12.06.2016

MAGDALENA IM HAUS DES PHARISÄERS SIMON

nach Maria Valtorta

Zum Trost für meine vielen Leiden und um mich die Bosheiten der Menschen vergessen zu lassen, gewährt mir mein Jesus diese Betrachtungen:

Ich sehe einen reich ausgestatteten Saal. Ein großartiger Kronleuchter hängt von der Decke herab, und seine vielen Lampen sind angezündet. An den Wänden hängen kostbare Teppiche und stehen geschnitzte Sessel, die mit Elfenbein und Metall eingelegt sind.

in der Mitte des Saales befindet sich eine große Tafel, die aus vier im Quadrat aufgestellten Tischen besteht. Die Tafel ist sicher für die vielen Gäste (alles Männer) so hergerichtet und mit schönen Tischdecken und kostbarem Geschirr gedeckt worden. Wertvolle Krüge und Becher stehen bereit, und viele Diener kommen und gehen und bringen Speisen und Weine. Der Fußboden ist sehr schön, und das Licht der Öllampen spiegelt sich darin. Außen um das Quadrat der vier Tische herum befinden sich die Sitzgelegenheiten, die schon alle von den Eingeladenen eingenommen worden sind.

Es kommt mir vor, als wäre ich in der halbdunklen Ecke im Hintergrund des Saales, neben einer Türe, die nach außen hin geöffnet ist, vor der aber ein schwerer Teppich oder Gobelin vom Türbalken herunterhängt.

Auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite sitzt der Hausherr mit den wichtigsten Gästen. Er ist ein älterer Herr und trägt eine weite, weiße Tunika, die an den Hüften von einem gestickten Gürtel zusammengehalten wird. Das Gewand hat auch am Hals, am Ende der Ärmel und am unteren Saum Borten mit gestickten Motiven. Doch das Gesicht des Alten gefällt mir nicht. Es ist bösartig, kalt, hochmütig und gierig.

Ihm gegenüber sitzt mein Jesus. Ich sehe ihn von der Seite, fast von hinten. Er trägt sein übliches weißes Gewand und Sandalen; die Haare sind in der Mitte gescheitelt und haben die gewohnte Länge.

Ich bemerke, dass er und auch seine Tischgenossen nicht sitzen, also nicht aufrecht am Tisch sitzen, sondern liegen. Bei der Vision von der Hochzeit zu Kana habe ich nicht auf diese Besonderheit geachtet; ich habe nur gesehen, dass alle beim Essen den linken Arm aufstützten; doch schienen sie nicht zu liegen, vielleicht weil die Liegebetten weniger prächtig und viel kürzer waren. Hier stehen richtige Betten; sie gleichen modernen Diwanen.

Jesus hat neben sich Johannes, und da er seinen linken Ellbogen aufstützt (wie alle), ist Johannes zwischen dem Tisch und der Person Jesu eingekeilt. Er berührt mit seinem Ellbogen die Seite Jesu, ohne ihn jedoch beim Essen zu hindern; vielmehr erlaubt er ihm, sich vertraulich an seine Brust zu legen, wenn er will.

Von den Frauen ist keine zugegen. Alle reden, und der Hausherr wendet sich ab und in voller affektierter Herablassung und offenbarer Geringschätzung Jesus zu. Er will offensichtlich ihm und den Anwesenden zeigen, dass er Jesus mit der Einladung in sein reiches Haus eine große Ehre erweise; ihm, dem armen Propheten, den viele etwas überspannt finden...

Ich sehe, dass Jesus höflich und ruhig antwortet. Er hat ein sanftes Lächeln für den, der ihm Fragen stellt, und ein leuchtendes Lächeln, wenn der, welcher mit ihm spricht oder ihn auch nur anblickt, Johannes ist.

Dann sehe ich, wie der reiche Vorhang an der Türe sich bewegt und eine junge, schöne, vornehm gekleidete und sorgfältig frisierte Frau hereinkommt. Ihr reiches, blondes, kunstvoll hergerichtetes Haar bildet einen wahren Schmuck. Es scheint, als trage sie einen goldenen, verzierten Helm, so sehr glänzt ihr Haar. Wenn ich ihr Kleid mit dem Gewand vergleiche, dass die Jungfrau Maria stets trägt, so ist dieses hier ungewöhnlich reich und pompös. Schnallen auf den Schultern; Schmuckstücke, die den Ausschnitt auf der Brust zusammenhalten; Goldkettchen, die die Linie der Brust unterstreichen, und ein Gürtel, der mit Gold und Edelsteinen verziert ist. Das ganze Kleid hebt die Linien des wunderschönen Körpers hervor. Auf dem Kopf hat die Frau einen Schleier, der so dünn ist, dass er absolut nichts verhüllt. Er dient nur dazu, ihren Reiz zu erhöhen. An den Füßen trägt sie kostbare Sandalen aus rotem Leder mit goldenen Schnallen, deren Riemen um die Knöchel geschnürt sind.

