23.09.2016

UNTERWEISUNG DER JÜNGER AUF DEM WEG NACH ARIMATHÄA

nach Maria Valtorta

»Herr, was werden wir mit diesem anfangen?« fragt Petrus Jesus, indem er auf den Mann namens Josef zeigt, der ihnen folgt, seit sie Emmaus verlassen haben, und nun den beiden Söhnen des Alphäus und dem Zeloten zuhört, die sich seiner ganz besonders angenommen haben.

»Ich habe es schon gesagt. Er wird mit uns bis nach Galiläa kommen.«

»Aber dann? . . . «

»Dann . . . wird er bei uns bleiben. Du wirst sehen, dass es so kommen wird.«

»Wird auch er ein Jünger werden? Mit all dem, was er auf dem

Gewissen hat?«

»Bist auch du ein Pharisäer?«

»Ich . . . nein! Aber mir scheint, dass die Pharisäer jeden unserer Schritte beobachten . . . «

»Wenn sie ihn bei uns sehen, werden sie uns Unannehmlichkeiten bereiten. Das willst du sagen, nicht wahr? Also, um uns nicht der Gefahr auszusetzen, belästigt zu werden, sollen wir einen Sohn Abrahams seiner Verzweiflung überlassen? Nein, Simon Petrus. Es geht um eine Seele, die verlorengehen oder gerettet werden kann, je nachdem, wie ihre große Wunde behandelt wird.«

»Aber sind denn nicht schon wir deine Jünger?«

Jesus schaut Petrus an und lächelt fein. Dann sagt er: »Vor vielen Monaten sagte ich dir einmal: „Viele andere werden noch hinzukommen.“ Das Feld ist sehr groß und weit. Die Arbeiter werden immer zu gering an der Zahl sein für eine solche Ausdehnung . . . auch weil viele das Los des Jona teilen werden: sie werden bei der harten Arbeit sterben. Doch ihr werdet immer meine Bevorzugten sein«, schließt Jesus und zieht den schmollenden Petrus an sich, der sich bei diesem Versprechen beruhigt.

»Dann kommt er also mit uns?«

»Ja, solange sein Herz nicht geheilt ist. Es ist mit Bitterkeit erfüllt durch all den Haß, den es erleiden musste.«

Auch Jakobus und Johannes erreichen zusammen mit Andreas den Meister und hören ihm zu.

»Ihr könnt nicht ermessen, welch großes Leid ein Mensch einem anderen Menschen durch feindselige Unnachgiebigkeit zufügen kann. Bedenket stets, dass euer Meister immer sehr gütig gegen die seelisch Kranken gewesen ist. Ihr glaubt, dass meine größten Wunder und die stärkste Wirkung meiner Kraft den Heilungen des Körpers gelten. Nein, Freunde . . . Ja, kommt auch ihr näher, die ihr vorausgeht oder hinten nachkommt. Die Straße ist breit, und wir können jetzt in einer geschlossenen Gruppe gehen.«

Alle drängen sich um Jesus, der fortfährt: »Meine bedeutendsten Werke, die am klarsten von meinem Wesen und meiner Mission zeugen und die mein Vater mit Wohlgefallen betrachtet, sind die Heilungen der Herzen; sei es, dass es sich um die Heilung von einem oder mehreren Hauptlastern handelt oder dass ich von der Trostlosigkeit befreie, die einen Menschen dermaßen niederdrückt, dass er glaubt, von Gott heimgesucht oder verlassen worden zu sein.

Was bleibt der Seele, die diese gewissheit der Hilfe Gottes verloren hat? Sie ist eine schwache Ackerwinde, die im Staube dahinkriecht, da sie sich nicht mehr an ihre Überzeugung festklammern kann, die vorher ihre Kraft und Freude war. Es ist schrecklich, ohne Hoffnung leben zu müssen. Das Leben ist schön trotz seiner Härten, nur weil es den Strahl der göttlichen Sonne empfängt. Das Ziel dieses Lebens ist jene Sonne. Ist der menschliche Tag düster, von Tränen erfüllt und vom Blute gezeichnet? Ja, aber dann wird die Sonne scheinen. Kein Schmerz, keine Trennung, keine Bitterkeit, kein Haß, kein Elend und keine Einsamkeit mehr in den bedrückenden Nebeln, sondern Licht und Gesang, Freude und Friede, Gott! Gott, die Ewige Sonne! Schaut, wie traurig die Erde erscheint, wenn eine Sonnenfinsternis eintritt. Wenn sich der Mensch sagen müßte: „Die Sonne ist nicht mehr“, wäre es dann nicht so, als ob er für immer in

eine dunkle Gruft eingemauert und begraben wäre; als ob er schon vor dem eigentlichen Tode gestorben wäre? Aber der Mensch weiß, dass jenseits des Himmelskörpers, der die Sonne verdeckt und die Erde verdunkelt, immer noch die heitere Sonne Gottes leuchtet. Das ist das bewusstsein der Gottverbundenheit während seines Lebens auf Erden. Die Menschen verletzen, bestehlen und verleumden. Gott heilt, vergilt und rechtfertigt in vollem Maße. Die Menschen sagen: „Gott hat dich verstoßen.“ Die vertrauensvolle Seele aber denkt, ja muss denken: „Gott ist gut und gerecht. Er kennt die Gründe und ist barmherzig, und seine Barmherzigkeit ist größer als die des gütigsten Menschen. Sie ist unendlich. Deshalb wird er mich nicht abweisen, wenn ich mein verweintes Antlitz an seiner Brust berge und sage: ‚Vater, du allein bleibst mir. Dein Kind ist betrübt und niedergeschlagen. Gib mir deinen Frieden . . . ‘ „

