schreibt wie ein armer Irrer?»

«Meister, um deines guten Namens willen, sprich. Deine Weisheit antworte auf unsere Frage. Wir wiederholen dir: Dieser Frau hat es an nichts gefehlt. Sie hatte Kleider, Nahrung, Liebe, und sie hat ihren Mann betrogen ...»

Jesus schreibt.

«Sie hat ihren Mann belogen, der ihr vertraute. Mit lügnerischem Mund hat sie ihn gegrüßt und mit einem Lächeln zur Türe begleitet, und dann hat sie die geheime Türe geöffnet und ihren Liebhaber eingelassen. Und während der Gatte abwesend war, um für sie zu arbeiten, hat sie sich wie ein unreines Tier in ihrer Wollust gewälzt.»

«Meister, sie hat das Gesetz entheiligt, nicht nur das Ehebett. Sie ist eine Rebellin, eine Schänderin, eine Gotteslästerin.»

Jesus schreibt. Er schreibt, verwischt das Geschriebene wieder mit seinen Sandalen und schreibt dann daneben weiter, während er sich langsam um sich selbst dreht, um noch mehr Platz zum Schreiben zu finden. Er gleicht einem spielenden Kind; doch das, was er nacheinander geschrieben hat, sind nicht die Worte eines Spiels. Er hat geschrieben: «Wucherer... Lügner... unehrerbietiger Sohn... Ehebrecher... Mörder... Gesetzesschänder... Usurpator ... Dieb... Unzüchtiger... unwürdiger Gatte und Vater... Gotteslästerer ... Rebell gegen Gott ...» und immer neue Worte schreibt er, während immer neue Ankläger reden.

«Aber nun höre doch endlich, Meister! Gib ein Urteil ab. Die Frau muss gerichtet werden. Sie darf mit der Last ihrer Sünden nicht die Erde beflecken. Ihr Atem ist ein Gifthauch, der die Herzen verwirrt.»

Jesus erhebt sich. Barmherzigkeit! Welch ein Antlitz! Flammende Blitze, die auf die Ankläger fallen. Er scheint noch stattlicher als sonst, mit hocherhobenem Haupt. Er gleicht einem König auf seinem Thron, so streng und feierlich ist er. Sein Mantel ist ihm von einer Schulter geglitten und bildet eine kleine Schleppe hinter ihm. Aber er kümmert sich nicht darum.

Mit unbeweglichem Antlitz, ohne den leisesten Schatten eines Lächelns um Mund und Augen, richtet er seinen Blick auf die Menge, die zurückweicht wie vor zwei spitzen Klingen. Er schaut einen nach dem anderen fest an, mit prüfender Intensität, die Furcht einflößt. Die, die er so angesehen hat, versuchen sich in der Menge zu verbergen. So wird der Kreis immer größer und löst sich auf, wie von einer geheimen Kraft gesprengt.

Endlich spricht er: «Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie.» Seine Stimme gleicht dem Donner, begleitet von den noch lebhafteren Blitzen seiner Augen. Jesus, die Arme vor der Brust gekreuzt, steht aufrecht da wie ein Richter, der wartet. Sein Blick läßt ihnen keine Ruhe. Er forscht, durchdringt, klagt an.

Zuerst einer, dann zwei, dann fünf und schließlich in Grüppchen entfernen sich die Anwesenden mit gesenktem Haupt. Nicht nur die Schriftgelehrten und die Pharisäer, sondern auch die, die sich schon zuvor um Jesus geschart hatten, und andere, die nähergetreten waren, um seine Ansicht und die Verurteilung zu hören, und die zusammen mit den übrigen die Schuldige beschimpft und ihre Steinigung gefordert hatten.

Jesus bleibt allein mit Petrus und Johannes zurück. Die anderen Apostel sehe ich nicht.

Jesus hat wieder begonnen zu schreiben, während die Ankläger geflohen sind, und nun schreibt er: «Pharisäer ... Nattern... Gräber voller Unrat... Lügner... Verräter... Feinde Gottes ... Beleidiger seines Wortes...»

Als der ganze Hof sich geleert hat und ein großes Schweigen eingetreten ist, hört man nur noch das Rauschen des Windes und das Plätschern eines Brünnleins in einer Ecke. Da erhebt Jesus sein Haupt und schaut sich um. Sein Antlitz ist nun ruhig, traurig, aber nicht mehr erzürnt. Er blickt Petrus kurz an, der sich etwas entfernt und an eine Säule gelehnt hat, und dann Johannes, der fast hinter ihm steht und ihn mit seinen liebevollen Augen anschaut. Der Schatten eines Lächelns gleitet über das Antlitz Jesu, als er Petrus ansieht, und als er den Blick auf Johannes richtet, wird es lebhafter. Zwei verschiedene Lächeln.

