29.06.2016

DAS MESSIASBEKENNTNIS DES PETRUS

nach Maria Valtorta

«Aber sagt mir, ihr, die ihr dem Volk nahekommt, ohne es einzuschüchtern wie ich. Was denken die Leute von mir, vom Menschensohn?»

«Die einen sagen, dass du Jesus oder der Christus bist, und das sind die Besten. Andere nennen dich einen Propheten, andere wiederum sehen in dir nur einen Rabbi, und wieder andere... du weißt es, nennen dich einen Wahnsinnigen und Besessenen.»

«Einige jedoch nennen dich bei dem Namen, den du dir selbst gegeben hast: „Menschensohn“!»

Andere sagen, dass das nicht sein kann, da der Menschensohn etwas ganz anderes ist. Es ist nicht immer eine Verneinung, denn grundsätzlich geben sie zu, dass du mehr als der Menschensohn bist, da sie sagen, dass du der Sohn Gottes bist. Andere hingegen glauben, dass du nicht einmal der Menschensohn, sondern nur ein armer Mensch bist, von Satan angetrieben oder vom Wahnsinn verwirrt. Du siehst, dass die Ansichten zahlreich und alle verschieden sind», sagt Bartholomäus.

«Wer ist also nach der Meinung des Volkes der Menschensohn?»

«Er ist ein Mensch, in dem alle Tugenden des Menschen vereint sind, ein Mensch, dem alle Gaben des Verstandes, der Weisheit und der Gnade innewohnen, die wir in unserer Vorstellung Adam beimessen, und einige fügen diesen Eigenschaften noch die Unsterblichkeit hinzu. Du weißt, dass bereits das Gerücht umgeht, dass Johannes nicht gestorben, sondern einfach von Engeln irgendwohin gebracht worden ist. Man behauptet, Herodes, und besonders Herodias hätten, um sich nicht sagen zu müssen, sie wären von Gott besiegt worden, einen Diener getötet, ihm das Haupt abgeschlagen und dann den Rumpf des getöteten Sklaven als Leiche des Täufers herumgezeigt. Das Volk redet so viel! Deshalb glauben viele, dass der Menschensohn Jeremias oder Elias oder einer der Propheten oder auch der Täufer selbst, in dem Gnade und Weisheit war und den man den Vorläufer des Christus, des Gesalbten Gottes, nannte, gewesen ist. Der Menschensohn: ein großer Mensch, geboren aus einem Menschen. Viele können oder wollen nicht zugeben, dass Gott seinen Sohn auf die Erde senden wollte. Du hast es gestern gesagt: „Es werden nur jene glauben, die von der unendlichen Güte Gottes überzeugt sind.“ Israel glaubt mehr an die Strenge Gottes, als an seine Güte ...» sagt wiederum Bartholomäus.

«Ja, sie erachten sich tatsächlich für so unwürdig, dass sie es für unmöglich halten, dass Gott so gut ist, sein Wort zu senden, um sie zu retten. Der elende Zustand ihrer Seelen hindert sie zu glauben», bestätigt der Zelote und fährt fort: «Du sagst, dass du der Sohn Gottes und des Menschen bist. Tatsächlich ist in dir alle Gnade und Weisheit, die ein Mensch besitzen kann. Ich glaube wirklich, daß, wenn Adam, als er noch im Stande der Gnade lebte, ein Sohn geboren worden wäre, dir dieser an Schönheit, Verstand und jeder anderen Tugend ähnlich gewesen wäre. In dir erstrahlt Gott durch seine Macht. Aber wer von denen, die sich selbst für Götter halten und in ihrem grenzenlosen Hochmut Gott mit ihrem eigenen Maßstab messen, kann das glauben? Sie, die Grausamen, die Gehässigen, die Räuber, die Unkeuschen, können sich nicht vorstellen, dass Gott in seiner Güte so weit gegangen ist, dass er sich selbst hingegeben hat, um sie zu erlösen; dass er ihnen seine Liebe geschenkt hat, um sie zu retten; dass er sich in seiner Hochherzigkeit der Willkür der Menschen ausgesetzt, und seine Reinheit entsandt hat, auf dass sie sich für den Menschen aufopfere. Sie können es nicht glauben, nein, sie sind so unerbittlich und erfinderisch im Suchen nach Sünden und deren Bestrafung.»

«Doch ihr, was meint ihr, wer ich bin? Sagt es, ohne Rücksicht auf meine Worte oder auf die anderer. Wenn ihr über mich urteilen müßtet, was würdet ihr von mir sagen?»

«Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes», ruft Petrus, indem er sich mit zum Himmel erhobenen Armen niederkniet und zu Jesus aufschaut, der mit strahlendem Antlitz auf ihn niedersieht und sich über ihn neigt, um ihm wieder aufzuhelfen und ihn zu umarmen mit den Worten: «Selig bist du, Simon, Sohn des Jonas! Denn nicht Fleisch und Blut haben dir das geoffenbart, sondern mein Vater, der im Himmel ist. Vom ersten Augenblick an, da du zu mir gekommen bist, hast du dir diese Frage gestellt, und da du einfach und redlich bist, hast du die Antwort, die dir der Himmel eingab, verstanden und angenommen. Bevor du mir begegnet bist, hattest du keine übernatürlichen Zeichen erfahren, wie dein Bruder und Johannes und Jakobus. Du kanntest meine Heiligkeit als Sohn, als Arbeiter, als Bürger nicht, wie Judas und Jakobus, meine Brüder. Bevor du mein Jünger wurdest, hattest du kein Wunder gesehen, noch hatte ich dir ein Zeichen meiner Macht gegeben, wie ich es bei Philippus, Nathanael, Simon dem Kananäer, Thomas und Judas tat. Du wurdest nicht von meinem Willen überwältigt wie Levi, der Zöllner, und dennoch hast du vom ersten Augenblick an ausgerufen: „Er ist der Gesalbte!“ Von der ersten Stunde an, da du mich gesehen hattest, glaubtest du, und nie wurde dein Glaube durch etwas erschüttert. Deshalb habe ich dich Kephas genannt, und deshalb werde ich auf dir, dem Felsen, meine Kirche erbauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben, und was immer du auf Erden binden wirst, wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, wird auch im Himmel gelöst sein, o du getreuer und kluger Mensch, dessen Herz ich erproben konnte. Jetzt, von diesem Augenblick an, bist du das Haupt, dem Gehorsam und Achtung gebührt, wie mir selbst. Dazu ernenne ich ihn vor euch allen.»

Wenn Jesus Petrus unter einem Hagel von Vorwürfen niedergeschmettert hätte, wäre sein Weinen nicht so heftig gewesen. Er weint, von Schluchzen geschüttelt, dass Antlitz an der Brust Jesu. Ein Weinen ist es, dass sich nur wiederholt hat, als ihn der Schmerz über die Verleugnung Jesu übermannte. Jetzt ist es ein Weinen, dass tausend demütigen und guten Gefühlen entspringt... Ein weiteres kleines bißchen des alten Simon – des Fischers von Bethsaida, der bei der ersten Verkündigung von seiten seines Bruders lachend und ungläubig geantwortet hat: «Ausgerechnet dir soll der Messias erscheinen! ... Ausgerechnet dir!» – ein weiteres kleines bißchen des alten Simon bröckelt ab unter diesen Tränen und läßt unter der dünner werdenden Kruste seiner Menschlichkeit immer klarer den Petrus, dass Oberhaupt der Kirche Christi, erscheinen.

Als er sein Haupt scheu und verwirrt erhebt, weiß er nur eines zu tun, um alles auszudrücken, alles zu versprechen und sich Kraft zu holen für seine neue Aufgabe: er wirft seine kurzen, muskulösen Arme um den Hals Jesu und zwingt ihn so, sich zu ihm herabzuneigen und ihn zu küssen, wobei seine etwas struppigen und graumelierten Haare und sein Bart sich mit den weichen, goldfarbenen Haaren und dem Barte Jesu vermischen. Dann schaut er ihn anbetend, liebevoll und flehend an mit seinen großen, leuchtenden und von den Tränen geröteten Augen, während er mit den mit Schwielen bedeckten, breiten, kurzen Händen das asketische Antlitz des Meisters ergreift, dass sich über das seinige neigt, als wäre es ein Gefäß, aus dem Lebenssäfte fließen... und er trinkt, trinkt, trinkt Süßigkeit und Gnade, Sicherheit und Stärke aus diesem Antlitz, aus diesen Augen, aus diesem Lächeln...

Schließlich trennen sie sich und setzen ihren Weg nach Caesarea Philippi fort, und Jesus sagt zu allen: «Petrus hat die Wahrheit gesagt. Viele ahnen sie, ihr kennt sie. Aber sagt vorläufig niemandem, was dieser Christus gemäß der vollen Wahrheit, die ihr erkennt, ist. Laßt Gott in den Herzen sprechen, wie er in den euren spricht. Wahrlich, ich sage euch, dass alle, die meine oder eure Aussagen mit einem vollkommenen Glauben und einer vollkommenen Liebe verbinden, dahin gelangen werden, den wahren Sinn der Worte: „Jesus, Christus, dass Wort, der Sohn des Menschen und Gottes“ zu verstehen.»