07.07.2016

UNTERWEISUNGEN DER APOSTEL ZU BEGINN DES APOSTOLATES

nach Maria Valtorta

Jesus und die Apostel – es sind alle da, ein Zeichen dafür, dass Judas Iskariot nach vollbrachter Tat zu den Gefährten zurückgekehrt ist – sitzen im Haus von Kapharnaum bei Tisch.

Es ist Abend. Das abnehmende Tageslicht dringt durch die Tür und die weitgeöffneten Fenster herein, durch die man den Übergang des Sonnenuntergangs von Purpur zu einem unwirklichen, schillernden Rot, dass sich an den Rändern in Violett und schließlich in Grau wandelt. Es läßt mich an ein Stück Papier denken, das, wenn man es ins Feuer wirft, wie die Kohle, an der es sich entzündet, verbrennt und sich dabei nach einem kurzen Aufflammen an den Rändern rollt, um dann in einer bleiernblauen Farbe zu erlöschen, die schließlich in ein fast perlweißes Grau übergeht.

«Es ist warm», sagt Petrus und zeigt auf eine große Wolke, die den Westen in letztere Farben kleidet. «Es ist warm und wird keinen Regen geben. Das ist Nebel, keine Wolke. Heute nacht werde ich im Boot schlafen; dort ist es etwas kühler.»

«Nein! Heute nacht wollen wir in den Ölgarten gehen. Ich muss mit euch reden. Jetzt ist ja auch Judas zurück. Es ist Zeit, euch einiges zu sagen. Ich kenne einen luftigen Platz. Dort werden wir uns wohlfühlen. Steht auf und laßt uns gehen.»

«Ist es weit?» fragen sie und nehmen ihre Mäntel.

«Nein, ganz in der Nähe. Nur ein Steinwurf vom letzten Haus entfernt. Ihr könnt die Mäntel zurücklassen. Nehmt jedoch Zunder und Feuerstein mit, damit wir bei der Rückkehr Licht machen können.»

Sie verlassen den oberen Raum und gehen die Stufen hinunter, nachdem sie den Herrn des Hauses und seine Frau, die sich auf der kühlen Terrasse erholen, gegrüßt haben.

Jesus wendet dem See den Rücken zu, geht durch das Dorf und dann etwa zweihundert oder dreihundert Meter durch den Olivenhain eines ersten kleinen Hügels. Er hält auf einer Anhöhe, die wegen ihrer vorspringenden und freien Lage bei dieser Schwüle einen luftigen Aufenthalt bietet.

«Setzt euch und hört mir aufmerksam zu! Die Stunde ist gekommen, da auch ihr die Frohe Botschaft verkünden sollt. Ich habe nun ungefähr die Hälfte meines öffentlichen Lebens hinter mir, die der Vorbereitung der Herzen auf mein Reich dient. Jetzt ist es Zeit, dass auch meine Apostel an der Vorbereitung dieses Reiches teilnehmen. Die Könige machen es so, wenn sie die Eroberung eines Reiches beschlossen haben. Zuerst prüfen sie und beraten sich mit anderen, um deren Meinung zu erfahren und sie auf das Ziel vorzubereiten, dass sie verfolgen. Dann ziehen sie bei ihrer vorbereitenden Arbeit zuverlässige Personen ins Vertrauen und senden sie in das Land, dass sie erobern wollen. Und immer mehr Boten schicken sie aus, bis das Land in all seinen geographischen und ethischen Eigenheiten bekannt ist. Nachdem dies geschehen ist, vollendet der König sein Werk, indem er sich zum König dieses Landes erklärt und krönt. Und das kostet Blut. Denn Siege kosten immer Blut...»

«Wir sind bereit, für dich zu kämpfen und unser Blut zu vergießen», erklären die Apostel einstimmig.

«Ich will kein anderes Blut vergießen als das des Heiligen und der Heiligen.»

«Willst du die Eroberung beim Tempel beginnen und ihn zur Stunde der Opfer überfallen? ...»

«Wir wollen uns nicht weiter darüber auslassen, Freunde. Die Zukunft werdet ihr zur rechten Zeit erfahren. Aber zittert nicht vor Schrecken. Ich versichere euch, dass ich die Zeremonien nicht durch einen Überfall unterbrechen will. Dennoch wird es Verwirrung geben, und ein Abend wird kommen, an dem der Schrecken das rituelle Gebet verhindert. Der Schrecken der Sünder. Ich aber werde an jenem Abend im Frieden sein. Im Frieden dem Geist und dem Leib nach. In einem vollkommenen, seligen Frieden...»