Dann betrachtet er die Frau, die immer noch weinend zu seinen Füßen liegt. Er beobachtet sie. Sie richtet sich auf und bringt ihr Gewand in Ordnung, als wolle sie sich auf den Weg machen. Jesus gibt den beiden Aposteln einen Wink, sich zum Ausgang zu begeben.

Als sie allein sind, ruft er die Frau: «Frau, höre mir zu. Schau mich an.» Er wiederholt seinen Befehl, da sie nicht wagt, ihr Haupt zu erheben. «Frau, wir sind allein. Schau mich an.»

Die Unglückliche erhebt ihr Gesicht, auf das Tränen und Staub eine Maske der Demütigung gezeichnet haben.

«Frau, wo sind deine Ankläger?» Jesus spricht leise, mit mitleidigem Ernst. Sein Antlitz und sein Körper neigen sich leicht über dieses Elend auf dem Boden, und mit Augen voll des Erbarmens und der Aufmunterung fragt er: «Hat dich niemand verurteilt?»

Die Frau antwortet zwischen zwei Seufzern: «Niemand, Meister.»

«Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige nicht mehr. Geh nach Hause und bitte Gott und den Betrogenen um Verzeihung. Mißbrauche nicht die Güte des Herrn. Geh.»

Er hilft der Frau aufzustehen, indem er ihre Hand nimmt. Aber er segnet sie nicht und sagt auch nicht den Friedensgruß. Er sieht sie fortgehen mit geneigtem Haupt und etwas wankend unter dem Gewicht ihrer Schande, und als sie verschwunden ist, geht auch er mit den beiden Jüngern.

«DER SCHULDIGEN WEISE ICH DEN WEG DER RETTUNG»

Jesus spricht:

«Was mich verletzt hat, war der Mangel an Liebe und Aufrichtigkeit der Ankläger. Nicht dass ihre Anklage falsch gewesen wäre, die Frau war wirklich schuldig. Aber sie waren unaufrichtig und taten, als ob sie Ärgernis nähmen an einer Sünde, die sie selbst tausendmal begangen hatten und die nur wegen ihrer größeren Schlauheit und weil sie mehr Glück gehabt hatten, unbekannt geblieben war. Die Frau war bei ihrer ersten Sünde weniger schlau und hatte nicht viel Glück. Aber keiner ihrer Ankläger und Anklägerinnen – denn auch die Frauen, die zwar ihre Stimmen nicht zur Anklage erhoben, beschuldigten sie in ihrem Herzen – war frei von Schuld.

Ehebrecher ist, wer die Tat begeht, aber auch, wer mit seinem ganzen Sein danach verlangt. Unzucht begeht sowohl der, der sündigt, als auch der, der zu sündigen begehrt. Es genügt nicht, dass Böse nicht zu tun, man darf auch nicht danach begehren.

Erinnere dich, Maria, des ersten Wortes deines Meisters, als ich dir am Rande des Abgrundes, an dem du dich befandest, zurief: „Es genügt nicht, dass Böse nicht zu tun. Man darf auch nicht danach verlangen, es zu tun.“

Wer sich sinnlichen Gedanken hingibt und sinnliche Gefühle durch Lektüre und durch vorsätzlich und aus ungesunder Gewohnheit gesuchte Schauspiele erregt, ist ebenso unrein wie der, der sich tatsächlich schuldig macht. Ich wage zu sagen: er ist noch schuldiger; denn er verstößt mit seinen Gedanken gegen die Natur, nicht nur gegen die Sittlichkeit. Ich spreche nicht von dem, der sogar wirklich naturwidrige Akte begeht. Die einzige Entschuldigung für einen solchen wäre eine organische oder psychische Krankheit. Wer aber diese Entschuldigung nicht hat, steht um zehn Stufen tiefer als das schmutzigste Tier. Damit einer gerecht urteilen kann, muss er selbst frei von Schuld sein.

Bezüglich der wichtigsten Voraussetzungen für einen Richter, verweise ich euch auf die früheren Diktate.

