05.02.2016

DER TOD JOHANNES DES TÄUFERS

nach Maria Valtorta

Jesus heilt soeben Kranke; nur Manaen ist bei ihm. Sie sind in dieser Morgenstunde im Haus von Kapharnaum, im schattigen Garten. Manaen trägt nicht mehr den kostbaren Gürtel noch die Goldplatte an seiner Stirne. Das Gewand wird von einer Wollkordel und die Kopfbedeckung von einem gewobenen Band gehalten. Jesu Haupt ist unbedeckt, wie üblich, wenn er sich im Haus aufhält.

Nach Heilung und Tröstung der Kranken steigt Jesus mit Manaen in den oberen Raum hinauf. Sie setzen sich beide auf das Fensterbrett auf der Seite zum Gebirge, denn die Seeseite ist ganz von der Sonne beschienen, die noch immer sehr heiß brennt, obwohl die Hundstage schon längst vorüber sein müßten.

«Bald beginnt die Weinlese», sagt Manaen.

«Ja. Dann wird das Laubhüttenfest folgen... und bald wird der Winter da sein. Wann gedenkst du abzureisen?» «Hin! ... Ich würde nie abreisen... Aber ich denke an den Täufer. Herodes ist ein Schwächling. Wenn man einen guten Einfluß auf ihn ausübt, wird er zwar nicht gut... aber wenigstens nicht blutdürstig. Doch es gibt nur wenige, die ihn gut beraten. Und dieses Weib! ... Dieses Weib! ... Ich möchte hierbleiben, bis die Apostel zurückkehren. Ich bilde mir nichts ein... doch etwas zähle ich noch... obgleich mein Ansehen sich sehr verringert hat, seit sie begriffen haben, dass ich die Wege des Guten wandle. Doch das macht mir nichts aus. Ich möchte den wahren Mut haben, alles zu verlassen, um dir vollkommen nachfolgen zu können wie die Jünger, die du erwartest. Aber werde ich es wohl je fertigbringen? Uns, die wir nicht aus dem Volk stammen, fällt es schwerer, dir zu folgen. Warum nur?» «Weil ihr an die armen Reichtümer gefesselt seid, die euch zurückhalten.» «Ich kenne jedoch auch einige, die nicht eigentlich reich, dafür aber gelehrt sind, oder auf dem Weg, es zu werden; auch sie kommen nicht!» «Auch sie haben die Fangarme der armseligen Reichtümer, die sie zurückhalten. Man ist nicht nur reich, wenn man Geld hat. Es gibt auch den Reichtum des Wissens. Nur wenige begreifen das Bekenntnis Salomons: „O Eitelkeit der Eitelkeiten, alles ist Eitelkeit.“ Kohelet hat es wiederholt und erweitert, nicht so sehr dem Umfang, sondern vielmehr dem tiefen Sinn nach. Erinnerst du dich? Die menschliche Wissenschaft ist Eitelkeit, denn sie vermehrt nur das menschliche Wissen und ist „Angst und Betrübnis des Geistes, und wer die Wissenschaft vermehrt, vermehrt auch die Ängste.“ Wahrlich, ich sage dir, so ist es! Und ich sage dir auch, dass es nicht so wäre, wenn die menschliche Wissenschaft gestützt und gezügelt würde durch die übernatürliche Weisheit und die heilige Liebe Gottes. Der Genuß ist Eitelkeit, weil er nicht andauert, sondern schnell vergeht und nach dem Aufflackern Asche und Leere hinterläßt.

Die unter allen möglichen Anstrengungen angehäuften Güter sind Eitelkeit für den Menschen, der sterben und sie anderen hinterlassen muss und mit seinen Gütern den Tod nicht fernhalten kann. Die Frau, in der nur das Weibliche betrachtet und begehrt wird, ist Eitelkeit. Daraus kann man schließen, dass das einzige, dass nicht Eitelkeit ist, in der heiligen Furcht Gottes und dem Gehorsam seinen Geboten gegenüber besteht; also in der Weisheit des Menschen, der nicht nur Fleisch ist, sondern auch eine zweite Natur besitzt: die geistige. Wer so zu entscheiden und zu wollen versteht, weiß sich loszulösen von allen Fallstricken armseligen Besitzes um unbeschwert der Sonne entgegenzugehen.» «Ich will mir diese Worte gut merken. Wieviel hast du mir in diesen Tagen gegeben! Jetzt kann ich wieder den Tändeleien des Hofes entgegengehen, der nur den Törichten glanzvoll, mächtig und frei erscheint, während er in Wirklichkeit nichts anderes ist als Elend, Kerker und Finsternis. Ich will zurückkehren mit einem Schatz, der es mir erlauben wird, in Erwartung des Besseren besser zu leben. Aber werde ich je dieses Bessere erreichen, dass darin besteht, dir ganz anzugehören?» «Du wirst es erreichen!» «Wann? Im kommenden Jahre? Oder später? Oder wenn das Alter mich weise gemacht hat?» «Du wirst dorthin gelangen, wenn du im Lauf von wenigen Stunden die Reife des Geistes und die Vollkommenheit des Wollens erreichen wirst.» Manaen betrachtet ihn nachdenklich und forschend... Doch er fragt nicht weiter.