Jesus blickt einen nach dem anderen seiner zwölf Apostel an, und es scheint, als betrachte er zwölfmal die gleiche Buchseite und müßte zwölfmal das Wort lesen, dass darauf geschrieben steht: Verständnislosigkeit. Er lächelt und fährt dann fort: «Ich habe mich also entschlossen, euch auszusenden, um weiter vorzudringen, als ich dies allein zu tun vermag. Doch wird es zwischen meiner Art zu verkündigen und der eurigen vorsichtshalber Unterschiede geben, die ich festlege, um euch nicht in allzugroße Schwierigkeiten zu bringen – in Schwierigkeiten, die große Gefahren für eure Seele und euren Leib darstellen könnten – und um meinem Werk nicht zu schaden. Ihr seid noch nicht ausreichend vorbereitet, um euch jedwedem nähern zu können, ohne Schaden zu nehmen oder anzurichten; und noch weniger seid ihr heroisch genug, um der Welt geistig die Stirn bieten und ihrer Rachsucht entgegentreten zu können.

Daher geht auf euren Predigtreisen nicht zu den Heiden und nicht in die Städte der Samariter, sondern zu den verirrten Schafen des Hauses Israel. Es gibt auch unter diesen noch so viel zu tun; denn ich sage euch, die Menge um mich herum, die euch so zahlreich erscheint, stellt nur den hundertsten Teil von allen dar, die in Israel den Messias erwarten und ihn weder kennen noch wissen, dass er bereits unter ihnen weilt. Bringt ihnen den Glauben an mich und die Erkenntnis meiner Gegenwart. Auf euren Wegen predigt also: „Das Himmelreich ist nahe.“ Diese Verkündigung diene als Grundlage. Darauf baut eure ganze Predigt auf. Ihr habt über dieses Reich so viel von mir erfahren! Ihr braucht nur zu wiederholen, was ich euch gesagt habe. Aber der Mensch bedarf, um von den geistigen Wahrheiten angezogen und überzeugt zu werden, materieller Süßigkeiten, so als wäre er ein ewiges Kind, dass seine Aufgaben nicht macht und sein Handwerk nicht erlernt, wenn es nicht durch das Zuckerwerk der Mutter oder durch eine Belohnung des Lehrers oder des Meisters ermuntert wird. Damit ihr nun ein Mittel habt, dessentwegen man euch glaubt und euch aufsucht, übergebe ich euch das Geschenk des Wunderwirkens...»

Die Apostel, außer Jakobus des Alphäus und Johannes, springen in die Höhe, schreien, protestieren und sind begeistert, jeder nach seinem Temperament.

In Wirklichkeit ist nur Judas Iskariot von dem Gedanken geschmeichelt, dass er nun Wunder wirken kann. Er, der seiner Seele keine Rechenschaft gibt über den falschen und eigennützigen Vorwurf, ruft aus: «Es war Zeit, dass auch wir dies tun können, um ein Mindestmaß an Autorität über die Menge zu haben!»

Jesus schaut ihn fest an, sagt aber nichts. Petrus und der Zelote, die soeben sagen: «Nein, Herr, wir sind dessen nicht würdig! Das ist Sache der Heiligen!» tadeln Judas, und der Zelote sagt: «Wie kannst du dir erlauben, dem Meister einen Vorwurf zu machen, du törichter und hochmütiger Mensch!» während Petrus auffährt: «Das Mindestmaß? Was willst du denn noch mehr tun als Wunder wirken? Willst du vielleicht Gott werden? Hast du die gleichen Gelüste wie Luzifer?»

«Ruhe!» gebietet Jesus. Dann fährt er fort: «Es gibt etwas, was noch mehr wert ist als ein Wunder und was die Menge ebenfalls, und zwar gründlicher und dauerhafter überzeugt: ein heiliges Leben! Aber davon seid ihr noch weit entfernt, und du, Judas, am weitesten von allen. Doch laßt mich nun weiterreden, denn es ist eine lange Unterweisung.