Ich, der von Gott Gesandte, sammle alle, die der Mensch verwirrt und Satan mit sich gerissen hat, und rette sie. Dies ist meine Aufgabe. Dies ist sie wahrhaftig. Das Wunder am menschlichen Leib ist göttliche Macht. Die Erlösung der Seelen ist das Werk Jesu Christi, des Retters und Erlösers. Ich denke, und ich irre nicht, dass alle, die ihre Würde in den Augen Gottes und in ihren eigenen Augen durch mich wiedergefunden haben, meine getreuen Jünger sein werden.

Mit umso größerer Überzeugungskraft werden sie das Volk zu Gott führen, indem sie sagen: „Ihr seid Sünder? Ich auch. Ihr seid gedemütigt worden? Ich auch. Ihr seid verzweifelt? Ich auch, und doch, seht ihr? Der Messias hat sich meines seelischen Elends erbarmt und mich als seinen Priester aufgenommen, denn er ist die Barmherzigkeit und wünscht, dass sich die Welt davon überzeuge. Niemand ist besser dafür geeignet, zu überzeugen, als der, der es an sich selbst erfahren hat.“ Nun will ich meine Freunde und jene, die mich seit meiner Geburt lieben, also die Hirten, mit diesen Menschen vereinigen. Besser noch: ich geselle sie den Hirten und den Geheilten bei, allen, die auch ohne besondere Erwählung, wie dies bei euch Zwölfen der Fall ist, sich auf meinen Weg begeben und ihm bis zu ihrem Tode folgen werden. In der Nähe von Arimathäa lebt Isaak. Ich werde ihn mit mir nehmen, damit er mit Timoneus geht, sobald dieser angekommen ist. Josef, unser Freund, hat mich darum gebeten. Wenn du glaubst, dass in mir der Friede und das Ziel eines ganzen Lebens zu finden sind, kannst du dich zu ihnen gesellen. Sie werden dir gute Brüder sein.«

»Oh, welch ein Trost für mich! Es ist genau so, wie du sagst. Meine tiefen Wunden, als Mensch und als Gläubiger, heilen von Stunde zu Stunde. Seit drei Tagen bin ich bei dir, und ich habe das Gefühl, dass all das, was mich noch vor drei Tagen quälte, sich wie ein Traum von mir entfernt. Ich habe diesen Traum gelebt, doch je mehr Zeit vergeht, um so mehr verbleichen seine scharfen Umrisse vor deiner Wirklichkeit. In diesen Nächten habe ich viel nachgedacht. In

Joppe habe ich einen guten Verwandten. Er ist . . . die unabsichtliche Ursache meines Unheils gewesen, weil ich durch ihn jene Frau kennengelernt habe. Dies soll dir beweisen, ob wir wissen konnten, wessen Tochter sie war . . . Von ihr, der ersten Frau meines Vaters, ja, von ihr wird sie es wohl gewesen sein, aber nicht von meinem Vater. Sie hatte einen anderen Namen und kam von weither. Sie lernte durch den Handel meinen Verwandten kennen, und so lernte auch

ich sie kennen. Der Verwandte ist sehr auf mein Unternehmen aus. Ich werde es ihm anbieten, da es ohne Herrn eingehen würde. Er wird es mir zweifellos abkaufen, um nicht mehr so sehr vom Gewissen geplagt zu werden, die Ursache meines Unglücks zu sein. Ich werde mir genügen und dir nachfolgen können. Ich bitte dich nur, mir Isaak, den du genannt hast, beizugesellen. Ich habe Angst, mit meinen Gedanken allein zu sein. Sie sind noch zu traurig . . . «

»Ich werde dir Isaak geben. Er ist ein guter Mensch. Der Schmerz hat ihn veredelt. Dreißig Jahre lang hat er sein Kreuz getragen. Er weiß, was leiden heißt . . . Wir werden indes weitergehen, und ihr werdet uns in Nazaret einholen.«

»Werden wir nicht im Haus Josefs verweilen?«

»Josef ist wahrscheinlich in Jerusalem . . . Das Hohe Rat hat viel zu tun. Aber wir werden es durch Isaak erfahren. Wenn er da ist, werden wir ihm unseren Frieden bringen. Wenn nicht, dann werden wir nur eine Nacht bleiben, um uns auszuruhen. Ich habe es eilig, nach Galiläa zu kommen. Dort ist eine Mutter, die leidet. Denn vergeßt nicht, es ist dort jemand, der alles daransetzt, um sie zu betrüben. Ich will sie beruhigen.«