Alle, außer Jesus, wenden sich um, sie anzuschauen. Johannes sieht nur kurz hin und wendet seinen Blick wieder Jesus zu. Die anderen starren sie mit sichtlicher, teils böswilliger Gier an. Aber die Frau schaut sie nicht an und kümmert sich nicht um das Geflüster, dass sich bei ihrem Eintreten erhoben hat, und um das Zuzwinkern von seiten Anwesender. Jesus tut, als ob er nichts bemerke. Er fährt fort, mit dem Hausherrn zu reden.

Die Frau nähert sich Jesus und kniet zu Füßen des Meisters nieder. Sie stellt ein Gefäß auf den Boden, dass die Form eines bauchigen Kruges hat, und nimmt den Schleier vom Haupt, indem sie eine kostbare Haarnadel entfernt, mit der er an der Haartracht befestigt war; dann streift sie auch die Ringe von den Fingern und legt alles auf das Bett zu den Füßen Jesu nieder. Schließlich nimmt sie die Füße Jesu in ihre Hände, zuerst den rechten, dann den linken, löst die Riemen der Sandalen und legt sie auf den Boden. Unter Tränen küßt sie diese Füße, legt ihre Stirn darauf und liebkost sie, und die Tränen rinnen wie Regen, der im Lampenschein glitzert, von den anbetungswürdigen Füßen Jesu herab.

Jesus wendet langsam das Haupt, nur ganz wenig, und seine tiefblauen Augen ruhen einen Augenblick auf dem geneigten Kopf. Ein Blick der Vergebung! Dann richtet er seinen Blick wiederum zur Mitte und läßt ihrem Herzenserguß freien Lauf.

Aber die anderen nicht. Sie spötteln, blinzeln sich zu und grinsen. Der Pharisäer setzt sich einen Augenblick auf, um besser sehen zu können, und in seinem Blick spiegeln sich Verlangen, Ärger und Ironie. Sein Verlangen nach dieser Frau ist offenkundig. Verärgert ist er, weil die Frau so frei eingetreten ist und die anderen denken könnten, dass sie... öfters in diesem Haus zu Gast ist. Die Ironie gilt Jesus.

Aber die Frau kümmert sich um nichts. Sie weint unaufhörlich und lautlos. Nur große Tränen und seltenes Schluchzen. Dann löst sie sich die Haare, zieht die goldenen Spangen heraus, die ihre Frisur halten, und legt auch sie neben Ringe und Haarnadel. Die goldenen Haarsträhnen fallen über ihre Schultern. Sie ergreift sie mit ihren beiden Händen und fährt damit über die mit Tränen benetzten Füße Jesu, solange, bis diese trocken sind. Dann taucht sie die Finger in das Gefäß und nimmt daraus eine gelbliche, wunderbar duftende Salbe. Der Duft, der an Lilien und Tuberosen erinnert, breitet sich im ganzen Saal aus. Die Frau greift ohne zu geizen in das kleine Gefäß und salbt und küßt und liebkost die Füße.

Jesus schaut ab und zu mit liebevoller Barmherzigkeit auf sie. Johannes, erstaunt über diesen Tränenausbruch, schaut hin und kann seinen Blick nicht mehr von Jesus und der Frau abwenden. Er blickt bald auf ihn, bald auf sie.

Das Gesicht des Pharisäers wird immer düsterer. Ich höre hier die bekannten Worte des Evangeliums, und ich höre sie in einem Ton und von einem Blick begleitet, die den mißgünstigen Greis zwingen, dass Haupt zu senken.

Ich höre die Worte der Vergebung, die Jesus an die Frau richtet, die sich darauf entfernt, indem sie ihre Schmucksachen zu den Füßen Jesu zurückläßt. Sie hat sich ihren Schleier um den Kopf gewickelt und darin, so gut es ging, die aufgelösten Haare verborgen. Jesus legt ihr mit den Worten: «Geh in Frieden!» die Hände auf das gesenkte Haupt, einen Augenblick nur, doch mit überaus liebevoller Gebärde.