Geht also hin und heilt die Kranken, reinigt die Aussätzigen, erweckt die körperlich oder seelisch Toten; denn Körper und Geist können gleicherweise krank, aussätzig oder tot sein. Und ihr wißt auch, wie man Wunder wirken kann: durch ein Leben der Buße, inbrünstiges Gebet und das aufrichtige Verlangen, die Allmacht Gottes aufleuchten zu lassen; durch tiefe Demut, lebhafte Liebe, flammenden Glauben und die Hoffnung, die sich durch keinerlei Schwierigkeiten entmutigen läßt. In Wahrheit sage ich euch, alles ist dem möglich, der diese Elemente in sich vereint.

Auch die Dämonen werden fliehen vor dem von euch ausgesprochenen Namen des Herrn, wenn ihr in euch besitzt, was ich gesagt habe. Diese Macht ist euch von mir und unserem Vater gegeben. Man kann sie mit keiner Münze kaufen. Nur unser Wollen kann sie gewähren, und nur ein gerechtes Leben kann sie verdienen. Aber, so wie sie euch umsonst gegeben wird, so sollt ihr sie auch anderen, die ihrer bedürfen, umsonst zugutekommen lassen. Wehe euch, wenn ihr die Gabe Gottes entehrt, indem ihr sie dazu benützt, euren Beutel zu füllen. Sie ist nicht eure Kraft, sie ist die Macht Gottes. Benützt sie, doch eignet sie euch nicht an und sagt nicht: „Sie gehört mir!“ So, wie sie euch gegeben wird, kann sie euch auch genommen werden. Simon des Jonas hat gerade zu Judas des Simon gesagt: „Hast du die gleichen Gelüste wie Luzifer?“ Er hat es gut ausgedrückt. Wer sagt: „Ich tue, was Gott tut, denn ich bin Gott“, macht es Luzifer nach. Seine Bestrafung ist bekannt. Bekannt ist auch, was jenen geschah, die im irdischen Paradiese von der verborgenen Frucht aßen infolge der Verführung durch den Neid Satans, der außer den rebellischen Engeln, die schon dort waren, noch andere Unglückliche in seiner Hölle haben wollte, aber auch infolge der Verlockung durch den eigenen vollkommenen Hochmut. Die einzige Frucht, die ihr ernten dürft, sind die Seelen, die ihr durch das Wunder für den Herrn gewinnt und die ihr dem Herrn geben müßt. Das sind eure Münzen. Sonst nichts. Im anderen Leben werdet ihr euch eures Schatzes erfreuen.

Geht ohne Reichtümer. Tragt weder Gold, noch Silber, noch Münzen in eurem Gürtel. Nehmt auch keinen Reisesack mit zwei oder mehr Kleidern und doppelter Fußbekleidung mit, keinen Wanderstab und keine von Menschen gemachten Waffen; denn eure apostolischen Besuche werden jetzt kurz sein, und an jedem Vorabend des Sabbats werden wir uns wieder zusammenfinden; dann könnt ihr eure schmutzigen Gewänder ablegen und müßt keine Kleider zum Wechseln mitnehmen. Auch braucht ihr keinen Wanderstab, denn der Weg ist angenehm, und auf Hügeln und Ebenen benötigt man andere Dinge als auf hohen Bergen und in der Wüste. Waffen sind überflüssig. Sie sind gut für einen Menschen, der die heilige Armut und die göttliche Vergebung nicht kennt. Aber ihr habt keine Schätze zu bewachen oder vor den Dieben zu schützen. Der einzige, den ihr fürchten müßt, der einzige Dieb für euch ist Satan. Und ihn besiegt man mit Beharrlichkeit und Gebet, nicht mit Schwert und Keulen. Wer euch beleidigt, dem verzeiht. Nehmen sie euch den Mantel weg, dann gebt ihnen auch das Kleid. Selbst wenn ihr wegen eurer Sanftmut und eurer Loslösung von den Reichtümern nackt dasteht, so seid ihr den Engeln des Herrn und auch der unendlichen Reinheit Gottes nicht anstößig; denn eure Liebe würde euren nackten Körper mit Gold bedecken, die Sanftmut würde euch mit einem Gürtel zieren und die Vergebung gegenüber dem Dieb würde euch Mantel und königliche Krone sein. Ihr wäret also besser gekleidet als ein König; und zudem mit unvergänglichen Stoffen.

