20.01.2016

DAS GUTE TUN IST EIN STÄRKERES GEBET ALS DIE PSALMEN»

nach Maria Valtorta

Jesus betritt die Synagoge von Kapharnaum, die sich langsam mit Gläubigen füllt, da es Sabbat ist. Das Erstaunen, ihn zu sehen, ist sehr groß. Alle weisen flüsternd auf ihn hin, und der eine oder andere zieht diesen oder jenen Apostel am Gewand, um zu erfahren, wann sie in die Stadt zurückgekehrt sind, da niemand wußte, dass sie kommen würden.

«Wir sind soeben am Brunnen des Feigenbaumes eingetroffen. Wir sind von Bethsaida gekommen, um keinen Schritt mehr machen zu müssen, als das Gesetz erlaubt, Freund», antwortet Petrus dem Urias, dem Pharisäer, und dieser, beleidigt, von einem Fischer als Freund angeredet zu werden, geht verärgert weg, um die Seinen einzuholen und sich in die erste Reihe zu begeben.

«Ärgere ihn nicht, Simon», bemerkt Andreas.

«Ihn ärgern? Er hat mich gefragt, und ich habe ihm geantwortet, dass auch wir das Gehen vermeiden, um den Sabbat zu heiligen.» «Sie werden sagen, dass wir uns mit dem Boot abgemüht haben...» «Sie werden eines Tages noch sagen, dass wir uns mit Atmen abgemüht haben! Blödsinn! Das Boot, der Wind und die Wellen haben die Mühe, nicht wir, die wir im Boot fahren.» Andreas nimmt die Antwort hin und schweigt.

Nach den einleitenden Gebeten kommt der Augenblick der Lesung eines Abschnittes und der Auslegung desselben. Der Synagogenvorsteher bittet Jesus darum; doch Jesus deutet auf die Pharisäer und sagt: «Sie sollen es tun!» Doch da sie es nicht tun wollen, muss er reden.

Jesus liest aus dem dreiundzwanzigsten Kapitel des ersten Buches Samuel, wo berichtet wird, wie David von den Syphitern verraten und dem Saul ausgeliefert wurde, der in Gibea war. Er gibt die Schriftrolle zurück und beginnt zu sprechen.

«Die Übertretung des Gebotes der Liebe, der Gastfreundschaft, der Redlichkeit ist immer etwas Schlechtes. Doch der Mensch scheut sich nicht, es mit der größten Leichtfertigkeit zu tun. Hier haben wir eine Episode, die sowohl von dieser Übertretung, als auch von der darauffolgenden Strafe Gottes berichtet.

Die Handlungsweise der Syphiter war schädlich, die des Saul nicht weniger. Die ersteren waren niederträchtig in der Absicht, sich beim Stärkeren einzuschmeicheln und daraus Nutzen zu ziehen. Der andere war es in der Absicht, den Gesalbten des Herrn aus dem Weg zu räumen. Der Egoismus führte sie zusammen. Und auf den unwürdigen Vorschlag wagte der falsche und sündhafte König Israels eine Antwort zu geben, in welcher der Name Gottes genannt wurde: „Der Herr segne euch dafür! „

Das war eine Verhöhnung der Gerechtigkeit Gottes! Eine gewohnheitsmäßige Verhöhnung! Denn die Bosheit des Menschen ruft gar zu oft den Namen des Herrn als Zeugen und seinen Segen an. Es wird heißen: „Du sollst den Namen des Herrn nicht vergeblich aussprechen!“ Und kann es einen schlimmeren Mißbrauch geben als den Namen des Herrn anzurufen, um ein Verbrechen gegen den Nächsten zu begeben? Und doch ist das eine weiter verbreitete Sünde als alle anderen; und sie wird gleichgültig auch von jenen begangen, die immer die ersten bei den Versammlungen des Herrn, bei den Zeremonien und bei der Unterweisung sind. Bedenkt, dass es sündhaft ist, alles zu erforschen, sich zu merken und vorzubereiten, um dadurch dem Nächsten zu schaden. Es ist sündhaft, andere dazu zu verleiten, den Nächsten auszuforschen und alles zu seinem Schaden zu lenken, sie zu diesem Zweck mit Geld zu bestechen oder ihnen Schwierigkeiten anzudrohen, damit sie jemandem schaden.

Ich mache euch darauf aufmerksam, dass es Sünde ist. Ich mache euch darauf aufmerksam, dass es Egoismus und Haß ist, wenn man sich so verhält. Und ihr wißt, dass Haß und Egoismus die Feinde der Liebe sind. Ich mache euch darauf aufmerksam, denn es geht mir um eure Seelen. Ich liebe euch und möchte euch nicht in Sünde sehen. Ich will nicht, dass Gott euch strafen muss, wie dies bei Saul der Fall war; denn zur gleichen Zeit, da er David verfolgte, um ihn gefangenzunehmen und zu töten, ließ Gott sein Land durch die Philister verwüsten. Wahrlich, dies wird immer dem geschehen, der dem Nächsten schadet. Sein Sieg währt nicht länger als das Gras auf der Wiese. Rasch wird es wachsen, aber auch rasch verdorren und unter dem unachtsamen Schritt des Vorübergehenden zertreten werden. Dagegen ist das anständige Verhalten, dass ehrsame Leben, mühsam zu verwirklichen und durchzuhalten. Doch zur Gewohnheit geworden, wird es zu einem mächtigen und blätterreichen Baum, den der Sturm nicht zerzaust und die Sonnenhitze nicht verbrennt. Wahrlich, wer dem Gesetz treu bleibt, wirklich treu, wird zu einem mächtigen Baum werden, der von den Leidenschaften nicht gebeugt und vom Feuer Satans nicht verbrannt werden kann.

