16.03.2016

«WIR SIND NACHKOMMEN ABRAHAMS»

nach Maria Valtorta

Jesus will die Gelegenheit benützen und versucht den Ort zu verlassen. Aber einige, die in einer gewissen Entfernung von ihm gestanden sind, nähern sich und sagen: «Meister, höre uns zu. Wir sind nicht alle wie diese (und sie deuten auf die Feinde), aber es fällt uns schwer, dir zu folgen, auch weil deiner Stimme hundert und tausend Stimmen gegenüberstehen, die das Gegenteil von dem sagen, was du sagst. Und was sie sagen, dass haben wir seit unserer Kindheit von unseren Vätern vernommen. Doch deine Worte führen uns zum Glauben. Aber was sollen wir tun, um vollständig glauben und das Leben besitzen zu können? Wir sind wie gebunden durch die Denkweise der Vergangenheit...»

«Wenn ihr euch gefestigt habt in meinem Wort, als wäret ihr eben erneut geboren worden, werdet ihr auch vollständig glauben und meine Jünger werden. Aber ihr müßt eure Vergangenheit abstreifen und meine Lehre annehmen. Sie löscht nicht eure gesamte Vergangenheit aus. Im Gegenteil, sie erhält und stärkt, was heilig und übernatürlich war in der Vergangenheit, und entfernt das Menschlich-Überflüssige, indem sie die Vollkommenheit meiner Lehre an die Stelle der immer unvollkommenen menschlichen Lehren setzt. Wenn ihr zu mir kommt, werdet ihr die Wahrheit kennenlernen, und die Wahrheit wird euch frei machen.»

«Meister, wir haben dir zwar gesagt, dass wir wie gebunden sind durch die Vergangenheit. Aber diese Bindung bedeutet weder Gefangenschaft noch Sklaverei. Wir sind Nachkommen Abrahams in den Dingen des Geistes. Denn Nachkommenschaft Abrahams bedeutet, wenn wir nicht irren, geistige Nachkommenschaft im Gegensatz zu jener der Hagar, die eine Nachkommenschaft von Sklaven ist. Wie kannst du also sagen, dass wir frei sein werden?»

«Ich möchte euch darauf aufmerksam machen, dass auch Ismael und seine Kinder zur Nachkommenschaft Abrahams gehören, denn Abraham war der Vater des Isaak und des Ismael.»

«Aber seine Nachkommenschaft ist unrein, denn er war der Sohn einer ägyptischen Sklavin.»

«Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, es gibt nur eine Sklaverei: die der Sünde. Nur wer Sünden begeht, ist ein Sklave. Und es ist eine Sklaverei, aus der Geld nicht loskaufen kann und die an einen unerbittlich grausamen Herrn kettet. Durch sie verliert man jegliches Recht auf die freie Souveränität des Himmelreiches. Der Sklave, der Mensch, der durch einen Krieg oder ein Unglück zum Sklaven geworden ist, kann auch der Besitz eines guten Herrn werden. Aber sein Schicksal ist immer ungewiß, da der Besitzer ihn an einen anderen grausamen Herrn verkaufen kann. Er ist eine Ware und nicht mehr. Bisweilen dient er auch als Ersatz für Geld, um eine Schuld zu tilgen. Und er hat nicht einmal das Recht zu weinen. Der Diener hingegen lebt im Haus des Herrn, solange ihn dieser nicht entläßt. Der Sohn aber bleibt immer im Haus des Vaters, und der Vater denkt nicht daran, ihn zu verjagen. Nur aus eigenem freien Willen könnte er es verlassen. Und darin besteht der Unterschied zwischen Sklaverei und Knechtschaft, zwischen Knechtschaft und Kindschaft. Die Sklaverei legt den Menschen in Ketten. Die Knechtschaft stellt ihn in den Dienst eines Herrn. Die Kindschaft schenkt ihm für immer einen Platz im Haus des Vaters, in dem er lebt wie der Vater. Die Sklaverei vernichtet den Menschen, die Knechtschaft macht ihn zum Untergebenen, die Kindschaft aber macht ihn frei und glücklich. Die Sünde macht den Menschen zum Sklaven des grausamsten und unumschränktesten Herrn: Satan. Die Knechtschaft, in diesem Fall das alte Gesetz, flößt dem Menschen Furcht vor einem unduldsamen Gott ein. Die Kindschaft hingegen, d.h. der Weg zu Gott zusammen mit seinem Erstgeborenen, mit mir, macht den Menschen frei und glücklich, da er den Vater kennt und Vertrauen hat zu seiner Liebe. Die Annahme meiner Lehre ist ein Hingehen zu Gott zusammen mit mir, dem Erstgeborenen vieler geliebter Kinder. Ich werde eure Ketten zerreißen, wenn ihr nur zu mir kommt, damit ich sie zerreiße; und ihr werdet wahrhaft frei und zusammen mit mir Miterben des Himmelreiches sein. Ich weiß, dass ihr die Nachkommenschaft Abrahams seid. Wer unter euch mich aber zu töten versucht, ehrt nicht mehr Abraham, sondern Satan, und dient ihm als treuer Sklave. Warum? Weil er mein Wort zurückweist und es bei so vielen von euch nicht eindringen kann. Gott zwingt den Menschen nicht zu glauben. Er zwingt ihn nicht, mich anzunehmen. Aber er schickt mich, damit ich euch seinen Willen verkünde. Und ich sage euch das, was ich bei meinem Vater gesehen und gehört habe, und tue das, was er will. Diejenigen aber unter euch, die mich verfolgen, tun das, was sie von ihrem Vater gelernt haben und was er ihnen eingibt.»