Mir waren die Herzen jener Pharisäer und Schriftgelehrten nicht unbekannt, ebenso wie die der anderen, die sich ihnen angeschlossen hatten, um gegen die Schuldige loszuziehen. Sünder gegen Gott und gegen den

Nächsten waren sie, schuldig gegenüber der Religion, schuldig gegenüber den Eltern und den Nächsten, schuldig vor allem auch, und am häufigsten, gegenüber ihren Frauen. Wenn ich durch ein Wunder ihrem Blut befohlen hätte, ihre Sünden auf ihre Stirn zu schreiben, dann hätte unter den vielen Anklagen die des tatsächlichen oder gedanklichen Ehebrechers vorgeherrscht. Ich habe gesagt: „Was aus dem Herzen des Menschen kommt, ist es, was den Menschen befleckt.“ Abgesehen von mir selbst war dort niemand unter den Richtern, der ein reines Herz gehabt hätte.

Unaufrichtig und lieblos waren sie. Nicht einmal ihre eigene Ähnlichkeit mit ihr in Bezug auf die Begierlichkeit, konnte sie zur Barmherzigkeit bewegen. Ich, der ich als einziger Abscheu hätte empfinden müssen, übte Liebe gegenüber dieser gedemütigten Frau. Erinnert euch jedoch daran: Je besser einer ist, desto barmherziger ist er mit den Schuldigen. Nicht die Sünde selbst entschuldigt er, dass nicht, aber er bedauert die Schwachen, die der Sünde nicht widerstehen konnten.

Der Mensch! Oh! Leichter als ein schwaches Rohr und eine feine Zaunwinde gibt er der Versuchung nach und klammert sich an Dinge, von denen er Trost und Stütze erhofft.

Oft kommt es ja gerade beim schwachen Geschlecht zur Sünde, weil man Trost zu finden sucht. Daher sage ich, wer es seiner Frau oder auch der eigenen Tochter an Liebe fehlen läßt, ist zu neunzig Prozent an der Sünde seiner Frau oder seiner Tochter schuld und wird an ihrer Stelle Rechenschaft dafür ablegen müssen. Sowohl die übertriebene Liebesbezeigung, die zur törichten Sklaverei eines Mannes gegenüber der Frau oder eines Vaters gegenüber einer Tochter führt, als auch die Vernachlässigung, oder schlimmer die Sünde der sinnlichen Lust, die den Mann zu fremder Liebe treibt und die Eltern zu anderen Interessen als die der Erziehung ihrer Kinder, sind der Ursprung der Hurerei und des Ehebruchs, und daher verurteile ich sie. Ihr seid vernunftbegabte Wesen, die von einem göttlichen Gesetz und von einem Sittengesetz geleitet werden. Sich zu einer wilden oder tierischen Lebensweise zu erniedrigen, müßte eurem großen Hochmut verabscheuenswert erscheinen. Aber den Stolz, der in diesem Falle sogar nützlich wäre, habt ihr nur für ganz andere Dinge.

Ich habe Petrus und Johannes auf verschiedene Art angeschaut, denn dem ersten, einem Mann, wollte ich sagen: „Petrus, fehle auch du nicht gegen die Liebe und die Aufrichtigkeit.“ Außerdem wollte ich ihm als meinem künftigen Hohenpriester sagen: „Erinnere dich dieser Stunde und urteile in Zukunft wie dein Meister.“ Dem anderen hingegen, einem Jüngling mit der Seele eines Kindes, wollte ich sagen: „Du kannst urteilen und urteilst nicht, weil du ein Herz wie das meine hast. Danke, Geliebter, der du so sehr mein eigen bist, dass du mein zweites Ich geworden bist.“ Ich habe beide fortgeschickt, bevor ich die Frau rief, um ihre Demütigung nicht zu vermehren durch die Anwesenheit zweier Zeugen.

Lernt, ihr Menschen, ohne Barmherzigkeit: Wie schuldbeladen einer auch sein mag, soll er doch immer mit Achtung und Liebe behandelt werden. Freut euch nicht über seine Demütigung. Zieht nicht über ihn her, nicht einmal mit neugierigen Blicken. Erbarmen, Erbarmen für den, der gefallen ist!