«VIEL WIRD DEM VERZIEHEN, DER VIEL LIEBT»

Jesus sagt nun zu mir:

«Was den Pharisäer und seine Freunde veranlaßt hat, dass Haupt zu senken, und was nicht im Evangelium berichtet wird, sind die Worte, die mein Geist durch einen Blick wie Blitze in diese ausgetrocknete und hungrige Seele geschleudert hat. Ich habe viel mehr geantwortet als berichtet wird; denn mir war nichts von den Gedanken der Menschen verborgen. Und er hat meine wortlose Sprache verstanden, die vorwurfsvoller war, als meine Worte es hätten sein können.

Ich habe ihm gesagt: „Nein, keine niederträchtige Unterstellung, um dich vor dir selbst zu rechtfertigen. Ich habe keine Sinnenlust wie du. Die Frau kommt nicht zu mir in sinnlicher Absicht. Ich bin nicht wie du und deinesgleichen. Sie kommt zu mir, weil mein Blick und mein gelegentliches Wort ihre Seele erleuchtet haben, in der die Sinnenlust die Finsternis verursacht hatte. Sie kommt, um über ihre Sinnlichkeit Herr zu werden, und weil sie als armes Geschöpf weiß, dass sie allein nicht dazu imstande ist. Sie liebt in mir den Geist, nur den Geist, dessen übernatürliche Güte sie spürt. Nachdem sie soviel Böses von euch allen erfahren hat, die ihr ihre Schwäche für eure Laster ausgenützt und sie schließlich deswegen verachtet habt, kommt sie zu mir, weil sie fühlt, dass sie hier das Gute, die Freude, den Frieden gefunden hat, die sie im Pomp und Glanz der Welt vergeblich gesucht hatte.

Bemühe dich um die Heilung deiner Seele von deinem Aussatz, du scheinheiliger Pharisäer; bemühe dich, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind. Lege ab deinen Geistesstolz und deine fleischliche Wollust. Sie sind ein viel ekelerregenderer Aussatz als der körperliche. Von letzterem könnt ihr durch meine Berührung geheilt werden, wenn ihr mich darum bittet; vom Aussatz des Geistes nicht, denn ihr wollt nicht von ihm befreit werden, weil er euch gefällt. Sie aber will es! Und deswegen reinige und befreie ich sie von den Ketten ihrer Sklaverei. Die Sünderin ist tot. Sie liegt da im Schmuck, den sie mir, sich schämend, schenkt, damit ich ihn heilige, indem ich ihn für die Bedürfnisse meiner Person und meiner Jünger verwende; für die Armen, denen ich mit dem Überfluß der anderen zu Hilfe komme. Denn ich, der Herr des Weltalls, besitze jetzt nichts, ich, der

Erlöser der Menschen. Sie ist dort in dem Duft, den sie auf meinen Füßen hinterlassen hat; den Füßen, denen du eine Erfrischung mit dem Wasser deines Brunnens versagt hast, nachdem ich so weit gegangen war, um auch dir das Licht zu bringen. Die Sünderin ist tot. Sie ist wieder Maria geworden, schön wie ein reines, schamhaftes Mädchen in ihrer aufrichtigen Liebe. Sie hat sich in ihren Tränen gewaschen. Wahrlich, ich sage dir, o Pharisäer, dass ich zwischen dem, der mich mit seiner reinen Jugend liebt, und dieser, die mich in der aufrichtigen Zerknirschung eines in der Gnade wiedergeborenen Herzens liebt, keinen Unterschied mache und dem Reinen und der Reuigen den Auftrag erteile, meine Gedanken besser als die anderen zu verstehen, meinem Leib die letzten Ehrungen zu erweisen und den ersten Gruß an mich zu richten (abgesehen von dem meiner Mutter), nachdem ich auferstanden sein werde.“ Das wollte ich mit meinem Blick dem Pharisäer zu verstehen geben.

Aber dich möchte ich noch auf etwas anderes hinweisen: zu deiner Freude und zur Freude vieler. Auch in Bethanien hat Maria diese Geste wiederholt, welche die Morgenröte ihrer Erlösung darstellt. Es gibt persönliche Gesten, die sich wiederholen und eine Person und ihre Eigenart kennzeichnen. Unverwechselbare Gesten! Doch, wie es sich geziemte, war die Geste in Bethanien weniger erniedrigend und vertraulicher in ihrer ehrfürchtigen Anbetung.