Es folgt ein Schweigen. Dann sagt Jesus: «Bist du schon Lazarus von Bethanien begegnet?» «Nein, Meister! Ich kann sagen, nein. Denn wenn eine Begegnung stattgefunden hat, so ist daraus keine Freundschaft entsprungen. Weißt du... Ich bin bei Herodes, und Herodes ist gegen ihn... Deshalb ...» «Lazarus würde dich jetzt über den Dingen sehen, in Gott. Du musst versuchen, dich ihm als Mitjünger zu nähern.» «Ich will es tun, wenn du es willst.» Vom Garten dringen aufgeregte Stimmen herauf. Sie fragen ängstlich: «Der Meister! Der Meister! Ist er hier?» Die singende Stimme der Herrin des Hauses antwortet: «Im oberen Saal ist er. Wer seid ihr? Kranke?» «Nein, Jünger des Johannes; wir wollen zu Jesus von Nazareth.» Jesus schaut aus dem Fenster und sagt: «Der Friede sei mit euch! Oh, ihr seid es! Kommt, kommt!» Es sind die drei Hirten Johannes, Matthias und Simeon. «Oh, Meister!» sagen sie und schauen mit schmerzerfüllten Gesichtern nach oben. Nicht einmal der Anblick Jesu kann sie aufheitern.

Jesus verläßt den Raum, um ihnen auf der Terrasse entgegenzugehen. Manaen folgt ihm. Sie begegnen sich gerade dort, wo die Treppe auf der sonnigen Terrasse endet.

Die drei knien nieder und küssen den Boden. Dann sagt Johannes für alle: «Nun nimm du uns auf, Herr, denn wir sind deine Erbschaft.» Tränen rinnen über das Gesicht des Jüngers und über die Gesichter seiner Begleiter.

Jesus und Manaen rufen gleichzeitig aus: «Johannes?» «Er ist getötet worden ...» Das Wort fällt wie ein mächtiges Getöse, dass jedes Geräusch auf Erden übertönt. Und doch ist es sehr leise gesagt worden. Aber es versteinert den, der es ausspricht, und den, der es hört. Es scheint, dass die Erde, um es aufzunehmen und zu bewältigen, jeden anderen Laut unterdrückt. Es scheint, dass die Erde all ihre Geräusche verstummen läßt, um in schauernder Erregung zu horchen, so tief ist die herrschende Stille und die völlige Reglosigkeit der Tiere in den Gewässern und in der Luft. Das Gurren der Tauben, dass Flöten der Amsel und die Chöre der Sperlinge sind verstummt, eine zirpende Grille schweigt plötzlich, wie von einem Hammerschlag getroffen, und auch der Wind, der mit dem Weinlaub und den Blättern gespielt und ihnen ein leises Seidenrauschen entlockt hatte, steht still.

Jesus wird bleich wie Elfenbein, während seine Augen sich weiten und mit glänzenden Tränen füllen. Er breitet die Arme aus und sagt mühsam mit tiefer Stimme: «Friede dem Märtyrer der Gerechtigkeit und meinem Vorläufer!» Dann verschränkt er die Arme, sammelt sich im Geist -gewiß betet er – und vereinigt sich mit dem Geist Gottes und des Täufers.

Manaen wagt nicht, sich zu rühren. Im Gegensatz zu Jesus ist er sichtlich errötet, als befinde er sich kurz vor einem Zornausbruch. Darin ist er wie erstarrt, und die mechanische Bewegung der Rechten, die den Gürtel seines Gewandes erfaßt, und der Linken, die unbewußt nach dem Dolch sucht, verrät seine Verwirrung... Manaen schüttelt den Kopf im Bedauern über seine Vergeßlichkeit, da er sich nicht daran erinnert hat, dass er waffenlos ist, um „der Jünger des Sanftmütigen in der Nähe des Sanften“ zu sein.