Wie ein Paroxysmus, der einen Augenblick nachgelassen hat und nun wieder heftig wird, so bricht der Zorn der Juden, Pharisäer und Schriftgelehrten, der sich etwas beruhigt zu haben schien, erneut aus. Sie drängen sich wie ein Keil in den dichten Kreis um Jesus und versuchen, sich ihm zu nähern. Die Menge gleicht einem hin- und herwogenden Meer, entsprechend den gegensätzlichen Gefühlen der Herzen. Die Juden brüllen grün vor Zorn und Haß: «Unser Vater ist Abraham. Wir haben keinen anderen Vater.»

«Der Vater der Menschen ist Gott. Abraham selbst ist auch ein Sohn des universellen Vaters. Aber viele verschmähen den wahren Vater zugunsten eines, der nicht ihr Vater ist, den sie sich aber als solchen erwählen, weil er mächtiger zu sein scheint und bereit ist, ihre unmäßigen Wünsche zu erfüllen. Die Söhne tun die Werke, die sie ihren Vater tun sehen. Wenn ihr doch Söhne Abrahams seid, warum tut ihr dann nicht die Werke Abrahams? Kennt ihr sie nicht? muss ich sie euch aufzählen in ihrer Natur und Symbolkraft? Abraham gehorchte und ging in das Land, dass Gott ihm anwies. Er war das Vorbild des Menschen, der bereit sein muss, alles zu verlassen, um dorthin zu gehen, wohin Gott ihn schickt. Abraham war großmütig mit dem Sohn seines Bruders und ließ ihn die Gegend auswählen, die er wünschte; er war ein Vorbild des Respekts vor der Handlungsfreiheit des Nächsten und der Nächstenliebe. Abraham blieb demütig, auch nachdem Gott ihn auserwählt hatte, und er ehrte ihn in Mamre bei Hebron, da er sich stets als ein Nichts fühlte im Vergleich zum Allerhöchsten, der zu ihm gesprochen hatte. So war er auch ein Vorbild für die ehrfurchtsvolle Liebe, die der Mensch Gott gegenüber immer empfinden soll. Abraham glaubte und gehorchte Gott auch in den Dingen, die am schwersten zu glauben waren und deren Ausführung schmerzte. Und um sich sicher zu fühlen, hütete er sich vor der Selbstsucht und betete für Sodom. Abraham handelte nicht mit dem Herrn um den Lohn für seinen Gehorsam; vielmehr, um ihn bis zum letzten zu ehren, opferte er ihm sogar seinen vielgeliebten Sohn...»

«Er opferte ihn nicht.»

«Er opferte ihm den geliebten Sohn, da sein Herz ihn bereits auf dem Weg geopfert hatte durch seinen Willen zum Gehorsam. Als der Engel ihn zurückhielt, war das Herz des Vaters schon zerrissen, da er eben das Herz des Sohnes durchbohren wollte. Er wollte seinen Sohn töten, um Gott zu ehren. Ihr tötet den Sohn Gottes, um Satan zu ehren. Tut ihr also die Werke dessen, den ihr euren Vater nennt? Nein, dass tut ihr nicht. Ihr sucht mich zu töten, weil ich euch die Wahrheit sage, so wie ich sie von Gott gehört habe. Abraham handelte nicht wie ihr. Er versuchte nicht die Stimme zu ersticken, die vom Himmel kam, sondern gehorchte ihr. Nein, ihr tut nicht die Werke Abrahams, sondern die, die euch euer Vater angibt.»

«Wir sind nicht von einer Hure geboren. Bastarde sind wir nicht. Du hast gesagt, du selbst, dass der Vater der Menschen Gott ist, und wir sind außerdem das auserwählte Volk und gehören zu den auserwählten Kasten dieses Volkes. Daher haben wir Gott als einzigen Vater.»

