27.07.2017

Hl. Augustinus (354 — 430), Bischof von Hippo (Nordafrika) und Kirchenlehrer zum Evangelium vom 27.07.2017

„Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht“

„Nach deiner Hilfe sehnt sich meine Seele“ (Ps 119,81), das heißt, während sie wartet. Selige Hilfsbedürftigkeit, die ein Verlangen nach einem noch nicht erhaltenen, aber leidenschaftlich begehrten Gut zu Tage treten lässt. Von wem anders stammen also diese Worte als — seit Anbeginn der Menschheit bis zum Ende aller Zeiten — vom „auserwählten Geschlecht, der königlichen Priesterschaft, dem heiligen Stamm“ (1 Pe 2,9), jedem Menschen der, jeweils in seiner Epoche, im Verlangen nach Christus gelebt hat, lebt oder leben wird?

Zeuge dieser Erwartung ist der heilige Greis Simeon, der, als er das Kind in seine Arme entgegennimmt, ausruft: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen“ (Lk 2,29f). Denn er hatte von Gott die Verheißung bekommen, er werde den Tod nicht schauen, bevor er den Messias des Herrn erblickt habe. Das Verlangen dieses Greises – das müssen wir glauben – ist dasjenige aller Heiligen, die vorausgegangen sind. Deshalb sagt der Herr seinen Jüngern: „Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben es nicht gesehen und wollten hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört“ (Lk 10, 24).

Alle diese Menschen müssen also auch denen zugerechnet werden, die singen: „Meine Seele verzehrt sich nach deinem Heil“. Niemals ist zu jener Zeit dieses Verlangen der Propheten gestillt worden, und niemals wird sich auch jetzt dieses Verlangen im Leib Christi stillen lassen, bis dass der von den Propheten verheißene „Schatz aller Völker“ (Hag 2,7) erscheinen wird... Das hier angesprochene Verlangen bezieht sich auf das, was wir wie der Apostel Paulus ersehnen: „das Offenbarwerden Christi“. Von diesem sagt Paulus: „Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit“ (Kol 3,4). Zur Kirche der ersten Zeit, also vor der Geburt aus der Jungfrau, haben Heilige gezählt, die nach der Ankunft des Erlösers im Fleisch verlangten. Zur Kirche heute zählen andere Heilige, die nach dem Offenbarwerden Christi in Herrlichkeit verlangen. Vom Anbeginn der Welt bis zum Ende aller Zeiten kennt dieses Verlangen der Kirche keine Atempause.