27.06.2016
JESUS SPRICHT ZU DEN LANDARBEITERN JOCHANANS: «LIEBE IST GEHORSAM»
nach Maria Valtorta
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Jesus
steht inmitten eines verwüsteten Obstgartens des Doras. Reihen von
abgestorbenen oder sterbenden Bäumen umgeben ihn, und viele von diesen
sind schon gefällt oder ausgegraben worden. Die Arbeiter des Doras und
Jochanan und die Apostel sind um Jesus versammelt, teils stehend, teils
auf umgestürzten Baumstämmen sitzend.
Jesus beginnt zu reden: «Ein neuer Morgen und eine neue Abreise. Und ich
bin nicht der einzige, der abreist; auch ihr reist ab, wenn nicht in
materieller, so doch in moralischer Hinsicht, indem ihr in die Dienste
eines neuen Gutsherrn tretet. Ihr kommt so mit anderen guten und frommen
Arbeitern zusammen und werdet eine Familie bilden, in der ihr von Gott
und seinem Wort reden könnt, ohne dazu Verstecke aufsuchen zu müssen.
Stärkt euch gegenseitig im Glauben, helft einander, und jeder ertrage
die Fehler des anderen und diene ihm zur Erbauung.
Das ist Liebe. Ihr habt gestern abend gehört, wenn auch in anderer Form,
daß in der Liebe Rettung ist. Simon Petrus hat euch mit einfachen Worten
erklärt, wie die Liebe die bedrückende Natur (das tägliche Leben) in
eine übernatürliche verwandelt und aus einem Individuum (das ohne Liebe
verdorben und schädlich und wie ein geschlachtetes und nicht über dem
Feuer gebratenes Tier unnützer wird als ein Stück Holz, das im Wasser
vermodert und zum Feuern nicht mehr gut ist) einen Menschen machen kann,
der schon in der Atmosphäre Gottes lebt und daher ein Wesen ist, das der
Verderbnis entrinnt und seinem Nächsten nützt.
Daher glaubt mir, Söhne, die große Kraft des Universums ist die Liebe.
Ich werde nie müde werden, dies zu wiederholen. Alles Unglück auf der
Erde kommt von der Lieblosigkeit, angefangen vom Tod und den
Krankheiten, die aus Mangel an Liebe zum Allerhöchsten Herrn in Adam und
Eva geboren wurden.
Denn die Liebe ist Gehorsam. Wer nicht gehorcht, ist ein Rebell. Wer ein
Rebell ist, liebt den nicht, gegen den er rebelliert. Aber auch die
allgemeinen und die persönlichen Unglücksfälle wie Kriege oder
Streitigkeiten in den Familien, woher stammen sie? Vom Egoismus, der
nichts anderes ist als Lieblosigkeit. Und mit dem Ruin der Familien
kommt auch der Ruin der Güter als Strafe Gottes. Denn Gott straft früher
oder später jeden, der ohne Liebe lebt. Ich weiß, daß hier eine
Geschichte umgeht, um derentwillen ich von einigen gehaßt und von
anderen mit ängstlichem Herzen beobachtet werde; oder man bezeichnet
mich als neue Strafe und duldet mich nur aus Angst vor dieser Strafe. Es
ist die Fabel, wonach mein Blick die Felder verwüstet hat. Nicht mein
Blick: es war der bestrafte Egoismus eines ungerechten und grausamen
Menschen. Würden meine Blicke allen Grund und Boden derer, die mich
hassen, verbrennen, dann gäbe es wahrlich wenig Grünland in Palästina!