Viele Fortschritte hat Maria seit dieser Morgendämmerung ihrer Erlösung gemacht. Viele! Die Liebe hat sie wie ein Wirbelwind in die Höhe und vorangetrieben. Die Liebe hat in ihr wie auf einem Scheiterhaufen das unreine Fleisch verzehrt und dem gereinigten Geist die Herrschaft übergeben. Und Maria, verschieden in der wiedergewonnenen Würde der Frau wie in der Kleidung, ist nun eine andere, einfach wie meine Mutter in der Frisur, im Blick, in der Haltung und im Reden, neu; so war es auch eine neue Art, mich zu ehren durch dieselbe Geste. Sie nimmt ihren letzten Salbtopf, den sie für mich aufbewahrt hat, und gießt ihn aus über meine Füße und mein Haupt, ohne Tränen und mit einem Blick, den die Liebe und die Sicherheit, Vergebung erlangt zu haben und gerettet zu sein, erstrahlen läßt. Jetzt kann Maria mein Haupt berühren und salben. Reue und Liebe haben sie gereinigt mit dem Feuer der Seraphim, und sie selbst ist nun ein Seraph.

Sage es dir selbst, Maria, meine „kleine Stimme“, sage es den Seelen. Geh und sage es den Seelen, die nicht zu mir zu kommen wagen, weil sie sich schuldig fühlen. Viel, ja sehr viel wird dem verziehen, der viel liebt. Der mich sehr liebt. Ihr wißt nicht, ihr armen Seelen, wie euch der Erlöser liebt! Fürchtet euch nicht vor mir! Kommt voller Vertrauen! Voller Mut! Ich öffne euch mein Herz und die Arme.

Denkt immer daran: Ich mache keinen Unterschied zwischen dem, der mich mit unversehrter Reinheit liebt, und dem, der mich mit der aufrichtigen Zerknirschung eines in der Gnade wiedergeborenen Herzens liebt. Ich bin der Erlöser. Erinnert euch immer daran!

Geh in Frieden. Ich segne dich.»

ERWÄGUNGEN ÜBER DIE BEKEHRUNG MARIA MAGDALENAS

Heute habe ich den ganzen Tag über das nachgedacht, was Jesus mir gestern abend diktiert hat, und auch darüber, was ich gesehen und verstanden habe, obwohl nicht darüber gesprochen worden ist.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch bemerken, dass die Gespräche der Tischgenossen, sofern ich sie verstanden habe, also besonders die jener, die Jesus zugewandt waren, Ereignisse des Tages betrafen: die Römer, dass von ihnen mißachtete Gesetz, ferner die Mission Jesu als Lehrmeister einer neuen Schule. Aber unter dem Deckmantel der Höflichkeit, so konnte man verstehen, waren es boshafte und verfängliche Fragen, die Jesus in Verlegenheit bringen sollten. Doch es gelang ihnen nicht, Jesus zu verwirren, denn mit wenigen Worten gab er die richtige Antwort und machte weitere Fragen unnötig.

Auf die Frage, von welcher besonderen Schule oder Sekte er ein neuer Lehrmeister sei, antwortete er schlicht: «Von der Schule Gottes. Er ist es, dessen heiliges Gesetz ich befolge, und seinetwegen bin ich darauf bedacht, dass in den Kleinen (und dabei schaute er mit Liebe auf Johannes und in Johannes auf alle, die aufrichtigen Herzens sind) das Gesetz erneuert werde in seiner ganzen Wesensheit, auf dass es wie am Tag werde, als der Herr, unser Gott, es auf Sinai kundgetan. Ich bringe die Menschen zurück zum Licht Gottes.»

Auf die Frage, was er von den Mißbräuchen und Übergriffen Caesars denke, der sich zum Beherrscher Palästinas gemacht hatte, antwortete Jesus: «Caesar ist, was er ist, weil Gott es so will. Gedenkt des Propheten Isaias. Nennt er nicht durch göttliche Erleuchtung Assur „die Zuchtrute“ seines Zorns? Die Zuchtrute, mit der das Volk Gottes bestraft wird, weil es sich von Gott abgewendet hat und sich Täuschungen hingibt? Und sagt er nicht auch, dass er ihn, nachdem er ihn zur Bestrafung benützt hat, zerbrechen wird, weil er seine Macht mißbraucht hat und zu hochmütig und grausam geworden ist?»

Diese beiden Antworten haben den größten Eindruck auf mich gemacht.