Seid nicht besorgt um eure Nahrung. Ihr werdet immer haben, was euren Bedürfnissen angepaßt und eurer Sendung dienlich ist; denn der Arbeiter ist der Nahrung wert, die ihm seine Arbeit einbringen muss. Immer! Und wenn die Menschen nicht dafür sorgen, wird Gott für seinen Arbeiter sorgen. Ich habe euch schon gezeigt, dass es zum Leben und Predigen nicht eines mit gierig verschlungener Nahrung vollgestopften Leibes bedarf. Ein solcher ist gut für das unreine Tier, dessen Lebenszweck darin besteht, fett zu werden, um dann nach der Schlachtung auch die Menschen fett zu machen. Ihr aber sollt nur euren Geist und den der anderen gut nähren mit der Speise der Weisheit. Ein Geist, den die Völlerei nicht stumpfsinnig macht, und ein Herz, dass sich von der Übernatur ernährt, entzündet sich an der Weisheit. Ihr seid nie so redselig gewesen, wie nach der Rückkehr von dem Berg. Damals habt ihr nur gegessen, was nötig war um nicht zu sterben. Und doch wart ihr am Ende der Zurückgezogenheit stark und fröhlich wie nie zuvor. Stimmt das vielleicht nicht?

In jeder Stadt oder Ortschaft, in der ihr einkehrt, erkundigt euch, ob dort jemand lebt, der würdig ist, euch aufzunehmen. Nicht weil ihr Simon, Judas, Bartholomäus, Jakobus oder Johannes seid, sondern weil ihr die Gesandten des Herrn seid. Selbst wenn ihr verachtet gewesen wäret, Mörder, Diebe oder Zöllner, die nun aber bereuen und in meinem Dienst stehen, verdientet ihr Achtung, weil ihr meine Gesandten seid. Ich sage noch mehr: Wehe euch, wenn ihr euch nur als meine Gesandten ausgebt, innerlich aber verworfen und vom Teufel seid! Wehe euch! Die Hölle wäre noch wenig im Vergleich zu dem, was ihr durch euren Betrug verdient. Solltet ihr jedoch gleichzeitig Gesandte Gottes und im Verborgenen auch Verworfene, Zöllner, Räuber oder Mörder sein, oder sollte auch nur ein Verdacht gegen euch in den Herzen aufkeimen, so müßte euch dennoch Ehre und Achtung erwiesen werden, weil ihr meine Gesandten seid. Das Auge des Menschen muss über das Werkzeug hinaussehen, muss den Gesandten und den Zweck, Gott und sein Werk, über das oft fehlerhafte Werkzeug hinaus erkennen. Nur in Fällen schwerer Schuld, die dem Glauben der Herzen schaden könnte, werde ich jetzt, und später mein Nachfolger, dafür sorgen, dass das verdorbene Glied abgetrennt wird. Denn es ist nicht recht, dass durch einen dem Teufel anheimgefallenen Priester Seelen von Gläubigen verlorengehen. Nie wird es erlaubt sein, daß, um die am apostolischen Körper entstandenen Wunden zu bedecken, solch angefaulte Körperteile erhalten bleiben, die mit ihrer abstoßenden Erscheinung und ihrem dämonischen Gestank Seelen vertreiben oder vergiften.

Ihr sollt euch daher erkundigen, welche Familie ein rechtschaffenes Leben führt, wo die Frauen zurückhaltend sind und züchtige Sitten herrschen. Dort werdet ihr eintreten und verweilen, bis ihr den Ort wieder verlaßt. Macht es nicht wie die Drohnen, die, nachdem sie an einer Blüte gesaugt haben, zu einer anderen fliegen, die ihnen reichlicher Nektar bietet. Bleibt, wo ihr seid, sei es, dass ihr zu Menschen kommt, die gute Betten und reiche Tische haben, sei es, dass ihr zu Menschen kommt, die einer bescheidenen Familie angehören, aber reich an Tugenden sind. Sucht nie das „Bessere“ für den Körper, der vergänglich ist, sondern gebt diesem immer das Schlechtere, behaltet aber alle Rechte dem Geist vor. Und das sage ich euch, weil es gut ist, wenn ihr so handelt: gebt bei der Wahl eines Aufenthaltes soweit als möglich den Armen den Vorzug, um sie nicht zu demütigen und in Erinnerung an mich, der ich arm bin, arm bleibe und mich dessen rühme, und auch, weil die Armen oft besser sind als die Reichen. Ihr findet immer gerechte Arme, während es schwer ist, Reiche anzutreffen, die nicht ungerecht sind. Sagt also nicht zu eurer Entschuldigung: „Ich habe nur bei den Reichen Güte gefunden“, um euren Hang zum Wohlleben zu rechtfertigen!