Jesus öffnet wieder Mund und Augen. Sein Antlitz, sein Blick und seine Stimme haben wieder den Ausdruck göttlicher Majestät, den man bei ihm für üblich hält. Es bleibt nur eine große, von Frieden gemäßigte Traurigkeit zurück.

«Kommt und berichtet mir! Von heute an seid ihr die Meinen.» Er geleitet sie ins Zimmer, schließt die Türe, zieht die Vorhänge zu, um sich angesichts des Schmerzes und der Schönheit des Todes des Täufers zu sammeln und eine Trennung zu vollziehen zwischen der Vollkommenheit dieses Lebens und der verdorbenen Welt.

«Sprecht!» gebietet er.

Manaen scheint immer noch wie versteinert zu sein. Er ist nahe bei der Gruppe. Doch er sagt kein Wort.

«Es war am Abend des Festes... Ein unvorhergesehenes Ereignis... Nur zwei Stunden zuvor hatte Herodes sich mit Johannes beraten und sich von ihm wohlwollend verabschiedet... Und ganz kurz bevor es geschehen ist... der Mord, dass Martyrium, dass Verbrechen, die Verherrlichung, hatte er einen Diener mit gekühlten Früchten und erlesenen Weinen zu dem Gefangenen entsandt. Johannes hat diese Dinge unter uns verteilt... Er hat nie von seiner Strenge abgelassen... Wir waren allein bei ihm... denn Manaen hatte dafür gesorgt, dass wir als Küchendiener und Stallknechte im Palast arbeiten konnten. Es war eine Gnade, die uns erlaubte, zu jeder Zeit unseren Johannes sehen zu können... Wir waren in den Küchen, ich und Johannes, während Simeon die Stallknechte überwachte, damit sie die Pferde der Gäste gut betreuten... Der Palast war voll von Offizieren und hohen Herren aus Galiläa. Herodias hatte sich nach einem heftigen Streit am Morgen mit Herodes in ihre Gemächer eingeschlossen...» Manaen unterbricht ihn: «Aber wann ist diese Hyäne gekommen?» «Zwei Tage zuvor. Ganz unvermutet... Sie sagte dem Monarchen, sie könne nicht länger ohne ihn leben und wolle an seinem Festtag anwesend sein. Schlange und Zauberin wie immer, hat sie ihn zu ihrem Spielball gemacht... Aber Herodes hatte sich am Morgen dieses Tages, obschon trunken von Wein und Wollust, geweigert, dem Weib zu gewähren, was es mit lautem Geschrei verlangte. Und niemand ahnte, dass es sich um das Leben des Johannes handelte...

Sie hatte sich beleidigt in ihre Gemächer zurückgezogen. Sie hatte die königliche Speise verschmäht, die ihr Herodes auf einem kostbaren Tablett gesandt hatte. Sie behielt nur eine erlesene Schale voll Früchte zurück und sandte Herodes dafür einen Krug Wein, der mit Drogen vermischt war. Das genügte, um seine trunksüchtige und lasterhafte Natur zum Verbrechen zu verleiten!

Von den Tafeldienern erfuhren wir, dass nach dem Tanz der Hofschauspielerinnen, oder vielmehr während desselben, auch Salome tanzend im Festsaal erschienen war. Und die Schauspielerinnen hatten sich vor der Königstochter an die Wand zurückgezogen. Der Tanz war vollkommen, haben sie uns gesagt, anstößig und vollkommen. Der Gäste würdig... Herodes ... Vielleicht hat er neuen Geschmack an seiner Blutschande gefunden ... Am Schluß dieses Tanzes sagte er voller Begeisterung zu Salome: „Du hast gut getanzt! Ich schwöre dir, dass du dafür eine Belohnung erhältst. Ich schwöre dir, dass ich dir alles geben werde, um was du mich bittest. In Gegenwart aller schwöre ich es dir. Es ist das Wort des Königs und gilt selbst ohne Schwüre. Verlange also, was du willst.“

Und Salome, die nun Verwirrung, Unschuld und Bescheidenheit vortäuschte, hüllte sich nach so viel Schamlosigkeit mit keuscher Gebärde in ihre Schleier und sagte: „Erlaube mir, o Großer, dass ich einen Augenblick nachdenke. Ich will mich zurückziehen und wiederkommen, denn deine große Gunst hat mich verwirrt“; und sie zog sich zurück, um zu ihrer Mutter zu gehen.