Heute abend sagt mein Jesus lächelnd zu mir:

«Immer komme ich, Maria, wenn jemand sich bemüht, zu verstehen. Ich bin kein harter und strenger Gott. Ich bin lebendige Barmherzigkeit. Und schneller als der Gedanke bin ich bei dem, der sich an mich wendet.

Auch der armen Maria von Magdala, die in ihren Sünden versunken war, war ich sofort mit meinem Geist zu Hilfe geeilt, als sich in ihr das

ihren eigenen Zu-

Verlangen regte, zu verstehen und das Licht Gottes und stand in der Finsternis zu erkennen. Und ich bin ihr zum Licht geworden.

Zu vielen habe ich an jenem Tag gesprochen, aber in Wirklichkeit galt es ihr allein. Ich hatte nur sie im Auge, die zu mir gekommen war, einem Drang der Seele folgend, in einer Auflehnung gegen das Fleisch, dessen Sklavin sie war. Ich hatte nur sie im Auge mit ihrem armen, vom Sturm gepeitschten Gesicht, mit ihrem erzwungenen Lächeln, dass soviel innere Tränen unter dem Gewand der Sicherheit und lügnerischer Freude verbarg, da sie der Welt und sich selbst nicht mehr traute. Ich sah nur sie, die viel mehr in Dornen verstrickt war als das verirrte Schäflein im Gleichnis; sie, die am Ersticken war im Überdruß ihres Lebens, der an die Oberfläche gestiegen war, wie jene tiefen Wellen, die die Wasser der Tiefe in die Höhe wälzen.

Ich habe keine großen Worte gebraucht; ich habe kein Thema gewählt, dass auf sie, die bekannte Sünderin, hingewiesen hätte, um sie nicht zu beschämen und zur Flucht zu zwingen. Ich habe sie in Frieden gelassen. Ich ließ mein Wort und meinen Blick in sie eindringen und in ihr wirken, um aus diesem momentanen Impuls die glorreiche Zukunft einer Heiligen zu gestalten. Ich habe mit einem der lieblichsten Gleichnisse zu ihr gesprochen: mit einem Strahl des Lichtes und der Güte, der gerade für sie ausgesandt wurde. Und während sie an jenem Abend ihren Fuß in das Haus des hochmütigen Reichen setzte, in dem mein Wort nicht zu künftiger Herrlichkeit keimen konnte, weil es im pharisäischen Hochmut erstickt wäre, wußte ich schon, dass sie kommen würde, nachdem sie soviel geweint hatte in ihrer Kammer der Lasterhaftigkeit und dass im Licht dieser Tränen ihre Zukunft schon beschlossen war.

Die Männer haben in ihrer Begehrlichkeit bei ihrem Eintritt in ihrem Fleisch gejubelt und ihr in Gedanken schlechte Absichten unterstellt. Alle haben nach ihr begehrt, mit Ausnahme der beiden Reinen an der Tafel: ich und Johannes! Alle glaubten, sie sei gekommen aus einer ihrer leichtsinnigen Launen, die sie, in ihrer wahren dämonischen Besessenheit, in unvorhergesehene Abenteuer stürzten. Aber Satan war bereits besiegt. Und alle haben voller Neid beobachtet, dass sie nicht ihretwegen, sondern meinetwegen gekommen war.

Der schlechte Mensch besudelt selbst die reinsten Dinge, wenn er nur für sein Fleisch und Blut lebt. Nur die Reinen sehen klar, weil die Sünde ihren Geist nicht verwirrt. Aber, dass der Mensch nicht versteht, soll dich nicht erschüttern, Maria. Gott versteht. Und das genügt für den Himmel.

Die Ehre, die von den Menschen kommt, vermehrt um keinen Grad die Herrlichkeit, die den Auserwählten im Paradies zuteil wird. Bedenke das immer! Die arme Maria Magdalena ist in ihren guten Taten immer falsch beurteilt worden. Dasselbe war nicht der Fall in bezug auf ihre sündhaften Handlungen; denn das waren Bisse der Wollust für den unersättlichen Hunger der Lasterhaften. So wurde sie kritisiert und falsch beurteilt zu Naim im Haus des Pharisäers, kritisiert und getadelt in Bethanien, in ihrem eigenen Haus.