Wenn ihr ein Haus betretet, dann grüßt mit meinem Gruß, dem schönsten Gruß, den es gibt. Sagt: „Der Friede sei mit euch! Der Friede sei in diesem Haus“, oder „Der Friede komme in dieses Haus!“ Denn ihr, Gesandte Jesu und Verkünder der Frohen Botschaft, tragt den Frieden bei euch, und euer Kommen an einen Ort bringe ihm Frieden. Ist er des Friedens unwürdig, kehrt er zu euch zurück; ist er des Friedens würdig, kommt er und bleibt in ihm. Achtet jedoch darauf, dass ihr friedfertig seid, damit ihr Gott zum Vater habt. Ein Vater hilft immer. Und wenn euch Gott hilft, vermögt ihr alles zu tun und alles gut zu tun.

Es kann auch sein, und es wird sicher vorkommen, dass eine Stadt oder ein Haus euch nicht aufnimmt und euch nicht anhören will; dass man euch verjagen, verspotten oder auch mit Steinwürfen verfolgen wird wie lästige Propheten. Dort ist es mehr als anderswo nötig, friedfertig, demütig und sanftmütig zu sein. Denn sonst wird euch der Zorn übermannen und ihr werdet sündigen, indem ihr die zu Bekehrenden verwirrt und ihren Unglauben noch vermehrt. Wenn ihr aber Beleidigung, Verfolgung und Spott ruhig hinnehmt, dann bekehrt ihr mit der schönsten Predigt: mit der stillen Predigt wahrer Tugend. Ihr werdet dann eines Tages den Feinden von heute auf eurem Weg begegnen, und sie werden euch sagen: „Wir haben euch gesucht, denn eure Art zu handeln hat uns von der Wahrheit, die ihr verkündet, überzeugt. Verzeiht uns und nehmt uns als Jünger an, denn wir haben euch verkannt. Jetzt erkennen wir euch als Heilige. Und da ihr Heilige seid, müßt ihr die Gesandten eines Heiligen sein, und wir glauben jetzt an ihn.“ Doch beim Verlassen der Stadt oder des Hauses, die euch nicht aufgenommen haben, schüttelt den Staub von euren Schuhen, damit der Hochmut und die Härte dieses Ortes nicht einmal an euren Sohlen haften bleiben. Wahrlich, ich sage euch: Am Tag des Gerichtes wird es Sodom und Gomorrha weniger schlimm ergehen als dieser Stadt.

Seht, ich sende euch wie Lämmer unter die Wölfe. Seid daher klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben. Denn ihr wißt, wie die Welt, in der es wahrlich mehr Wölfe als Schafe gibt, mich behandelt, der ich Christus bin. Ich kann mich mit meiner Macht verteidigen, und ich werde es auch tun, bis die Stunde des vorübergehenden Triumphes der Welt gekommen ist. Ihr aber habt diese Macht nicht und bedürft daher größerer Klugheit und Einfalt; und größerer Vorsicht, um vorerst dem Kerker und der Geißelung zu entgehen. Denn ihr vertragt jetzt noch nicht einmal einen spöttischen oder gehässigen Blick, obgleich ihr behauptet, euer Leben für mich hingeben zu wollen. Später wird eine Zeit kommen, in der ihr stark sein werdet wie Helden gegen alle Verfolgungen, ja stärker noch als Helden, mit einem für die Welt so unbegreiflichen Heldenmut, dass sie ihn Torheit nennen wird. Nein, es wird nicht Torheit sein: Ihr werdet durch die Liebe in vollkommener Weise an die Stelle des Gottmenschen treten und vollbringen, was ich schon getan habe. Um diesen Heldenmut verstehen zu können, muss man ihn sehen, studieren und vom überirdischen Standpunkt aus beurteilen. Denn er ist etwas Übernatürliches, dass alle Grenzen der menschlichen Natur übersteigt. Könige, Könige des Geistes werden meine Helden sein, in Ewigkeit Könige und Helden...