Ich räche mich nie an denen, die mich beleidigen, sondern überlasse dem
Vater all jene, die hartnäckig in ihrer Sünde der Selbstsucht gegenüber
dem Nächsten verharren, auf lästerliche Weise die Gebote verspotten und
um so grausamer werden, je mehr Worte sie hören und Handlungen sehen,
die sie von der Liebe überzeugen wollen. Ich bin immer bereit, die Hand
zu erheben und dem Reumütigen zu sagen: "Ich spreche dich los. Geh in
Frieden!" Aber ich beleidige die Liebe nicht dadurch, daß ich mich mit
unbußfertigen Herzen einverstanden erkläre. Habt dies immer vor Augen,
um die Dinge im rechten Licht zu sehen und die Fabeln Lügen zu strafen,
die – ob sie nun aus großer Verehrung oder aus haßerfüllter Angst
hervorgehen – immer von der Wahrheit abweichen.
Ihr wechselt jetzt den Herrn, doch ohne diese Felder zu verlassen. Und
wenn es auch Torheit zu sein scheint, sie zu pflegen, so sage ich euch
dennoch: tut eure Pflicht hier! Ihr habt sie bisher aus Furcht vor
unmenschlichen Strafen erfüllt. Erfüllt sie weiterhin, auch wenn ihr nun
anders behandelt werdet. Ja, ich sage euch sogar, je menschlicher ihr
behandelt werdet, desto mehr müßt ihr euch bemühen, mit freudigem Fleiß
zu arbeiten, um mit eurer Arbeit jenen zu danken, die euch mit
Menschlichkeit behandeln. Gewiß ist es richtig, daß die Herren die
Pflicht haben, menschlich mit ihren Untergebenen zu verfahren – indem
sie bedenken, daß wir alle vom gleichen Stamm sind; daß jeder Mensch
nackt geboren wird und ebenso stirbt und verwest, sowohl der Arme als
auch der Reiche; daß die Reichtümer nicht das Werk derjenigen sind, die
sie besitzen, sondern jener, die sie ihnen mit ehrlicher oder
unehrlicher Arbeit angehäuft haben; und daß man sich ihrer nicht rühmen,
sondern sie ohne Aufsehen und in Gerechtigkeit für gute Werke verwenden
soll, damit man ohne Strenge vom wahren Herrn, nämlich Gott, beurteilt
werde, von Gott, der sich nicht mit Edelsteinen und Goldstücken
bestechen läßt, sondern um unserer guten Werke willen unser Freund ist –
wenn also all dies richtig ist, so haben auch die Diener die Pflicht,
gut zu ihren Herren zu sein.
Erfüllt mit Einfalt und gutem Willen den Willen Gottes, der euch in
diesen bescheidenen Verhältnissen haben will. Ihr kennt das Gleichnis
vom reichen Prasser und ihr könnt daraus schließen, daß im Himmel nicht
das Gold, sondern die Tugend Lohn einbringt. Die Tugend und die
Unterwerfung unter den Willen Gottes machen Gott zum Freund des
Menschen. Ich weiß, daß es sehr schwer ist, in den Werken der Menschen
immer Gott zu erkennen. So leicht es auch ist, im Guten das Wirken
Gottes zu sehen, so schwer ist es doch, es im Bösen zu erkennen, da der
Mensch sich dann leicht zu dem Gedanken verleiten läßt, daß Gott nicht
gut sei. Doch ihr werdet das Böse überwinden, das euch der von Satan
versuchte Menschen zufügt, und jenseits dieser Schranke, und obwohl sie
euch Tränen kostet, erkennt ihr die Wahrheit des Schmerzes und seine
Schönheit. Der Schmerz stammt vom Bösen. Aber Gott, der ihn nicht
abschaffen will, da diese Kraft nun einmal existiert und ein Ausdruck
des geistlichen Goldes der Kinder Gottes ist, zwingt ihn, sein Gift in
ein Elixier zu verwandeln, das ewiges Leben verleiht. Denn der Schmerz
mit seinem Stachel hinterläßt in den Guten Kräfte, die sie immer mehr
vergeistigen und heiligen.
Seid daher gut, respektvoll, untertänig. Urteilt nicht über die Herren.