Aber Johannes sagt ein großes Wort, dass den Schlüssel zu dieser letzten Kritik gibt: „Judas... weil er ein Dieb war. „ Ich sage: „Der Pharisäer und seine Freunde, weil sie wollüstige Menschen waren.“ Siehst du? Die sinnliche Begierde und die Gier nach Geld erheben die Stimme der Kritik gegen die gute Tat. Die Guten kritisieren nicht. Niemals! Sie haben Verständnis.

Aber, ich wiederhole es dir, die Kritik der Welt ist belanglos. Auf das Urteil Gottes kommt es an.

Ich bereite dich jetzt auf die Lektion von morgen vor. Merke dir aus dem 12. Kapitel Daniels die Worte, die ihm von meinem leuchtenden Engel gesagt worden sind: „Fürchte dich nicht! Der Friede sei mit dir! Fasse Mut und sei stark.“ Und du, sei immer bereit, zu antworten: „Rede, mein Herr, denn du hast mich gestärkt.“»

Dann sagt Jesus zu mir:

«Wenn ich dich so aufmerksam bei meinen Unterweisungen sehe, kommst du mir vor wie eine fleißige Schülerin, ihrem Lehrer ergeben, der für sie der „Wissende“ ist. Wenn du jedoch selbst etwas Neues entdeckst und Beobachtungen machst (während der Visionen), dann erinnerst du mich an ein gutes Kind, dass der Vater an der Hand führt. Er zeigt ihm gewisse Dinge, um es zum Nachdenken anzuregen, überläßt es jedoch auch sich selbst, um ihm nicht die Freude zu nehmen, etwas Neues zu entdecken und selbstbewußter zu werden.

Um dies tun zu können, musst du immer frei von menschlichen Sorgen sein. Immer freier! Du musst immer sicherer werden, um sorglos auf den Pfaden der Betrachtung zu wandeln, und immer ruhiger und vertrauensvoller, weil ich dich an der Hand halte. Ein Vater läßt es sich nicht anmerken, aber er bringt mit tausend liebevollen Künsten sein Kind dazu, dass zu betrachten, was er ihm zeigen will. Oh, ich bin der liebevollste der Väter und der geduldigste Lehrmeister für meine Kleinen, und wenn ich ein gelehriges und aufmerksames Kind an der Hand führen kann, dann bin ich glücklich. Glücklich, Lehrmeister und Vater zu sein! Es kommt nur so selten vor, dass meine Geschöpfe ihre Hand vertrauensvoll in die meine legen, um von mir geführt und unterrichtet zu werden und mir zu sagen: „Ich liebe dich über alles und mit meinem ganzen Sein.“ Den wenigen, die so ganz ohne Vorbehalte mein sind, eröffne ich die Schätze der Offenbarungen und Betrachtungen und schenke ich mich rückhaltlos.

Aber, Maria, da ich dich zur Verkünderin meiner Gottheit in ihren verschiedenen Erscheinungsformen erwählt habe, für jene, die das Bedürfnis haben, aufgeweckt und hingeführt zu werden Gott zu schauen, darfst du nicht vergessen, alles was du siehst, gewissenhaft wiederzugeben. Auch Kleinigkeiten haben ihre Bedeutung. Sie beziehen sich nicht auf dich, sondern auf mich; daher ist es dir nicht erlaubt, sie auszulassen. Das wäre unredlich und selbstsüchtig. Bedenke, dass du die Zisterne des göttlichen Wassers bist, in welche dieses Wasser sich ergießt, damit alle daraus schöpfen können. Was die Diktate angeht, hast du eine große Genauigkeit erreicht. Bei den Schauungen siehst du vieles; aber in der Eile, es niederzuschreiben und infolge deines Gesundheitszustandes und deiner Umgebung kommt es vor, dass du manchmal Einzelheiten ausläßt. Das darfst du nicht tun. Setze sie als Fußnote ein, aber notiere alles. Dies soll kein Vorwurf sein, es ist ein guter Rat deines Meisters.

Vor einigen Tagen hast du zu mir gesagt: „Wenn die Menschen dich durch mich ein wenig mehr lieben, rechtfertigt dies alle meine Mühen und mein Leben, und ist mir eine hinreichende Belohnung; wenn auch nur ein einziger Mensch durch dein 'verborgenes Veilchen' zu dir zurückkehrte, wäre ich glücklich.“ Je aufmerksamer und genauer du bist, um so größer wird die Zahl jener sein, die zu mir kommen, und um so größer wird auch deine gegenwärtige geistige Seligkeit und deine künftige ewige Seligkeit sein.

Geh in Frieden! Dein Herr ist mit dir.»