Zu dieser Zeit wird man Hand an euch legen und euch gefangennehmen; man wird euch vor die Gerichte schleppen, vor die Vorsteher und die Könige, damit diese euch richten und verurteilen wegen der großen Sünde in den Augen der Welt, Knechte Gottes, Diener und Verwalter des Guten, Lehrer der Tugenden zu sein. Und ihr werdet gegeißelt und auf tausenderlei Arten bis zum Tod gequält werden. Und ihr werdet Zeugnis von mir ablegen vor Königen, Herrschern und Nationen und mit eurem Blut bekennen, dass ihr Christus, den wahren Sohn des wahren Gottes, liebt.

Wenn ihr in ihren Händen seid, dann macht euch keine Sorgen darüber, was ihr antworten und was ihr sagen sollt. Eure einzige Sorge sei, euren Richtern und Anklägern nicht zu zürnen, da Satan sie so sehr auf Abwege führt, dass sie blind sind für die Wahrheit. Die Worte, die ihr sagen müßt, werden euch in diesem Augenblick eingegeben. Euer Vater wird sie euch auf die Lippen legen, so dass nicht ihr redet, um zum Glauben zu bekehren und die Wahrheit zu bekennen, sondern der Geist des Vaters wird es sein, der aus euch spricht.

Der Bruder wird den Bruder, der Vater den Sohn töten, und die Söhne werden sich auflehnen gegen ihre Eltern und sie dem Tod überliefern. Nein, verliert dann nicht den Mut und nehmt keinen Anstoß. Antwortet mir, welches ist für euch das größte Verbrechen: einen Vater, einen Bruder, einen Sohn oder Gott selbst zu töten?»

«Gott kann man nicht töten», sagt Judas Iskariot trocken.

«Das ist wahr. Er ist der unfaßbare Geist», bestätigt Bartholomäus. Und die anderen sind, obwohl sie schweigen, der gleichen Ansicht.

«Ich bin Gott und Fleisch», sagt Jesus ruhig.

«Niemand denkt daran, dich zu töten», entgegnet Iskariot.

«Ich bitte euch: beantwortet meine Frage.»

«Aber es ist selbstverständlich eine größere Sünde, Gott zu töten!»

«Nun gut: Gott wird vom Menschen getötet im Fleisch des Gottmenschen und in der Seele der Mörder des Gottmenschen. Und wie man ohne zu zaudern dieses Verbrechen begeht, werden ebenso auch die Verbrechen der Väter, der Brüder und der Söhne gegen die Söhne, die Brüder und die Väter geschehen. Ihr werdet wegen meines Namens von allen gehaßt werden. Doch wer bis zum Tod ausharrt, wird gerettet werden. Wenn man euch in der einen Stadt verfolgt, dann flieht in eine andere, nicht aus Feigheit, sondern um der neugeborenen Kirche Christi Zeit zu lassen, heranzuwachsen; damit aus dem schwachen und unfähigen Säugling ein Erwachsener werde, der dem Leben und auch dem Tod furchtlos die Stirn bietet. Wem der Geist es eingeben wird zu fliehen, soll fliehen. So, wie ich geflohen bin, als ich noch Kind war. Wahrlich, im Leben meiner Kirche werden sich alle Ereignisse meines menschlichen Lebens wiederholen. Alle! Angefangen vom Geheimnis seiner Entwicklung in der Demut der ersten Zeit, bis zu den Stürmen und Nachstellungen der Bösen und der Notwendigkeit zu fliehen, um weiter zu existieren; von der Armut und der unermüdlichen Arbeit bis zu vielen anderen Dingen, die ich augenblicklich durchlebe und die ich noch zu erdulden habe, bevor ich auf ewig triumphiere. Wem der Geist rät zu bleiben, soll bleiben. Denn wenn er auch getötet würde, lebte er und würde der Kirche nützen. Denn was der Geist Gottes rät, ist immer gut.

Wahrlich, ich sage euch, ihr und eure Nachfolger werdet nicht aufhören, die Städte und Wege Israels zu durchwandern bis zur Wiederkunft des Menschensohnes. Denn Israel wird wegen einer schrecklichen Sünde wie Spreu von einem Wirbelwind erfaßt und über die ganze Welt zerstreut werden, und Jahrhunderte und Jahrtausende werden vergehen, bevor es wiederum auf der Tenne des Jebusiters Arauna vereint sein wird. Jedesmal, wenn es versucht, sich vor der dazu bestimmten Stunde zu sammeln, wird es wieder vom Sturmwind erfaßt und zerstreut; denn Israel muss seine Sünde so viele Jahrhunderte lang beweinen, als Blutstropfen aus den Adern des Lammes Gottes fließen, dass für die Sünden der Welt geschlachtet werden wird. Und meine Kirche, die in mir und meinen Aposteln geschlagen wird, wird dennoch ihre mütterlichen Arme öffnen und versuchen müssen, Israel unter ihrem Mantel zu versammeln, wie eine Glucke ihre verirrten Küklein. Wenn ganz Israel sich unter dem Mantel der Kirche Christi birgt, dann werde ich kommen.