Selma hat mir berichtet, dass sie lachend zurückgekommen sei und gesagt habe: „Mutter, du hast gesiegt! Gib mir die Schale.“ Und Herodias befahl der Sklavin mit einem Ausruf des Triumphes, dem Mädchen die zurückbehaltene Schale zu übergeben und sagte: „Geh und kehre mit dem verhaßten Kopf zurück, und ich will dich in Perlen und Gold kleiden.“ Selma hat voller Entsetzen gehorcht.

Salome kam tanzend in den Saal zurück, und tanzend kniete sie zu Füßen des Königs nieder und sagte: „Hier bin ich! Auf dieser Schale, die du meiner Mutter gesandt hast als Unterpfand, dass du sie liebst und mich liebst, will ich das Haupt des Johannes erhalten. Dann werde ich nochmals tanzen, wenn es dir gefällt. Ich werde den Tanz des Sieges tanzen, denn ich habe gesiegt. Ich habe dich besiegt, König! Ich habe das Leben besiegt, ich bin glücklich!» Das sagte sie, und uns teilte es ein befreundeter Mundschenk mit.

Herodes fühlte sich zwischen zwei Wünschen hin- und hergerissen: er wollte einerseits seinem Wort treu und andererseits gerecht sein. Doch er verstand es nicht, gerecht zu sein, da er ein Ungerechter ist. Er gab dem Henker, der hinter dem Königsthron stand, ein Zeichen, und dieser nahm die Schüssel aus den Händen Salomes und verließ den Saal des Gastmahls und begab sich zu den unteren Gemächern. Wir sahen ihn den Hof überqueren, ich und Johannes; und kurz darauf hörten wir den Schrei Simeons: „Mörder!“ Und dann sahen wir ihn mit dem Haupt in der Schale zurückkommen... Johannes, dein Vorläufer, war tot ...» «Simeon, kannst du mir sagen, wie er gestorben ist?» fragt Jesus nach einer Weile.

«Ja. Er betete... Er hatte mir zuvor gesagt: „Bald werden die beiden Abgesandten zurückkehren, und wer nicht glaubt, wird glauben. Aber denke daran, wenn ich bei ihrer Rückkehr nicht mehr leben sollte, sage ihnen, was ich, einer, der dem Tod nahe ist, noch einmal zu dir sage, damit du es ihnen sagst: Jesus von Nazareth ist der wahre Messias!“ Er dachte immer an dich... Der Henker trat ein... Ich schrie laut. Johannes erhob das Haupt und sah ihn. Er stand auf und sagte: „Nur das Leben kannst du mir nehmen. Aber die Wahrheit bleibt und dass es nicht statthaft ist, Böses zu tun.“ Er wollte mir gerade noch etwas sagen, als der Henker das große, schwere Schwert schwang. Johannes stand noch auf seinen Füßen, als das Haupt von seinem Rumpf fiel mit einem großen Blutstrahl, der seine behaarte Haut rötete und sein mageres Gesicht, in dem die Augen wie Ankläger offen und lebendig blieben, wachsbleich werden ließ. Das Haupt rollte mir zu Füßen... Zusammen mit seinem Körper fiel ich aus Schwäche und Schmerz zu Boden... Dann... Dann... nachdem Herodias das Haupt mißhandelt hatte, wurde es den Hunden vorgeworfen. Doch wir standen schon bereit, es aufzuheben, hüllten es in einen kostbaren Schleier und fügten es dem Rumpf wieder an. Wir verließen mit dem Leichnam bei Nacht Machaerus und balsamierten ihn dann bei Sonnenaufgang mit Hilfe anderer Jünger im Grün eines Akaziengebüsches ein. Doch er wurde uns für weitere Entstellungen entrissen... Denn sie kann ihn nicht vernichten und kann ihm nicht verzeihen... Und ihre Sklaven waren aus Furcht vor dem Tod wilder als Schakale und rissen ihm das Haupt ab. Wenn du nur dort gewesen wärest, Manaen...» «Wenn ich dort gewesen wäre... Aber dieses Haupt wird ihr Fluch sein. Die Herrlichkeit des Vorläufers wird um nichts vermindert, auch wenn sein Körper unvollständig ist. Nicht wahr, Meister?» «Das ist wahr! Auch wenn die Hunde ihn vernichtet hätten, es hätte nichts an seiner Herrlichkeit geändert.» «Und das Wort bleibt unverändert, Meister. Seine Augen, obwohl verunstaltet durch eine große Wunde, sagen immer noch: „Es ist dir nicht erlaubt.“ Doch wir haben ihn verloren!» sagt Matthias.

