07.06.2017

Hl. Teresa vom Avila (1515 — 1582), Kirchenlehrerin

Es ist schon recht seltsam: Noch stecken wir in tausend Schwierigkeiten und Unvollkommenheiten, und die Tugenden haben noch nicht einmal das Laufen gelernt, weil sie ja eben erst sich angeschickt haben, das Licht der Welt zu erblicken (Gott gebe, dass sie sich dazu angeschickt haben!) – schämen wir uns da nicht, vom Gebet Genuß zu erwarten und uns über Dürre zu beklagen? Niemals komme euch so ein Gedanke, Schwestern. Klammert euch an das Kreuz, das euer Bräutigam auf sich nahm, und erkennet, dass dies euer Auftrag ist. Wer mehr zu erleiden vermag, der leide mehr für ihn, und er wird umso mehr die Befreiung erfahren. Das übrige betrachtet als etwas Beiläufiges, und sollte es der Herr euch schenken, so dankt ihm dafür von Herzen.

Ihr meint vielleicht, ihr wäret wohl bereit und entschlossen, die äußeren Leiden auf euch zu nehmen, wenn nur der Herr euch innerlich beschenkt. Seine Majestät weiß besser, was gut für uns ist. Wir haben keinen Grund, ihm Ratschläge zu geben, was er uns schenken soll; denn er kann mit Recht uns sagen, dass wir nicht wissen, was wir bitten, Wer sich dem Gebet zu widmen beginnt – vergeßt das nie, denn es ist sehr wichtig –, der muss allein danach streben, sich mit allem Fleiß und Eifer, mit aller Entschlossenheit, deren er fähig ist, sich darauf einzustellen, dass sein eigener Wille mit dem Willen Gottes übereinstimme. Und nehmt es als ganz gewiss, dass hierin – wie ich euch später noch sagen werde – alle höhere Vollkommenheit besteht, die man auf dem geistlichen Weg erlangen kann. Wer das am vollkommensten vermag, der wird am meisten des Herrn teilhaftig werden und ist am weitesten auf diesem Wege fortgeschritten. Denket nicht, dass es hier außerdem seltsamgeheimnisvolle Rätselreden oder unerhörte und unbegreifliche Dinge gibt; denn in dem Gesagten besteht unser ganzes Heil. Wenn wir am Anfang irren und wünschen, dass der Herr nach unserem Willen verfährt und uns führt, so wie wir uns das vorstellen – welche Festigkeit kann da dieses Bauwerk besitzen? Bemühen wir uns, das zu tun, was an uns liegt, und hüten wir uns vor diesem giftigen Gewürm; denn oft will der Herr, dass böse Gedanken uns verfolgen und quälen, die wir nicht abschütteln können, so dass Dürre über uns kommt. Zuweilen läßt er es sogar zu, dass das böse Getier uns beißt, damit wir uns später besser in acht zu nehmen wissen, und um zu erproben, ob es uns sehr bedrückt, wenn wir ihn beleidigt haben.

Darum laßt den Mut nicht sinken, wenn ihr einmal fallen solltet, und hört nicht auf, vorwärts zu streben; denn auch diesen Sturz wird Gott zum Guten wenden, wie es der Theriakverkäufer tut, der zuerst Gift trinkt, um zu beweisen, dass die Arznei heilkräftig ist. Würden wir nirgends sonst wo unser Elend und den großen Schaden erkennen, den uns das Umherstreunen einbringt, als in dieser Schlacht, die wir durchzufechten haben, um uns wieder zu sammeln, so wäre dies schon genug. Kann es etwas Schlimmeres geben, als dass wir uns in unserem eigenen Haus nicht zurechtfinden? Wie können wir hoffen, in anderen Häusern Ruhe zu finden, wenn wir sie im eigenen nicht zu finden vermögen? Selbst so große, so echte Freunde und Verwandte wie unsere Seelenkräfte, mit denen wir immer, ob wir es wollen oder nicht, zusammenleben müssen, scheinen mit uns im Streit zu liegen, als wären sie verärgert durch die Feindschaft, mit der unsere Laster sie befehdet haben. »Friede, Friede!« – mit diesem Wort, meine Schwestern, ermahnte der Herr so oft seine Jünger. Denn glaubt mir: wenn wir ihn im eigenen Haus nicht haben und nicht dafür sorgen, dass er darin herrscht, so werden wir ihn auch in den fremden Häusern nicht finden. Macht endlich Schluß mit diesem Streit! Um des Blutes willen, das er für uns vergossen hat, bitte ich diejenigen, die noch nicht damit begonnen haben, in sich zu gehen; und die anderen, die schon angefangen haben, flehe ich an, es damit nicht bewenden zu lassen und nicht zurückzuweichen. Sie sollen bedenken, dass der Rückfall schlimmer ist als der Fall. Meinen sie schon ihre Niederlage zu sehen, dann sollten sie auf Gottes Barmherzigkeit vertrauen, nicht auf sich selbst. Und sie werden sehen, wie Seine Majestät sie von Wohnung zu Wohnung führt und in das Land bringt, wo die wilden Tiere sie weder anrühren noch müdehetzen können. Die Seele macht sie vielmehr alle sich untertänig und spottet ihrer, und sie genießt mehr Güter, als sie wünschen könnte, und zwar noch in diesem Leben, das sage ich euch.