Der Schuldigen weise ich den Weg der Rettung: Die Rückkehr nach Hause, dass demütige Bitten um Verzeihung und das Erlangen der Verzeihung durch ein rechtschaffenes Leben. Sie soll nicht mehr den Versuchungen des Fleisches nachgeben und die Güte Gottes und der Menschen nicht mißbrauchen, um nicht durch eine zweifache oder vielfache Sünde noch schwerer büßen zu müssen als bisher. Gott verzeiht, und er verzeiht, weil er die Güte ist. Aber der Mensch weiß nicht zweimal zu verzeihen, obwohl ich gesagt habe: „Verzeih deinem Bruder siebenmal siebzigmal.“

Ich gebe ihr nicht den Frieden und den Segen, weil ich bei ihr noch nicht die entschiedene Absage an die Sünde gefunden habe, die erforderlich ist, um Verzeihung zu erlangen. In ihrem Fleisch und leider auch in ihrem Herzen herrscht nicht der Abscheu vor der Sünde. Maria von Magdala hatte, als sie mein Wort begriff, Abscheu vor der Sünde und war zu mir gekommen mit dem unbeugsamen Willen, ein anderer Mensch zu werden. In dieser Frau jedoch schwankten die Stimmen des Fleisches und des Geistes noch. Sie konnte in der Verwirrung der Stunde noch nicht die Axt an den Wurzelstock des Fleisches legen und ihn ausreißen, um befreit von ihrer Last sehnsüchtig dem Reiche Gottes entgegenzugehen; befreit von dem, was zum Untergang führt, und bereichert mit dem, was Rettung bedeutet.

Willst du wissen, ob sie später gerettet wurde? Nicht für alle bin ich der Erlöser gewesen. Für alle wollte ich es sein, und doch war ich es nicht, denn nicht alle sehnten sich danach, gerettet zu werden. Und das ist einer der furchtbarsten Pfeile gewesen, die mein Herz durchbohrten in der Agonie von Gethsemane.

Du, geh hin in Frieden, Maria Marias, und habe den Willen, nicht mehr zu sündigen, auch nicht in den kleinsten Dingen. Unter dem Mantel Marias ist nur Reinheit. Erinnere dich daran.

Eines Tages hat Maria, meine Mutter, dir gesagt: „Ich bitte meinen Sohn unter Tränen um euch.“ Und ein anderes Mal: „Ich überlasse meinem Jesus die Sorge, eure Liebe für mich zu gewinnen... Wenn ihr mich liebt, komme ich, und mein Kommen ist Freude und Rettung.“

Die Mutter hat dich gewollt, und ich habe dich ihr geschenkt. Ja, ich habe dich zu ihr geführt, denn ich weiß: wozu ich euch mit meiner Autorität bringen kann, dazu bringt sie euch mit der Liebkosung ihrer Liebe, und sie kann es noch besser als ich. Ihre Berührung ist ein Siegel, vor dem Satan flieht. Nun hast du ihr Gewand, und wenn du die Gebete der beiden Orden (Franziskaner und Serviten) treu erfüllst, betrachtest du täglich das Leben unserer Mutter, ihre Freuden, ihre Schmerzen, also auch meine Freuden und meine Schmerzen; denn von dem Augenblick an, da ich, dass Wort, Jesus wurde, habe ich mit ihr und aus denselben Gründen gejubelt und geweint.

Du siehst, dass „Maria lieben“ auch „Jesus lieben“ heißt. Und es heißt, ihn leichter lieben. Denn ich lasse dich das Kreuz tragen und gebe dir die Last des Kreuzes, während die Mutter dich stützt oder am Fuße des Kreuzes steht, um dich an ihr Herz zu drücken, dass nichts als Liebe kennt. Auch in der Todesstunde ist der Schoß Marias süßer als eine Wiege. Wer seinen Geist in ihr aushaucht, vernimmt nur die Stimmen der englischen Chöre, die sich um Maria scharen. Er sieht keine Finsternis, wohl aber den sanften lichten Strahl des Morgensternes. Er kennt kein Weinen, wohl aber ihr Lächeln. Er fühlt keine Angst. Wer wagt es, uns, die wir es lieben, wer wagt es, eines ihrer Kinder den Armen Marias zu entreißen?

Sage nicht „Danke“ zu mir; sage es ihr, die sich an nichts anderes erinnern wollte, als an das wenige Gute, dass du getan hast, und an die Liebe, die du mir bezeugst. Und deshalb wollte sie dich haben, um unter ihrem Fuß das zu zähmen, was dein guter Wille nicht zu zähmen vermochte. Rufe aus: „Es lebe Maria!“ Bleibe zu ihren Füßen am Fuße des Kreuzes, und du wirst dein Kleid schmücken mit den Rubinen meines Blutes und den Perlen ihrer Tränen. Du wirst ein königliches Kleid tragen beim Eintritt in mein Reich.

Geh in Frieden. Ich segne dich.»