14.10.2017

Hl. Bernhard von Clairvaux(1091-1153), Zisterziensermönch und Kirchenlehrer zum Evangelium vom 14.10.2017

„Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich die Worte erfüllen, die der Herr ihr sagen ließ“ (vgl. Lk 1,45)

Die Menschen des alten Bundes lebten unter der Führung der symbolischer Zeichen. Uns hingegen, durch die Gnade Christi gegenwärtig im Fleisch, ist die Wahrheit selbst aufgestrahlt. Und doch leben wir im Vergleich zur kommenden Welt gewissermaßen noch im Schatten der Wahrheit. Der Apostel Paulus schreibt: „Stückwerk ist unsere Erkenntnis, Stückwerk unsere Prophetengabe“ (vgl. 1 Kor 13,9) und „ich glaube nicht, dass ich es schon ergriffen habe“ (vgl. Phil 3,13). Wie auch könnte man keinen Unterschied machen zwischen dem, der glaubend vorwärts schreitet und dem, der sich der unverstellten Schau erfreut? So „lebt der Gerechte aus Glauben“ (vgl. Röm 1,17) – das ist der Selige, der in der Schau der Wahrheit frohlockt; jetzt lebt der heilige Mensch noch im Schatten Christi [...] Und er ist gut, dieser Schatten des Glaubens; er dämpft das blind machende Licht für unsere noch verfinsterten Augen und bereitet sie darauf vor, das Licht aushalten zu können. Denn es steht geschrieben: „Gott hat ihre Herzen durch den Glauben gereinigt“ (vgl. Apg 15,9). Der Glaube zieht demnach nicht die Auslöschung des Lichts nach sich, sondern seine Bewahrung. Alles, was die Engel offen schauen, das bewahrt der Schatten des Glaubens für mich; er läßt es in seinem Schoß ruhen, um es zu gegebener Zeit zu offenbaren. Ist das keine gute Sache, dass er verdeckt hält, was du noch nicht ohne Schleier ergreifen kannst?

Andererseits lebte auch die Mutter des Herrn im Schatten des Glaubens, da man ihr sagte: „Selig bist du, weil du geglaubt hast“ (vgl. Lk 1,45). Und von Christi Leib hat auch sie schattenhaft empfangen nach der Botschaft des Engels: „Die Kraft des Höchsten wird dich überschatten“ (vgl. Lk 1,35). Dieser Schatten ist also keineswegs zu verachten, denn es ist die Kraft des Allerhöchsten, die ihn wirft. Ja wirklich, im Fleisch Christi war eine Kraft, die die Jungfrau mit ihrem Schatten bedeckte, damit der Schirm dieses lebenspendenden Leibes ihr erlauben konnte, die göttliche Gegenwart zu ertragen und den Glanz des unzugänglichen Lichts auszuhalten, was für eine sterbliche Frau unmöglich ist. Diese Kraft hat alle entgegenstehende Kraft beherrscht. Die Kraft dieses Schattens vertreibt die Dämonen und schützt die Menschen. Eine wahrhaft lebenspendende Kraft und ein wahrhaft erfrischender Schatten! Und wir dürfen im Schatten Christi leben, denn wir gehen glaubend voran und wir empfangen das Leben, indem uns sein Fleisch nährt.