«Wenn ihr Gott als Vater im Geist und in der Wahrheit anerkennen würdet, würdet ihr mich lieben, da ich von Gott komme; denn ich komme nicht von mir selbst, sondern er ist es, der mich gesandt hat. Wenn ihr daher wirklich den Vater kennen würdet, müßtet ihr auch mich kennen, seinen Sohn, euren Bruder und Erlöser. Sollten Brüder sich nicht gegenseitig erkennen? Sollten die Söhne eines Einzigen nicht die Sprache kennen, die im Haus des einzigen Vaters gesprochen wird? Warum also versteht ihr meine Sprache nicht und ertragt nicht meine Worte? Weil ich von Gott komme und ihr nicht. Ihr habt das Vaterhaus verlassen und die Sprache und das Antlitz dessen vergessen, der darin wohnt. Ihr seid freiwillig in die Fremde gegangen, in andere Wohnungen, wo ein anderer herrscht, der nicht Gott ist, und wo man eine andere Sprache spricht. Und der dort herrscht verlangt, dass man sein Sohn wird und ihm gehorcht, um eingelassen zu werden. Ihr habt es getan und tut es. Ihr habt dein Vater Gott abgeschworen und ihn verleugnet, um euch einen anderen Vater zu erwählen, und dieser ist Satan. Ihr habt den Teufel zum Vater und wollt tun, was er euch einflüstert. Die Wünsche des Teufels aber sind Sünde und Gewalttat, und ihr habt sie euch zu eigen gemacht. Von Anfang an war er ein Menschenmörder, und er beharrte nicht in der Wahrheit, da er, der sich gegen die Wahrheit empörte, nicht die Liebe zur Wahrheit in sich haben kann. Wenn er spricht, spricht er so, wie er ist, d.h. als Lügner und Geschöpf der Finsternis, denn er ist wahrhaft ein Lügner und hat die Sünde gezeugt und geboren, nachdem er sie mit dem Hochmut befruchtet und mit der Auflehnung genährt hat. Alle Begierlichkeit ist in seinem. Schoß, er speit sie aus und impft sie den Geschöpfen ein, um sie zu vergiften. Er ist das Wesen der Finsternis, der Spötter, die verfluchte schleichende Schlange, die Abscheulichkeit, die Schändlichkeit selbst. Seit Jahrhunderten quält er die Menschen mit seinen Machenschaften, deren Kennzeichen und Früchte den Menschen wohl bekannt sind. Und doch schenkt ihr dem Gehör, der lügt und zugrunderichtet, während ihr mir nicht glaubt und mich einen Sünder nennt, wenn ich spreche und euch die Wahrheit und das Gute verkünde. Aber wer von den vielen, die sich mir mit Haß oder Liebe genähert haben, kann sagen, dass er mich sündigen gesehen hat? Wer kann es in Wahrheit sagen? Wo sind die Beweise, die mich und jene, die an mich glauben, davon überzeugen können, dass ich ein Sünder bin? Gegen welches der Zehn Gebote habe ich je gesündigt? Wer kann vor dem Altar Gottes beschwören, dass er mich gegen das Gesetz und die Bräuche, die Vorschriften, die Überlieferungen, die Gebete verstoßen gesehen hätte? Wer unter allen Menschen wird mich beschämen können durch sichere Beweise, die mich der Sünde überführen? Niemand vermag es. Niemand unter den Menschen und niemand unter den Engeln. Gott ruft in den Herzen der Menschen: „Er ist unschuldig.“ Davon seid ihr alle überzeugt, und gerade ihr, die ihr mich anklagt, mehr als die anderen, die noch im Ungewissen darüber sind, wer von uns recht hat. Aber nur wer von Gott ist, hört auf die Worte Gottes. Ihr hört nicht auf sie, und wenn sie auch Tag und Nacht in euren Seelen widerhallen. Ihr hört nicht auf sie, da ihr nicht von Gott seid.»

«Wir, die wir für das Gesetz und unter genauester Beachtung der Vorschriften leben, um den Höchster. zu ehren, wir sind nicht von Gott? Und du wagst es, dass zu sagen? Ah!» Sie scheinen zu ersticken vor Abscheu, als hätten sie einen Strick um den Hals. «Und da sollen wir nicht sagen, dass du ein Besessener und ein Samariter bist?»

«Ich bin weder das eine noch das andere, sondern ich ehre meinen Vater, auch wenn ihr es leugnet, um mich zu schmähen. Aber eure Schmähungen schmerzen mich nicht. Ich suche nicht meine Ehre. Es ist einer, der sie sucht und richtet. Das sage ich euch, die ihr mich kränken wollt. Wer guten Willens ist, dem sage ich: Wer mein Wort aufnimmt oder es schon aufgenommen hat und es bewahrt, der wird in Ewigkeit den Tod nicht schauen.»