«Jetzt gehören wir dir, denn so hat er gesagt und uns auch versichert, dass du es schon weißt.» «Ja! Seit Monaten schon gehört ihr mir. Wie seid ihr gekommen?» «Zu Fuß, in Etappen. Ein langer, beschwerlicher Weg war es auf heißem Sand, unter glühender Sonne und von Schmerz gequält. Ungefähr zwanzig Tage sind wir unterwegs gewesen...» «Jetzt werdet ihr euch ausruhen!» Manaen fragt: «Sagt mir, war Herodes nicht erstaunt über meine Abwesenheit?» «Ja. Zuerst war er beunruhigt, dann wurde er wütend. Aber nachdem der Wutanfall vorüber war, sagte er: „Ein Richter weniger!“ So hat es uns der befreundete Mundschenk berichtet.» Jesus fügt hinzu: «Ein Richter weniger! Er hat Gott als Richter und das genügt. Kommt hierher, wo wir schlafen. Ihr seid müde und mit Staub bedeckt. Ihr werdet hier Kleider und Sandalen eurer Gefährten finden. Nehmt sie und erfrischt euch. Was dem einen gehört, gehört allen. Du, Matthias, der du groß bist, kannst eines von meinen Kleidern nehmen. Dann werden wir sehen. Gegen Abend, denn es ist der Vorabend des Sabbats, werden meine Apostel zurückkommen. In der nächsten Woche wird Isaak mit den Jüngern kommen, und dann werden auch Benjamin und Daniel, und nach dem Laubhüttenfest sogar Elias, Joseph und Levi hier sein. Es ist Zeit, dass sich zu den Zwölfen noch andere gesellen. Geht nun und ruht euch aus!» Manaen begleitet sie und kehrt dann zurück. Jesus bleibt zusammen mit Manaen. Er setzt sich nachdenklich nieder, sichtlich traurig, und stützt sein Haupt mit der Hand und den Ellbogen auf das Knie. Manaen sitzt am Tisch und rührt sich nicht. Doch er macht ein finsteres Gesicht.

Nach geraumer Zeit hebt Jesus das Haupt, schaut ihn an und fragt: «Und du? Was willst du jetzt tun?» «Ich weiß es noch nicht... Es gibt keinen Grund mehr, in Machaerus zu bleiben. Doch möchte ich noch am Hof bleiben, um zu erfahren... und um dich durch mein Wissen beschützen zu können.» «Es wäre besser für dich, wenn du mir ohne Verzögerung folgen würdest. Aber ich zwinge dich nicht. Du wirst kommen, wenn der alte Manaen sich ganz aufgelöst haben wird.» «Ich möchte auch dieser Frau den Kopf entreißen... Sie ist nicht wert, ihn zu besitzen ...» Jesus sagt mit einem leichten Anflug von Lächeln trocken: «So bist du also noch nicht dem menschlichen Reichtum abgestorben. Aber du bist mir trotzdem teuer. Ich weiß, dass ich dich nicht verliere, selbst wenn ich warte. Und ich kann warten ...» «Meister, ich möchte dir meine Hochherzigkeit schenken, um dich zu trösten; denn du leidest, ich sehe es!» «Das ist wahr! Ich leide. Sehr sogar! Sehr...!» «Nur wegen Johannes? Das glaube ich nicht. Du weißt ihn im Frieden.» «Ich weiß ihn im Frieden und fühle ihn nahe!» «Was ist es dann?» «Was dann? ... Manaen, wem geht die Morgendämmerung voraus?» «Dem Tag, Meister! Warum fragst du das?» «Weil der Tod des Johannes dem Tag vorausgeht, an dem ich der Erlöser sein werde. Und das Menschliche in mir zittert bei diesem Gedanken... Manaen, ich steige auf den Berg. Bleib du hier. Empfange die Ankommenden und hilf denen, die schon da sind. Bleibe bis zu meiner Rückkehr. Dann kannst du tun, was du willst. Leb wohl!» Jesus geht aus dem Saal. Er geht langsam die Treppe hinunter und durch den Garten und verschwindet auf einem kleinen Pfad zwischen zerzausten Gärten und Olivenhainen, Apfelbäumen, Weinstöcken und Feigenbäumen. Er steigt den Hang eines kleinen Hügels hinauf; und ich sehe ihn nicht mehr.