Einen gibt es, der urteilt. Ich wünschte, daß euer jetziger Herr ein
Gerechter werde; so wäre euer Leben leichter, und er gewänne das ewige
Leben. Aber bedenkt, je mühseliger die Pflicht zu erfüllen ist, um so
größer ist das Verdienst in den Augen Gottes. Versucht nicht, den Herrn
zu betrügen. Geld oder Gewinn, die durch Betrug erworben werden, machen
nicht reich und auch nicht satt. Bewahrt eure Hände, eure Lippen und
euer Herz rein. Dann werdet ihr euren Sabbat und eure vorgeschriebenen
Feste in der Gnade unter den Augen des Herrn feiern, auch wenn ihr an
die Scholle gebunden seid.
Wahrlich, eure mühevolle Arbeit ist mehr wert als das scheinheilige
Gebet jener, die das Gebot nur erfüllen, um von der Welt gelobt zu
werden, in Wirklichkeit aber das Gesetz nicht achten, das gebietet,
selbst und zusammen mit den Hausgenossen das Gebot des Sabbats und der
Feste Israels zu erfüllen. Denn das Gebet besteht nicht in der äußeren
Haltung, sondern kommt aus dem Gemüte. Wenn euer Herz Gott in Heiligkeit
und unter allen Umständen liebt, begeht es den Sabbat und die Feste
besser als die anderen, die euch daran hindern wollen.
Ich segne euch und verlasse euch nun, da die Sonne aufgeht und ich die
Hügel erreichen möchte, bevor die Hitze zu stark wird. Wir werden uns
bald wiedersehen, denn der Herbst ist nicht mehr fern. Der Friede sei
mit euch allen, den alten und den neuen Knechten Jochanans, und erfülle
eure Herzen!»
Jesus entfernt sich, indem er an den Bauern vorbeigeht und einen nach
dem anderen segnet.
Hinter einem großen verdorrten Apfelbaum verborgen steht ein Mann. Doch
als Jesus vorübergeht und so tut, als ob er ihn nicht bemerke, springt
er hervor und sagt: «Ich bin der Verwalter Jochanans. Er hat mir gesagt:
"Wenn der Rabbi von Israel kommt, dann lasse ihn auf meinen Gütern
Aufenthalt nehmen und zu den Arbeitern sprechen. Sie werden dann besser
für uns arbeiten, denn er lehrt nur gute Dinge." Und gestern, als er mir
mitgeteilt hat, daß von heute an diese (er deutet auf die Leute des
Doras) bei mir sind und die Güter Jochanan gehören, hat er auch
geschrieben: "Wenn der Rabbi kommt, höre, was er sagt, und richte dich
danach, damit uns kein Unheil befalle. Überhäufe ihn mit Ehren, doch
sorge dafür, daß er den Fluch von den Ländereien nimmt." Denn du mußt
wissen, daß sie Jochanan aus Eigensinn erworben hat. Doch ich glaube,
daß es ihn bereits reut. Es wird schon viel sein, wenn wir aus dem Boden
Weiden machen können.»
«Hast du mich reden gehört?»
«Ja, Meister!»
«Dann wißt ihr, wie ihr euch zu verhalten habt, du und dein Herr, um den
Segen Gottes zu erlangen. Teile dies deinem Herrn mit. Was dich angeht,
mäßige seine Befehle, da du aus Erfahrung weißt, mit welcher Mühe der
Mensch das Land bestellt und du in der Gunst deines Herrn stehst. Doch
ist es besser, die Gunst des Herrn zu verlieren als die Seele. Leb
wohl!»
«Aber ich muß dir Ehren erweisen.»
«Ich bin kein Götzenbild. Ich brauche keine Ehrenbezeugungen aus
Berechnung, um Gnaden zu schenken. Ehre mich in deinem Geist und setze
in die Tat um, was du gehört hast; dann wirst du Gott und deinem Herrn
gleichzeitig dienen.»
Gefolgt von den Jüngern, den Frauen und allen Landarbeitern geht Jesus
durch die Felder und schlägt den Weg zu den Hügeln ein, während ihn alle
noch einmal grüßen.