Doch das sind die Zukunft betreffende Dinge. Wir wollen von den nun bevorstehenden reden.

Denkt immer daran, dass der Jünger nicht mehr ist als der Meister, und der Diener nicht mehr als sein Herr. Daher soll sich der Jünger damit begnügen, wie sein Meister zu sein, und das ist schon eine unverdiente Ehre; und der Diener damit, wie der Herr zu sein, und es ist schon übernatürliche Güte, wenn euch dies gewährt wird.

Wenn sie den Herrn des Hauses Beelzebub genannt haben, wie werden sie dann seine Knechte nennen? Und können die Knechte aufbegehren, wenn der Herr nicht aufbegehrt, weder haßt noch verflucht, sondern ruhig in seiner Gerechtigkeit sein Werk fortsetzt und sein Gericht auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt: wenn er nämlich alles versucht haben wird, um zu überzeugen, und das hartnäckige Verharren in der Sünde gesehen hat? Nein, die Knechte dürfen nicht tun, was der Herr nicht getan hat. Sie sollen ihn vielmehr nachahmen und bedenken, dass auch sie Sünder sind, während er ohne Sünde war.

Fürchtet daher die nicht, die euch „Dämonen“ nennen. Die Wahrheit wird eines Tages erkannt werden, und dann wird man sehen, wer die Dämonen gewesen sind: ihr oder sie. Es ist nichts so verborgen, dass es nicht aufgedeckt, und nichts so geheim, dass es nicht bekannt werden würde.

Das sage ich euch jetzt, bei Nacht und im geheimen, denn die Welt ist nicht würdig, alle Worte des Wortes zu hören, und die Stunde ist noch nicht gekommen, da auch die Unwürdigen sie erfahren werden. Wenn aber die Stunde gekommen ist, da alles bekannt sein soll, müßt ihr alles, was ich euch jetzt mehr in die Seele als ins Ohr flüstere, im Licht und von den Dächern verkünden. Denn dann wird die Welt mit dem Blut getauft sein, und dieser Schild gegen Satan wird es der Welt ermöglichen – wenn sie will – die Geheimnisse Gottes zu begreifen; Satan wird nur jenen schaden können, die nach dem Bisse Satans verlangen und ihn meinem Kuß vorziehen. Aber acht von zehn Teilen der Welt wollen nicht begreifen; nur Minderheiten sind wißbegierig, um alles befolgen zu können, was zu meiner Lehre gehört. Das spielt keine Rolle. Da man die beiden heiligen Teile nicht von der Masse der Ungerechten trennen kann, predigt meine Lehre selbst von den Dächern, predigt sie von den Höhen der Berge, auf den grenzenlosen Meeren und in den Eingeweiden der Erde. Wenn die Menschen nicht hören wollen, werden die Vögel und die Winde, die Fische und die Wellen die göttlichen Worte vernehmen; und die Eingeweide der Erde werden das Echo an die unterirdischen Quellen, an die Mineralien, an die Metalle weitergeben, und alle werden sich daran erfreuen, denn auch sie sind von Gott erschaffen, um der Schemel meiner Füße und die Freude meines Herzens zu sein.

Fürchtet jene nicht, die den Leib töten, aber die Seele nicht töten können; fürchtet nur ihn, der euere Seele ins Verderben stürzen und sie beim Letzten Gericht dem auferstandenen Körper wieder einverleiben kann, um sie ins höllische Feuer zu werfen. Fürchtet euch nicht! Verkauft man nicht zwei Sperlinge für einen Pfennig? Und doch, wenn der Vater es nicht erlaubt, wird keiner von ihnen trotz aller Nachstellungen der Menschen gefangen. Fürchtet euch daher nicht! Der Vater kennt euch. Auch die Haare eures Hauptes hat er gezählt. Und ihr bedeutet ihm viel mehr als viele Sperlinge!