Ich habe gesprochen. Wenn jemand noch etwas zu sagen hat, soll er es tun.» «Wir möchten dich fragen, ob du für uns, die Pharisäer, gesprochen hast?» «Ist denn die Synagoge voller Pharisäer? Ihr seid nur vier; die Menge besteht aus Hunderten von Personen. Das Wort ist für alle.» «Die Anspielung jedoch war ganz klar.» «In der Tat ist es aber noch nie vorgekommen, dass sich jemand nach einer Andeutung selbst angeklagt hat. Ihr tut dies. Aber warum klagt ihr euch an, da ich es nicht tue? Glaubt ihr, ihr verhaltet euch, wie ich gesagt habe? Ich weiß es nicht. Wenn es aber so ist, dann richtet euch nach meinen Worten. Denn der Mensch ist schwach und kann sündigen. Doch Gott verzeiht ihm, wenn er seine aufrichtige Reue und den Willen, nicht mehr zu sündigen, sieht. Das Verharren-Wollen im Bösen aber ist eine doppelte Sünde, und für sie gibt es keine Verzeihung.» «Wir haben diese Sünde nicht.» «Dann braucht ihr meiner Worte wegen nicht betrübt zu sein.» Der Zwischenfall ist beendet, und in der Synagoge ertönt der Gesang der Hymnen. Dann scheint die Versammlung bis zu ihrem Ende ohne weitere Zwischenfälle abzulaufen. Doch der Pharisäer Joachim entdeckt in der Menge einen Menschen und fordert ihn durch Zeichen und Blicke auf, nach vorne zu kommen.

Es ist ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit einem verkrüppelten Arm, dessen eine Hand auch kleiner als die andere ist, da er an Muskelschwund leidet.

Jesus sieht es. Er sieht auch das Getue, mit dem man ihn darauf aufmerksam machen will. Widerwillen und Mitleid spiegeln sich auf seinem Gesicht; doch er wehrt den Angriff nicht ab und begegnet der Lage mit Bestimmtheit.

«Komm hierher, in die Mitte», befiehlt er dem Mann.

Als er vor ihm steht, wendet er sich an die Pharisäer und sagt: «Warum versucht ihr mich? Habe ich nicht soeben gegen die Arglist und den Haß gesprochen? Und habt ihr nicht soeben behauptet, diesen Fehler nicht zu haben? Ihr antwortet nicht? Antwortet wenigstens auf diese Frage: Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes oder Böses zu tun? Ist es erlaubt, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? Ihr antwortet nicht? So werde ich für euch antworten, und vor dem ganzen Volk, dass besser urteilen kann als ihr, da es einfach und ohne Haß und Hochmut ist. Es ist nicht erlaubt, am Sabbat zu arbeiten. Aber es ist erlaubt, am Sabbat zu beten; wie aber das Beten erlaubt ist, so ist es auch erlaubt, Gutes zu tun, denn Gutes tun ist ein höheres Gebet als die Hymnen und die Psalmen, die wir gesungen haben. Dagegen ist es weder am Sabbat noch an einem anderen Tag erlaubt, Böses zu tun. Und ihr habt es getan, da ihr diesen Menschen hierher beordert habt, der nicht einmal von Kapharnaum ist und den ihr vor zwei Tagen habt kommen lassen, weil ihr wußtet, dass ich in Bethsaida war und in meine Stadt kommen würde. Und ihr habt es getan, um mich anklagen zu können. So begeht ihr auch die Sünde, eure Seele zu töten, anstatt sie zu retten. Doch soweit es mich betrifft, will ich euch verzeihen und den Glauben dieses Menschen nicht enttäuschen, dem ihr gesagt habt, wenn er hierher käme, würde ich ihm helfen und ihn heilen, obwohl ihr mir damit eine Falle stellen wolltet. Er ist unschuldig, denn er ist gekommen ohne andere Absicht als die, geheilt zu werden. Und so soll es sein! Mann, strecke deine Hand aus und geh in Frieden!» Der Mann gehorcht, und seine Hand ist geheilt und sieht aus wie die andere. Er benützt sie sofort, um damit einen Zipfel des Mantels Jesu zu ergreifen und zu küssen, indem er sagt: «Du weißt, dass mir die Absicht dieser Menschen nicht bekannt war. Hätte ich sie gekannt, wäre ich nicht gekommen und hätte eine vertrocknete Hand vorgezogen, anstatt ihnen gegen dich zu dienen. Darum bitte ich dich, sei mir nicht böse!» «Geh in Frieden, Mann! Ich kenne die Wahrheit und habe für dich nur Wohlwollen.» Die Menschen gehen, während sie den Vorfall besprechen, hinaus, gefolgt von Jesus mit den elf Aposteln.