Und ich sage euch, wer mich vor den Menschen bekennen wird, den werde auch ich vor dem Vater, der im Himmel ist, bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater verleugnen. Bekennen heißt: meine Lehre befolgen und in die Tat umsetzen; verleugnen heißt: meinen Weg verlassen aus Feigheit, aus dreifacher Begierde, aus niedriger Berechnung oder aus menschlicher Rücksicht auf einen der eurigen, der gegen mich ist. So wird es kommen.

Denkt nicht, dass ich gekommen sei, um Eintracht auf die Erde und für die Erde zu bringen. Mein Friede ist viel erhabener als der berechnende Friede, mit dem man das tägliche Leben meistert. Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Das scharfe Schwert, dass die Schlingpflanzen durchtrennt, die im Schlamm zurückhalten, um so den Weg für die Flüge zum Übernatürlichen freizumachen. Ich bin gekommen, den Sohn mit dem Vater, die Tochter mit der Mutter und die Schwiegertochter mit der Schwiegermutter zu entzweien. Denn ich bin der, der herrscht und alle Rechte über seine Untertanen besitzt. Niemand hat größere Rechte auf die Liebe der Menschen als ich. Denn in mir vereinen und vervollkommnen sich alle Zuneigungen, und ich bin Vater, Mutter, Bräutigam, Bruder und Freund und liebe euch wie sie, und wie sie, will ich geliebt werden. Wenn ich sage: „Ich will“ ' dann vermag keine Bindung zu widerstehen, und das Geschöpf gehört mir. Ich habe es mit dem Vater erschaffen. Durch mich wird es gerettet. Ich habe das Recht, es zu besitzen.

Wahrlich, die Feinde des Menschen sind, neben den Dämonen, die Menschen selbst; und die Feinde des neuen Menschen, des Christen, werden die seines Hauses sein mit ihren Klagen, Drohungen und Bitten. Wer also von jetzt an Vater und Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Wer den Sohn oder die Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. Wer sein tägliches Kreuz nicht auf sich nimmt, so wie es ist -bestehend aus Verzicht, Ergebenheit, Gehorsam, Heroismus, Schmerzen, Krankheiten, Kämpfen und aus allem, was der Wille Gottes schickt -und mir damit nicht folgt, ist meiner nicht wert. Wer mehr an seinem irdischen Leben als an dem seiner Seele hängt, wird das wahre Leben verlieren. Wer aber sein irdisches Leben aus Liebe zu mir verloren hat, wird das ewige, glückselige Leben dafür empfangen.

Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf. Wer mich aufnimmt, der nimmt ihn auf, der mich gesandt hat. Wer einen Propheten als Propheten aufnimmt, wird eine Belohnung erhalten, die der Liebe angemessen ist, die er dem Propheten entgegengebracht hat; und wer einen Gerechten als Gerechten aufnimmt, wird den Lohn erhalten, der einem Gerechten entspricht. Denn wenn jemand einen Propheten als Propheten erkennt, beweist er damit, dass auch er ein Prophet, also sehr heilig ist, weil ihn der Geist Gottes in seinen Armen hält; und wer einen Gerechten als Gerechten betrachtet, beweist damit, dass er selbst ein Gerechter ist; denn sich ähnliche Seelen erkennen sich gegenseitig. Einem jeden wird somit nach Gerechtigkeit vergolten werden. Wer aber einem meiner Diener, selbst wenn es der geringste ist, auch nur einen Becher Wasser gibt, wird belohnt werden. Und Diener Jesu sind alle, die ihn mit einem heiligen Leben predigen; sie können Könige oder Bettler, Weise oder Unwissende, Greise oder Kinder sein, denn in jedem Lebensalter und in allen Schichten kann man mein Jünger sein. In Wahrheit sage ich euch: Wer einem meiner Jünger, weil er mein Jünger ist, einen Becher Wasser in meinem Namen gibt, der wird seine Belohnung nicht verlieren.

Ich habe gesprochen. Nun wollen wir beten und dann nach Hause gehen. Beim Morgengrauen müßt ihr aufbrechen und zwar so: Simon des Jonas mit Johannes, Simon der Zelote mit Judas Iskariot, Andreas mit Matthäus, Jakobus des Alphäus mit Thomas, Philippus mit Jakobus des Zebedäus und Judas, mein Bruder, mit Bartholomäus. Das gilt für diese Woche. Danach gebe ich neue Anweisungen. Nun laßt uns beten!»

Sie beten mit lauter Stimme.